Sorry, ich habe die Stelle von irgendwo übernommen - ich werde sie suchen.
Danke.
Um sich intellektuell und räumlich von den Ketzern fernzuhalten, darf man sich weder intellektuell mit ihnen befassen noch ihnen räumlich nahekommen. Das Gegenteil davon ist geschehen.
Du suchst in den Krümeln. Es ging ihm darum, dass seine Schäfchen nicht mit Ketzern gemeinsame Sachen machen sollten.
Wir sind hier in einem Faden mit dem Titel “Hexenjagden gab es nicht nur in der frühen Neuzeit”, also ist es sogar ein Muss über diese frühe Zeit zu referieren. Diese Zeit war es auch, die die Grundlagen für die Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit schaffte: […]
Das geht wieder völlig am Einwand vorbei.
Das Problem besteht darin, dass Du bemüht bist, den Hexenwahn auf einen einzigen Punkt zurückzuführen: die Kirche.
Man antwortet Dir: Einen einzigen Punkt gibt es nicht.
Du erwiderst: Aber der Hexenhammer!
Man antwortet Dir: Der verschwand ein Jahrhundert lang in der Schublade, dafür muss es einen Grund geben …
Du erwiderst: Das ist Schönfärberei! Was ist mit der Inquisition? All die Todesurteile!
Man antwortet Dir: Die Inquisition war an den Hexenverfolgungen kaum beteiligt und verhängte sowieso nur wenige Todesurteile.
Du erwiderst: Das ist Schönfärberei! Was ist mit Lemgo, Würzburg, Nördlingen, all die Todesurteile …!
Man antwortet Dir: Das war nicht die Inquisition.
Und jetzt sind wir wieder beim Hexenhammer?
Und darf ich Fragen, was daran anstößig sein sollte "Geisteskranke" (was immer auch damit im einzelnen Fall gemeint ist, vor Gericht anzuhören?
Nun ja …
Keine Sorge, ich habe schon gesehen, worauf Du hinauswolltest und wie es zu dieser überflüssigen Nebendiskussion kam, trotzdem sei gesagt: Zwar stellt das Inquisitionsverfahren gegenüber der vorherigen Rechtspraxis tatsächlich einen gewissen Fortschritt dar.
Doch zielte die Erweiterung der Eidesfähigkeit auf vorher nicht als eidesfähig angesehene Personen (wie eben Geisteskranke und Kinder) nicht darauf ab, das Verfahren gerechter zu gestalten. In dieser Hinsicht hat
@Dion schon Recht. Sie war vor allem Ausdruck der Auffassung, dass man es mit Delikten zu tun hatte, zu deren Bekämpfung (fast) jedes Mittel Recht war.
Allerdings taugt auch diese Beobachtung nur bedingt als Ansatzpunkt für Religions- oder Kirchenkritik. Dass anerkannte Rechtsgrundsätze eines "höheren Gutes" wegen verletzt werden, ist leider eine historische Konstante.
Ein Mob, der frustriert ist und einfach irgendwen getötet sehen möchte interessiert sich nicht für das mühsame herausbekommen von Geständnissen. Wozu denn? […] Und wenn das der regelmäßige Gang der Dinge gewesen wäre und Wahrheitsfindung niemanden interessiert hatte, müssten die Raten zur Verurteilung zu Kapitalstrafen gegenüber der Zahl der greifbaren Fälle sich auf nahezu hundert Prozent belaufen.
So ist es. Auch das gelegentliche Eingreifen der Inquisition und des Reichsgerichts
zugunsten der Opfer von Hexenverfolgungen weist klar darauf hin, dass eben doch ein Interesse an der Wahrheitsfindung stand, zumindest auf Seiten der Institutionen.
Deiner Ansicht nach. Die halte ich aber für relativ unplausibel, wenn man bedenkt, dass Hexenprozesse mehr oder weniger in weiten Teilen Europas über einen Zeitraum von mehr oder minder zweieinhalb Jahrhunderten stattfanden.
Nehmen wir alleine mal das Heilige Römische Reich nördlich der Alpen. Wie viele Einwohner mag das in der FNZ gehabt haben? […]
Sprich jeder X.000ste wurde mal angeklagt und von denen wiederrum wurde nur ein Bruchteil zu wirklich schweren Strafen verurteilt.
In meinen Augen durchaus denkbar.
Hervorragende Darstellung.
Vielleicht hilft es dem Verständnis, sich zu vergegenwärtigen, dass Zauberei für die damaligen Menschen ein sehr reales Verbrechen war, auf einer Ebene mit Mord und anderen Kapitalverbrechen, und mit nicht minder handfesten Folgen.
Und wie sieht es denn heute in Deutschland aus, einem der sichersten Länder der Welt?
Voriges Jahr kamen auf je 1.000 Menschen in diesem Land 2,5 Gewaltverbrecher. Anhand dieser Zahlen kann man sich das scheinbare Spannungsverhältnis zwischen Bevölkerungsgröße und Inzidenz leicht erklären.
Das ist leicht zu begründen: Wenn von 110.000 der wegen Hexerei Angeklagten 40-50 Prozent exekutiert wurden, dann hat wohl kaum jemand für sie die Partei ergriffen, schließlich gab es auch vernünftige Leute, die nicht an die Existenz von Hexen glaubten. Und wenn diese nicht als Zeugen zugunsten der Angeklagten auftraten, dann weil sie die Angst hatten, selbst angeklagt zu werden. Oder weißt du einen anderen trifftigen Grund?
Ich weiß gerade nicht, woher die Zahlen 110.000 und 40-50% Verurteilungen stammen, aber nehmen wir kurzerhand an, dass sie zutreffen, so bietest Du eine mögliche Erklärung – aber eben nur eine. Es ist eine Hypothese, mehr nicht.
Um sie zu belegen, müsste man die Prozessakten und zeitgenössischen Berichte durchforsten und herausfinden: Meldeten sich Fürsprecher – und wenn ja, wie häufig kam das vor? Und falls sich keine meldeten, tauchten dann vielleicht im Nachhinein in irgendwelchen Chroniken oder Memoiren Stimmen von Leuten auf, die zugeben, dass sie gerne ausgesagt hätten, es jedoch aus Angst unterließen?
Es gibt viele Gründe, warum wir vergeblich nach Entlastungszeugen suchen könnten. Angst ist tatsächlich ein Grund, sogar ein guter, auch wenn Du übersehen hast, dass potentielle Entlastungszeugen nicht nur aus Furcht vor angeblicher Anklage hätten schweigen können, sondern auch aus einem Gruppenzwang heraus. In einer Dorfgemeinschaft, wo alle zusammenhalten müssen, um den nächsten Winter zu überstehen, willst Du garantiert nicht der einsame Held sein, der sich vor die bucklige Alte stellt, die vom ganzen Dorf für schuldig gehalten wird.
Ein zweiter Grund könnte sein: Es trat kaum jemand auf, weil kaum jemand von den verhängten Urteilen nicht überzeugt war.
Nach dem zeitgenössischen Vorstellungshorizont war Zauberei nichts, das nur in den Köpfen stattfand, nichts, dessen Existenz durch erzwungene Geständnisse herbeifabuliert werden musste. Noch einmal das Beispiel von vor ein paar Tagen: Die Müllerin kauft irgendeinem Quacksalber einen "Schadenszauber" ab, um sich an ihrer Feindin, der Weberin, zu rächen. Sie spielt Hokuspokus, und anderntags fällt die Weberin tot um, weil sie ausgerechnet jetzt einen Hirnschlag haben musste. Warum sollten die damaligen Menschen en masse irgendetwas anderes geglaubt haben, als dass die Müllerin die Weberin totgehext hat?
Vor allem müsste man aber herausfinden, wieso es in 40-50% der Fälle
nicht zur Verhängung Todesstrafe kam. Die falsche Absolutheit Deiner Logik anwendend, könnte man behaupten: In jedem zweiten Verfahren hat sich doch ein Entlastungszeuge gemeldet, alles in Butter!
Zusammenfassend gesagt, ist deine Hypothese angreifbar und wahrscheinlich falsch.
Für Artikel 9 gilt das gleiche wie für Artikel 21: Die späteren Mächtigen der Kirche haben sich darüber hinweggesetzt.
@Dion, das ist doch unter Deiner Würde. Erst sollten die Artikel als Beweis dafür dienen, dass Hexenverfolgungen eine rechtliche Grundlage hatten, obwohl sie nichts mit Hexen zu tun haben. Jetzt meinst Du: Alles Wurscht, weil die Kirche sich sowieso über Gesetze hinweggesetzt hätte?
Das ist kein Argument.
Du bist auf dem falschen Dampfer, denn die kolportierte Anzahl der Prozesse, um die es geht, ist 110.000.
Nein. @Shinigamis Darstellung ist korrekt. Zur Veranschaulichung verweise ich nochmals auf die heutige Kriminalstatistik.
110.000 Prozesse wären angesichts des langen Zeitraums ziemlich wenig.
Um dir auf die Sprünge zu helfen, hier noch einmal der wesentliche Satz aus dem bereits verlinkten Artikel der Britannica:
The number of trials and executions varied widely according to time and place, but in fact no more than about 110,000 persons in all were tried for witchcraft, and no more than 40,000 to 60,000 executed.
Aha, also daher kommt die Zahl.
Schade, dass hier kein Quellenverzeichnis angelegt ist, denn eines irritiert mich: Zahlen zu den schätzungsweise vollstreckten Hinrichtungen findet man oft in der Literatur, aber eine derart konkrete Angabe zur Gesamtzahl der Verfahren begegnet mir hier zum ersten Mal.
Es wird sich wohl um bloße Hochrechnungen handeln? Immerhin geht es dem Text nach zu urteilen um die Hexenverfolgungen in ganz Europa und den europäischen Kolonien, und um einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten!
Und es ist nun mal so, dass nicht-adelige Menschen in Mittelalter und Früher Neuzeit, falls überhaupt, meist nur mit ihrem Tod in den zeitgenössischen Berichten auftauchen. Chroniken begnügen sich meinem Eindruck nach meist mit Feststellungen wie "am Martinstag wurden zu Kleinbruchhausendorf acht Hexen verbrannt", als dass sie regelmäßig in die Details gehen würden.
@Sepiola &
@Scorpio, habt Ihr zufällig andere Quellen zur Hand, die die Zahl 110.000 bestätigen oder widerlegen? Behringer schweigt sich dazu aus, und für das Buch von Levack hatte ich nur einen 24h-Zugang. (Bis vor exakt 13 Minuten.)