Scarlett
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Ich bin der Meinung, dass der jugoslawische Staat von Anfang an eine wackelige Konstruktion war, die vor allem durch den Machtanspruch der Serben aufrechterhalten wurde. Um das zu verstehen, muss man freilich bis zur Staatsgründung zurückgehen.
Der Illyrismus und das großserbische Programm des Politikers Graschanin bereiteten die staatliche Vereinigung aller Süd-(Jugo)Slawen vor. In diesem Sinn erließen das 1915 in London gegründete Jugoslawische Komitee und die serbische Regierung 1917 die Deklaration von Korfu. So entstand dann Jugoslawien im Oktober 1918 aus der Vereinigung von Serbien, Montenegro und den bis dahin zu Österreich-Ungarn gehörenden, von Südslawen bewohnten Gebieten als "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen". Die seit der Staatsgründung bestehenden Auseinandersetzungen mit den Kroaten beendete König Alexander I. 1929 durch ein autoritäres regime, das sich vor allem auf das Heer stützte.
Bereits zu diesem Zeitpunkt war es nur zu einem gesamtjugoslawischen Staat gekommen, weil unter dem Eindruck der untergehenden habsburgischen Monarchie und der Wirkungsmächtigkeit des Ersten Weltkriegs der serbische Staat sowohl den Kristallisationspunkt als auch besten Schutz für die südslawischen Völker bot. Vorhandene Abspaltungstendenzen der Kroaten und Slowenen wurden zunächst durch das autoritäre Regime erstickt, dann 1941 durch einmarschierende deutsche Truppen zunächst gegenstandslos. Bereits 1943 bildete Tito eine provisrische Regierung und unter der Fuchtel der jugoslawischen KP wurden nach 1945 alle innenpolitischen Gegener augeschaltet.
Man sieht also, dass massive Abspaltungstendenzen seit vielen Jahrzehnten virulent waren, aber stets gewaltsam unterdrückt wurden. Sobald jedoch nach dem Zerfall des Ostblocks Selbstbestimmung, Menschenrechte und Freiheit ein Thema wurden, war auch der Zerfall Jugoslawiens nicht länger aufzuhalten.
Dieser Zerfall wäre mit oder ohne Milosevic gekommen, das ist gewiss. Doch erhielt er durch den Starrsinn des verstorbenen Staatschefs, der seine großserbischen Träume nicht begraben wollte, eine besonders blutige Brisanz. Vielleicht wäre das beklagenswerte Drama unter einem konzilianteren Präsidenten unblutiger verlaufen.
Ich stimme Deinem Beitrag im Wesentlichen zu, jedoch würde ich meinen, daß man auch nicht mal auf das erste Jugoslawien - welches mit dem zweiten ja kaum etwas gemein hatte - zurückgreifen.
Ich würde meinen, daß die meisten Probleme der SFRJ (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien) "hausgemacht" sind und im wesentlichen auf die ungelöste Nationalitätenfrage in Verbindung mit dem starren kommunistischen System und den verbundenen Repressalien zurückzuführen sind.
Gleichwohl schätze ich die Chancen, die sich der SFRJ nach dem II WK boten, als höher ein, als die des Königreichs, denn die durch die Partisanen verbundenen Völker stellen durchaus einen Konsens dar, auf sich ein gemeinsamer Staat hätte erfolgreich aufbauen lassen können..