Kalkriese als Ort der Varusschlacht zweifelhaft

Lieber El Quijote,
Dein Eifer in allen Ehren, mit dem Du sogar Frau Merkel heranziehst, aber selbst bei dieser Grundsteinlegung wird sicher erwähnt, wofür der Grundstein gelegt wurde, also die Dependance eines Unternehmens (womit dann je nach Unternehmen auch gesagt wird, was dort am Ende entstehen soll - Produktionslinie, Handelsagentur, etc. p.p.). Genau dies hat Tacitus ebenfalls genau benannt: "primum extruendo tumulo caespitem Caesar posuit". Wie ich es verstehe, ist hier auch nur von einem Grabhügel die Rede. Und richtig, sowohl bei Frau Merkel, aber auch bei Tacitus steht dann nichts weiter von baulichen Einzelheiten, warum auch? das Entscheidende ist geschrieben bei Tacitus: Grabhügel, nicht Einzelgräber oder dergleichen, nicht wahr?
Eine Bemerkung noch zu Wilfried. Bei Dio steht etwas von Kampfhandlungen über mehrere Tage. Tacitus berichtet nur, dass zuerst das Dreilegionenlager, dann das "halbfertige" Lager gesehen wird. In wieweit er hier klimakterisch die Zeit rafft, oder doch nur den zeitlichen Ablauf schildert, ohne auf die zeitlichen Abstände der Entdeckungen einzugehen, ist auch nicht genau bestimmbar. Ebenso könnten die beiden Lager durchaus in Sichtweite voneinander gelegen haben, sogar, dass das Notlager innerhalb des ersten Lagers gelegen haben könnte, schließt die Formulierung des Römers nicht aus.
Aber sei´s drum, ein Problem beschäftigt mich bei diesen Knochengruben...
Bei der Schlacht an den Pontes Longi konnte doch Caecina, der sich den ganzen Tag mühte, die morastige Engstelle zu überwinden, was ihm erst gegen Abend gelang, sicher auch die gefallenen Legionäre nicht bestatten. Immerhin zog er sich in sein westlich gelegenes Lager zurück und von dort aus, nach weiterem Kampf um das Lager, führte sein Zug offenbar direkt zum Rhein. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch hier die Gefallenen mehrere Jahre an der Oberfläche lagen und womöglich in den Jahren nach dem Tod des Arminius in einer ruhigeren Zeit bestattet wurden, von wem auch immer.

Grüße
Ostfale
 
Genau dies hat Tacitus ebenfalls genau benannt: "primum extruendo tumulo caespitem Caesar posuit". Wie ich es verstehe, ist hier auch nur von einem Grabhügel die Rede. Und richtig, sowohl bei Frau Merkel, aber auch bei Tacitus steht dann nichts weiter von baulichen Einzelheiten, warum auch? das Entscheidende ist geschrieben bei Tacitus: Grabhügel, nicht Einzelgräber oder dergleichen, nicht wahr?
Wenn wir schon mit der Goldwaage hantieren, sollte nicht unerwähnt bleiben, was Tacitus einen Satz vorher schreibt:
Igitur Romanus, qui aderat, exercitus sextum post cladis annum trium legionum ossa, nullo noscente alienas reliquias an suorum humo tegeret, omnis ut coniunctos, ut consanguineos aucta in hostem ira maesti simul et infensi condebant.
Wie ich das verstehe, bestatten die Legionen bereits fleißig, ehe dann Germanicus die erste Grassode für den Tumulus legt. Wenn man schon mit der Goldwaage mißt, dann bitte kein cherrypicking betreiben.
 
Kein Widerspruch.
Die Legionen bestatten, nur den ersten Rasen zum Tumulus legt der Chef selbst. Zum Tumulus noch eine Frage:
Mittlerweile wurden einige dieser Grabanlagen (Siesbach, Oberlöstern etc) rekonstruiert. Was mir hier aufgefallen ist, dass immer irgendein Extrabauwerk neben dem eigentlichen Hügel errichtet wurde (Altar, Säule).
Sicher hatte Germanicus nicht nur einen Grabhügel errichten lassen, sondern auch einige religiöse Handlungen, Gebete, etc. vorgenommen. Da kann es doch möglich sein, dass auch hier bestimmte "Nebenanlagen" für diesen Zweck errichtet wurden, oder vermute ich falsch?
 
das Entscheidende ist geschrieben bei Tacitus: Grabhügel, nicht Einzelgräber oder dergleichen, nicht wahr?

Wenn Tacitus von einem Grabhügel schreibt, schließt er damit weitere Bestattungsanlagen aus?

Sicher hatte Germanicus nicht nur einen Grabhügel errichten lassen, sondern auch einige religiöse Handlungen, Gebete, etc. vorgenommen. Da kann es doch möglich sein, dass auch hier bestimmte "Nebenanlagen" für diesen Zweck errichtet wurden, oder vermute ich falsch?

Oder müssen wir Tacitus so lesen, dass er "Grabhügel, keine Nebenanlagen oder dergleichen" meinen wollte?
 
Es könnte sowohl als auch gewesen sein. Die Kelten stellten zumeist irgend eine Figur obendrauf. Der "alte Altar des Drusus" stand aber sicher an einer Hauptstraße und nicht im dichten Waldgebirge neben dem späteren Schlachtfeld. Römische Grabbauten gibt es zuhauf, sogar mutterseelenallein mitten in der Wüste, meist für einzelne Personen. Diese wurden aber in der Regel eingeäschert. Erst unter Hadrian setzte sich die Körperbestattung durch.
Gruß
 
Aber sei´s drum, ein Problem beschäftigt mich bei diesen Knochengruben...
Bei der Schlacht an den Pontes Longi konnte doch Caecina, der sich den ganzen Tag mühte, die morastige Engstelle zu überwinden, was ihm erst gegen Abend gelang, sicher auch die gefallenen Legionäre nicht bestatten. Immerhin zog er sich in sein westlich gelegenes Lager zurück und von dort aus, nach weiterem Kampf um das Lager, führte sein Zug offenbar direkt zum Rhein. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch hier die Gefallenen mehrere Jahre an der Oberfläche lagen und womöglich in den Jahren nach dem Tod des Arminius in einer ruhigeren Zeit bestattet wurden, von wem auch immer.

Die Frage "von wem auch immer" ist aber gerade so interessant.

Cacina hat die gleichnamige Schlacht gewonnen, wie immer man dieses Wort "gewonnen" jetzt auch interpretieren sollte. Vieleicht hat er die Schlacht auch "nicht verloren."
Sicherlich muß man davon ausgehen, daß nach der pontes longi Schlacht die Römer ihre Toten und Verletzten geborgen haben.
Wenn die Toten nicht bestattet wurden, wer soll sie dann Jahre danach bestattet haben? Die Römer haben sich 16 n.Chr. also ein Jahr nach der pontes longi Schlacht hinter den Rhein zurückgezogen. Warum irgendwelche Germanen die Toten erst Jahre lang liegen lassen um sie dann zu bestatten ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern auch unlogisch.

Oder mal ein wenig provokativ ausgedrückt:
Da kommen irgendwelche Germanen dorthin, wo seit vielen Jahren wissentlich diverse römische Leichen liegen. Und dann sagen sich diese Germanen: " Ach jetzt lasst uns hier doch mal endlich aufräumen. Die Knochen liegen hier schon lange herum. Wir graben ein paar Gruben und legen die Knochen dann dort hinein. Und vorher kleiden wir diese Gruben noch mit Kalkstein aus.":autsch:


Nochmals:
Eine nachträgliche Bestattung römischer Toter ist literarisch für die Varusschlacht überliefert. Nicht aber für eine andere Schlacht. Die Knochengruben in Kalkriese weisen deutlich auf eine nachträgliche Bestattung hin. Da freue ich mich doch, daß der archäologische Befund in Kalkriese offensichtlich die literrarische Überlieferung des Tacitus bestätigt!:winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Es könnte sowohl als auch gewesen sein. Die Kelten stellten zumeist irgend eine Figur obendrauf. Der "alte Altar des Drusus" stand aber sicher an einer Hauptstraße und nicht im dichten Waldgebirge neben dem späteren Schlachtfeld.
Das vermute ich auch.


Erst unter Hadrian setzte sich die Körperbestattung durch.
Bei den Germanen war ebenfalls die Brandbestattung üblich.
Die Körperbestattung setzte sich erst Jahrhunderte später durch.
 
Lieber El Quijote,
Dein Eifer in allen Ehren, mit dem Du sogar Frau Merkel heranziehst, aber selbst bei dieser Grundsteinlegung wird sicher erwähnt, wofür der Grundstein gelegt wurde, also die Dependance eines Unternehmens (womit dann je nach Unternehmen auch gesagt wird, was dort am Ende entstehen soll - Produktionslinie, Handelsagentur, etc. p.p.).
Hier übersiehst Du, dass das sehr von der Intention des Berichts abhängt. Deshalb hat Frau Merkel auch zahllose Grundsteine gelegt, die nie über den Kreis der Beteiligten oder die Lokalberichterstattung hinaus Erwähnung gefunden haben.

Das muss man auch hinsichtlich der Germanicus-Aktion in Erinnerung behalten: Tacitus berichtet nicht über eine "Bestattungsmission". Er berichtet über einen "Präventivkrieg", den Germanicus geführt habe, um "den Feind zu zersplittern", damit nicht "die ganze Gewalt des Krieges auf einen Schlag" über Rom hereinbreche. Beerdigungen waren dabei nur eine Randerscheinung. Warum hätte Tacitus die eingehender beschreiben sollen? Beerdigungen fanden erst statt, nachdem dieser Kriegszweck erreicht schien und - laut Tacitus - den Germanicus unvermittelt das Bedürfnis anflog, den in der Nähe herumliegenden unbestatteten gefallenen Kameraden die letzte Ehre zu erweisen.

Der Bericht über die Bestattung passt eigentlich gar nicht zu Tacitus´ Thema. Warum und in welchem Zusammenhang erwähnt Tacitus die Bestattungsaktion überhaupt? Er tut es, um darzulegen, dass der fiese Griesgram Tiberius dem jugendlichen Helden Germanicus (ein mutmaßlich viel besserer Kaiser???) am Zeug flicken wollte und deshalb einen "Ehrendienst" an gefallenen Römern zu einer Schandtat erklärt hat.

Ist das wirklich so gelaufen? Ich bezweifele das. Auch Wolters geht davon aus, dass Germanicus nach Erreichung seiner vordergründigen militärischen Ziele (Zersplitterung der Feinde) dem Marschweg des Varus gefolgt ist, um sich selbst vor Ort anzuschauen, wie und warum es zu dieser Niederlage gekommen ist - und das vermutlich sogar im Auftrag Roms. Nebenbei wurde dabei auch "bestattet", weil sich die Gelegenheit dazu bot und weil es bei den einfachen Legionären nicht gut angekommen wäre, wenn man es nicht getan hätte.

Welchen Grund hätte Tacitus haben sollen, die Bestattung in allen Einzelheiten beschreiben zu wollen? Dass er sie überhaupt erwähnt, kennzeichnet sie als absoluten Ausnahmefall. Keine andere römische Quelle erwähnt einen ähnlichen Vorgang, kein Archöologe hat bis heute Spuren von "Feldbestattungen" gefunden, die aus jener Zeit stammen.

Das könnte daran liegen, dass es zuvor (und danach) Niederlagen wie die des Varus in der Form (ohne genaue Informationen über die Abläufe) nicht gab. Deshalb gab es auch nie den Anlass zu derartigen "Aufklärungsmissionen", in deren Verlauf Gefallene hätten bestattet werden können.

Das unterscheidet die Niederlage des Varus auch von der Caecina-Schlacht. Caecina konnte sich mit der Masse seiner Truppen retten und nach Vetera zurückkehren. Über den Verlauf dieses Gefechts gab es keine Unklarheiten. Bei Varus war das anders. Da kamen nur ein paar Versprengte zurück, der Feldherr und alle seine Offizieren hingegen waren gefallen. Deshalb sah das römische Militär bezüglích Varus Aufklärungsbedarf, bezüglich Caecina nicht.

Das Argument, dass bei Kalkriese Gefallene aus einer anderen jahrealten Schlacht (z.B. pontes longi) beerdigt worden sein könnten, stützt sich nur auf zwei These:

Erstens: Die Römer wollten grundsätzlich ihre Gefallenen beerdigen. Wäre das so, müsste es aber eigentlich auch anderenorts archäologische Spuren davon geben.

Zweitens: Das waren gar nicht die Römer. Die Germanen haben irgendwann die Knochen beseitigt. Auch dann gilt: Eigentlich müsste es dann auch anderenorts Spuren von solchen Bestattungen geben.

MfG
 
Es können auch Opfergruben sein, was sowohl die Tierknochen als auch die spätere Bedeckung mit Erde erklären würde. Solche Gruben sind auch im Zusammenhang mit der Schlacht erwähnt. Dann bliebe aber das Verfüllen rätselhaft.

Warum sollten Germanen die Römer bestatten? Weil sie sie aus dem Weg haben wollten? Warum haben sie sich die Mühe gemacht, die Gruben mit Kalkstein auszukleiden? Wegen religiöser Erfurcht?

Bei einer Bestattung durch Germanicus ergäben z.B. die Tierknochen ein Problem.

Bei einer Bestattung durch Caecina besteht dasselbe Problem.

Ein anderer Vorgang hat das Problem, dass er nicht überliefert ist. Aber da z.B. das allzu rasche und leichte Ruheschaffen des Tiberius auch Propaganda sein kann, ist die Möglichkeit zumindest nicht auszuschließen.

Dass es sich um römisch ausgerüstete Germanen handelt, ist reichlich unwahrscheinlich.

Andere Möglichkeiten sehe ich gerade nicht. Und dementsprechend gibt es bei allen, wie ich schrieb, Schwierigkeiten.

(Die Liste habe ich erstellt, ohne darauf zu achten, welche Möglichkeit ich für die Korrekte, bzw. welche Möglichkeiten ich für die Wahrscheinlichsten halte.)

EDIT: Ich habe auch nicht alle Probleme genannt. Mir ging es nur darum, zu zeigen, dass es solche gibt.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Maelonn:

Vielen Dank für Deinen Beitrag (#3649), den ich wirklich sehr interessant finde. Ich denke, daß auch hier einige typische "Tacitus Motive" gut erklärt sind.

Vieleicht noch einige Anmerkungen meinerseits:

Das Tacitus kein großer Tiberius Verehrer war, wurde bereits erwähnt.
Das Tacitus den Germanicus als jugendlichen Helden und wohl auch besseren "Kaiser" gesehen hat ebenfalls.

"Dumm gelaufen" ist allerdings diese Feldzugkampagne 14/15/16 n.Chr.:
Da hat sich dieser jugendliche Held wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.
Genau genommen waren diese Feldzüge wohl desaströs für Rom und der "kühle Rechner" Tiberius hat daraus die logischen Konsequenzen gezogen.
Dies ist wohl die einzig realistische Einschätzung der Germanicus Feldzüge.

Aber Tacitus will uns die Erfolge dieser Feldzüge vermitteln.
Und da sind selbst kleinere Ereignisse, wie z.B. die "Befreiung der Thusnelda" oder eben diese Bestattung eine Erwähnung wert. Oder sollte man eher sagen, diese kleinen Ereignisse werden schlicht aufgebauscht?

Eigentlich stellt Tacitus drei Ereignisse aus diesen Feldzügen als große Erfolge dar:

1. Die "Befreiung" der Thusnelda.
2. Die Bestattung der Varuslegionen.
3. Die Rückeroberung der Legionsadler.

Ansonsten hat der Germanicus ja auch realistisch gesehen nicht viel zu bieten. Das Hauptziel dieser Feldzüge, die Varusniederlage zu rächen, bzw. Germanien endgültig zu unterwerfen wurde wohl nicht ansatzweise erreicht. Im Prinzip geht es nur um Ereignisse ohne wirklich konkreten, sondern eher nur symbolischen Charakter. Ich denke, daß man dies immer berücksichtigen sollte. Eine gewisse Vorsicht ist wohl auch beim lesen und interpretieren dieser symbolischen Akte geboten.
 
Wenigstens berichtet Tacitus, dass der Schlag gegen die Brukterer weitgehend ins Leere ging und die Gefangennahme der Thusnelda Arminius erst ermöglicht, andere als sein Gefolge zum Krieg aufzustacheln. Auch die Falle, in die er Germanicus lockt wird nur kurz angesprochen. Die weiteren Ereignisse bis zum Rückzug berichtet Tacitus dann nicht mehr. Ganz genau genommen, kann Germanicus sogar noch eine große Niederlage erlitten haben.
 
Der Bericht über die Bestattung passt eigentlich gar nicht zu Tacitus´ Thema. Warum und in welchem Zusammenhang erwähnt Tacitus die Bestattungsaktion überhaupt? Er tut es, um darzulegen, dass der fiese Griesgram Tiberius dem jugendlichen Helden Germanicus (ein mutmaßlich viel besserer Kaiser???) am Zeug flicken wollte und deshalb einen "Ehrendienst" an gefallenen Römern zu einer Schandtat erklärt hat.
Das passt zwar zur traditionellen Interpretation, dass Tacitus in seinen ersten Büchern der Annalen alles nur mit dem einen Gedanken geschrieben habe, den Germanicus als strahlenden Helden und Tiberius als finsteren Bösewicht, der dem Germanicus bei jeder Gelegenheit schaden wollte, dastehen zu lassen. Was allerdings die Bestattung betrifft, bietet Tacitus durchaus vernünftige Argumente (mögliche Demoralisierung, religiöse Probleme) für Tiberius' Widerwillen. Tiberius war selbst jahrzehntelang Feldherr gewesen, er konnte mögliche Auswirkungen und Probleme sicherlich einschätzen. Die Überlegung, dass der Anblick von an Bäumen befestigten Schädeln auf einem Schlachtfeld, auf dem etliche tausend Legionäre starben, nicht unbedingt stimmungsaufhellend wirkt, ist doch nicht so abwegig.

Dass Tiberius den Ehrendienst zu einer "Schandtat" erklärt habe, schreibt Tacitus nicht einmal, sondern nur, dass er es nicht gutgeheißen (haud probatum) habe.

Dass Tacitus den Germanicus im Zuge dieser Bestattungsaktion ins beste Licht setzen wollte, bestreite ich gar nicht, aber wenn es ihm wieder einmal nur darum gegangen wäre, den Kaiser schlecht zu machen, hätte er weniger rationale oder gar keine Argumente für des Kaisers Widerwillen nennen können.

Ist das wirklich so gelaufen? Ich bezweifele das. Auch Wolters geht davon aus, dass Germanicus nach Erreichung seiner vordergründigen militärischen Ziele (Zersplitterung der Feinde) dem Marschweg des Varus gefolgt ist, um sich selbst vor Ort anzuschauen, wie und warum es zu dieser Niederlage gekommen ist - und das vermutlich sogar im Auftrag Roms. Nebenbei wurde dabei auch "bestattet", weil sich die Gelegenheit dazu bot und weil es bei den einfachen Legionären nicht gut angekommen wäre, wenn man es nicht getan hätte. [...] Das könnte daran liegen, dass es zuvor (und danach) Niederlagen wie die des Varus in der Form (ohne genaue Informationen über die Abläufe) nicht gab. Deshalb gab es auch nie den Anlass zu derartigen "Aufklärungsmissionen", in deren Verlauf Gefallene hätten bestattet werden können.
Oder Germanicus hatte einfach einen Sinn für "große Gesten" wie auch heute noch manche Politiker. Wenn sich heute Politiker nach Überschwemmungen mit dem Hubschrauber ins Katastrophengebiet einfliegen lassen, dort kurz herumlatschen, sich fotografieren und filmen lassen, wie sie betroffen dreinschauen, und dann wieder abrauschen, ist das auch Geschmackssache. Tiberius war jedenfalls nicht der Mensch für (relativ nutzlose) öffentlichkeitswirksame Gesten - somit könnte auch das ein Grund sein, weshalb der Germanicus' Verhalten missbilligt hat: die Demoralisierung des Heeres riskieren, nur um als frommer Feldherr glänzen zu können? Für diese Missbilligung muss man dem Tiberius nicht einmal niedere Motive unterstellen.
 
@Ravenik: Ich wollte nicht unterstellen, dass Tiberius ein Fiesling war und Germanicus der bessere Kaiser gewesen wäre. Ich zitiere das nur als Urteil, das ich zwischen den Tacitus-Zeilen lese.

Liegt zwar etwas abseits der Gräber-Debatte, aber: Meiner Ansicht nach muss man aus dem Tacitus-Text ablesen, dass es tatsächlich einen "Konflikt" zwischen Germanicus und Tiberius gab.

Tacitus stellt es so dar, als sei die "Eifersucht" des Tiberius die Ursache dafür gewesen - als habe der Drusus-Sohn kurz vor einem Sieg gestanden, den Tiberius ihm nicht gegönnt habe. Ich schließe das aus diversen Tacitus-Äußerungen - wie etwa aus der sarkastischen Bemerkung, dass schon seit Jahrhunderten "über Germanien gesiegt werde" - ohne dass es zu irgendwas geführt hätte.

Mir scheint hingegen, dass die Ursache für den Konflikt woanders lag: Tiberius hat die Unterwerfung Germaniens sehr methodisch und mit Geduld erledigt. Er ist Schritt für Schritt vorgegangen und hat nicht nur militärisch agiert sondern auch "politische" Maßnahmen ergriffen, um innerhalb der unterworfenen Stämme eine romfreundliche Schicht zu fördern. Germanicus dagegen hat es mit ungezügelter Gewalt versucht - und damit die ehemals romfreundlichen Kreise (z.B. Inguiomer) in die Reihen des Feindes getrieben.

Nachdem Germanicus sich zurückziehen musste, war der Widerstand gegen Rom weitaus größer als er je zuvor gewesen war. So gesehen denke ich, dass Tiberius der weitaus bessere Feldherr und Kaiser war.

Was allerdings die Bestattung betrifft, bietet Tacitus durchaus vernünftige Argumente (mögliche Demoralisierung, religiöse Probleme) für Tiberius' Widerwillen.
Das sehe ich anders. Die Römer haben viele Schlachten verloren, ohne davon demoralisiert worden zu sein. Die unbestatteten Gefallenen und z.B. die Martergruben zu sehen, hätte wohl eher ihre Wut gegen den Feind angestachelt, als die Angst geschürt.

Was für Tiberius - als offen vorgetragenes Argument - blieb, war das religiöse Problem. Aus mir unbekannten Gründen vertrug es sich nicht mit der religiösen Stellung des Germanicus, selbst an einer Beerdigung teilzunehmen. Es war ein religiöses Vergehen. Das war es, was ich mit "Schandtat" meinte.

Erkennbar ist aber auch, dass Tiberius drauf mit "mildem Tadel" reagiert hat. Er hat an Germanicus appelliert, den Kampf einzustellen und zurückzukommen. Er hat es nicht "befohlen". Vielmehr hat er ihn gewähren lassen. Erst nach den blutigen Schlachten des Folgejahres hat er nachdrücklicher gefordert, den Krieg zu beenden - diesmal mit dem Hinweis, dass sich die ganzen Verluste nicht lohnen.

Das ist natürlich auch nur eine Interpretation, die sich nicht beweisen lässt.

MfG
 
Was für Tiberius - als offen vorgetragenes Argument - blieb, war das religiöse Problem. Aus mir unbekannten Gründen vertrug es sich nicht mit der religiösen Stellung des Germanicus, selbst an einer Beerdigung teilzunehmen. Es war ein religiöses Vergehen. Das war es, was ich mit "Schandtat" meinte.
Leichen und das Bekleiden religiöser Funktionen - das war tatsächlich ein Problem. Grundsätzlich durften römische Priester keine Leichen berühren, manche nicht einmal sehen. Wenn Germanicus eigenhändig an einem Grabhügel mitarbeitete, war das somit tatsächlich zumindest nicht unproblematisch. Ich glaube zwar nicht, dass Tiberius selbst so religiös war, dass er die Strafe der Götter fürchtete, aber vielleicht fürchtete er, dass andere Soldaten oder sonstige Personen so religiös sein könnten, dass sie fürchten würden, dass sich Germanicus den Zorn der Götter zugezogen hätte - was somit ein weiterer möglicher Grund für eine Demoralisierung der Soldaten werden könnte.

Das sehe ich anders. Die Römer haben viele Schlachten verloren, ohne davon demoralisiert worden zu sein. Die unbestatteten Gefallenen und z.B. die Martergruben zu sehen, hätte wohl eher ihre Wut gegen den Feind angestachelt, als die Angst geschürt.
Noch Caesar musste seine Soldaten beruhigen, als es gegen die Germanen des Ariovist ging, obwohl die großen Niederlagen gegen die Kimbern und Teutonen ein halbes Jahrhundert her waren und seine Soldaten nicht über die damaligen Schlachtfelder gezogen waren. Aber auch die Eroberung Roms durch die Gallier hatte ein nachhaltiges nationales Trauma verursacht. Nicht zu vergessen die objektiv betrachtet ziemlich irrationale Angst vieler Römer nach dem 2. Punischen Krieg, Karthago könnte erneut zur Bedrohung werden, wenn die Stadt nicht endgültig vernichtet würde.
 
Die Überlegung, dass der Anblick von an Bäumen befestigten Schädeln auf einem Schlachtfeld, auf dem etliche tausend Legionäre starben, nicht unbedingt stimmungsaufhellend wirkt, ist doch nicht so abwegig.
Mitten auf dem Felde lagen bleichende Knochen, zerstreut oder in Haufen, je nachdem ob sie von Flüchtigen oder von einer noch Widerstand leistenden Truppe stammten. Daneben lagen zerbrochene Waffen und Pferdegerippe, an Baumstämmen waren Schädel befestigt. In Hainen in der Nähe standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und Zenturionen ersten Ranges geschlachtet hatten.
(Tacitus, zitiert aus dem Wiki Artikel zur Varusschlacht)

das sind doch spektakuläre Details - gibt es dazu eigentlich weitere Quellen? will sagen: ist das gewiß, oder ist das literarische Aufbauschung zur Darstellung des Ausmaßes der Katastrophe?
(hätten nicht die barbarischen "Altäre" von Germanicus gefunden und zerstört worden sein müssen, inklusive der Mitteilung davon?)
 
Riothamus, nun habe ich erstmals eine Begründung für die Opfergruben gefunden: Sie dienten zum Köpfen der Gefangenen. Wenn man also mal eine Grube mit einem kopflosen Römer findet, ist man an der richtigen Stelle. Die Bestattungsgruben wurden selbstverständlich nicht für Feinde angelegt, es sei denn, irrtümlich. Und da ergibt sich natürlich für die Römer die Frage, warum man die bei den Gebeinen auf der Fläche noch
vorgefundenen Waffenbruchstücke, die scheinbar die Germanen übersahen oder nicht wollten, nicht mit in die Gruben geworfen hat. Gruß
 
Und da ergibt sich natürlich für die Römer die Frage, warum man die bei den Gebeinen auf der Fläche noch
vorgefundenen Waffenbruchstücke, die scheinbar die Germanen übersahen oder nicht wollten, nicht mit in die Gruben geworfen hat.

Für mich ergibt sich die Frage: Warum hätte man das sollen?
 
Riothamus, nun habe ich erstmals eine Begründung für die Opfergruben gefunden: Sie dienten zum Köpfen der Gefangenen. Wenn man also mal eine Grube mit einem kopflosen Römer findet, ist man an der richtigen Stelle. Die Bestattungsgruben wurden selbstverständlich nicht für Feinde angelegt, es sei denn, irrtümlich. Und da ergibt sich natürlich für die Römer die Frage, warum man die bei den Gebeinen auf der Fläche noch
vorgefundenen Waffenbruchstücke, die scheinbar die Germanen übersahen oder nicht wollten, nicht mit in die Gruben geworfen hat. Gruß


Wenn man eine Grube mit einem kopflosen Römer findet, dann ist das in Übereinstimmung mit den Quellen Varus, meinst du das so?
 
Sepiola, wenn Germanicus nach 6 Jahren noch Waffenreste vorgefunden hat, so ist das sehr merkwürdig. Für einen germanischen Dorfschmied war jedes Stück Metall ein Schatz. Vielleicht haben die Germanen das Schlachtfeld nach einer ersten Plünderung nicht wieder betreten. Die Waffenreste hätte man den Gebeinen beigeben können: a, um sie vor späteren Plünderern zu beseitigen, b, um sie als rituelle Beigabe für die Gefallenen zu benutzen.
Schleppschreck, die Martergruben sollen zum Köpfen der Hineingebrachten benutzt worden sein. Es müssten sich also ein paar davon finden lassen. Varus wurde zwar halb verbrannt und notbestattet, aber sicher wieder ausgebuddelt. Gruß
 
Kleiner Nachtrag: woher stammten übrigens die zwei Kanister mit Benzin zur Verbrennung des Varus? Alles Brennmaterial, Schilde, Speere, Bäume, war vom Starkregen völlig durchgeweicht. Auch die Lederzelte. Und das zudem inmitten heftigster Kampfhandlungen?
 
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