Hallo Leute,
ich möchte hier einmal auf Dieter Timpes 1970 publizierte „Arminius-Studien“ hinweisen, ein bis heute grundlegendes Werk in Bezug auf die weiteren Zusammenhänge im Umfeld der Varusschlacht. Timpe stellte sich der etwas merkwürdigen Vorstellung entgegen, Varus habe ein Drei-Legionen-Heer in den Weserraum geführt, um die Zensuserhebung zu sichern. Er schreibt: „An einem häufigen oder regelmäßigen Aufenthalt des Legaten in seinem Sprengel kann nicht gezweifelt werden (…). Aber Reisen dieser Art dürften schon aus praktischen Gründen in Begleitung der cohors praetoria oder mit geringer Bedeckung vor sich gegangen sein und bedurften keines Drei-Legionen-Heeres.“ Im Übrigen widmet sich Timpe auch der Frage nach dem „Sommerlager des Varus“. „Insbesondere gibt es keinen Beweis für ein festes Sommerlager an der Weser, diesen Eckstein von tausend Varusschlachtfeld-Hypothesen.“ In guter quellenkritischer Manier sieht er darin eher ein „Komplement zu Winterlager und Sommerfeldzug“ und merkt an, Varus könne sich an einer bestimmten Stelle für längere Zeit niedergelassen haben, er könne aber durchaus auch seinen Standort wiederholt gewechselt haben. „Es ist anzunehmen, dass hierbei die Kopfstation der Lippelinie (Anreppen, Anm. d.Verf.) eine Rolle gespielt hat, sie kann als sogenanntes Sommerlager gedient haben (…).“
Fest steht, dass die Formulierung „Feldzug“ für die Kampagne des Jahres 9 völlig unzutreffend ist. Den Grund für die Mitführung der drei niederrheinischen Legionen sieht Timpe als prophylaktische Maßnahme gegen etwaige Einfälle suebischer Stämme. Denn nur diese stellten im Jahre 9 eine militärische Gefahr für den Sprengel des Varus dar und machten die Anwesenheit eines schlagkräftigen Heeres im rechtsrheinischen Gebiet notwendig. Timpe schreibt dazu: „Als potentielle Gegner ist, wie gesagt, am ehesten an Langobarden oder Semnonen zu denken.“ Weiter schreibt er: „ Die damalige Unmöglichkeit, ein Mehrlegionenheer zwischen Weser und Elbe zu postieren und der fatale Zwang, mit dem einen zugleich Gallien und Germanien beherrschen und schützen zu müssen, ließ wohl, (…), vor dem Jahre 9 gar keine andere Wahl als die Beibehaltung des alten Zustandes. Die Ratio der augusteischen Politik wird in dieser Lage darin bestanden haben, die potentiellen Gegner nicht zu provozieren, aber jeder Aggression möglichst entschlossen vorzubeugen.“
Ebenfalls gilt als gesichert, dass schlussendlich die Meldung eines Aufstandes „entfernt wohnender Stämme“ Anlass des Aufbruches des Varus war und nicht der Rückzug nach Vetera. Mit anderen Worten: Die Aufstandsmeldung kam VOR dem Abmarsch und bestimmte dessen Richtung! Das Mitführen des zivilen Trosses wurde dagegen nicht selten als sicheres Indiz gedeutet, Varus habe sich auf dem Rückmarsch zum Rhein befunden. Dafür liegen jedoch keine historiographischen Quellen vor. Im Gegenteil wird das Mitführen des Trosses als taktisch falsche, da unnötige, Maßnahme verurteilt, auch wenn den dionischen Berichten sicherlich eine tiberische, „antivarianische“ Quelle zugrunde lag.
Wie auch immer, wenn sich das „Sommerlager“ des Varus im Quellgebiet der Lippe, d.h. in Anreppen befand, so hätte ein Vormarsch Richtung Osten mindestens bis zur Weser durch verbündetes, cheruskisches Gebiet geführt. Die Mitnahme des zivilen Trosses hätte bis zu einem Stützpunkt an der Weser aus Sicht des Varus keine Gefahr bedeutet. Vom Ausgangspunkt Anreppen in Richtung Weser hätte das Varusheer den Teutoburger Wald/ das Eggegebirge überqueren müssen und wäre auf der Ostseite von der sicheren Lippelinie abgeschnitten gewesen. Eine Marschrichtung des Varusheeres nach Osten bzw. Südosten würde die Erklärung liefern, weshalb Germanicus sechs Jahre später die Varuslager in der Reihenfolge ihrer zeitlichen Entstehung vorfand.
Timpes anfangs erwähnte Überlegungen sind insofern interessant, da sie sich an den historiographischen Quellen orientierend, Interpretationen moderner Verfasser zum Varuslager und Zugrichtung des Heeres in Frage stellen. Zusammenfassend können wir sagen, dass wir eigentlich nichts wissen: weder die ständigen Stützpunkte („Winterlager“) der varianischen Legionen, noch das oder die „Sommerlager“, noch die Position der aufständischen Stämme und damit die Zugrichtung des Varusheeres sind uns bekannt. Und aus diesem Grunde gibt es über 700 Varusschlachtfeld-Hypothesen und es werden täglich mehr…..
Gruß Cato