Hitler wollte die ganze Tschechoslowakei, aber keinen 2-Fronten Krieg. Deswegen wollte er, dass die Westmächte stillhielten. Und diesen Gefallen haben sie ihm getan. Hätten sie in München durchblicken lassen, dass sie der Tschechoslowakei beistehen würden, die Geschichte wäre sicher eine andere – ob eine bessere oder schlechtere, das kann niemand sagen.

Trotzdem wiederhole ich gern meinen Standpunkt: Hätten die Westmächte in München mehr Haltung gezeigt, wäre vielleicht nicht zu einem Krieg gekommen, der ganz Europa erfasste.
 
Stellt sich trotzdem die Frage ob Frankreich und Großbritannien dies trotz ihrer militärischen Schwäche riskieren konnten.
Zusätzlich sollte man die politischen Verhältnisse im innerlich zerrissenen Frankreich nicht übersehen, sowie bedenken, das es sich bei diesen zwei Mächten um Demokratien handelt.

Ich sage es noch einmal, Großbritannien hat sich dadurch wertvolle Zeit erkauft.
Ob das so beabsichtigt war, keine Ahnung, aber im Ergebnis war genau dieses eine Jahr entscheidend.
Über die moralische frage der Preisgabe der Tschechoslowakei brauchen wir hier wohl nicht debattieren!?
 
Meiner Meinung nach hätte man Hitler schon vorher, bei der Rheinlandbesetzung stoppen sollen/können, zu dem Zeitpunkt war die Wehrmacht tatsächlich erst ein "kleines zartes Pflänzchen", Frankreichs träge Armee tatsächlich noch in der Lage gewesen den Einmarsch zu stoppen.
 
Wir dürfen auch die militärische Situation der Tschechoslowakei nicht vergessen. Seit dem "Anschluß" Österreichs war diese fast aussichtslos. An der dortigen Grenze gab es kaum Befestigungen und diese Flanke war auch geographisch viel schwieriger zu verteidigen als die Mittelgebirgsgrenze zu Deutschland.
 
Was Chamberlain mE mit seiner Politik auf alle Fälle erreicht hat: Historisch ist es völlig unzweifelhaft, dass Nazi-Deutschland den 2. Wk. in Europa am 01.09.1939 als ungerechtfertigten Angriffskrieg begonnen hat. Die Kriegsschuldfrage, über die man bspw im Falle des 1. Wk. lange Debatten geführt hat (und ua hier im Forum noch führt ;) ), beantwortet sich in dem Fall von selbst, wenn man sich nicht "Sieg Heil"-Tropfen in beide Augen träufelt.

Das wäre wohl anders, wenn sich ein Krieg an der Frage der Sudetendeutschen entzündet hätte, oder an der Wiederbesetzung des Rheinlandes oder anderer Punkte, die den umstrittenen Versailler Vertrag revidierten. Der "moral high ground", den die Allierten zu recht genossen und geniessen, wäre bei weitem nicht so hoch.
 
Hitler wollte die ganze Tschechoslowakei, aber keinen 2-Fronten Krieg. Deswegen wollte er, dass die Westmächte stillhielten. Und diesen Gefallen haben sie ihm getan. Hätten sie in München durchblicken lassen, dass sie der Tschechoslowakei beistehen würden, die Geschichte wäre sicher eine andere – ob eine bessere oder schlechtere, das kann niemand sagen.

Hitler wollte keinen Zweifrontenkrieg, war aber bereit das zu akzeptieren, wie er bei seinem Einmarsch in Österreich bewiesen hatte.
Natürlich kann man argumentieren, dass die Westmächte Hitler die Übernahme der Sudetengebiete erleichterten, als sie Kompromissbereitschaft signalisierten und damit das Restrisiko für einen Krieg in dieser Causa vom Tisch nahmen.

Was du aber völlig übersiehst, ist der Umstand, dass sie das im Falle Österreichs nicht getan hatten. Ein "Münchner Abkommen", die Annexion Österreichs vorauseilend sanktioniert hätte, hat es nie gegeben, Hitler ließ trotzdem marschieren und gab damit ganz klar zu verstehen, dass er Krieg zu riskieren bereit war.

Wenn du unterstellst ohne vorheriges Abkommen und allein auf Grund verbaler Unterstützung für die Tschechoslowakei, hätte Hitler keine weiteren Schritte unternommen, weil das Hitler abgschreckt hätte, müsstest du selbiges ja auch für Österreich unterstellen und da ging die Gleichung eben nicht auf.


Ferner ignorierst du einfach den Umstand, dass Hitler Anfang September 1938 Weisung an die Wehrmacht gegeben hatte die Invasion für den 27. September vorzubereiten.
Das heißt nichts anderes, als das Hitler anpeilte die Österreich-Aktion zu widerholen und zwar bevor die Briten und Franzosen Hitler das Sudetenland anboten.

Ich denke ich brauche nicht auf die Kostspieligkeit von Kriegsvorbereitungen hinzuweisen und darauf, dass man derlei nicht tut, wenn man es nicht verdammt ernst meint?

Ich komme auch nicht umhin zu bemerken, dass du bisher keine plausible Erklärung dafür geliefert hast, wie das NS-Regime im Falle eines Verzichts auf Eroberungen, mit der rüstungsbedingten Staatsverschuldung hätte umgehen sollen, ohne dabei eine Krise des Systems zu riskieren.


Trotzdem wiederhole ich gern meinen Standpunkt

Dein Standpunkt ist inzwischen klar, von größerem Interesse wäre eine sinnvollere Begründung des selben.
 
Ich denke ich brauche nicht auf die Kostspieligkeit von Kriegsvorbereitungen hinzuweisen und darauf, dass man derlei nicht tut, wenn man es nicht verdammt ernst meint?

Ich komme auch nicht umhin zu bemerken, dass du bisher keine plausible Erklärung dafür geliefert hast, wie das NS-Regime im Falle eines Verzichts auf Eroberungen, mit der rüstungsbedingten Staatsverschuldung hätte umgehen sollen, ohne dabei eine Krise des Systems zu riskieren.




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Eben dieser Punkt ist es unter anderem auch, der Frankreich und Großbritannien bei der Rüstung so Probleme bereitete.
Schon von daher wurde fast alles versucht, ein erneutes Aufrüsten zu vermeiden.
Wie soll man seinen Wählern in der wirtschaftlichen Situation ( Starke "Nachwehen" der großen Krise von 1929) klar machen, Geld für die Rüstung auszugeben. In einem totalitären Staat ist sowas kein großes Problem.
 
Meiner Meinung nach hätte man Hitler schon vorher, bei der Rheinlandbesetzung stoppen sollen/können, zu dem Zeitpunkt war die Wehrmacht tatsächlich erst ein "kleines zartes Pflänzchen", Frankreichs träge Armee tatsächlich noch in der Lage gewesen den Einmarsch zu stoppen.


Ich denke, dass die Rheinlandbesetzung als Anlass einfach nicht hinreichend war, als dass die Westmächte deswegen der eigenen Bevölkerung deswegen eine Intervention hätten verkaufenn können, immerhin handelte es sich hierbei lediglich um die Wiederherstellung der vollen Souveränität des deutschen Reiches über sein eigenes Territorium, auch wenn diese einen Bruch des Versailler Friedensvertrags darstellte.

Für mich wäre das Ereignis, wegen dem man am Ehesten gegen NS-Deutschland hätte vorgehen können, die Annexion Österreichs gewesen.
Die war übergriffig genug, dass man dafür vielleicht Unterstützung hätte mobilisieren könnnen, außerdem hätte man hier Mussolini der wegen des Südtirol-Themas ja bis kurz vor dem "Anschluss" ganz erhebliche Bedenken dagegen hatte, vielleicht nochmal umstimmen und gegen Hitler in Stellung bringen können (hätte aber sicherlich die Anerkennung der Verhältnisse in Abessinien und möglicherweise weitere Zugeständnisse, ggf. Albanien gekostet).

Wir dürfen auch die militärische Situation der Tschechoslowakei nicht vergessen. Seit dem "Anschluß" Österreichs war diese fast aussichtslos. An der dortigen Grenze gab es kaum Befestigungen und diese Flanke war auch geographisch viel schwieriger zu verteidigen als die Mittelgebirgsgrenze zu Deutschland.

Erschwerend hinzu kommt, dass die "Sudetendeutschen" etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung stellten und natürlich auch entsprechende Anteile an den Tschechoslowakischen Streitkräften.
Die Loyalität dieser Kader wäre im Fall eines Krieges mit Deutschland genau so fraglich gewesen, wie die der Bewohner der Grenzgebiete, was der tschechischen Position auch nicht unbedingt half.
 
Für mich wäre das Ereignis, wegen dem man am Ehesten gegen NS-Deutschland hätte vorgehen können, die Annexion Österreichs gewesen. (...)

Aber wie wär das militärisch abgelaufen? Mir fehlen die Detailkenntnisse, aber als Vermutung: Eine Offensive hätte es von Seiten der Westallierten nicht gegeben. Die gabs auch nicht, um Polen zu helfen, und sowas widersprach völlig der französischen Doktrin. Hätte Deutschland da nicht in Österreich, Polen & der Tschechoslowakei vollendete Tatsachen schaffen können, bevor es sich nach Westen wendet, wie es dann 1939/40 geschah?

Wäre Frankreich dann zusammen gebrochen wie real geschehen, wie hätte sich das auf die Situation im Vereinigten Königreich ausgewirkt? Churchills trotziges "We shall fight on the beaches, we shall fight on the landing grounds (...) We shall never surrender!", oder irgend etwas vergleichbares, hätte in meinen Augen kaum eine Grundlage gehabt ohne das sichere Wissen, für die richtige Sache zu streiten. Und wäre es die richtige Sache gewesen, zwei Länder von einer Vereinigung abzuhalten, die, so schien es zumindest, beide wollten?

Ich würd sagen, die Stärke Churchills und damit der Widerstandsgeist Großbritanniens hingen ganz wesentlich an Chamberlains vorheriger "Schwäche"; das eine hätts ohne das andere so nicht gegeben. Und ohne den Widerstandsgeist Großbritanniens hätte der 2. Wk. ganz, ganz anders verlaufen können.
 
Großbtitannien und Frankreich rührten keinen Finger wegen Österreich, weil dieser Staat allgemein als künstliches, kaum lebensfähiges Konstrukt angesehen wurde.

Für Frankreich oder Großbritannien wäre ein "Großdeutschland" 1919, mit den militärischen Beschränkungen des Versailler Vertrages, keine furchteinflößende Veränderung gewesen. Für Italien und die neue CSR hingegen schon.

Sonst hätten sie auch nicht auf die Zuteilung rein deutschsprachiger Gebiete aus rein militärischen Gründen bestehen müssen. Beiden Ländern war ja bewusst, dass die deutschsprachige Minderheit für ihren Gebietsanspruch bzw. im Falle der CSR ihrer Staatlichkeit ein Problem darstellte.

1934 funktionierte Italien noch als Schutzmacht des Status quo Österreichs. Nazideutschland war militärisch immer noch ein Zwerg, Italien immer noch mit Frankreich und Großbritannien auf gutem Fuß.

Sobald aber Italien durch seine Äthiopienkrieg Frankreich und v.a. Großbritannien vergrätzte, stand es alleine gegen das stärker gewordene Deutschland. Und Hitler, dass muss man ihm zugestehen, nutzte diese Lücke aus. Mussolini hat sich hier selbst ein Bein gestellt.

Für GB und F war der Anschluss auch eine "innerdeutsche" Angelegenheit geworden. Da wurde, ähnlich zum Saargebiet und der Remilitsrisierung des Rheinlands, ein Konstruktionsfehler der Pariser Verträge beseitigt.

Moralisch wäre ein Eingreifen Frankreichs oder Großbritannien auch nicht zu rechtfertigen gewesen. Ein Krieg "ums Prinzip" zu führen, wenn die vermeintlichen Opfer gar nicht gerettet werden wollten. (Auch wenn der Anschluss militärisch erfolgte und die anschließende Volksabstimmung weder frei noch demokratisch war, wer bezweifelte, dass die Mehrheit der Österreicher dafür war? Das Deutsche Reich hatte scheinbar erfolgreich die Wirtschaftskrise überwunden, stand außenpolitisch glänzend da).
 
Aber wie wär das militärisch abgelaufen? Mir fehlen die Detailkenntnisse, aber als Vermutung: Eine Offensive hätte es von Seiten der Westallierten nicht gegeben. Die gabs auch nicht, um Polen zu helfen, und sowas widersprach völlig der französischen Doktrin. Hätte Deutschland da nicht in Österreich, Polen & der Tschechoslowakei vollendete Tatsachen schaffen können, bevor es sich nach Westen wendet, wie es dann 1939/40 geschah?

Ich denke ob man Deutschland in Sachen Österreich Einhalt hätte gebieten können, hätte sehr davon abgehangen, ob es kurzfristig noch möglich gewesen wäre Italien für die Sache einzuspannen.

Insofern dass eine eher kurzfristig gezimmerte Allianz gewesen wäre, hätte es da sicherlich keine besondere militärische Abstimung gegeben, wenn man aber Italien hätte einbinden können (was Zugetändnisse erfordert hätte, die moralisch alles andere als schick gewesen wären, aber wegen des Südtirol-Problems und Mussolinis anfänglicher Abneigung gegen den "Annschluss" hielte ich das nicht für ausgeschlossen) und die CSR sich wegen der eigenen deutschsprachigen Minderheiten einer Koalition gegen das deutsche Ausgreifen angeschlossen hätte, hätte das für Deutschland nicht nur einen Zwei-, sondern einen Dreifrontenkrieg bedeuten können, inklusive extrem schwierigem Gelände in den Alpen und in de Mittelgebirgen an der tschechischen Grenze.

Ich denke, dass sich Hitler darauf nicht eingelassen hätte, weil das die deutschen Kräfte vollkommen verzettelt hätte und weil die Lange Grenze Deutschlands von Schlesien und Sachsen über den gesamten Süden bis zu Rhein nicht zu verteidigen gewesen wäre.

Ansonsten müsste man, denke ich berücksichtigen:

Bis zum September 1939 waren es im Fall Österreich noch 1,5 Jahre hin, die der deutschen Rüstung gefehlt hätten.
Reinn nummerisch hatte das deutsche Heer zwar inzwischen wieder eine recht ordentliche Schlagkraft erreicht, allerdings mangelte es noch an der Motorisierung.
Und was man beim Rüstungstand nicht unterchätzen darf ist, dass Deutschland Personal und Ausrüstung der österreichischen Armee vollständig und kampflos übernehmen und aus den Tschechoslowakischen beständen, immerhin das gesamte Waffenarsenal und eben die sudetendeutschen Kader in die Wehrmacht eingegliedert werdenn konnten, was dieser einen ganz hübschen Zuwachs beschehrte:

"Große Veränderungen traten im Jahr 1938 ein, da es mit der Eingliederung des österreichischen Bundesheeres nach dem Anschluss Österreichs und der Angliederung des Sudetenlandes (Münchner Abkommen) personell möglich wurde, drei Infanterie-, zwei Panzer-, zwei Gebirgs- und eine Leichte Division aufzustellen, womit das eigentliche Ziel des Augustprogrammes bereits überschritten wurde. Von großer Bedeutung für den Rüstungsstand waren die durch die Zerschlagung der Rest-Tschechei erbeuteten, qualitativ hochwertigen tschechischen Armeebestände, die es ermöglichten, 15 bis 20 Divisionen mit militärischem Gerät auszurüsten.[30] Im Sommer 1939 liefen die gestaffelten und nicht öffentlich bekanntgemachten Teilmobilisierungen an, wodurch das organisatorisch gut vorbereitete Kriegsheer zügig und relativ unauffällig auf Stärke gebracht wurde."

Aufrüstung der Wehrmacht – Wikipedia

Ich denke, wenn Hitler durch fehlende Zustimmungs Mussolinis keinen freien Rücken gehabt hätte, hätte er sich beim Rüstungsstand vom März 1938 keinen Krieg leisten können, der eventuell an 3 Fronten hätte geführt werden müssen.
Allerdings am Müßig darüber zu spekulieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Moralisch wäre ein Eingreifen Frankreichs oder Großbritannien auch nicht zu rechtfertigen gewesen. Ein Krieg "ums Prinzip" zu führen, wenn die vermeintlichen Opfer gar nicht gerettet werden wollten. (Auch wenn der Anschluss militärisch erfolgte und die anschließende Volksabstimmung weder frei noch demokratisch war, wer bezweifelte, dass die Mehrheit der Österreicher dafür war? Das Deutsche Reich hatte scheinbar erfolgreich die Wirtschaftskrise überwunden, stand außenpolitisch glänzend da).

Den Abschnitt sehe ich etwas anders, vor dem Hintergrund, dass Österreich bisher immer ein von Deutschland separates Staatswesen gewesen war und auch dadurch, dass sich Schuschnigg mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln gegen Vereinahmung durch NS-Deutschland zu wehren versuchte.
Ich denke hier wäre Eingreifen moralisch durchaus zu rechtfertigen gewesen, wenn man denn gewollt hätte.
 
Ja, aber auch politisch durchsetzbar?

Ließe sich nur mutmaßen, ist ja nicht ernsthaft versucht worden.

Andererseits, wenn oben damit argumentiert wurde, dass Österreich als künstlich und eine Art Konstruktionsfehler der Pariser Friedensordnung betrachtet würde und deswegen niemand bereit gewesen sei, sich dafür einzusetzen, würde mich doch interessieren, ob die Tschechoslowakei, für die man sich sehr wohl verwendete, denn großartig anders wahrgenommen wurde?
 
Meiner Meinung nach hätte man Hitler schon vorher, bei der Rheinlandbesetzung stoppen sollen/können, zu dem Zeitpunkt war die Wehrmacht tatsächlich erst ein "kleines zartes Pflänzchen", Frankreichs träge Armee tatsächlich noch in der Lage gewesen den Einmarsch zu stoppen.
Das ist ein guter Punkt - Zitat:

Hitler soll mehrfach – sogar noch während des Krieges – geäußert haben, die 48 Stunden nach dem Einmarsch seien die aufregendste Zeitspanne seines Lebens gewesen. Wären die Franzosen damals ins Rheinland eingerückt, hätte man sich mit Schimpf und Schande zurückziehen müssen, da die militärische Stärke nicht einmal für einen mäßigen Widerstand ausgereicht hätte.

Als Folge ging mit Rheinland auch die Aufrüstung Deutschlands schneller voran. So reihte sich ein Fehler nach anderem und 4 Jahre später hatte man einen Krieg, den mit Ausnahme Hitlers keiner wollte.
 
Für mich sind die Hauptprobleme eher die Probleme Frankreichs ( nie wieder so ein Gemetzel wie 14/18, und die sozialen Probleme) und die Schwierigkeiten Großbritanniens mit seinem Empire, dazu noch die nicht gerade "güldene"
wirtschaftliche Situation der Weltökonomie.
Ich denke, das dieser Schwierigkeiten den Demokratien in ihrem Handeln durchaus gewisse Hemmnisse gesetzt haben.
 
Ich denke ob man Deutschland in Sachen Österreich Einhalt hätte gebieten können, hätte sehr davon abgehangen, ob es kurzfristig noch möglich gewesen wäre Italien für die Sache einzuspannen.

Danke für die Ausführung. Ja, wenn Italien dabei hast du wohl recht.

Andererseits, wenn oben damit argumentiert wurde, dass Österreich als künstlich und eine Art Konstruktionsfehler der Pariser Friedensordnung betrachtet würde und deswegen niemand bereit gewesen sei, sich dafür einzusetzen, würde mich doch interessieren, ob die Tschechoslowakei, für die man sich sehr wohl verwendete, denn großartig anders wahrgenommen wurde?

Die Tschechoslowakei wurde nach dem 1. Wk. neben anderen Staaten gegründet, um das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu verwirklichen, und eine Mehrheit stand ja auch bis zur Besetzung zu diesem Staat (die sudetendeutsche Minderheit halt nicht...).

Österreich wurde mWn nach dem 1. Wk. die Vereinigung mit dem Deutschen Reich verboten, obwohl eine Mehrheit dafür gewesen wäre; entgegen dem sonst propagierten Selbstbestimmungsrecht der Völker.
 
Den Abschnitt sehe ich etwas anders, vor dem Hintergrund, dass Österreich bisher immer ein von Deutschland separates Staatswesen gewesen war und auch dadurch, dass sich Schuschnigg mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln gegen Vereinahmung durch NS-Deutschland zu wehren versuchte.
Ich denke hier wäre Eingreifen moralisch durchaus zu rechtfertigen gewesen, wenn man denn gewollt hätte.

Österreich(-Ungarn) war erst 1866 ein von Deutschland (noch nicht der Staat Deutschland) "separates" Staatswesen geworden. Unter völlig anderen Voraussetzungen, damals war man eine Großmacht.

Von 1866 ist 1919 gerade mal 53 Jahre weg, es gab noch Menschen, die sich an den Deutschen Bund und den preußisch-österreichischen Dualismus erinnern konnten (z.B. Hindenburg auf deutscher Seite).

1919 wurde aus der Großmacht Österreich ein Kleinstaat. Keiner glaubte, dass dieses Land existenzfähig war, die Planungen, dass Deutsch-Österreich (inkl. bestimmter böhmischer Gebiete) im Deutschen Reich aufgeht, waren mehr als konkret. Es gab m.W. keine politische Partei, die für ein selbständiges Österreich eintrat.

Verhindert wurde das einzig und allein durch die Siegermächte in den Pariser Verträgen mit dem Verbot des Anschlusses (und dem zuschlagen deutschsprachiger Gebiete an die neue Republik CSR, die explizit in den Kreis der Siegermächte aufgenommen wurde, und an Italien).

In Österreich fügte man sich nolens volens, aber es blieb unerklärtes Ziel der Politik, sich mit dem Deutschen Reich zu vereinigen. Man hatte dann in den späten 20ern eine Zollunion beider Länder vereinbart, welche aber verboten wurde.

Geändert hat sich die allgemeine Stimmung erst mit der Machtergreifung Hitlers. Die Linksparteien aus verständlichen Gründen, aber die wurden (blutig) ausgeschaltet. Es entstand quasi zeitgleich der Austro-Faschismus, der sich an Mussolinis Italien orientierte. Die Ermordung Dollfuß durch NSDAP-Mitglieder führte endgültig zur Ablehnung der Zusammenarbeit mit Nazi-Deutschland.

ABER, das galt für einen Anschluss an Nazi-Deutschland. Die Regierung und die sie tragenden Gruppen, die sich in erster Linie aus dem politischen Katholizismus speiste, sah Österreich als das Gegenmodell zum Nationalsozialismus, aber immer noch als deutschen Staat.

Schuschnigg dürfte der unpopulärste Kanzler der I. Republik gewesen sein, gerade weil er mit "den ihm zu Gebote stehenden Mittel" einsetzte. Er war für die Wiedereinführung der Todesstrafe verantwortlich, er ließ tausende Sozialisten, Kommunisten, Gewerkschafter und Nazis einsperren.

Und während in Deutschland die Nazis offenkundig erfolgreich die Wirtschaftskrise bewältigten, hatte Österreich große Probleme (die von Hitler verstärkt wurden). Die Österreicher nahmen sehr genau wahr, dass es im Deutschen Reich aufwärts ging und bei ihnen zuhause nicht.

Schon im Juli-Abkommen von 1936, knapp zwei Jahre nach der Ermordung Dollfuß und knapp 2 Jahre vor dem Anschluss musste Schuschnigg seine strikte anti-nazistische Haltung aufgeben, weil Mussolini sich Hitler angenähert hatte.

Die grundsätzlich prodeutsche Stimmung der Österreicher war in Frankreich und Großbritannien bekannt. Wenn noch 1939 die Frage aufkam "Mourir pour Dantzig", wie wenig wären die Menschen bereit gewesen, um Österreichs Unabhängigkeit zu kämpfen?
 
Helle Aufregung

Am 12 September 1938 geht der Parteitag der NSDAP in Nürnberg zu Ende. Hitler hatte wüste Tiraden gegen Benesh und die Tschechoslowakei vom Stapel gelassen, der Krieg scheint sicher.
Noch am gleichen Abend sendet Chamberlain den Vorschlag nach Berlin, man möge sich persönlich treffen und er sei bereit mit dem Flugzeug zu kommen.

Am 15. September kommt es zum Treffen auf dem Obersalzberg. Chamberlain erklärt er könne sich die Abtrennung des Sudetenlandes unter bestimmten Modalitäten vorstellen, doch benötige er Zeit um diesbezüglich seine Kollegen und die französische Führung zu konsultieren.
Hitler gewährt solche und Chamberlain kehrt nach London zurück.

Am 18. September trifft die französische Delegation mit dem Ministerpräsidenten Daladier ein.
Der hebt zwar salbungsvoll die Vertragstreue Frankreichs hervor und will doch nicht mehr erreichen, als eine internationale Garantie für eine verstümmelte Rest-Tschechoslowakei.
Frankreich, egal welche Reden noch gehalten werden, hat seinen Verbündeten verlassen.

Die Diskussionen innerhalb der britischen Führungselite favorisieren den Weg Chamberlains, und auch Zweifler sehen Sinn darin den Tag des Schreckens zu verschieben.
Auf die Franzosen ist nicht wirklich zu zählen.
Das Militär der SU hält man für stark geschwächt nachdem Stalin den größten Teil dessen Führunsspitze im Vorjahr ermorden lies. Zudem traut man Stalin zurecht nicht.
Hitler wird die Tschechoslowakei angreifen wenn keine Vereinbarung zustande kommt. Das ist klar,
Wer aber wird dann befähigt und bereit sein den unausweichlichen Krieg gegen Hitler zu führen?

Am 22. September fliegt Chamberlain erneut nach Deutschland. Diesmal findet das Treffen in Bad Godesberg statt.
Er berichtet, dass seine Bemühungen erfolgreich gewesen seien und nennt Modalitäten der Übergabe des Sudetenlandes an das Reich die man verhandeln könne.
Hitler reagiert überraschend aggressiv. Das alles genüge nun nicht mehr und im Übrigen mache es ihm überhaupt keinen Kummer, sollten die Alliierten ihm den Krieg erklärten. Die Tschechoslowakei sei ein Bastard der auch die Interessen anderer Staaten verletze. (hier Polen und Ungarn die ebenfalls das Land bedrängen)
Am 24. September kehrt Chamberlain zurück nach London.
Das Außenministerium teilt Prag mit, dass es die Empfehlung nicht zu mobilisieren zurücknimmt.
Die Einberufung der Reservisten der Navy wird beschlossen.
Gasmasken werden verteilt, im Hyde Park werden Schutzgräben ausgehoben und an den Ufern (embankment) werden Flaks aufgestellt. London hält den Atem an.

Und hinter den Kulissen gehen die Verhandlungen mit den französischen Partnern weiter.
Daladier hat den Generalstabchef Gamelin mitgebracht.
Der gibt sich schneidig und verspricht für den Kriegsfall einen großen Angriff auf die Siegfriedlinie und die Bombardierung Deutschlands.
Sehr zu Recht glaubt ihm Chamberlain kein Wort, sondern geht davon aus, dass sich die Franzosen in diesem Falle nach ein paar Scharmützeln hinter die Maginotlinie zurückziehen würden.
Und das Versprechen Deutschland zu bombardieren ist geradezu lächerlich.

Also noch ein Versuch. Chamberlain bittet Mussolini um Vermittlung und schlägt eine Viermächtekonferenz (Italien, Deutschland, Frankreich, GB) vor.
Am morgen des 28. September weist Mussolini seinen Botschafter in Berlin an Hitler die Annahme des Vorschlags zu empfehlen.
Am Nachmittag dieses Tages gibt der PM Chamberlain im vollen Unterhaus eine Erklärung zur Lage. Er spricht eine Stunde, als ein Boote die Nachricht überbringt, die Konferenz könne stattfinden.
Daraufhin erhebt sich frenetischer Jubel(!). Noch kein Krieg, die Erleichterung bricht sich begeistert die Bahn.
Auch Anti-Appeaser gratulieren.

Und so geht es in die dritte Runde mit dem bekannten schlechten Ende für die verratene Tschechoslowakei.

Chamberlain wird gefeiert werden als Retter des Friedens (und später verteufelt). Seiner Tochter wird er sagen, dass der Krieg noch kommen kann.
Und seinem Privatsekretär sinngemäß: hält sich der Hitler dran, dann ist gut. Tut er es nicht, dann wird dann alle Welt wissen, welchen Geistes er ist. Und das wird dann besonders wichtig sein.

Und der Hitler. Zu einem Mitarbeiter Rippentrops äußert er sinngemäß:
Wenn noch mal so ein Schwein von Vermittler daherkommt, dann werf ich ihn die Treppe runter.
Der Chamberlain hat mir die Besetzung Prags versaut.

Ich beziehe mich im Wesentlichen auf Kapitel 7:
Neville, Peter (2006): Hitler and appeasement. The British attempt to prevent the Second World War. 1. publ. London: Hambledon Continuum.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Tschechoslowakei wurde nach dem 1. Wk. neben anderen Staaten gegründet, um das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu verwirklichen, und eine Mehrheit stand ja auch bis zur Besetzung zu diesem Staat (die sudetendeutsche Minderheit halt nicht...).

Ja, aber zum einen war das mit dem Selbstbestimmungsrecht vor allem Wilsons Ding, dass den Briten und Franzosen so nicht unbedingt schmecken konnte, weil es sie selbst argumentativ in Schwierigkeiten brachte (Elsass, Irland-Frage, ab den 1920er Jahren zunehmend auch die antikoloniale Bewegung) zum anderen entsprach die Tschechoslowakei in ihrer Form ja so überhaupt nicht, dem idealisierten Bild des (etnisch homogenen) Nationalstaats.

Letztendlich lebten in den Grenzen dieses Staates an die 5 Millionen Tschechen, 3,5 Millionen Slowaken, 3 Millionen deutschsprachige Ex-Österreicher und jeweils noch mal etwa eine halbe Million Ungarn im Süden der Slowakei und nochmal ähnlich viele Ukrainer in der Kaparto-Ukraine im Osten, wenn ich mich nicht täusche.

Damit war die Tschechoslowakei darin, dass sie nicht nur ethnisch nicht homogen war, sondern nummerisch in diesem Staat überhaupt keine Einwohnergruppe eine absolute Mehrheit stellte, dem Habsburger Reich relativ ähnlich.

Das Habsburger Reich wiederrum wiederrum galt ja nun vielen seiner Kritiker, nicht zuletzt auf Grund des Umstands, dass letztendlich dass ein Großteil der Elite von ethnischen (Deutschsprachige und Magyaren) Gruppen gestellt wurden, die gemessen an der Gesamtbevölkerung von ihrer Größe her lediglich einflussreiche Minderheiten darstellten, als "Völkergefängnis".
Was ja letztendlich mindestens für Wilson durchaus auch Anlass war, die Selbstbestimmung der Völker der Donau-Monarchie zum Teil seines 14-Punkte-Programms zu machen.

Wenn man dass damals aber im Fall der Habsburger Monarchie so sah, konnte man dieses Bild allerdings eigentlich auch relativ leicht auf die Tschechoslowakei übertragen.
Die war zwar keine Monarchie mehr aber darin, dass es ethnisch gesehen keine Gruppe gab, die die Bevölkerungsmehrheit stellte und die Macht de facto vor allem bei einer einflussreichen Minderheit, in diesem Fall den Tschechen lag, ähnelte die CSR dem alten Habsburgerreich durchaus.


Als 1918 die Tschechoslowakei gegründet wurde, gab man sich einige Mühe die Unterschiede zwischen Tschechen und Slowaken in irgendeiner Form zu kitten, ähnlich wie im Fall Jugoslawien.
Allerdings, schaut man sich innerhalb er CSR die wachsenden Erfolge der "Slowakischen Volkspartei" Hlinkas Slowakische Volkspartei – Wikipedia an konnte man sich eigentlich bereits ende der 1920er Anfang der 1930er jahre keine Illusionen darüber mehr dahingehend machen, dass Tschechen und Slowaken mehr oder minder das gleiche seien und gleiche Interessen hätten.
Die Slowakische Volkspartei vertrat zwar bis 1938 keinen dezidierten Seperatismus, aber doch reichlich Kritik am zentralistischen politischen System und ab 1938, als nach dem "Anschluss Österreichs" die deutschen Minderheiten mit Unterstützung aus Berlin für ihre autonomistischen und separatistischen Wünsche rechnen konnten, daurte es nicht lange, bis sich die slowakischen Nationalisten und ein Teil der Volkspartei damit verbündeten und anfingen offen ähnliche Ziele zu verfolgen.

Insofern, dass bis auf die sudetendeutsche Minderheit eine deutliche Mehrheit zu diesem Staat gestanden hätte...... naja.

Bei den Ukrainern im äußersten Osten des Landes wäre ich überfragt.
Ein großer Teil der ethnischen Ungarn im Süden der Slowakei wollte lieber zum ungarischen Nationalstaat, als in der Tschechoslowakei zu verbleiben.
Bei den Slowaken war mindestens die Forderung nach einer Abschaffung des zentralistischen Systems sehr populär und seit dem "Annschluss" machten sich bei den slowakischen Nationalisten zunehmend Abspaltungswünsche bemerkbar und die dürften durch dem Umstand, dass im Falle einer Abspaltung der Konflikt mit den ungarischen Nationalisten und ggf. dem ungarischen Staat, sehr wahrscheinlich geworden wäre, eher noch gehemmt worden sein.

Ich sehe mit den deutschsprachigen Bewohnern und mit den Ungarn im Süden der Slowakei mindestens zwei Gruppen, die aus diesem Staat - stand 1938 - eher rauswollten und mit den Slowaken eine Gruppe, von der der radikale Teil aus dem gemeinsamen Staat heraus wollte, während der moderate Teil mindestens auf einschneidenden Reformen und weitgehennder Autonomie bestand.

Auch in dieser Hinsicht drängen sich gewisse Parallelen zum alten Habsburger Reich und dessen Problemen auf.
Weswegen es gar nicht so abwegig gewesen wäre, die CSR in ganz ähnlicher Weise zu betrachten, wie weiland die Donaumonarchie.
 
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