Karl Marx und das Proletariat

Nergal

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Was wissen wir heute eigentlich über den Umgang Karl Marx's mit den Proletariern seiner Zeit?
Wie oft hat er mit diesen das Gespräch gesucht, und wie hat er dies ausgewertet?
 
Was wissen wir heute eigentlich über den Umgang Karl Marx's mit den Proletariern seiner Zeit?
Wie oft hat er mit diesen das Gespräch gesucht, und wie hat er dies ausgewertet?

Reden wir vom Proletariat im Sinne marx'scher Theorie oder reden wir von späteren Wandlungen oder Verengungen des Begriffs?
 
Merkwürdige Frage. Würde irgendjemand die Frage stellen, ob sich Kant, Hegel oder auch ein Max Weber mit seinem "Gegenstand" der Theoriebildung unterhalten hat. Glaube wohl nicht.

Ansonsten: Engels und Marx haben sich mit der Lage der Arbeiterschaft intensiv beschäftigt und entsprechend empirisch fundierte Arbeiten vorgelegt. Näheres bei Stedman Jones bzw. auch Sperber. Und zur Entwicklung seiner theoretischen Arbeiten auch Tucker.

Sperber, Jonathan (2013): Karl Marx. A nineteenth-century life. 1. Aufl. New York: Liveright Publishing Corporation.
Stedman Jones, Gareth (2016): Karl Marx. Greatness and Illusion. Penguin books. London: Penguin.
Tucker, R. C. (1963): Karl Marx. Die Entwicklung seines Denkens von der Philosophie zum Mythos. München: C.H. Beck
 
@thanepower
Aber natürlich ist es wichtig zu wissen ob Jemand, der ausufernde Ideengebäude über etwas erbaut, sich den Gegenstand seiner Überlegungen genauer angesehen hat.
Bei der Philosophie und der Welt ist es aber zeitweise so dass es sich damit wie mit der Kirche und der Sexualität verhält, man redet zwar viel darüber, hat aber wenig praktische Erfahrung.:D
 
dass es sich damit wie mit der Kirche und der Sexualität verhält, man redet zwar viel darüber, hat aber wenig praktische Erfahrung.:D
Dazu gibt es im Übrigen wissenschaftliche Untersuchungen. Ca. 5 % kirchlicher Äußerungen befassen sich mit Sexualität. Aber 80 % der Presseberichte über kirchliche Äußerungen gehen über diese 5 %. Quelle: Manfred Lütz.
 
@thanepower
Aber natürlich ist es wichtig zu wissen ob Jemand, der ausufernde Ideengebäude über etwas erbaut, sich den Gegenstand seiner Überlegungen genauer angesehen hat

1. Marx definierte den "Proletarier" als eine Person, die nicht über hinreichend Produktionsmittel verfügt um aus deren Anwendung ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können und daher ihre Arbeitskarft an einen "Bourgeois/Kapitalisten", sprich eine Person mit wirtschaftlichen Gewinninteressen, die selbst keiner produktiven, geselschaftlich notwendigen Arbeit nachgeht, verkaufen muss.

Von dem her, deckt der Begriff "Proletarier", wie Marx ihn verwendete potentiell die gesammte Spannweite der Lohnarbeit vom Berufsfeld des eines Tagelöners in der Landwirtschaft, über die Industriearbeiterschaft, bis hoch zum Buchhalter im Rechnungszimmer des Fabrikbesitzers ab.
Mit anderen Worten, je nachdem ob man bei der Definition des Begriffs "Proletarier" noch Wert darauf legt zu differenzieren, ob man nur dann von einem "Proletarier" sprechen möchte, wenn dessen Interessen denen eines dezidierten "Kapitalisten" gegenüberstehen oder ob bereits der Interessengegensatz gegenüber einem profitorientierten "Kleinmeister" hinreichend ist, reden wir da vermutlich von locker 80% der Gesellschaft.

Nämlich von allen, die weder Fabrikanten, noch selbstständige Handwerksmeister oder Landwirte, noch Staatsdiener, noch hauptberufliche Spekulanten und reine Rentiers sind, grob über den Daumen.

Mit anderen Worten, es dürfte technisch unmöglich sein, keine ein Leben zu führen ohne mit dem "Proletarier" gemäß marx'scher Definition näher in Berührung gekommen zu sein.



2. Wo ist denn die Definition eines "Proleatriers" oder dessen Interessengegensatz zum "Kapitalisten" ein ausuferndes Gedankengebäude?
Beides, wie auch die mary'sche Definition eines "Kapitalisten", könnte man im Prinzip auf ihren Kern herunter gebrochen auf einer Hand voll Seiten zusammenfassen.
Das Gedankengebäude ist wohl eher die Auffassung der damaligen Wirtschaftsweise als spezifisches historisches Stadium mit allen Folgen, die das in der Betrachtung mit sich zieht.
Für dieses Gedankengebäude spielt das "Proletariat" aber allenfalls eine temporäre Rolle, da en gros, soweit, dass es gesellschaftliche Relevanz hätte, erst ab dem 18. Jahrhundert entstanden.



Bei der Philosophie und der Welt ist es aber zeitweise so dass es sich damit wie mit der Kirche und der Sexualität verhält, man redet zwar viel darüber, hat aber wenig praktische Erfahrung.:D

Kirchen und Sexualität....... dir ist selbstverständlich klar, dass man sich von kirchlicher Seite her mit dem Thema schon lange befasste, bevor dann im Mittelalter das Zöllibat obligatorisch wurde und dass sich mindestens die Protestanten von selbigem schon lange verabschiedet haben?

Darüber hinaus, ist es eigentlich anachronistisch Marx als reinen Philosophen wahrnehmen zu wollen. Marx bewegte sich mit seiner Arbeit an der Schnittstelle zwischen Teilmengen der Philosophie, der Ökonomie und Gebieten, die man heute eher der Sozial- und Geschichtswissenschaft zurechnen würde.
Der Mann hat eigentlich ziemlich interdisziplinär gearbeitet und sich im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten durchaus um empirische Nachweise bemüht.
Unter anderem hat er z.B. diverse Erhebungen der damaligen staatlichen Fabrikinspektoren in sein Werk einfließen lassen.
Diese Arbeitsweise mit reinem vor sich hin Philosophieren gleichzusetzen halte ich, diplomatisch ausgedrückt, für gewagt.
 
Darüber hinaus, ist es eigentlich anachronistisch Marx als reinen Philosophen wahrnehmen zu wollen. Marx bewegte sich mit seiner Arbeit an der Schnittstelle zwischen Teilmengen der Philosophie, der Ökonomie und Gebieten, die man heute eher der Sozial- und Geschichtswissenschaft zurechnen würde.
Der Mann hat eigentlich ziemlich interdisziplinär gearbeitet und sich im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten durchaus um empirische Nachweise bemüht.
Unter anderem hat er z.B. diverse Erhebungen der damaligen staatlichen Fabrikinspektoren in sein Werk einfließen lassen.
Jura studiert, über die Dioskuren, also gewissermaßen in Klassischer Archäologie promoviert, als Nationalökonom (also gewissermaßen Volkswirtschafter) bekannt geworden.
 
Bei der Philosophie und der Welt ist es aber zeitweise so dass es sich damit wie mit der Kirche und der Sexualität verhält, man redet zwar viel darüber, hat aber wenig praktische Erfahrung.

Wenn man eine Meinung zu Marx/Engels hat, dann sollte man es kontextuieren können wie sie damals "Wissen" produziert haben. Und man sollte die Standards kennen, die damals anerkannt waren. Interessant wären in der Tat die Arbeiten von Tönnies oder Simmel anzusehen, die nach Marx geboren wurden, aber im Prinzip zu seiner Epoche gerechnet werden können.

Ein Vorgehen, das gezielt empirische Verfahren in die damaligen wissenschaftlichen Studien integriert hat, ist m.E. noch nicht vorhanden. Die empirische Orientierung war im wesentlichen auf der Basis von Sekundär-Statistiken vorhanden.

Aber natürlich ist es wichtig zu wissen ob Jemand, der ausufernde Ideengebäude über etwas erbaut, sich den Gegenstand seiner Überlegungen genauer angesehen hat.

Konkret hat sich Engels 1845 empirisch fundiert, sekundärstatistisch, mit "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" beschäftigt. Und es gibt wenige Werke aus der Epoche, die sich fundierter und kritischer mit dem Thema beschäftigt haben. Erst mit Thompson`s "The Making...." wurde diese Arbeit von Engels ergänzt.

Ansonsten hat sich Marx eher als "Ökonom" gesehen und sich im wesentlichen an den Arbeiten von Smith und Ricardo abgearbeitet. Das "Menschenbild", das Marx in den "Ökonomisch-philosophischen Manuskripten" ausgebreitet hat, zählt zum "jungen Marx" und wird stark durch den älteren "ökonomisch-orientierten" aus dem "Kapital" überlagert.

Weder für den jungen noch den älteren Marx wäre dabei eine methodische Hinwendung zu "Leitfadeninterviews" hilfreich für die Theorieformulierung, da Marx keine "soziale Berichterstattung" betrieben hat, sondern "Gesetzmäßigkeiten" einer durch die kapitalistische Produktionsweise determinierten Klassengesellschaft erkennen wollte.
 
Jura studiert, über die Dioskuren, also gewissermaßen in Klassischer Archäologie promoviert, als Nationalökonom (also gewissermaßen Volkswirtschafter) bekannt geworden.
Eben und was er im Bereich volkswirtschaft fabriziert hat, geht methodisch, mindestens episodisch ja auch in wirtschaftshistorische Bereiche.
 
@Shinigami
zu 1) Marx hat dies sehr weit gefasst, aber der Kern dieser "Klasse" war weniger der Akademiker der seine Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufte, sondern eher der Fabrikarbeiter, jener der eigentlich physische Arbeit leistete. Und das ist der Personenkreis über dessen Kontakte zu Marx, eigentlich ob es da Gespräche mit Marx gab, ich mehr erfahren möchte.

2) Damit meinte ich umfassend auch die von thanepower genannten Beispiele, als auch die Philosophie im Allgemeinen. Im Fall von Marx ist der Proletarier, der Arbeiter, nicht nebensächlich und die Beschreibung seiner Rolle, sowie des Kapitalisten, der Produktionsprozesse, des Marktes etc. hat Marx auf drei Dicke Bände verteilt. Aus diesem Grund habe ich die einleitende Frage gestellt.

3)a)Ja mir ist dies bewusst, aber die katholische Kirche (und auch andere Religionen) hat damit ihre Probleme gehabt und Sexualität ist, so diese nur dem schnöden Spaß dient, nicht genehm, weshalb Pille, Kondom etc. verboten sind. Ich denke, meine eher humoriger, Vergleich ist angebracht, verständlich und wahr.

b)Auch hier bezog ich mich erst mal auf thanepowers Beispiele, aber natürlich auch auf Marx, dieser wird nicht nur von der, als Quelle verachteten, Wikipedia an erster Stelle als Philosoph genannt, sondern auch von der Encyclopedia Britannica, so wie einigen meiner greifbaren Lexika, nicht zuletzt deswegen da er 1841 Doktor der Philosophie wurde.
Dass er nicht ausschließlich Philosoph war ist klar, aber zu sagen es sei gewagt seine Tätigkeit so zu bezeichnen ist stark verkürzend.
 
@thanepower
Wie bereits erklärt, eine böse, allgemeine Meinung zur Philosophie, Ich lehne nicht Alles ab, lese gerne darüber, erkenne aber auch Mängel.
Was ich meinte ist ob Marx mal diese Gruppe (also den Fabrikarbeiter zum Beispiel) getroffen hat, wie auch immer, und ob man so ins Gespräch gekommen ist und ob davon etwas von Marx schriftlich festgehalten wurde, nicht das Marx riesige Umfragen gemacht hat um diese in Zahlen zu fassen und zu veröffentlichen.
 
@Shinigami
zu 1) Marx hat dies sehr weit gefasst, aber der Kern dieser "Klasse" war weniger der Akademiker der seine Arbeitskraft an den Kapitalisten verkaufte, sondern eher der Fabrikarbeiter, jener der eigentlich physische Arbeit leistete.
Eben nicht. Das ist eine Anachronistische Verfremdung des Begriffs.
Marx hat den Begriff so gefasst, wie er es getan hat und er hat es nicht ohne Grund getan. Im Hinblick auf die Notwendigkeit des Verkaufes der eigenen Arbeitskraft gibt es keine "Kernklientel", sondern nur Personengruppen, die unter den Begriff "Proletarier" fallen und solche, die es nicht tun.

Weitere Differenzierungen hier einziehen zu wollen, bedieht die Abgrenzungsinteressen von Kleinbürgertum und Industriearbeiterschaft gegeneinander. Hat aber nichts mit der marx'schen Klassendefinition zu tun.

2) Damit meinte ich umfassend auch die von thanepower genannten Beispiele, als auch die Philosophie im Allgemeinen. Im Fall von Marx ist der Proletarier, der Arbeiter, nicht nebensächlich und die Beschreibung seiner Rolle, sowie des Kapitalisten, der Produktionsprozesse, des Marktes etc. hat Marx auf drei Dicke Bände verteilt. Aus diesem Grund habe ich die einleitende Frage gestellt.

Die Rolle des Proletariers (und eben nicht die des Arbeiters, sondern des Proletariers im Allgemeinen) ist bei Marx elementar für das Postulat der kapitalistischen Produktionsweise und der spezifischen Abgrenzung des historischen Stadiums des Kapitalismus, gegenüber früheren Stadien.
Gleichwohl spielt sie weitgehend nur für eine Teilbetrachtung der sozialen und wirtschaftlichen Aspekte eine Rolle, die sich auf den Zustand des 19. Jahrhunderts beziehen.
Das marx'sche gesellschaftliche Entwicklungsmodell geht aber deutlich über das 19. Jahrhundert hinaus und setzt bereits bei den antiken Gesellschaften und Produktionsverhältnissen an, für die das Proletariat so überhaupt keine Rolle spielt.
In dem Sinne liefert Marx mit seiner Gesamttheorie einen mal mehr mal weniger gut belegten Abriss über mehrere 1.000 Jahre Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte, der die Basis für seine Entwicklungstheorie stellt und dabei spielt der Proletarier als wirklich gewichtige Gesellschaftliche Größe eigentlich nur in den letzten 100 Jahren der zurückliegenden Betrachtung eine herausragende Rolle.

Im Übrigen hat er seine Einlassung orriginal auf einen dicken Band verteilt, die anderen beiden hat Engels als Marxens Nachlass posthum zusammengetragen.


b)Auch hier bezog ich mich erst mal auf thanepowers Beispiele, aber natürlich auch auf Marx, dieser wird nicht nur von der, als Quelle verachteten, Wikipedia an erster Stelle als Philosoph genannt, sondern auch von der Encyclopedia Britannica, so wie einigen meiner greifbaren Lexika, nicht zuletzt deswegen da er 1841 Doktor der Philosophie wurde.
Dass er nicht ausschließlich Philosoph war ist klar, aber zu sagen es sei gewagt seine Tätigkeit so zu bezeichnen ist stark verkürzend.

Ich habe lediglich geschrieben, dass es gewagt ist ihn auf einen "nur Philosophen" reduzieren und ihn daher auschließlich an der Weltzugewandheit oder Weltabgewandheit der Philosophie messen zu wollen (die ich mindestens in Teilen, wenn ich da etwa an Machiavelli denke im übrigen für alles andere als weltabgewandt und in den leeren Raum konstruiert halte).
Natürlich hat der Mann innerhalb seines Schaffens auch Philosophie betrieben, ist ja überhaupt nicht zu bestreiten, dass seinen sozial-ökonomischen Überlegungen ein gewisses, einigermaßen konsistentes ethisches Gerüst zu Grunde liegt.
Aber wo stellt das den Kern seines Hauptwerkes, dass er daran zu messen wäre?

Der Kern des "Kapitals", ist eine Untersuchung der Produktionsverhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung im historischen Abriss.
Beides bediehnt nicht hauptsächlich philosophische Gesichtspunkte, sondern ökonomische, historische und nach heutigem Verständnis sozialwissenschaftliche Themen.

Persönliche ethische Vorstellungen hat er sicher gehabt und in das Werk einfließen lassen, nur sind die für die Analyse der Verhältnisse doch ohne Belang sondern allenfalls für seine persönlichen Schlüsse daraus. Selbstredned bedingt das eine aber nicht das andere
 
Ich fasse die gedankliche Kette von @Nergal aus #4 und #10 zusammen, damit das nicht untergeht:

1. Feststellung
Die Philosophie befasst sich - mindestens zeitweise - viel mit der Welt.
Die Philosophie redet - mindestens zeitweise - nicht mit der Welt.
Die Philosophie hat - mindestens teilweise - keine Ahnung von der Welt.
randweise Tatsachen-Behauptung: "Ich lehne nicht Alles ab, lese gerne darüber, erkenne aber auch Mängel."

2. Feststellung
Die Kirche befasst sich - mindestens teilweise - mit der Sexualität.
Die Kirche redet - mindestens zeitweise - nicht mit der Welt.
Die Kirche hat - mindestens teilweise - keine Ahnung von der Welt.
Induktion: viel Schreiben=Interesse. Nicht Reden=keine Ahnung.

3. Konklusion
Marx schreibt - mindestens bandweise - viel über das Proletariat.
Sprach Marx - wenigstens zeitweise - mit dem Proletariat?
Wenn Marx nicht mit dem Proletariat gesprochen hat, mindestens zeit- oder teilweise, hat er keine Ahnung vom Proletariat.


Habe ich das korrekt verstanden, oder zuviel darüber geredet? :D
 
Im Übrigen hat er seine Einlassung original auf einen dicken Band verteilt, die anderen beiden hat Engels als Marxens Nachlass posthum zusammengetragen.
Es kann sein, dass ich mich irre, aber du spielst ja hier auf Das Kapital an und ich meine mich zu erinnern, dass Marx selbst noch Bd. I und II veröffentlichte, während der dünnere dritte Band von Engels fertiggestellt und herausgegeben wurde und als der verständlichste gilt. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich zwar bereits vor über 20 Jahren mir die MEW-Ausgabe geleistet habe, aber privat nie über die Einleitungen des ersten Bandes hinausgekommen bin, in einem germanistischen Seminar dann Auszüge aus Bd. I gelesen habe.

Ich habe lediglich geschrieben, dass es gewagt ist ihn auf einen "nur Philosophen" reduzieren und ihn daher auschließlich an der Weltzugewandheit oder Weltabgewandheit der Philosophie messen zu wollen (die ich mindestens in Teilen, wenn ich da etwa an Machiavelli denke im übrigen für alles andere als weltabgewandt und in den leeren Raum konstruiert halte).
Man sieht auf Facebook manchmal diese Memes mit mehreren Bildern.

Was meine Freunde/Arbeitskollegen denken, was ich tue.
Was meine Mutter denkt, was ich tue
Was mein Arbeitgeber/Professor denkt, was ich tue
Was ich denke, was ich tue.
Was ich tatsächlich tue.


Man könnte das auf die Philosophie übertragen:

Was Laien denken was Philosophie sei.
(Nämlich zielloses "theoretisches" Rumgelaber)
Was Philosophie wirklich ist. (Eine geradezu mathematisch anmutende, logische Form, Denkgebäude zu errichten)

Der Kern des "Kapitals", ist eine Untersuchung der Produktionsverhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung im historischen Abriss.
Beides bedient nicht hauptsächlich philosophische Gesichtspunkte, sondern ökonomische, historische und nach heutigem Verständnis sozialwissenschaftliche Themen.

Dennoch zählen wir Marx und Engels zu den Philosophen. Und Marx, der Hegels Dialektik vom Kopf auf die Füße stellen wollte, hätte sich wohl durchaus auch selbst als solcher gesehen. DiaMat und HistoMat würde ich als philosophische Denkgebäude sehen.

Um Nergals Ausgangsfrage wieder aufzugreifen:
Es ist eine Episode überliefert, nach der Marx einen Pub fluchtartig verlassen musste, wo er mit Arbeitern in Streit geraten war. Das ist natürlich nur eine Anekdote, die ein Schlaglicht wirft, aber nicht mehr. Marx kannte die selbst die Mittellosigkeit und der Begriff Proletarier (von lat. proles, 'Brut') meint die Besitzlosen. Ein akademisches Proletariat, wie man es heute kennt, also der arbeitslose und verarmte Akademiker, gab es damals nicht, das ist ein neues Phänomen. Zu Marx' Zeiten war die akademische Bildung noch ein einigermaßen das wirtschaftliche Auskommen sicherndes Produktionsmittel, um in marxistischer Terminologie zu verbleiben.
 
Um Nergals Ausgangsfrage wieder aufzugreifen:
Es ist eine Episode überliefert, nach der Marx einen Pub fluchtartig verlassen musste, wo er mit Arbeitern in Streit geraten war. Das ist natürlich nur eine Anekdote, die ein Schlaglicht wirft, aber nicht mehr. Marx kannte die selbst die Mittellosigkeit und der Begriff Proletarier (von lat. proles, 'Brut') meint die Besitzlosen. Ein akademisches Proletariat, wie man es heute kennt, also der arbeitslose und verarmte Akademiker, gab es damals nicht, das ist ein neues Phänomen. Zu Marx' Zeiten war die akademische Bildung noch ein einigermaßen das wirtschaftliche Auskommen sicherndes Produktionsmittel, um in marxistischer Terminologie zu verbleiben.

Dieser politischen Deutung würde ich erneut widersprechen, da sie die Anekdote erneut in einem nicht korrekten Kontext wiedergibt. Ugh Valencia hat den entsprechenden - richtigen - Link zur "Quelle" gesetzt (#2)

Karl Marx Pub Crawl

Die Quelle zu diesem Vorfall liest sich für mich anders. Es ging nicht um "Proletarier" oder Sozialismus, sondern um die Frage von Patriotismus eines Deutschen im Ausland. Deswegen ergab sich auch kein Konflikt von Marx zum englischen Proletaritat in dieser Situation. Wenngleich Marx sicherlich kein "Bock" hatte, sich mit Stammtischstrategen - egal ob bürgerlicher oder proletarischer Provenience - zu unterhalten oder zu streiten.

Und in diesem Sinne hatte Marx natürlich eine hohe intellektuelle Distanz zu allen Personen, die aus der Arbeiterschaft kamen. Das entsprach aber natürlich auch einem damaligen bürgerlichen Verhaltensstil.

Relativ weit unten im Text unter "Patriotism and its consequences" gibt Wilhelm Liebknecht eine durchaus "lustige" Schilderung des leicht pubertären Verhalten angetrunkener linker Exil-Intellektueller.

Wilhelm Liebknecht: Biographical memoirs of Karl Marx 1896

und hier die gekürzte und offensichtlich verfälschte Version:
https://www.reddit.com/r/history/comments/69if78/when_karl_marxs_london_pub_crawl_ended_with_being/

Wobei man noch zusätzlich ergänzen muss, dass die Pubs in Tottenham Court Road wichtige Orte waren, an denen - private - "Konferenzen" abgehalten wurden, wie der am 25.07.1871, der im Kontext der "International Working Men`s Association" abgehalten wurde (allerdings "illegal", weil "geheim") (vgl. Stedman-Jones: Karl Marx, Kap11)

International Workingmen's Association - Wikipedia

Dennoch macht es deutlich wie integriert die Londoner Pub-Scene in die politische Meinungsbildung der Sozialisten war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sehe da ein wenig das Problem der deutschen Terminologie Stammtisch, die vom politischen Dreikönigstreffen überlagert wird und insbesondere von christsozialen Bierzeltereignissen. Ursprünglich war der Stammtisch das Instrument der Meinungs- und Willensbildung, im Spanischen ist der Stammtisch - dort tertulia genannt - geradezu Inbegriff des intelektuellen Zirkels. Wenn wir uns die politischen Parteien von der Französischen Revolution 1789 bis 1849 ansehen, dann werden die häufig nicht nach ihrer Richtung benannt, sondern nach den Lokalitäten, wo sie sich trafen. Wirtshaus und Stammtisch sind die Orte der Meinungs- und Willensbildung in der bürgerlichen Gesellschaft. Das Problem ist eher das Absinken des Niveaus analog zur Menge des dabei konsumierten Alkohols, was unser heutiges Bild vom Stammtisch prägt.

Völlig falsch wäre es zu denken, wie man es von dogmatischen Kommunisten kennt, dass die Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Milieu gleich auch das Klassenbewusstsein ("Das Sein bestimmt das Bewusstsein") leiten würde. Das Problem der Dogmatiker ist, dass sie nicht begreifen, dass auch so ein "Proletarier" (die es ja seit den 1960er Jahren zumindest hierzulande quasi nicht mehr gibt) konservativ sein kann und keineswegs ein Automatismus existiert, der aus einem ausgebeuteten Arbeiter einen überzeugten Sozialisten/Kommunisten macht.

Ein Karl Marx, der womöglich gegenüber englischen Arbeitern, die in London in ihr Ale-Glas schauten, predigte, sie sollten zur Revolution schreiten, könnte dementsprechend durchaus auf Ablehnung gestoßen sein.
 
Ein Karl Marx, der womöglich gegenüber englischen Arbeitern, die in London in ihr Ale-Glas schauten, predigte, sie sollten zur Revolution schreiten, könnte dementsprechend durchaus auf Ablehnung gestoßen sein.

Das Anekdote ist inhaltlich eindeutig mit dem Schwerpunkt "Patriotismus" belegt. Welchen Sinn sollte es machen, im weiteren im Konjunktiv sich Marx vorstellen zu wollen und eine "Revolution" zu predigen. Ein "Event", das man nicht machen kann, sondern dass sich durch die Entwicklung der Produktivkräfte selber realisiert. Und damit einer Vorstellung folgen, die Marx als erster abgelehnt hätte.

Ein theoretisches und praktisches Problem, dass vor allem Lenin beschäftigt hatte, weil er "eine Revolution gemacht hatte" und damit die theoretischen Voraussetzungen außen vor gelassen hatte, die durch Marx definiert worden sind. Und das beispielsweise Stalin den "Genossen" aus China predigte und ihnen mit dieser Argumentation eine temporäre Kooperation mit der Kuomintang empfahl im Zuge der von "ECCI" propagierten "Weltrevolution".

Ansonsten ist es gerade auch auf die Situation der SPD und den Bildungseinrichtungen der "Parallelgesellschaft" im Kaiserreich schwer nachvollziehbar, wieso gerade theoretisch gebildete "Genossen" ein Problem mit Arbeitern hätten haben sollen . Es gab einen hohen Schulungsbedarf und eine hohe Affinität der Arbeiterschaft, sich zu bilden. Das betraf auch die politische Bildung (vgl. z.B. F. Lassalle: Arbeiterlesebuch und andere Studientexte).

Unabhängig davon wird man sich dieses eher im Sinne eines "Trickle down-Effekts" vorstellen können. Und Marx hat die Spitzen der Partei "instruiert" wie Liebknecht oder Bebel. Und ist sicherlich nicht für Agitation oder "Schulungsarbeiten" an der Basis aktiv gewesen. Das haben andere später übernommen, u.a. sehr aktiv und sehr überzeugt im Rahmen der Bildungseinrichtungen durch Rosa Luxemburg und anderen.
 
Man könnte das auf die Philosophie übertragen:

Was Laien denken was Philosophie sei.
(Nämlich zielloses "theoretisches" Rumgelaber)
Was Philosophie wirklich ist. (Eine geradezu mathematisch anmutende, logische Form, Denkgebäude zu errichten)

Ich sag ja nichts gegen die theoretischen Philosophie, auch dort ist der Erkenntnisgewinn zum Verständnis der Welt ja verwertbar und nie zweckfrei, aber ich will auch ein wenig (selektive) Erkenntniskritik betreiben, und erlaube mir also böse Vergleiche, weil ja auch das Verglichene im Bereich der praktischen Philosophie landet. Und ja, das selektiv sein meinerseits ist mir als Problem bewusst, ich mache es aber trotzdem ;)

Auch wollte ich Marx nicht vorwerfen dass er schlampig gearbeitet hat, noch dass ein oder zwei Begegnungen allgemeine Aussagen erlauben, es hat mich lediglich interessiert ob so etwas stattgefunden hat.

Habe ich das korrekt verstanden, oder zuviel darüber geredet? :D
Lediglich zu wenig nachgedacht :p
 
Zitat: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern."

Marx und sein Werk sind nicht ohne Engels denkbar. Deshalb ist die Behauptung, sie hätten nicht gewusst, wovon sie redeten und schrieben, abwegig.
Friedrich Engels – Wikipedia
 
Zitat: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern."

Vielen Dank für den Hinweis. Das ist im Kern das Verständnis des historischen Materialismus. Damit wird der Anspruch formuliert, im Interesse einer "aufstrebenden Klasse" eine aktuelle Situation "wissenschaftlich" zu erklären und die Entwicklungsperspektive aufzuzeigen.

Damit sind zum einen die parteinehmende Position benannt, im Interesse des Proletariats und zum anderen der Anspruch formuliert, praktische Philosophie zu betreiben, die sich von Hegel etc. absetzt.
 
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