Konfession, Antisemitismus und NS

Moin

Man darf auch nicht übersehen, das die Rechts-und Besitzverhältnisse der Bauern im Reich je nach Region recht unterschiedlich waren.

Oh ja, da gibt es je nach Zeit und Region ganz erhebliche Unterschiede, ja selbst innerhalb des gleichen Territoriums konnten sich die Verhältnisse massiv voneinander unterscheiden. Im Königreich Preußen im 18. Jahrhundert zum Beispiel hätte die Lage der Bauern in Ostfriesland und Oberschlesien kaum unterschiedlicher ausfallen können.
 
Zudem unterscheiden sich ja auch Anerbengebiete stark von den Regionen mit Realteilung. Diese Situation hatte natürlich erhebliche Auswirkungen auf das regionale Sozial-und Wirtschaftsgefüge und begünstigte hier eindeutig die Anerbengebiete in ihrer Machtposition gegenüber der "Obrigkeit".
 
Friedrich II. von Preußen schrieb, dass deren Lage in Oberschlesien, außer auf Krondomänen, fast der von Sklaven gleichkam.
Wobei das eine Übertreibung sein dürfte, die nicht zuletzt auch auf die Selbstdarstellung Friedrichs und seiner Maßnahme die Leibeigenschaft auf den Krondomänen abzuschaffen, abgezielt haben mag.
Frei nach dem Motto: "tu gutes und sprich darüber".
Diese Maßnahme gehörte ja unbestritten zu seinen zivilisatorischen Leistungen.
 
Sicher war das übertrieben, und Friedrich und sein Vater waren ja auch nicht ganz unbeteiligt daran, dass die Verhältnisse so waren, wie sie waren. Die Preußenkönige haben die zuweilen noch sehr renitenten Junker in den Staatsdienst genommen, haben sich ein sehr leistungsbereites und loyales Beamten- und Offizierskorps gewonnen, ihnen die attraktivsten Stellen reserviert.

Im Gegenzug aber haben die Preußenkönige den Junkern auch großen Spielraum gelassen, und den haben diese durchaus auch auf Kosten der Bürger und Bauern ausgenutzt.

Übertrieben und pointiert war das sicher, aber völlig überzogen und unrealistisch war Friedrichs Beschreibung auch wieder nicht, der Preußenkönig kannte seine Provinzen und Untertanen doch recht gut, und er hat ja auch zuweilen recht offen eigene Fehler zugegeben.
 
Im Gegenzug aber haben die Preußenkönige den Junkern auch großen Spielraum gelassen, und den haben diese durchaus auch auf Kosten der Bürger und Bauern ausgenutzt.
Mir ging es auch nicht darum die Lage der bäuerlichen Bevölkerung außerhalb der Krondomänen zu idealisieren, mehr darum, dass es Impliziert den Bauern auf den Krondomänen selbst wäre es um Längen besser gegangen.
Natürlich war der Abbau von Frohndiensten und Feudallasten einerseits eine zivilisatorische Leistung, die sicherlich zum Teil auch diesen Anspruch hatte (zum Teil aber auch einfach dadurch begründet gewesen sein mag, dass Zwangsarbeit auf Grund der geringen Motivation der Leibeigenen einfach ineffizient war, und man es sich effizienter wünschte) und andererseits ging es natürlich auch mit dem Abbau aus dem Feudalsystem reultierender Sicherungen der Domänenbauern einher.

Damit blieb mindestens die materielle Lage der Bauern weiterhin durchaus bedrückend, bzw. die wirtschaftliche und soziale Situation (z.B. Chancen erfolgreich vor Gericht zu streiten) konnten sich demgegenüber eher vermindern.

Btw. hast du eine Vorstellung davon, (mir fehlt die nämlich), wie ausgedehnt der Landbesitz der Krone in Oberschlesien eigentlich war?
Es interessiert mich einfach deswegen, weil es in Oberschlesien ja mehr der preußische Staat und die adligen Magnatengeschlechter waren, die in Kooperation die Industrialisierung dort anstießen, nicht, wie anderswo das Bürgertum.
Da würde mich durchaus interessieren, ob Schlesiens Bodenschätze einfach in weiten Teilen auf Boden lagen, der zur Krondomäne gehörte und der preußische Staat möglicherweise deswegen ein Interesse daran hatte dort industrielle Unternehmungen direkt mit aufzubauen oder nicht.

Direkte staatliche Förderung beim Aufbau einer Industrie war sonst ja eher die Ausnahme, mindestens in West- und Zentraleuropa (auch wenn es im Bereich des Bergbaus natürlich auch immer "fiskalische Gruben" gab), die sich so etwa bei der Industrialisierung des Ruhrgebiets nicht in dem Maße findet, wie in Schlesien.

Das wäre dann, aber, glaube ich auch endgültig ein Thema für einen neuen Faden. Bestünde da deinerseits Interesse daran?
 
Wobei das, wie man hinzufügen sollte natürlich auch eher vereinzelte Fälle waren und es da auch erhebliche Widerstände dagegen gab und dass auch in eine Zeit fällt, in der die Bedeutung des Adels und seine Abgrenzung zu anderen Schichten bereits abzunehmen beginnen.
Soweit ich weiß waren Juden in Österreich bis 1848 von Ritterorden ausgeschlossen, im Historischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft habe ich einen Aufsatz gelesen von einem Jan Zupanic, der archivalische Belege dafür fand, dass in der Zeit von 1789 bis 1918 in den Österreichischen Erblanden und Böhmen und in der Donaumonarchie es immerhin 260 Nobilitierungen an 233 Personen jüdischen Glaubens gab, von denen einige mehrere Titel verliehen bekamen.

Es waren dann doch einige Juden die tatsächlich nobilitiert wurde. In der Jewish Encyclopedie ist ein Artikel von H. Guttenstein und Joseph Jacobs über Nobilitierungen von Juden in Europa. Die haben dazu Burkes Peerage, den Giotha und andere Adelsregister durchdporstet und doch eine erstaunliche Menge namentlich belegt.




https://www.jewishencyclopedia.articles/4428-coat-of-arms


Die Wappen auf der angehängten Datei sind die Wappen der Familien von Nr. 1. Sassoon Nr. 2. Hirsch Nr. 3. Montefiori Nr. 4. Lopes -Suasso- Da Fronscca, Nr. 5 Rothschild Nr. 6 Pimentel, Nr. 7 Teixera, Nr. 8 Da Costa Nr. 9 Salvator
 

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Es waren dann doch einige Juden die tatsächlich nobilitiert wurde. In der Jewish Encyclopedie ist ein Artikel von H. Guttenstein und Joseph Jacobs über Nobilitierungen von Juden in Europa. Die haben dazu Burkes Peerage, den Giotha und andere Adelsregister durchdporstet und doch eine erstaunliche Menge namentlich belegt.
Das ist durchaus interessant.
Wobei bei einem europaweiten Vergleich dann allerdings sicherlich auch noch mit reinspielt, dass die Definition des Adels und die soziale Durchlässigkeit, was die Möglichkeit des Aufstiegs angeht, natürlich verschieden ausgeprägt waren.
 
Das ist durchaus interessant.
Wobei bei einem europaweiten Vergleich dann allerdings sicherlich auch noch mit reinspielt, dass die Definition des Adels und die soziale Durchlässigkeit, was die Möglichkeit des Aufstiegs angeht, natürlich verschieden ausgeprägt waren.

Mich hat das Thema getriggert, als ich vor vielen Jahren Somerset Maughams Kurzgeschichte The Alien Corn gelesen habe-große Literatur! ich wusste von Rothschilds oder Montefioris, auch dass Siegried Sasoon der Weltkriegspoet aus der jüdischen Gentry stammte, ich war dann aber doch vom Umfang der Liste überrascht, auch wie viele das auch in ÖU und D waren.
 
ich habe eine Verständnisfrage allgemein:
- wie wollte jemand von außen! erkennen, welche Konfession / Glaubensrichtung u.ä jemand hat?

Der Nationalsozialismus hat ja das Judentum generell verfolgt, egal, ob einer von der Abstammung her (Ariernachweis), oder durch gelebten Glauben jüdisch war.

das mag in einem sehr kleinen Umfeld funktionieren, wo man weiß "der Huber geht jeden Sonntag in die Kirche - der Müller sitzt im Wirtshaus"

Selbst die Nationalsozialisten mussten sich Hilfsmittel ("J" im Pass, Sichtbarkeit an der Kleidung) bedienen. Die ganzen satirischen Zeichnungen (im Stürmer und in der Literatur) waren ja nur Ausdruck dafür, dass man im Allgemeinen keine! Biologischen Erkennungsmerkmale anzeigen konnte. Dadurch wurden auch viele verfolgt, wo man nur eine Vermutung hatte.
 
Das ist nicht möglich, außer es werden entsprechende Symbole getragen! Deshalb sind die NS-Rassentheorien auch völliger Humbug!
Und, um hier auf den gelöschten Beitrag eines gesperrten Threaderstellers Bezug zu nehmen, ebenso die Begrifflichkeit "Bio-Deutscher"!
 
Selbst die Nationalsozialisten mussten sich Hilfsmittel ("J" im Pass, Sichtbarkeit an der Kleidung) bedienen.
Es war ja noch viel absurder als das.

"Als Jude galt auch eine Person, die „der Rasse nach“ zwei jüdische Großeltern hatte und


  • der jüdischen Religionsgemeinschaft noch angehörte oder von ihr nach Erlass des Gesetzes aufgenommen wird;
  • mit einem Juden verheiratet war oder nach Erlass des Gesetzes einen Juden heiratet;
  • aus einer Ehe mit einem Juden stammte, die nach dem 15. September 1935 geschlossen wurde, oder
  • ein von einem Juden abstammendes außereheliches Kind war, welches nach dem 31. Juli 1936 geboren wurde."

Jetzt erkläre mir mal jemand, nach welchen Kriterien ein von einem Juden abstammendes, außereheliches Kind, dass am 31. Juli 1936 geboren wurde eine anderen "biologischen Rasse" (wenn man diese Logik mal für das Gedankenexperiment vorraussetzt) angehören konnte, als wenn das selbe Kind (mit dem identischen Lebenslauf) am 1. August 1936 geboren worden wäre?

Was ist da das Kriterium? Offensichtlich weder Religion, noch Abstammung, sondern ein willkürlich festgelegter Stichtag. Also mal abgesehen von der Frage, wie man die Abstammung eines unehelichen Kindes ohne DNA-Tests denn zweifelsfrei zu bestimmen gedachte. Das mag von der mütterlichen Seite her ja möglich gewesen sein das zuzuordnen, aber wie gedachte man den tatsächlichen Vater zu bestimmen?

Nicht dass die ganze NS-Denke nich an und für sich schon gruselig genug wäre, aber hier wird es dann völlig absurd und creepy. Und dann kommt da natürlich noch die Kategorie "Geltungsjude" oben drauf, bei der die Bestimmung, welche Personen darunter zu betrachten seien ebenfalls völlig willkürlich waren.

Die hatten nicht nur kein konsistentes Modell um Juden zu identifizieren, die hatten realiter nichtmal ein konsistentes Modell um Judentum überhaupt sauber zu definieren.
 
Das ist nicht möglich, außer es werden entsprechende Symbole getragen!
Nun , neben Namen und Verhalten gibt es noch andere spezifische Merkmale die juedische Herkunft vermuten lassen.
Deshalb sind die NS-Rassentheorien auch völliger Humbug!
So denke ich auch: völlig idiotisch.

In dem Zusammenhang faellt mir eine Konversation mit einem isr. Taxifahrer in Jerusalem ein: ich sagte ihm, dass ich keine aeusserlichen Unterschiede zwischen Arabern und Juden unterscheiden koenne, fuer mich saehen sie alle gleich aus, worauf er sofort erwiederte, er koenne einen Araber ohne Fehl schon von weitem klar erkennen. Auf meine Frage 'wie denn? meinte er nur dass das eben so sei. Am gleichen Tag wurde eine Polizistin beim Lion's Gate fatal erstochen, der Moerderer sofort 'neutralisiert'. Flaggen noch am gleichen und den naechsten Tagen auf Halbmast, Jerusalem Post lange Berichte. Ich suchte in westlichen Medien ewas ueber diesen Vorfall: nirgends etwas zu sehen. There you go.....
 
Mich hat das Thema getriggert, als ich vor vielen Jahren Somerset Maughams Kurzgeschichte The Alien Corn gelesen habe-große Literatur! ich wusste von Rothschilds oder Montefioris, auch dass Siegried Sasoon der Weltkriegspoet aus der jüdischen Gentry stammte, ich war dann aber doch vom Umfang der Liste überrascht, auch wie viele das auch in ÖU und D waren.
Nicht zu vergessen den grossen Sir Benjamin Disraeli (1804–1891), dieser britische Premierminister, wurde einmal im Unterhaus beleidigt, weil er Jude war. Er antwortete: "Während Ihre Vorfahren sich blau bemalten, beteten meine Vorfahren einen einzigen Gott an.“ (Die Pikten, frühe Bewohner Schottlands, bemalten sich aus irgendeinem seltsamen Grund tatsächlich blau.)
 
Nicht zu vergessen den grossen Sir Benjamin Disraeli (1804–1891), dieser britische Premierminister
Der ist in der Tat eine höchst interessante Personalie, weil er es nicht bloß mehrfach zum Premierminister brachte, sondern weil er es auch schaffte von den Tories als Anführer akzeptiert zu werden.
Man würde ja meinen, dass der logische Weg einer Person mit jüdischem Hintergrund (er selber war ja anglikanisch getauft) in das Amt des Premierministers im 19. Jahrhundert über den Weg der "Wighs"/Liberalen als politischer Basis geführt haben würde, weil man da weniger Ressentiments vermuten würde, aber im Fall von Disraeli, war es ja tatsächlich so, dass das sonst eher mit antisemitischen Ansichten assoziierte konservative Lager, die politische Basis stellte.

Ich bin vor einiger Zeit mal über eine Doppelbiografie über Disraeli und Gladstone gestolpert, habe aber bisher nicht die Zeit gefunden, das zu lesen. Sollte ich vielleicht demnächst nachholen, dürfte sicherlich interessant werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hast Du da bitte einen Titel?
Moment, ich hab das etwas falsch ausgedrückt, scheint sich mehr oder weniger um eine doppelte politische Biographie und die Darstellung der Rivalität der beiden zu handeln.

Trägt den Titel: "The Lion and the Unicorn, Gladstone vs. Disraeli" von Richard Aldous.
Ist allerdings wohl kein neues Werk, sondern hat bereits 20 Jahre auf dem Buckel (2006).

Klingt für mich allerdings trotzdem interessant und steht bei mir relativ weit oben auf der Liste abzuarbeitender Literatur.
 
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