heinz schrieb:
Lieber Fingalo,
alles passiert zum ersten Mal. Der Dichter bringt auch Island, Etzel/Atila,Dietrich von Bern/Theoderich und Hildiko/Krimhild in einer Geschichte zusammen. Oder war es das Erinnungsvermögen des Volkes, was sich wahllos Personen der Geschichte, die haften geblieben sind, heraussucht und sie zu einer Story zusammenfaßt.
Ich denke mal, dass der Dichter eine bestimmte reale Geschichte im Sinn hatte. Dann suchte er ähnliche Figuren im Traditionsschatz und verwendete diese. Er kann sogar die Aspekte mehrerer Figuren auf eine einzige projizieren und sie sozusagen "verschmelzen". Es kommt auf die Aussageabsicht an.
Gerade heute, wo das Persönlichkeitsrecht hoch im Kurs steht, kann ich eine Korruptionsgeschichte nicht mit Realnahmen und Realinstitutionen beschreiben. Dann habe ich gleich x Unterlassungsklagen am Hals. Also verwende ich andere Namen. Dabei liegt es doch nahe, z.B. statt des gemeinten Mineralölkonzerns einen Automibilkonzern zu nehmen, und den Personen Namen zu geben, die beim Leser Assotiationen über seinen Charakter oder sein Geschick o.ä. wachrufen, den Rechtsaußen-Intriganten Adolf Jago zu nennen.
Der Satz: "Ähnlichkeit mit lebenden Personen sind rein zufällig" muss ja glaubhaft sein, ohne dass die Geschichte selbst an Authentizität verliert.
Mächtige Personen am kaiserlichen Hof zu kritisieren, war damals nicht ungefährlich. Jedenfalls ist mir keine Dichtung aus diesen Jahrhunderten bekannt, die offen Kritik am Herrscher oder den Mitgliedern des Hofes geübt hätte.
An eine vorangegangene mündliche Erzähltradition des Nibelungenliedes, die der Dichter lediglich redigiert hätte, glaube ich nicht. Hinter einem solch monumentalen Werk steht für mich sicher eine aktuelle Erzählabsicht und nicht die heute durchaus mögliche Ambition, Sagen dem Vergessen zu entreißen, wie die Gebr. Grimm. Solche Intention ist die Frucht der Romantik. Gerade der Historiker Althoff legt größten Wert auf die
causa scribendi bei der Deutung mittelalterlicher Texte, Viten und Translationsberichte und kommt zu durchaus spannenden Einsichten.
Fingalo