Noch heute wird das Stehenbleiben der Uhr als wichtiger Indiz für den Zeitpunkt eines Ereignisses genommen. Natürlich hängt von der Uhr ab, wann das Wasser eindringt.
Wenn denn das Eindringen von Wasser der Grund für das Stehenbleiben war. Das liegt nahe, ist aber nicht die einzige denkbare Erklärung.
Die Eile, mit der Prinz Luitpold die Regentschaft übernahm, macht auch verdächtigt.
Eigentlich nicht.
Die Staatsgeschäfte mussten einmal weitergeführt werden und das ließ keine längere Vakanz bei der Regentschaft zu.
Das war ja nicht mehr das Spätmittelalter oder die FNZ, in denen sich Prozesse, wenn überhaupt in der Gewindigkeit berittener Boten abspielten, sondern dass ist der Anbruch der industriellen Moderne, in der sich alles rapide beschleunigte und das Königtum war noch relativ eng mit dem politischen Tagesbetrieb verzahnt.
Da mindestes Zweifel am Geisteszustand des Königs ja bereits vorher im Raume standen, wird man auch zuvor die Option einer Regentschaft durch einen anderen Witelsbacher als möglicherweise notwendig in Betracht gezogen und entsprechende Vorbereitungen getroffen haben.
Und weil Ludwig beim Volk beliebt war und auch noch Freunde hatte, die zu ihm hielten, war die Sache mit der Entmündigung noch nicht ausgestanden – er könnte z.B. ein Gegengutachten veranlassen. Um das zu verhindern, wurde ihm ja Doktor Gudden als Aufpasser beigegeben. Aber auf Dauer würde sich das wahrscheinlich nicht verhindern lassen. Also müsste er schnell beseitigt werden. Und den Mörder oder Mitwisser gleich mit.
Moment, moment, moment.
Jetzt gehen zwei Dinge durcheinander, nämlich die Zurechnungsfähigkeit Ludwigs (Entmündigung) und seine Fähigkeit die Regierungsgeschäfte zu führen.
Ludwig für geisteskrank erklären und entmündigen zu lassen, bedeutete natürlich auch gleichsam ihn als Regenten aus dem Verkehr zu ziehen, aber selbst wenn es ihm gelungen wäre die Entmündigung erfolreich anzufechten, wäre damit nicht automatisch verbunden gewesen, dass er danach eine reale machtpolitische Rolle hätte spielen können.
Ich hatte weiter oben auf das Beispiel Ferdinand I. von Österreich verwiesen.
Der Mann war unter heutigen Gesichtspunkten wohl nicht geisteskrank, sondern einfach nur entscheidungssschwach und galt bereits zu Lebzeiten Franz I. (der sich allerdings dagegen sträubte Ferdinand von der Thronfolge auszuschließen), als ungeeignet um die Regierungsgeschäfte wahrzunehmen.
Der Modus vivendi, den man in Wien nach dem Ableben Franz I. fand, bestand darin den als "geistesschwach" geltenden Ferdinand offiziell als Kaiser von Österreich anzuerkennen, ihn auch zeremonielle Handlungen durchführen zu lassen und ihm wohl auch in Fragen der Familienpolitik noch ein gewisses Mitspracherecht zu belassen, ihn aber asonsten aus den Regierungsgeschäften weitgehend heraus zu drängen und aus Funktionsträgern des Hofes und Mitgliedern der Familie so etwas wie einen halboffiziellen Regentschaftsrat zu bilden, so dass der größte Teil der relevanten Entscheidungen de facto ohne Ferdinand getroffen wurde.
Dieser Zustand wurde bis zur Revolution von 1848 beibehalten, bis Ferdinand als Monarch (obwohl beim Volk wohl durchaus auch nicht unbeliebt) als endgültig untragbar empfunden und im Nachgang durch den erst 18-Jährigen Franz-Joseph ersetzt wurde, der dann die Regentschaft wieder persönlich übernahm.
Ferdinand behielt allerdings seinen Titel als Kaiser, entsprechende finanzielle Versorgung etc. und das fuktionierte bis zu Ferdinands Tod auch durchaus.
Ähnlich hätte das auch bei Ludwig II. laufen können.
Wenn die entprechenden Hofkreise und die führenden Parlamentarier sich über Ludwigs Nichteignung zum Regenten prinzipiell einig waren, hätten sie das vergleichbar handhaben und interne Abreden darüber treffen können ihm unter Wahrung seiner Königswürde einen "Prinzregenten" aus dem Haus Wittelsbach aufs Auge zu drücken oder einen informellen Regentschaftsrat zu bilden und Entscheidungen des Königs einzuhegen oder nötigenfalls de facto dadurchh zu kassieren ihre Ausführung einfach zu verhindern.
Dafür hätte man Ludwig II. nicht umbringen müssen.
Die Großen- und Kraftunterschiede zwischen König und Gudden kann man mit Medikamenten nivellieren oder gar ins Gegenteil verkehren. Da der Autopsiebericht verschwunden ist, kann man jetzt nicht mehr nachlesen, ob Ludwig zum Zeitpunkt des Todes unter Drogeneinfluss stand. Und die Wittelsbacher wollen das Grab Ludwigs nicht öffnen lassen, um das ev. zu klären.
Wenn wir Betäubungsmittel in Betracht ziehen, dann sollte auch in Betracht gezogen werden, dass Ludwig möglicherweise auch in (dadurch bedingtem) unzurechnungsfähigem Zustand ins Wasser gegangen sein und Gudden einfach versucht haben könnte ihn aufzuhalten.
Es ist eh verdächtig, dass genau der Mediziner, der den König für verrückt miterklärte, auf ihn aufpassen sollte. Warum nicht ein anderer? Weil der möglichweise gesehen hätte, dass der König gar nicht verrückt ist?
Das ist nicht mehr so verdächtig, wenn man weiß, dass sich Gudden zuvor bereits um die (wohl realen) psychischen Probleme von Ludwigs II. Bruder Otto gekümmert hatte.
Wahrscheinlich hatte er sich damit das Vertrauen der Familie Wittelsbach erarbeitet und wurde neben seinem Ruf auch deswegen hinzugezogen.
Schon wegen des drohenden Gegengutachtens hatte auch Gudden selbst ein Motiv, König zu beseitigen, denn solange dieser lebte, war seine Reputation als Mediziner in Gefahr.
Wenn man bedenkt ein wie unsicheres Feld die Diagnose und Behandlung psychischer Gebrechen damals war, würde ihn ein simples Gegengutachten kaum die Reputation gekostet haben.
Und 20 Millionen Mark waren damals so viel wert wie heute 1 Milliarde Euro, d.h. die Staatsfinanzen waren schon gefährdet, das belegen Briefe und Notizen der verschiedenen bayrischen Finanzmister.
Die Staatsfinanzen waren waren durch die Bautätigkeit des Wittelsbachers nicht ernsthaft in Gefahr.
Das durch die Stagnation der Wirtschaft im Kaiserreich nach dem Gründerkrach von 1873 in den 1870er und 1880er Jahren die bayerischen Staatsfinanzen nicht rosig aussahen, das verwundert nicht, aber da war die Hofhaltung sicherlich kein entscheidender Faktor, der die ins Wanken brachte, was du schon an dem Kreditvolumen siehst, über das du schreibst.
20 Millionen waren kein Betrag, der in irgendeinem Verhältnis zu den bayerischen Staatsfinanzen und den Kapazität des Bayerischen Staates Kredite aufzunehmen als ganzes stand und wenn man sich über die Finanzen des Wittelsbacher Königshauses unterhält, wird man dabei auch sehen müssen, dass sich ohnehin nur ein Teil davon (und damit auch nur ein Teil des Schlösserbau-Budgets) aus der Zivilliste zusammensetzte, andere Teile stammten aus dem Hausvermögen, erheblichem Landbesitz der Dynastie und dessen verschiedenartige Nutzung (bzw. den Gewinnen daraus) und anderen Posten.
(Im Übrigen wäre die Bewilligung des Privatdarlehens der Nachweis, dass Ludwig II. durchaus als zahlungsfähig galt, auch ohne Aufstockung der Zivilliste oder gesonderte staatliche Zuschüsse)
Indes erscheint einsichtig, dass die Regierung, die ohnedies, wegen der allgemeinen Stagnation der wirtschaftlichen Lage in einer nicht einfachen Situation war, dem König nicht noch unnötige finannzielle Posten zur Verfügung stellen wollte.
Das dürfte aber weniger mit der Sorge zu tun gehabt haben, dass der Schlösserbau Bayern in den finanziellen Riun getrieben haben würde, als mit dem moralischen Schaden für die Regierung und auch die Monarchie, der entstanden wäre, wäre publik geworden, dass die Regierung ausgerechnet in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in der die Stimmung bei der Bevölkerung ohnehin nicht besonders gut gewesen sein dürfte noch (und möglicherweise abseits der Zivilliste), außerordentliche Gelder für des Monarchen Protzbauten beschaffte, sei es auf dem Weg der Besteuerung oder der Erhöhung der Staatsschuld.
Aber das war sicherlich kein Grund dafür in Ludwig II. den Untergang Bayerns zu sehen und ihn dafür umbringen zu wollen.
Wahrscheinlich würden spätere Regierungen unter dem Vorzeichen der wirtschaftlichen Erhohlung und des Booms ab den 1890er Jahren kein Problem damit gehabt haben entsprechende Mittel zu bewilligen.