Würdet ihr "marxistisch" per se als negativ konnotiert sehen? Die Auswüchse, welche sich in totalitären Regimen daraus ergeben haben, sind m.E. definitiv negativ zu bewerten (Stalinismus, Rote Khmer etc), der ursprüngliche Begriff aber doch nicht unbedingt, oder?
Ich würde selbst hier schon hinterfragen wollen, inwiefern man die genannten Auswüchse tatsächlich noch mit Marx in Verbindung bringen kann.
Bei Lenin und mit der frühen Sowjetunion und den damit verbundenen Problemen, ist das sicherlich der Fall. Stalin halte ich in dieser Hinsicht bereits für streit- aber definitiv noch verhandelbar, bei allem was danach kam halte ich eine derartig direkte Verbindung für zu schwach um sie für den gesamtgesellschaftlichen Zustand verantwortlich zu machen.
In der Hinsicht müsste man zunächst mal hinterfragen, welche Akteure und Player innerhalb der genannten Regimes überhaupt so weit fundierte Marx-Kenntnisse hatten, die es theoretisch erlaubten, daraus eine Ideologie oder politische Programmatik zu machen. Das war bei den Alt-Bolschewiki und im geringeren Maße bei Stalin (wenn man ihn davon etwas separieren will) der Fall, bei Mao, Pol-Pot und Konsorten kaum.
Als exemplarischen Vertreter dieser Gruppe, kann man vielleicht auch den nachmaligen "Hô Chí Minh" nennen, der im Rahmen des Parteitags der SFIO bzw. der sich auf diesem vollziehenden Abspaltung des PCF anno 1920 in Tours freimütig einräumte von den theoretischen Grundlagen des Marxismus kein Wort zu verstehen, dafür aber gegen den französischen Imperialismus, im Besonderen in Indochina zu sein.
Insofern würde ich nicht einmal das Gedankenkonstrukt der "Nachfolger" in dieser Form übernehmen wollen, sondern da wäre mMn erstmal zu diskutieren, wer sinnvoller Weise als ein solcher, geistiger Nachfolger gelten kann und wer sich den Marxismus als laible verpasste, vorrangig um von der Sowjetunion Hilfe dabei zu bekommen, sich eine ungeliebte Kolonialmacht vom Hals zu schaffen oder sich einfach ein Totschlagargument für soziale Reformen radikaler Art nach eigenem Gusto zuzulegen.
Was nun den Marxismus für sich genommen angeht:
Um die Forenregeln hier nicht in Grund und Boden zu treten und tagespolitisch zu werden, hilft zur Klärung der Frage vielleicht ein Rekurs auf die Weimarer Republik.
Das Spektrum als, zu dieser Zeit als "marxistisch" ensprechbarer Parteien (wenn das im Bezug auf die SPD durch den Bernstein-Flügel zunehmend in Frage gestellt wurde, mindestens in seinen radikalen Auffassungen) SPD, USPD, KPD, holte bei den Reichstagswahlen bis zum Ende der Republik stehts zwischen 30 und 40% der Wählerstimmen
Das schafften die benannten Parteien sogar noch bei den repressierten Wahlen nach dem Reichstagsbrand 1933.
Reichstagswahlen in Deutschland – Wikipedia
Von dem her, kann man mindestens in der historischen Betrachtung vor dem 12-Jährigen Reich und der Problematik des aklten Krieges ganz sicher nicht von einer per se negativen Konnotation sprechen.
Geht man die Zeit danach an, ist es ein wenig komplex, weil sich dann verschiedentliche Fragen ergeben, welche da lauten:
- Wenn im Rahmen des Systemwettstreits im Westen Marx zunehmend negativ angesprochen wurde, war dann eine fundierte Kritik der theoretischen Argumentation Marxens damit gemeint oder ging es lediglich darum die (vermeintlichen) legitimierenden Grundlagen, eines von den Ostblock-Regimes in Teilen sehr kreativ interpretierten (um es vorsichtig auszudrücken) Marxismus zu untergraben?
- Als was betrachtet man den Marxismus eigentlich? Als eine quasireligiöse politische Orthodoxie, zu der es im Osten in Teilen stilisiert wurde, als eine, im weiteren Sinne sozialwissenschaftliche Theorie oder etwas ganz anderes?
- Bezieht man sich ausschließlich auf das Gesamtkonstrukt oder auf Teilaspekte, wie die materialistische Geschichtsauffassung, die marx'sche Arbeitswertlehre oder etwas ganz anderes?
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Wenn man das einmal aufdröselt, würde ich dazu folgendes Sagen:
Den Marxismus, jedenfalls einen orthodoxen Marxismus im Rahmen einer politischen Marschroute, würde ich für überwiegend negativ konnotiert halten, weil dessen Protégieren gegenüber diversen maßgeblichen Veränderungen der letzten 150 Jahre einfach keine sinnvolle Grundlage mehr hat.
Das heute in dieser Form noch anbringen zu wollen, wäre ein Ausdruck von Unvernunft. Inwiefern überdachte und überarbeitete Versionen noch als "marxistisch" angesehen und für inhaltlich akzeptabel angesehen werden oder nicht hängt von der politischen Einstellung des Rezipienten ab.
Was den Marxismus im Bezug auf Geschichts- und Sozialwissenschaft angeht, wird man, wenn man einigermaßen in der Materie ist, kaum umhinkommen anzuerkennen, dass darin zwar einige mittlerweile erwiesene Irrtümer stecken und das in Reinform nicht zu halten ist, definitiv aber sehr wichtige Arbeitsimpulse geliefert hat somit als eine wichtige und keinesfalls rein negative/destruktive Entwicklung anzusehen ist.
Insofer würde ich resümieren:
- Historisch gesehen, ist das auch außerhalb der Ost-Regimes definitiv nicht der Fall.
- Was die heutige Zeit angeht, stellt sich die Frage, was man noch für "marxistisch" halten will und ob man es im Kontext der Politik oder primär anderer Themenfelder betrachtet.
Der Begriff ist bei Personen ausschließlich negativ konnotiert, die ihn entweder unreflektiert als Kampfbegriff aus dem kalten Krieg übernommen haben oder aber in ihrer Politischen Auffassung irgendwo zwischen rechtsliberal und rechtsextrem zu verorten sind und das als eine rein politische Begrifflichkeit auffassen.
Wer auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht, Marxismus von "Marxismus-Leninismus"/Stalinismus etc. unterscheiden kann und/oder das nicht als eine rein politische Kategorie auffasstl, wird das sicher nicht als negativ behaftet betrachten.
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Abschließend noch, in dem Versuch hier nicht allzu politisch zu werden:
"Menschenfeindliche und marxistisch veranlagte Polemiker."
Derlei ist natürlich blanker Unsinn. Wie sollte eine "marxistische Veranlagung" denn aussehen, bzw. sich äußern. Oder platter gefragt, wie lautet eigendlich die Basensequenz des Marx-Gens?
Adenin-Thymin Adenin-Thymin Cytosin-Lenin oder was?
Und hat dann demgemäß der Marxismus das Erbgut bestimmter Menschen beeinflusst, was bedeuten würde, dass es sich dabei gar nicht um eine politische Richtung, sondern ein biologisches Ereignis im Rahmen einer Mutation handelte?
Wie kann man es dann, wenn man das konsequent ernstnimmt zu einem Teil des politischen Diskurses machen?
Wer im Hinblick auf Marxismus welcher Art auch immer von "Marxismus" spricht, gibt damit eigentlich schon sehr klar zu verstehen, keine Ahnung zu haben, wovon er redet, dafür vermittelt er aber einen Eindruck davon, wo er politisch steht.
Derlei Ansichten sind allerdings wohl kaum mehrheitlich zustimmungsfähig.
Frohes Fest