Auch von mir als ausgesprochenem Skeptiker, was den Wert der Überlieferung im den Einzelheiten (zeitlicher Abstand zwischen der Schlacht und Tacitus Überlieferung) angeht:
Du kannst nicht auf der einen Seite Tacitus als Quellengrundlage voraussetzen, auf der anderen Seite aber willkürlich sein Inhalte verdrehen.
Alles was an Überlieferung hinsichtlich der Schlacht auf uns gekommen ist, ist von dem Geschehen selbst räumlich und zeitlich sicherlich so weit entfernt, dass an Details der Überlieferung sicherlich grundsätzliche Zweifel erlaubt sind, auch wird man einige Einlassungen mit Recht als eher wenig glaubwürdig/unwahrscheinlich betrachten können (Umweltbedingungen, die exklusiv die Römer behindert haben sollen, etc.), aber zum einen sollte man Zweifel denn auch konkret begründen können, zum anderen wären selbst begründet Zweifel allein kein Grund etwas definitiv auszuschließen und stattdessen eine eigene Kreation zu erfinden, die durch nichts gestützt ist.
Insofern Tacitus erst rund 50 Jahre nach der Schlacht geboren wird, ist es eher unwahrscheinlich, dass er noch Gelegenheit hatte mit Veteranen der Schlacht selbst zu sprechen. Wenn wir voraussetzen, dass Schlachtteilnehmer sicherlich ein Alter von um die 20 Jahre +/- ein paar Jahre hatten, dann waren die bei Tacitus Geburt an die 70 Jahre alt.
Personen, die ggf. mit Germanicus das Schlachtfeld besucht haben werden auch die 60 Jahre zu diesem Zeitpunkt übeerschritten gehabt haben.
Bis Tacitus in einem Alter war, dass er sich mit diesen Leuten einigermaßen systematisch darüber unterhalten konnte, wenn ihn das interessierte, wären die Überlebenden dieser Ereignisse wahrscheinlich 80-90 Jahre alt gewesen.
Unwahrscheinlich, dass Tacitus diese noch befragen konnte, aber nicht gänzlich unmöglich.
Man wird bei Tacitus allerdings voraussetzen können, dass er den Großteil der seiner Überlieferung aus zweiter oder dritter Hand hat, sei das von Personen, die villeicht 15-20 Jahre älter waren als er, sei es aus Berichten oder fragmentarischen Darstellungen, die vor ihm da gewesen uns aber nicht erhalten sind.
Insofern wird man annehmen dürfen, dass Tacitus nicht die stringeente Erzählung eines Veterans übernahm und ggf. ausschmückte, sondern dass ihm verschiedene, möglicherweise sich widersprechende Versionen und Fragmente vorlagen, die er in eine Gesamterzählung integriert hat und wenn dem so sein sollte, wird er bei bei verschiedenen Details das übernommen haben, was ihm möglicherweise besser passend erschien.
Von dem her, wird man auf Grund von Tacitus sicherlich hinterfragen können, wie genau das nun mit den Einzelnen Lagern war, dann allerdings sollte man es begründen können, wenn man behaupten wollte, die taciteische Überlieferung könne so nicht richtig sein.
Von der Textlogik her hat
@El Quijote recht, handelt es sich um eine Gegenüberstellung zweier Lager und auch vom übrigen Kontext her erscheint das einleuchtend.
Eine Übereinstimmung beider Lager würde voraussetzen, dass sich Varus mit seinen Truppen Tagelang nicht von der Stelle bewegte.
Das entspricht weder der überlieferten Schilderung der Schlacht noch erscheint es einleuchtend, dass die Römer freiwillig ohne große Vorräte in der Todesfalle sitzen blieben und nicht wenigstens versuchten auszubrechen.
Sofern man voraussetzt, dass die Römer in Bewegung blieben, was sowohl der Überlieferung, als auch der militärischen Logik entspricht, müssen dass zwei verschiedene Lager gewesen sein.
Ob das so den Tatsachen entspricht und es den Römern tatsächlich noch gelang ein rudimentäres Notlager aufzuschlagen, sei dahingestellt, aber jedenfalls werden sie nicht einfach an Ort und Stelle stehen geblieben sein und das früher errichtete Lager erneut bezogen haben.
Das hat nichts mit Dogmatismus zu tun, da hast du einfach - entschuldige bitte - nicht zu Ende gedacht.
Also selbst wenn sich ein Standpunkt seit dem 19. Jahrhundert nicht verändert hätte, wäre das kein Nachweis dafür, dass er unplausibel wäre.
Zur Entwicklung der Forschungsgeschichte hat ELQ ja schon ein Bisschen was gesagt.
Insgesamt ergibt es keinen Sinn, die vorhandenen archäologischen Funde bei Kalkriese zu ignorieren.
Sie sind umfangreich genug um von einer Aktion mehrerer Legionen stammen zu können, in Sachen metallurgischer Fingerabdruck der Legionen scheint bisher jedenfalls nichts dagegen zu sprechen, die Datierung der Münzfunde wiederspricht den ebenfalls nicht.
Das sind, wie man zugeben muss ganz gute Argumente, die zwar kein letztgültiger Beweis sind, aber für Kalkriese sprechen.
Was spricht für die Umgebung von Detmold, Corvey o.ä.?
Vergleichbare archäologische Funde gibt es da bis dato nicht und bitte nicht damit ankommen, dass etwaige Funde in Corvey durch ein Gewerbegebiet überbaut worden sein können.
Wenn wir die antiken Autoren und die Schilderung einer über 4 Tage dauernden auf x Km Wegstrecke ausgetragenen Schlacht ernst nehmen, müssten sich auch abseits dieses Areals in größerer Menge Hinterlassenschaften finden.
Das scheint aber nicht der Fall zu sein.
Was du bislang tust, ist deine eigene Interpretation der antiken Texte als einziges Argument gelten zu lassen und zu versuchen die realen Funde zu ignorieren oder weg zu diskutieren.
Was du dabei völlig übersiehst, ist eben der Umstand, wie unsicher diese Quellen insgesamt schon auf Grund des zeitlichen Abstands ihrer Entstehung zur Schlacht sind.
Schon auf Grund des Abstands und des Umstands, dass die Beschreibungen zum Großteil sicherlich nicht aus erster Hand sind, wird man die vorhandenen Texte nicht für eine präzise Lokalisierung verwenden können und schon deswegen ergibt es meines Erachtens wenig Sinn, sich über Interpretationen der Landschaftsbeschreibung zu ereifern.
Was nutzt es sich dazu zu versteigen, welche landschaftliche Auffälligkeit Tacitus oder Cassius Dio hier oder dort gemeint haben könnten, wenn wir nicht einmal sicher davon ausgehen können, dass die selbst den exakten Ort der Schlacht kannten, anstatt sich an Hand von Beschreibungen aus zweiter und dritter Hand zusammen zu reimen, wo das so ungefähr +/- 100 oder 150 Km in jede Richtung gewesen sein müsste?
An Hand der Interpretation einer Interpretation auf die ersterer Zugrunde liegenden Umstände zu schließen ist gewagt.
Archäologische Funde, die zur Schlacht passen können sind demgegenüber ziemlich handfest und die sprechen jedenfalls eher für Kalkriese als für alles, was in Richtung Detmold/Corvey geht.