Re-Gallisierung?

WandaS

Mitglied
Hallo zusammen,

Kennt jemand das Wappen des Reiches von Soissons? Hatte es überhaupt ein eigenes Wappen und eigene Münzprägung?

Bin vor einiger Zeit auf ein Bild des Wappens gestossen: es hatte ein Wildschwein drauf!
Soissons Wappen.PNG

Habe dann lange! nach einer Bestätigung gesucht, ohne Erfolg.

In der Bildlegende steht: "Rekonstruktion des Wappens von Soissons (auch des Syagrius genannt)".
Rekonstruktion wohl aufgrund einer (zeitgenössischen) Beschreibung irgendwo?

Kann mir gut vorstellen, dass auf dem Wappen ein Wildschwein abgebildet war. Das Reich von Soissons wird ja fast durchwegs als "die letzte römische Bastion gegen die Barbaren" dargestellt. Ich dagegen glaube, sein Gründer Aegidius hat sich im Gegenteil von Rom losgesagt, als Libius Severus Kaiser wurde.

Ich denke, es gab in jener Zeit im nördlichen Gallien direkt eine Art "keltische Renaissance", mit Umbezeichnung von römischen Städtenamen in keltische usw., und das würde gut zum Wildschwein-Wappen passen.

Gregor von Tours berichtet, dass Aegidius sogar acht Jahre lang "rex" der Franken war. Jedenfalls war er ja lange im Büdnis mit den salischen Franken. Aber das Wildschwein war doch ein typisch keltisches/gallisches Symbol, kein fränkisches soviel ich weiss?

Wie gesagt habe ich lange, auch nach Münzen, gesucht … Weiss jemand näher Bescheid?
 
Im heutigen Wappen von Soissons findet sich kein Wildschwein, stattdessen die weiße Lillie auf blauen Grund. Möglicherweise gab es eine Legion mit dem Wildschwein als Legionssymbol, die damals in der Region stationiert war.

Die Legio I Italica – Wikipedia hatte das Wildschwein als Symbol, war aber in der Spätantike in Moesia (heutiges Bulgarien) stationiert.

Das eingestellte Wappen kommt wohl von dieser Seite: Regno di Soissons

Aber eine Quelle für das Wappen findet sich dort nicht. Ich werde auch nicht so richtig schlau, was das für eine Seite sein soll. Ist dieses Orbis ein Fantasyspiel oder ähnliches? Mir scheint, dieses Wappen wurde womöglich vom Ersteller dieser Seite eigens erstellt ohne historische Vorlage.
 
Die Legionen hatten zwar hin und wieder Tiere auf ihren Standarten (z.B. Wildschwein, Stier), Wappen gab es aber vor dem 11. Jhdt. eigentlich nicht.

Dass die Galloromanen mit dem Zusammenbruch der röm. Herrschaft zum Keltischen zurückgekehrt wären, sehe ich jetzt auch nicht. Aremorica würde von aus Britannien einwandernden Briten keltisiert, daher der Name Bretagne und der Begriff Bretonisch. Der Rest blieb "lateinisch".

Das heutige Wappen von Soissons dürfte auf die Bourbonenherrschaft zurückgehen.
 
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Das eingestellte Wappen kommt wohl von dieser Seite: Regno di Soissons

Aber eine Quelle für das Wappen findet sich dort nicht. Ich werde auch nicht so richtig schlau, was das für eine Seite sein soll. Ist dieses Orbis ein Fantasyspiel oder ähnliches? Mir scheint, dieses Wappen wurde womöglich vom Ersteller dieser Seite eigens erstellt ohne historische Vorlage.
Ja, das ist ein Fantasyspiel.
Es spielt in einer Alternativwelt, in der das Weströmische Reich anno 476 nicht untergegangen ist.

Ja, es ist von dieser Seite, habe vergessen, den Link anzugeben. Muss gestehen, dass ich nicht mal wusste, dass es ein Fantasyspiel zu einer Alternativwelt ist, hatte mir nur diese Seite angesehen und sie schien mir seriös. Hatte vor Monaten sogar per E-Mail nach der Quelle für das Bild nachgefragt, aber nie eine Antwort erhalten. Womöglich also wirklich von Ersteller der Seite ohne historische Vorlage erstellt?
Gut, jetzt weiss ich wenigstens, dass auf diese Seite kein Verlass sein kann ... schade, das Wappen mit Wildschwein hätte mir gefallen :)

Dass die Galloromanen mit dem Zusammenbruch der röm. Herrschaft zum Keltischen zurückgekehrt wären, sehe ich jetzt auch nicht. Aremorica würde von aus Britannien einwandernden Briten keltisiert, daher der Name Bretagne und der Begriff Bretonisch. Der Rest blieb "lateinisch".
Welche Städte sollen denn in dieser Zeit ihre Namen geändert haben?
Werde die Namen von geänderten Städtenamen bald noch nachliefern, danke vorab!
 
Ja, es ist von dieser Seite, habe vergessen, den Link anzugeben. Muss gestehen, dass ich nicht mal wusste, dass es ein Fantasyspiel zu einer Alternativwelt ist, hatte mir nur diese Seite angesehen und sie schien mir seriös. Hatte vor Monaten sogar per E-Mail nach der Quelle für das Bild nachgefragt, aber nie eine Antwort erhalten. Womöglich also wirklich von Ersteller der Seite ohne historische Vorlage erstellt?
Gut, jetzt weiss ich wenigstens, dass auf diese Seite kein Verlass sein kann ... schade, das Wappen mit Wildschwein hätte mir gefallen :)



Werde die Namen von geänderten Städtenamen bald noch nachliefern, danke vorab!
Teilweise hatten römische Städte ja mehr als einen Namensbestandteil. Da kann es mal passieren, dass ein Namensbestandteil im Alltagssprachgebrauch verwendet wird und die anderen wegfallen. Oder auch der Stadtname ganz ausgetauscht wird.
Nehmen wir Köln: Colonia Agrippina (das ist schon die Kurzfassung). Erhalten hat sich hier nicht der eigentliche Name, sondern der verwaltungsrechtliche Status: Colonia > Köln
Bei Lutetia, das um es von anderen Lutetias nach seinen Gründern (Parisiorum) zu unterscheiden, blieb das Adjektiv/Gentlizium indirekt erhalten: Paris. die Colonia Patricia Corduba hingegen erhielt ihren vorrömischen Namen und ist heute Córdoba. Oder um in Gallien zu bleiben die Colonia Nemausus Nîmes
 
Zuletzt bearbeitet:
Welche Städte sollen denn in dieser Zeit ihre Namen geändert haben?

Da gibt es eine ganze Reihe von Städten in Gallien, die in der Spätantike ihre Namen geändert haben:

Divodurum Mediomatricorum benannt nach dem Stamm der Mediomatricer wurde auf den Stammesnamen reduziert und verkürzt zur heutigen Form Metz. Das Lutetia im Gebiet des Stamm der Pariser wurde dann zur Paris. Das Durocortorum im Gebiet des Stammes der Remer wurde dann zu Reims. Das Caesarodunum im Gebiet der Turonen wurde zu Tours. Alles ohne Gewähr auf Vollständigkeit. Gemeinsamkeit ist, dass der Stammesname dann zum Namen der Stadt wurde.

Es gibt aber auch Städte, die ihren Namen behalten haben (die sich allerdings im Laufe der Jahrhunderte abgewandelt haben).
 
Zuletzt bearbeitet:
Das Reich von Soissons wird ja fast durchwegs als "die letzte römische Bastion gegen die Barbaren" dargestellt. Ich dagegen glaube, sein Gründer Aegidius hat sich im Gegenteil von Rom losgesagt, als Libius Severus Kaiser wurde.
Wohl nicht.
Er stellte sich lediglich gegen den faktischen weströmischen Machthaber Ricimer. Aber als Sezession war das wohl nicht gedacht.

"Letzte römische Bastion gegen die Barbaren" trifft es allerdings auch nicht so recht. Immerhin bestanden die römischen Truppen selbst längst zu einem Gutteil aus "Barbaren", und "Barbaren" bekleideten längst hohe Ämter. Aegidius versuchte allerdings die römische (Ober-)Herrschaft in Gallien aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen, also die Territorien der Foederaten zumindet unter römischer Oberhoheit zu halten bzw. wieder zu bringen und deren Macht und Ausdehnung einzuschränken.
 
Syagrius soll nichts anderes als Wildschwein bedeuten.

Ebenso könne der Name von Soissons mit Wildschweinen zu tun haben. Herleitung von sus (Wildschwein) und axona (Aisne) in
Bulletin archéologique, historique et scientifique der Société historique et scientifique de Soissons, 1891, Anmerkung 1

Keine Ahnung, ob da etwas dran ist, aber demnach wäre eine Wildschein als Symbol nicht allzu weit hergeholt, auch wenn es wohl kaum Verwendung gefunden hat.
Die früher dort ansässigen Suessionen benutzten, wie Gallier in anderen Gegenden auch, ab und zu Wildscheine (und Pferde) auf ihren Münzen.
 
Habe leider nur auf Französisch etwas zu den Städtenamen gefunden - ich gebe es gleich auf Deutsch übersetzt wieder:

Im 4. und 5. Jahrhundert erfolgt eine wichtige Neuerung: die Städtenamen verblassen, und es wird lediglich der Name des (keltischen) Stammes weitergeführt, das die Gegend besiedelte.
aus: Darioritum — Wikipédia

Gemäss einem in Gallien nach dem 4. Jahrhundert geläufigen Vorgehen, erhält die Stadt den Namen des gallischen Stammes, deren "Civitas" sie ist. Im Falle von Tours sind dies die "Turonen", was sich zu Tours entwickelt.
aus: Histoire de Tours — Wikipédia

Hier noch auf Englisch:
"Like two-thirds of the cities in northern Gaul, it gradually replaced its Latin name with that of its people, abandoning Caesarodunum for Civitas Turonorum."
aus: Gallo-Roman enclosure of Tours - Wikipedia

Dass die Galloromanen mit dem Zusammenbruch der röm. Herrschaft zum Keltischen zurückgekehrt wären, sehe ich jetzt auch nicht. Aremorica würde von aus Britannien einwandernden Briten keltisiert, daher der Name Bretagne und der Begriff Bretonisch. Der Rest blieb "lateinisch".
Ich meine nicht NACH dem Zusammenbruch der röm. Herrschaft, sondern als Reaktion auf diese, noch während diese bestand bzw. am zusammenbrechen war - eine Art "Befreiungsbewegung".

Als Beispiel Tours, da heisst es in Wikipedia:
"Etwa zu Beginn des 5. Jahrhunderts fand die Namensänderung der Stadt von Caesarodunum in Civitas Turonorum statt. Die Einwohner schlossen sich 435 dem aremorischen Bund an."

Civitas Turorum Libera - 02.jpg

Es wurde auch ein Steinblock gefunden mit der gemeisselten Inschrift: "CIVITAS TVRONORVM LIBERA" ("libera" = frei, befreit).
Es ist zwar überall nachzulesen, dieser Steinblock sei in der Anfang des 4. Jahrhunderts errichteten Befestigungsmauer eingearbeitet worden; die Inschrift selber stamme aus einem früheren Jahrhundert.

Aber das bezweifle ich sehr:
Erstens steht da eben "Civitas Turonorum" und nicht Caesarodunum,
und zweitens ist mir von keiner anderen freien Stadt bekannt, dass diese explizit in Inschriften so benannt wurde.

Ich persönlich glaube viel eher, dass hier die von römischer Herrschaft befreite Stadt gemeint ist, zumal sie sich ja auch dem aremorischen Bund anschloss.

"Letzte römische Bastion gegen die Barbaren" trifft es allerdings auch nicht so recht. Immerhin bestanden die römischen Truppen selbst längst zu einem Gutteil aus "Barbaren", und "Barbaren" bekleideten längst hohe Ämter.
Trotzdem wird es, bis heute, meist so dargestellt, zumindest in der Populärliteratur, oder man braucht sich nur ein Youtube-Video anzuschauen …

Trotzdem etwas Brauchbares aus einem Youtube-Video (auf Italienisch, meiner zweiten Muttersprache):

Rulilius Namatianus schreibt über eine Revolte in Aremorica im Jahre 417, …
Etwa zur selben Zeit wird im "Querus", einer gallo-röm. Komödie, ausdrücklich eine ganze Serie von Aufständen entlang der Loire erwähnt, und einem Mann wird geraten: "Gehe an die Loire, da gibt es das Gesetz nicht mehr, es herrscht da der "ius gentium" (das Gewohnheitsrecht), und das Recht wird mittels der Eichen gesprochen und indem man auf die Knochen schreibt.


Original italienisch: "Va sulla Loira, lì la legge non c'è più, vige lo "ius gentium" (ovvero la consuetudine) e la giustizia è amministrata per mezzo delle querce e scrivendo sulle ossa."
aus: YT-Link entfernt

Ich glaube, all diese Aufstände waren nicht nur Rebellionen (die es aus manchen Gründen wohl auch gegeben hat), sondern in erster Linie "Sezessionsbestrebungen".

Wohl nicht.
Er stellte sich lediglich gegen den faktischen weströmischen Machthaber Ricimer. Aber als Sezession war das wohl nicht gedacht.

Ja, so heisst es überall, werde diese Ansicht aber morgen "demontieren" : )
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Syagrius soll nichts anderes als Wildschwein bedeuten.
LOL :D - das erklärt ja so manches! Aber wer gibt denn sich selber oder seinem Kind einen solchen Namen? ausser man kennt die Etymologie nicht, oder man wolle damit etwas Bestimmtes ausdrücken.

Ebenso könne der Name von Soissons mit Wildschweinen zu tun haben. Herleitung von sus (Wildschwein) und axona (Aisne) in
Bulletin archéologique, historique et scientifique der Société historique et scientifique de Soissons, 1891, Anmerkung 1

Keine Ahnung, ob da etwas dran ist, aber demnach wäre eine Wildschein als Symbol nicht allzu weit hergeholt, auch wenn es wohl kaum Verwendung gefunden hat.
Die früher dort ansässigen Suessionen benutzten, wie Gallier in anderen Gegenden auch, ab und zu Wildscheine (und Pferde) auf ihren Münzen.
Auch das erklärt so manches. Vielen Dank!
 
Erstens steht da eben "Civitas Turonorum" und nicht Caesarodunum,
und zweitens ist mir von keiner anderen freien Stadt bekannt, dass diese explizit in Inschriften so benannt wurde.

Ich persönlich glaube viel eher, dass hier die von römischer Herrschaft befreite Stadt gemeint ist, zumal sie sich ja auch dem aremorischen Bund anschloss.

Der Ausdruck civitas hier im antiken Kontext bezieht sich auf eine regionale Verwaltungseinheit (wie bei uns Kreis oder Regierungsbezirk), deren Hauptort Caesarodunum war. Libera heißt frei. Ob das eine gängige Bezeichnung im Zusammenhang mit civitas war, ist mir nicht bekannt. (Das lateinische Wort civitas hat sich dann später zu cité im Französischen, ciudad im Spanischen und città im Italienischen entwickelt und die Bedeutung dann zu Stadt weiterentwickelt).

Aber zu dem Zeitpunkt im frühen 5. Jahrhundert war die einstige gallische Selbständigkeit von vor dem Gallischen Krieg bestenfalls eine sehr ferne Erinnerung. Die keltische Sprache war weitestgehend ausgestorben und die Kultur römisch. Usurpartoren hat es immer mal gegeben, die auch eine Zeitlang regional sich halten konnten. Am Ende des 3. Jahrhunderts bestand einige Jahre das sogenannte Gallische Sonderreich, war aber von einem lokalen Machthaber geführt und war in der Kultur und Sprache ebenso römisch.


Rulilius Namatianus schreibt über eine Revolte in Aremorica im Jahre 417, …
Etwa zur selben Zeit wird im "Querus", einer gallo-röm. Komödie, ausdrücklich eine ganze Serie von Aufständen entlang der Loire erwähnt, und einem Mann wird geraten: "Gehe an die Loire, da gibt es das Gesetz nicht mehr, es herrscht da der "ius gentium" (das Gewohnheitsrecht), und das Recht wird mittels der Eichen gesprochen und indem man auf die Knochen schreibt.

Was soll das für eine Komödie sein? Ich kann auf die Schnelle keine Komödie namens Querus finden. Gibt es eine Textstelle für Namatianus?

Ach ja, Links zu Youtube sind hier nicht erlaubt. Schreib einfach: auf youtube mit dem Titel Chi erano i Bagaudi? zu finden. Dann sollte jeder das Video finden können. Hilft mir nicht so viel weiter, weil ich kein Italienisch kann.

 
Da gibt es eine ganze Reihe von Städten in Gallien, die in der Spätantike ihre Namen geändert haben:

Divodurum Mediomatricorum benannt nach dem Stamm der Mediomatricer wurde auf den Stammesnamen reduziert und verkürzt zur heutigen Form Metz. Das Lutetia im Gebiet des Stamm der Pariser wurde dann zur Paris. Das Durocortorum im Gebiet des Stammes der Remer wurde dann zu Reims. Das Caesarodunum im Gebiet der Turonen wurde zu Tours. Es gibt aber auch Städte, die ihren Namen behalten haben (der hat sich allerdings im Laufe der Jahrhunderte abgewandelt).

Abgesehen von Caesarodunum sind das alles Beispiele, wo der alte keltische Siedlungsname aufgegeben wurde, also eigentlich eher das Gegenteil von "keltischer Renaissance".

Vermutlich wurden jeweils längere Zeit beide Bezeichnungen gebraucht; Lutetia wird schon bei Caesar Lutetia Parisiorum genannt:
 
Abgesehen von Caesarodunum sind das alles Beispiele, wo der alte keltische Siedlungsname aufgegeben wurde, also eigentlich eher das Gegenteil von "keltischer Renaissance".

Vermutlich wurden jeweils längere Zeit beide Bezeichnungen gebraucht; Lutetia wird schon bei Caesar Lutetia Parisiorum genannt:

Bei den Beispielen ist Caesarodunum doch der einzige, in dem der alte keltische Name aufgegeben wurde, auch wenn die Endung -dunum keltisch ist. Divodurum (Metz) und Durocortorum (Reims) sind doch bestimmt keltische Namen.

Ich vermute, dass die vorgenannten Städte jeweils die Hauptorte ihrer civitas waren, die nach dem jeweiligen Keltenstamm benannt wurden. In der Spätantike dürfte dann der Name der civitas den eigentlichen Stadtnamen ersetzt haben.

Ein weiteres Beispiel wäre noch Troyes (Champagne), das als Augustobona der Hauptort der civitas Tricassium war. Das Augusto ist lateinisch, während die Endung -bona wieder keltisch ist. Und auch hier hat der Stamm der Tricassii den späteren Stadtnamen gebildet. Zur Evolution des Stadtnamens s. Troyes — Wikipédia (da kann man schön die Entwicklung sehen)
 
Ich glaube, all diese Aufstände waren nicht nur Rebellionen (die es aus manchen Gründen wohl auch gegeben hat), sondern in erster Linie "Sezessionsbestrebungen".
Nein.

In der Spätantike war Gallien längst romanisiert. Vom alten Keltentum und den alten gallischen Stämmen waren bloß noch Erinnerungen übrig. Die einstigen Kelten waren Romanen, römische Bürger, und sprachen Latein. Zumindest die Oberschicht war klassisch römisch-griechisch (insbesondere Rhetorik) gebildet (und stolz darauf!), saß im römischen Senat und bekleidete hohe Ämter. Diese Romanisierung überdauerte den Zusammenbruch des Reiches. Vor allem die Region südlich der Loire war auch unter fränkischer Herrschaft noch jahrhundertelang eindeutig romanisch geprägt.

Davon unterscheiden muss man eine zunehmende Unzufriedenheit mit der römischen Staatsmacht.
Zum einen verschlechterte sich die soziale Lage (Steuern, Bindung der Kolonen an ihre Scholle bzw. ihren Grundherren), was zu sozialen Aufstandsbewegungen (Bagauden) führte.
Zum anderen fühlte man sich in Gallien zunehmend von der Zentrale vernachlässigt, insbesondere zu wenig gegen die Germanen beschützt. Oft wurde das dadurch abgemildert, dass in Gallien und Britannien ein eigener Kaiser oder zumindest ein „Caesar“ regierte, aber es gab auch Zeiten (insbesondere unter Kaiser Honorius), in denen der Kaiser in Rom oder Mailand saß und sich eher um die Bekämpfung von Usurpatoren als um den Schutz der Grenzen kümmerte. Das begünstigte regionale Usurpationen (ebenfalls insbesondere unter Honorius, als in Gallien und Britannien die Gegenkaiser wie die Schwammerln aus dem Boden schossen) von Männern, meist Militärs, denen man eher zutraute, sich vor Ort um die anstehenden Probleme zu kümmern (wenngleich die Usurpatoren dann auch eher damit beschäftigt waren, den „legitimen“ Kaiser zu bekämpfen). Diese Usurpatoren wollten sich aber auch nicht vom Reich abspalten, sondern nach Möglichkeit die Macht im Reich übernehmen. Es förderte aber auch ein gewisses „Selbsthilfe“-Denken: Wenn sich der Kaiser nicht um die Sicherheit, um Recht und Ordnung kümmerte, dann nahm man die Sache eben selbst in die Hand. (Im Fall Britanniens forderte Kaiser Honorius die Briten sogar selbst auf, selbst für sich zu sorgen.)

Das waren aber keine „Befreiungsbewegungen“ oder „Sezessionen“ vom Reich. Infragegestellt wurden durch diese Aktivitäten nur der (oder ein) Kaiser sowie die regionale Vertretung der Staatsmacht, nicht die Zugehörigkeit zum Reich an sich. Im Gegenteil, noch im 6. Jhdt. unter fränkischer Herrschaft wurde in Gallien der Kaiser (in Konstantinopel) als formaler Oberherr betrachtet.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es gibt aber auch Städte, die ihren Namen behalten haben (die sich allerdings im Laufe der Jahrhunderte abgewandelt haben).

Mir scheint es auch ein Nord-Süd-Gefälle gegeben zu haben. Im Norden Galliens haben wohl häufiger Städte ihren Namen gewechselt als im Süden. Einige Beispiele habe ich oben aufgeführt, die sich alle im Norden befinden. Im Süden fällt mir spontan keine einzige Römerstadt ein, die ihren Namen gewechsel hat.

Mir fallen noch zwei Ausnahmen im Norden ein, die ihren Namen nicht verändert haben. Das ist zum einen Autun, das sich aus dem lateinischen Augustodunum entwickelt hat. Autun ist die Nachfolgesiedlung des keltischen Oppidums Bibrate, das sich auf einem Hügel gelegen etwa 25 km entfernt lag. Augustodunum ist nach Kaiser Augustus benannt und hat die keltische Endung -dunum. Im Thread zu Dokumentarfilmen habe ich vor einigen Tagen zu zwei sehenswerten Dokus darüber einen Link eingestellt: TV-Tipps - Dokumentarfilme zu historischen Themen Augustodunum war übrigens auch der Hauptort der Civitas der Häduer. Die andere Ausnahme ist Rouen, das sich vom latinisierten keltischen Namen Rotomagus herleitet, ebenfalls ein Hauptort einer Civitas (der Veliocasses).

Ob jetzt die eine oder andere Variante (Namensänderung nach dem alten Stammesnamen vs. Beibehaltung des Ortsnamens) im Norden überwiegt, vermag ich nicht einzuschätzen.
 
Zu den Städtenamen: ja, es ist häufig nicht so eindeutig, danke auch für all die Beispiele. Nur, warum wird dann an mehreren Orten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das eine im 4. und 5. Jh. im nördlichen Gallien geläufige Praxis war?

Mir scheint es auch ein Nord-Süd-Gefälle gegeben zu haben. Im Norden Galliens haben wohl häufiger Städte ihren Namen gewechselt als im Süden.
Ja, dieses Gefälle gab's wohl. Im Süden war die Lage denke ich anders.

Oder dieses …
"Gehe an die Loire, da gibt es das Gesetz nicht mehr, …, und das Recht wird mittels der Eichen gesprochen und indem man auf die Knochen schreibt."
Tönt auch nach gallischen/keltischen Bräuchen …

Und "libera" heisst "frei", ja, kann aber auch die Bedeutung von "T. endlich frei" oder "T. ist jetzt frei" haben, dann hätte es zusätzlich noch die Bedeutung von "befreit".

Sind alles nur Vermutungen meinerseits, und "keltische Renaissance" ist vielleicht ein etwas unglücklicher Begriff, ich meine eher eben Sezessionsbestrebungen, die von einer Rückbesinnung auf vorrömische Zeiten begleitet waren.

Auch dass Gallien längst nicht mehr keltisch war, ist mir klar, und 400-500 Jahre sind eine lange Zeit - trotzdem werden keltische Bräuche nicht völlig in Vergessenheit geraten sein, besonders in Gegenden, wo die röm. Präsenz nicht so allgegenwärtig war. Habe dazu etwas gefunden, aber selber noch nicht gelesen: "Neue Herren, alte Sitten. Das Fortleben keltischer Traditionen in römischer Zeit" (Neue Herren, alte Sitten. Das Fortleben keltischer Traditionen in römischer Zeit ).
Scheint interessant …

Was soll das für eine Komödie sein? Ich kann auf die Schnelle keine Komödie namens Querus finden. Gibt es eine Textstelle für Namatianus?
Sie heisst "Querolus", tschuldigung, hatte den Abschnitt aus meinen Notizen zum Video übernommen, und der Autor sagt da ganz eindeutig "Querus" (11:05).
(aus dem Youtube-Video "Chi erano i Bagaudi?" von Evropantiqva)

Querolus (The Complainer) or Aulularia (The Pot) is an anonymous Latin comedy from late antiquity, […]
Date and place of composition are uncertain. Mention of lawlessness ad Ligerem ("by the Loire") suggests a Gallic origin and perhaps an early fifth-century date, if it refers to a Bagaudae uprising. The work is addressed and dedicated to a certain Rutilius (perhaps Rutilius Namatianus), a "vir illustris" of higher social standing than the author.

aus: Querolus - Wikipedia

Es gibt sie noch auf Deutsch: "Griesgram oder die Geschichte vom Topf. Querolus sive Aulularia" [Lateinisch und deutsch von Willi Emrich] Griesgram oder die Geschichte vom Topf. Querolus sive Aulularia. [Lateinisch und deutsch von Willi Emrich]. (= Schriften und Quellen der alten Welt, Band 17). von Anonym und Willi Emrich (Übers.):: Gut (1965) | Antiquariat Kretzer

Diese Usurpatoren wollten sich aber auch nicht vom Reich abspalten, sondern nach Möglichkeit die Macht im Reich übernehmen. Es förderte aber auch ein gewisses „Selbsthilfe“-Denken: Wenn sich der Kaiser nicht um die Sicherheit, um Recht und Ordnung kümmerte, dann nahm man die Sache eben selbst in die Hand. (Im Fall Britanniens forderte Kaiser Honorius die Briten sogar selbst auf, selbst für sich zu sorgen.)
Ich denke, es gab beides.

Über Magnus Maximus und Britannien z.B. heisst es:

… his practical course was to transfer local authority to local rulers. Welsh legend supports that this happened, with stories such as "Breuddwyd Macsen Wledig" (English: "The Dream of Emperor Maximus"), where he not only marries a wondrous British woman (thus making British descendants probable), but also gives her father sovereignty over Britain (thus formally transferring authority from Rome back to the Britons themselves).
aus: Magnus Maximus - Wikipedia

Kann ja auch sein, dass er Gallien und weitere Teile des Imperiums für sich wollte, und in Britannien Kleinkönige unter seiner Oberhoheit … weiss da zu wenig Bescheid.

Dass Honorius die Briten aufforderte, für sich selbst zu sorgen, scheint ein weitverbreitetes Missverständnis zu sein; heute nimmt man an, dass der Brief wahrscheinlich an die italienische Stadt "Bruttium" gerichtet war, die sich von Alarich bedroht sah. Einzig Zosimus berichtet darüber, und auf Griechisch heisst Britannien "Brettania" und Bruttium "Brettia".
Hier z.B. Was Honorius’ Letter Really Sent to Britain?

Vielen Dank vorab - werde heute nicht mehr dazu kommen, reinzuschauen, morgen wieder.
 
Habe leider nur auf Französisch etwas zu den Städtenamen gefunden - ich gebe es gleich auf Deutsch übersetzt wieder:

Im 4. und 5. Jahrhundert erfolgt eine wichtige Neuerung: die Städtenamen verblassen, und es wird lediglich der Name des (keltischen) Stammes weitergeführt, das die Gegend besiedelte.
aus: Darioritum — Wikipédia
Ja, das ist der Fall, wie ich ihn für Lutetia > Paris beschrieben habe. Oder eben dein Bsp. Tours.
Das hat aber nichts mit einer Rekeltisierung zu tun, sondern ist eine normale Vereinfachung des Namens, die der Alltagssprache gerecht wird, wohingegen uns in den Schriftquellen oft der offizielle Name entgegen tritt.
Z.B. gab es eine sächsische Siedlung in Westfalen, die hieß Mimigernafort (Siedlung der Leute des Mimigern an einer Furt des Flusses Aa), dort baute Liudger ein Kloster (Monasterium), das hieß dann Monasterium Mimigernafort. Hier fiel mit der Zeit der ursprüngliche sächsische Name weg und das lateinische Monasterium (umgebildet zu Münster) blieb erhalten. Das ist derselbe Prozess, nur einige Jahrhunderte später.

Als Beispiel Tours, da heisst es in Wikipedia:
"Etwa zu Beginn des 5. Jahrhunderts fand die Namensänderung der Stadt von Caesarodunum in Civitas Turonorum statt. Die Einwohner schlossen sich 435 dem aremorischen Bund an."

Anhang anzeigen 24242
Es wurde auch ein Steinblock gefunden mit der gemeisselten Inschrift: "CIVITAS TVRONORVM LIBERA" ("libera" = frei, befreit).
Es ist zwar überall nachzulesen, dieser Steinblock sei in der Anfang des 4. Jahrhunderts errichteten Befestigungsmauer eingearbeitet worden; die Inschrift selber stamme aus einem früheren Jahrhundert.

Aber das bezweifle ich sehr:
Erstens steht da eben "Civitas Turonorum" und nicht Caesarodunum,
und zweitens ist mir von keiner anderen freien Stadt bekannt, dass diese explizit in Inschriften so benannt wurde.

Ich persönlich glaube viel eher, dass hier die von römischer Herrschaft befreite Stadt gemeint ist, zumal sie sich ja auch dem aremorischen Bund anschloss.
Civitates liberae gab es häufiger. Das war ein Rechtsstatus.

Dass Gebietseinheiten bzw. ihre Einwohnerschaft als civitas ... libera bezeichnet wurden, findest du ab und zu mal, eben weil es ein Rechtsstatus war.
Hier mal ein römischer Meilenstein:

Imp(eratori) Caes(ari) C(aio) Iul(io) V/ero Max(i)mino Pi/o Felic(i) Aug(usto) Germa/nico max(imo) Sarmatic/o max(imo) Dacico ma/x(imo) pont(ifici) max(imo) tri/b(unicia) pot(estate) III co(n)s(uli) pro/co(n)s(uli) p(atri) p(atriae) Optimo M/aximoque pri/nc(ipi) n(ostro) civit(as) Seg(usiavorum) libera / l(eugas) IIII​
Also.
Dem Kaiser Maximinus Thrax (offizieller Name Gaius Iulius Verus Maximinus, es folgen allerlei Ehrenbezeugungen) dem Frommen, Glücklichen Augustus, größter Germanen-, Sarmaten- und Dakerbesieger, Oberster Priester und zum dritten Mal Inhaber der Tribunitia Potestas (= 236 oder 237 n. Chr.) - Konsul, Prokonsul, Vater des Vaterlandes, unserem besten und größten Fürsten - die freie Stadt der Segusiaver - drei Meilen​

Die Stadt hieß offiziell Forum Segusiavorum, das sich zu Feurs entwickelte: Forum > Feur - ob das S von Segusiavorum rührt, sei mal dahingestellt, dazu müsste man die Zwischenformen kennen. 950 ist die Stadt als Forum belegt (was aber sicher eine retardierend und etymologisch bewusste Schreibweise war, keine, welche den damaligen Sprachstand spiegelt), 1227 als Feurs.

Also eine Bezeichnung als Civitas ... Libera ist kein politisches, sondern ein juristisches Statement.

Was nun den Namenwechsel von Caesarodunum zu Civitas Turonorum anbelangt, so hat @Carolus schon den richtigen Hinweis gegeben: die Civitas Turonorum war die Gebietskörperschaft (also Bevölkerung und Territorium) deren Hauptort Caesarodunum war.

Die Bagauden waren weder eine "nationale" noch eine schichtübergreifende Bewegung, die Bagaudenaufstände waren - nach dem wenigen, was wir über sie wissen - Aufstände vor allem von Kleinbauern.
 
Zu den Städtenamen: ja, es ist häufig nicht so eindeutig, danke auch für all die Beispiele. Nur, warum wird dann an mehreren Orten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das eine im 4. und 5. Jh. im nördlichen Gallien geläufige Praxis war?
Es war nicht geläufige Praxis, dass die Leute sich hinsetzten und überlegten "hm, Caesarodunum gefällt uns nicht mehr, wie benennen wir die Stadt um?" "Ach, Keule, lass uns sie doch Civitas Turonorum nennen - das ist viel gallischer als Caesarodunum" (nur nebenbei -dunum ist das keltische Wort für 'Festung', natürlich in seiner latinisierten Form, keltisch mag es -dunon oder so gelautet haben, das weiß ich nicht, im Inselkeltischen ist es noch als Dun erhalten, Dun Aenghus, Dunedin > Edinburgh...)
Nein vielmehr sprachen die Leute sowieso schon von Caesarodunum vielleicht als (caput) Turonorum. Und das war das,w as sich eben weiterentwickelte.
Sprachentwicklung vollzieht sich zwischen den beiden Polen Sprachfaulheit und Notwendigkeit zur Präzision.


Oder dieses …
"Gehe an die Loire, da gibt es das Gesetz nicht mehr, …, und das Recht wird mittels der Eichen gesprochen und indem man auf die Knochen schreibt."
Tönt auch nach gallischen/keltischen Bräuchen …
Man sollte bei solchen "Archaismen" immer vorsichtig sein. Manchmal sind Archaismen nämlich jünger, als man denkt.
Es ist ja durchaus so, dass auch die Römer sich nach Orakeln richteten (etwa die Auguren, die Vogelschau betrieben). Es gibt keltische Fluchtäfelchen in Gallien und Britannien, also Tafeln, auf denen Leute verflucht wurden, über die man sich ärgerte. Das klingt also eher nach Magie und Ritual als nach Recht. Zu beachten ist hier aber auch die Quellengattung: eine Komödie.
Will sagen: Wenn du Tatort-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) beim Ermitteln in einem niedersächsischen Dorf zusiehst, wo eine in sich verschlossene, mit der LKA-Beamtin aus dem fernen Hannover nicht kooperierende Dorfgemeinschaft (keine Sekte, sondern ein normales Dorf) der ermittelnden Kommissarin Steine in den Weg legt, dann mag das eine mehr oder weniger gelungene Erzählung sein, aber sie gibt mehr ein Klischee wieder, dem Drehbuchautoren und Regie unterliegen, als die Realität niedersächsischer Dörfer im frühen 21. Jahrhundert.
Wenn also ein Komödiendichter für sein urbanes Publikum über die Hinterwäldler in Gallien schreibt, dann breitet ein Komödiendichter in erster Linie seine Klischees aus. Wie viel du davon ernst nehmen solltest, ist etwas anderes. Du würdest ja auch zurückweisen, wenn jemand die Tatortfolge Lastrumer Mischung als volkskundliche Quelle auftun wollte.
 
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