Schlieffen-Plan und Marneschlacht

admiral

Aktives Mitglied
Der Schlieffenplan

Um es vorweg zunehmen: Ich habe den sog. Schlieffenplan (die Denkschrift 1905/06) nie gelesen und ich wäre dankbar, wenn jemand einen link zum Originaltext hier posten würde.
Was ist der Schlieffenplan? Zunächst meint man damit eine als Denkschrift – heute würde man sagen Memo – oder auch Entwurf einer Denkschrift des Privatmanns und ehemaligen Chef des Großen Generalstabs Alfred von Schlieffen vom Januar 1906 (datiert auf Dezember 1905), überschrieben mit „Der Krieg gegen Frankreich“. Ein Nachtrag behandelt die Involvierung Englands. Russland wird nicht erwähnt. Es gibt eine oder mehrerer Karten als Anlage. Eingesetzt werden auf dem Papier 96 Divisionen (1905/06 hatte Deutschland 72 Divisionen), nicht ein Soldat stand an der Ostfront. Das Verhältnis rechter Flügel linker Flügel (Drehpunkt der Flügel ist Metz) betrug 7:1. Beschrieben wird ein Feldzug, in der die Masse der deutschen Armee durch Belgien und Holland nach Frankreich marschieren, um. Diese Denkschrift war bis 1931 Familieneigentum und wurde dann dem Reichsarchiv übergeben (sie war nie – wie sonst Operationspläne – im Tresor der Operationsabteilung).
Der Aufmarschplan 1908 – vielfach als Bearbeitung des Schlieffenplans bezeichnet – wurde von Moltke (unter wesentlicher Mitarbeit von Ludendorff) bearbeitet. Auch hier sehen wir einen starken rechten Flügel und einen zwar schwächeren, aber doch gegenüber der Denkschrift wesentlich verstärkten linken Flügel. Natürlich sind auch im Osten Einheiten aufgestellt. Im Westen beträgt das Verhältnis rechter Flügel linker Flügel 3:1. Diese neue Verteilung der Kräfte wird später zu Kontroversen führen. Der rechte Flügel marschiert nicht mehr durch die Niederlande (im Falle einer Blockade will man Güter durch die neutrale Niederlande importieren). Dafür muss Lüttich – es sperrt die Enge zwischen Südholland und den wegearmen Ardennen – im Handstreich genommen werden. Der linke Flügel soll nicht mehr ausschließlich die Invasion nach Süddeutschland verhindern, sondern erhält operative Aufgaben. Ludendorff hat die – heftig kritisierte - Verstärkung des linken Flügels immer verteidigt. Er argumentierte, die Franzosen haben ihre Rüstungsanstrengungen deutlich verstärkt, ein Einbruch in Lothringen sei wahrscheinlich geworden. Die Franzosen haben ihre Jahrgänge weitgehend der Armee zugeführt, die Möglichkeit einer Einschließung sei zu nutzen, eine vernichtete Angriffstruppe sei von Frankreich nur schwer zu ersetzen.
Als Schlieffenplan wird auch der konkrete Kriegsplan Deutschlands bezeichnet, über den bislang eine weitgehend einheitliche Geschichtsschreibung besteht (Schlieffen-Plan ? Wikipedia, Schlieffen Plan - Wikipedia, the free encyclopedia ).
 
Die Kriegsgeschichtsschreibung über den Westfeldzug beginnt bereits 1917 mit „Geschichte des Krieges“ des schweizerischen Militärexperten Hermann Stegemann, der frei von nach persönlichen undpolitischen Motiven gestreuten Informationen bzw. Fehlinformationen schreiben konnte. Der Begriff Schlieffenplan wird nicht erwähnt.
Nach dem verlorenen Krieg setzte eine heftige Debatte über die Ursachen ein. Einer der Wortführer war Hermann von Kuhl, während der entscheidenden Marneschlacht Anfang September 1914 Generalstabschef der 1. Armee und selbst nicht frei von heftiger Kritik war (Der deutsche Generalstab in Vorbereitung und Durchführung des Weltkrieges, 1920). Entscheidend für den verlorenen Krieg war nach Kuhl die mangelhafte Umsetzung des Schlieffenplans durch den 1916 verstorbenen Chef des Generalstabs Moltke und dem 1921 verstorbenen Kommandeur der 2. Armee Karl von Bülow (Der Marnefeldzug, 1921). Nicht durch Eigeninteressen beeinträchtigt war die Kritik des Schlieffenanhängers Wilhelm Gröner, damals (Das Testament des Grafen Schlieffen, 1929) zweiter Mann in der Regierung Brüning. Zu den Kritikern gesellte sich der Historiker und Politiker Hans Delbrück mit dem Gedanken, das deutsche Heer hätte im Osten, nicht im Westen angreifen müssen (während des Krieges hatte er die entgegengesetzte Meinung vertreten). Der Freiburger Professor für Mittlere Geschichte Gerhard Ritter (Hauptwerk Luther: Gestalt und Symbol, 1925) veröffentlichte als 68jähriger sein erstes Werk über Militärgeschichte, Der Schlieffenplan: Kritik eines Mythos, 1956. Dabei übernahm er Argumente des Kulturwissenschaftlers Georg Steinhausen, die dieser in „Die Grundfehler des Krieges“ bereits 1919 formulierte. Nach zwei verlorenen Kriegen (und der umstrittenen Wiedebewaffnung 1955) brauchten die gesellschaftlichen Eliten Deutschlands Schuldige. Das war das Militär und der Schlieffenplan war die Apothese des deutschen Militarismus, der – Politik und Recht völlig außer Acht lassend – Deutschland in den Weltkrieg gestürzt hat. In der Folgezeit wurden fast alle Aspekte des Schlieffenplans kritisch gesehen. Fachleute sahen vor allem die logistischen Probleme (in diesem Forum gibt es hierzu beachtliche Ausführungen) als ungelöst an.
 
Es war unverständlich, dass der hochgelobte und gefürchtete preußisch-deutsche Generalstab derart grobe Fehler bei der Versorgung machte. Der pensionierte amerikanische Offizier Terence Zuber schaute sich die Ungereimtheiten 2002 im Rahmen einer Promotion bei Prof. Altgeld in Würzburg nochmals an und kam zu erstaunlichen Ergebnissen. Die Denkschrift 1905/06 stehe in keinster Weise in der Tradition der Militärplanung des Kaiserreichs. Sie sei überhaupt kein Operationsplan (in der Sache, wenn auch nicht in der Intention, erstaunlich nah bei Golo Mann, der den Schlieffenplan als „ins Unmögliche ausschweifende Kriegsphantasie“ bezeichnete), sondern diene dazu, dem Reichstag Argumente für eine Wehrvorlage zu liefern. Wer den deutschen Kriegsplan verstehen wolle, muss Schlieffens Denkschrift 1898, Beselers Operationsstudie 1900, die Generalsstabsreisen West von 1902 bis 1908 und das 1905 Kriegsspiel studieren. Zuber behauptet, Schlieffen habe in seiner aktiven Zeit nie einen Angriff, sondern immer nur Gegenangriffe einstudiert. Der Kriegsplan beruhe durchaus auf Schlieffen, aber nicht auf der völlig ungeeigneten Denkschrift 1905/06.
Der rechte Flügel sollte – nach einem französischen Angriff – durchaus durch Belgien stoßen, aber nie um Paris herum, sondern Richtung Reims - Verdun hinter die französische Festungslinie (wie es auch geschehen ist http://www.geocities.com/bunker1914/1914_Erste_Kriegstage3.jpg). Der – absichtlich starke- linke Flügel sollte den erwarteten französischen Angriff in Lothringen durch überraschende (durch Eisenbahntransport auf Reichsgebiet) Gegenangriffe begegnen – aber erst wenn die Franzosen auf Reichsgebiet, also weg der eigenen Eisenbahnendpunkte und Festungen sind. Rechter und linker Flügel würden dann bei der Festungslinie zusammenstoßen. Ziel waren einzelne große Feldschlachten, die aber Frankreich noch nicht besiegen konnten (aber doch entscheidend schwächen durch Einkesselung starker, nicht ersetzbarer Kampfverbände und Zerstörung der Festungslinie). Dann würden Einheiten per Eisenbahntransport nach Ostpreußen geschickt. Tannenberg Ende August 1914 (Grundkonzept aus Generalstabsreise Ost 1894) wäre bereits geschlagen gewesen. Die Schlacht an den Masurischen Seen Anfang September 1914 (Grundkonzept aus Generalstabsreise Ost 1888), insbesondere die von vielen (insbesondere Max Hoffmann) als entscheidend angesehene Schlacht um Lodz Ende November 1914 (Grundkonzept aus Generalstabsreise Ost 1897 und 1903) hätten mit deutlich stärkeren Kräften angegangen werden können. Nun konnte man sich wieder der Westfront zuwenden, ungeschützt von der Festungslinie dürften de Truppen auf dem Plateau von Langres oder an der Loire stehen. Heftig kritisiert wurde Moltke für die Wahl seines Hauptquartiers in Luxemburg – für den so verstandenen Plan saß er allerdings goldrichtig. Was Zuber allerdings ebenfalls kritisierte, war die Führung durch Moltke – hier sah er den Grund für das Scheitern.
Zubers Thesen stoßen auf erhebliche Kritik. Bei der Schlieffenplan-Konferenz in Potsdam 2004 – wegen Zubers Thesen abgehalten – kam es – aus Zubers Sicht – zu einem Eklat, da man Zuber Materialen, die ihm versprochen wurden und nach denen er seinen Vortrag aufgebaut hatte, kurzfristig vorenthalten wurde. Dies geschah sicherlich nicht wegen seiner militärischen Ausführungen. Hier bringt er nachvollziehbare Erklärungen zu Punkten, die bislang nicht befriedigend erklärt werden konnten. Ins historische Bild passt auf gar keinen Fall, dass Deutschland mit Gegenangriffen kontern wollte. Denn dann müsste jemand anderes angegriffen haben, nämlich Russland und Frankreich. Das würd das Bild des 1. Weltkriegs grundlegend verändern.
 
Ich würde die Tatsache, dass es 40 Jahre gebraucht hat, bis die erste fundierte Kritik des Schlieffenplans erschien, ähnlich wie Haffner genau andersherum deuten, also gerade als Bestätigung des deutschen Militarismus. Vorher war der Schlieffenplan sakrosant, was die militärischen Halbgötter Preußens planen, kann einfach nur gut sein, wer wollte es wagen, an dem Meistern Kritik zu üben?
Schließlich führte der Schlieffenplan in die totale Pleite/Niederlage, eine kritische Untersuchung des Plans hätte also normalerweise schon in den 20er Jahren statffinden müssen. Nach der Riesenpleite Nr.2 unter dem größten Feldhernn aller Zeiten war das deutsche Militär endgültig entzaubert, jedenfalls was die Qualität seiner Pläne anbelangt und damit auch der Schlieffenplan hinterfragbar.
 
Das läßt sich schwer mit den Fakten vereinbaren. Staatstragende Parteien in Weimar (SPD, DDP, Staatspartei, Zentrum/BVP) hatten bis zum 5. Reichstag 1928 immer etwa 50 % der Stimmen (Nationalversammlung 1919 76,2%, 1. Reichstag 1920 47,7 %, 2. Reichstag 1924 43,6 %, 3. Rechstag 1924 49,8 %, 4. Reichstag 1928 49,8 %). Da gab es doch eine beachtliche Zahl von Personen, die man nicht unbeingt dem zurechnen würde, was gemeinhin als Militarismus (ein unscharfer Begriff) bezeichnet wird. Kinoerfolge wie Westfront 1918 (Westfront 1918 ? Wikipedia) zeigten, dass es durchaus Gegenbewegungen zum einer als Militarismus bezeichneten Haltung gab.

Aber wie bereits gesagt, Ritters Buch scheint nur ein Neuaufguß von Steinhausens „Die Grundfehler des Krieges“ aus 1919 zu sein.
 
Aber wissenschaftliche Werke werden in der Regel nicht von Parlamentariern sondern von Wissenschaftlern geschrieben und die standen in der Weimarer Republik eher rechts - liest man jedenfalls gewöhnlich. Steinhauser hat laut wiki auch das Pamphlet „Die Schuld der Heimat“ geschrieben in dem er die Dolchstoßlegende propagiert. Also auch eher kein SPD-Wähler. Er war eben mit seinem Buch die Ausnahme welche die Regel bestätigt. ;)
 
Eine Resonanz auf die neuere Schlieffenplandiskussion ist die von silesia gepostete Buchbesprechung von C. Th. Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung. Zubers Thesen sind provokant und Müller meint, in seiner kurzen Rezession „auf die Schnelle“ Kritik an diesen Thesen zu üben. Allerdings eigenen sich das Thema dafür überhaupt und die kurzen Anmerkungen sind zumindest missverständlich.

Die „persönlichen Angriffe“ sind von Zuber sachlich beschrieben und alles andere als Polemik. Es geht um den Vortrag seiner Thesen, wobei ihm wichtig war die Logistikprobleme und die zu überwindenden Entfernungen darzustellen. Sein Vortrag baute auf Kartenmaterial auf, das er zu seiner Präsentation brauchte und ihm zugesagt wurde, das aber, als er seinen Vortrag beginnen wollte, nie beigebracht wurde (und – so Zubers Verdacht – auch nicht bereitgestellt werden sollte). Auf Zubers 45 Minutenvortrag erfolgten die (auch jeweils 45 Minuten langen) Vorträge von Mombauer und Foley, die die Gegenposition darstellten. Dann kam die Kommentierung von Groß, die allerdings nur einen weiteren Vortrag gegen Zubers Thesen darstellte. Eine Debatte – man glaubt es kaum – gab es nicht.

Der Kern von Zubers Thesen sind Logistikfragen und Entfernungen (also di großen Pfeile und kleinen Karten), nicht die Kampfkraft der deutschen Armee, die Zuber zwar erwähnt, aber keineswegs in den Mittelpunkt stellt. Zubers Beitrag ist auch alles andere als verworren, sondern (nach meiner Auffassung) ausgesprochen gut zu lesen. Wer sich näher mit Zuber auseinandersetzen will, muss Inventing the Schlieffenplan lesen. Das sind sehr militärische Ausführungen und der interessierte Laie muss sich hier wirklich etwas bemühen.

Sowohl Mombauers und Foleys Beitrag finde ich ausgesprochen schwach. Mombauer deutet das Kaiserreich als ein vom Militär beherrschtes Staatswesen, ohne für eine solche Argumentation wesentliche Punkte (zB die geringe Ausnutzung der im Vergleich zu Frankreich, ein Umstand, der später von Stefan Schmidt angesprochen wird). Foley – übrigens ein Deutschlehrer, kein Historiker – verteidigt die Auffassung vom Schlieffenplan 1905/06 (zur Erinnerung: nicht ein deutscher Soldat wurde zur Ostfront abgestellt) als Kriegsplan mit der vollkommen abwegigen These, es bestand keinerlei Gefahr von Russland.
Dem Einwand, Generalstabsreisen und Kriegsspiele hätten nur der Schulung bedurft, tritt Zuber an mehreren Stellen entgegen. Mir scheint wesentlich, dass er die konkreten militärischen Aktionen der Deutschen bei Kriegsbeginn alle mit mir nachvollziehbaren Argumenten aus diesen Reisen und Spielen ableitet.

Lesenswert sind Gerhard Groß’s (ein ausgebildeter Militär im Range eines Oberstleutnants) Ausführungen, allerdings nicht ganz einfach zu verdauen. Zunächst einmal sind plötzlich (d.h. nach den Angriffen Zubers) neue Dokumente (eines Generals von Boetticher) aufgetaucht (außer mir wundert sich darüber niemand). Zunächst scheint s mehrere Denkschriften, auch mit unterschiedlichen Überschriften zu geben. Die Denkschrift oder –schriften hat niemand außer Moltke gekannt, auch nicht Ludendorff, der Bearbeiter des Schlieffenplans. Wen dies näher interessiert, muss sich die Mühe machen dies selbst zu lesen. Die Dokumentenlage ist alles andere als klar.

Zur Grundthese von Zuber, nämlich dass die deutschen Kräfte nie für eine Umfassung von Paris gereicht hätten, schreibt Groß: „Dass es Schlieffen bei seinen Kriegsspielen nicht so genau mit der Stärke der deutschen Streitkräfte nahm, ist ohne Zweifel erstaunlich.“
Ich will und kann nicht Zubers Thesen verteidigen. So knüpfen allerdings an der seit Jahrzehnten geübten Kritik am Schlieffenplan an, gaben aber eine andere Erklärung als die, das der preußisch-deutsche Generalstabschef ein militärischer Phantast war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ist mit der Grundthese, dass die Kräfte "nie gereicht" hätten, gemeint, dass sie schon 1905 als der Schlieffenplan erstellt wurde nicht gereicht hätten, oder bezieht sich das nur auf 1914, im Sinne von, "hätten bei weitem nicht ausgereicht"?
 
...oder bezieht sich das nur auf 1914, im Sinne von, "hätten bei weitem nicht ausgereicht"?

Wieso eigentlich?

Dazu müßte man einmal den Verlauf der Marneschlacht vom 5.-9.1914 (I) diskutieren, anschließend den Wettlauf um die Verstärkung der Flanke (II), dann die Frage der Folgen zu I und II.
 
Deine Frage ist für 1906 leicht zu beantworten. Die eingesetzten Kräfte (96 Divisionen) gab es nicht (es gab nur 72 Divisionen). Und - wie gesagt - alle standen an der Westfront, der Osten wurde gar nicht behandelt.

Für 1914 ist die Sache streitig und Gegenstand mannigfacher Diskussionen. Ich persönlich habe mich sehr mit dem Schlieffenplan nach Gröner beschäftigt und meinte - entgegen vieler - es sei realistisch nach Paris zu kommen. Paris selbst war aber das größte Festungssystem seiner Zeit und da war mir nicht mehr klar wie man (i) Paris belagern oder nehmen, (ii) Paris umgehen und (iii) die französische Armee an die Schweizer Grenze drücken soll.

Zuber teilt die Meinung der Gegner des Schlieffenplans (im Sinne einer Westumgehung von Paris), zieht daraus aber nicht den Schluß, das Schlieffen ein Spinner war, sondern versucht in dem ganzen einen Sinn zu finden. Demnach ist Ziel des rechten Flügels durch Belgien auf das französisch Festungsystem von Westen zu stoßen. Voraussetzung dafür - das macht die Thesen Zubers für viele so unangenehm - ist ein französischer Angriff (Richtnug Lothringen, Richtung Ardennen), dem vom deutschen linken Flügel erst auf Reichsgebiet begegnet wird. Teile (also keineswegs die ganze) der französischen Armee werden im Bereich des Festungsgürtels (der so allerdings nutzlos ist) eingeschlossen (vom rechten und linken Flügel).

Dann (September, Oktober) wendet man sich der Ostfront zu. In der Tat zeigt der konkrete Kriegsverlauf, dass russische Truppen aus Sicht der Deutschen günstig stehen. Ostpreußen - darauf wird mehrfach hingewiesen - ist aufgrund der Geographie und Infrastruktur (Eisenbahnen, Festungen) ideal für eine Verteidigung mit Gegenoffensiven (die Deutschen können sich konzentrieren, die Russen müssen sich teilen).

Die These vom französischen Angriff stützt Zuber mit den Kriegsspielen und Generalstabsreisen Schlieffens. Nie - so Zuber - hat Schlieffen einen Angriff geplant, es gab immer nur Gegenoffensiven.
 
Deine Frage ist für 1906 leicht zu beantworten. Die eingesetzten Kräfte (96 Divisionen) gab es nicht (es gab nur 72 Divisionen). Und - wie gesagt - alle standen an der Westfront, der Osten wurde gar nicht behandelt.
Aber 1914 gab es die 96 Divisionen doch auch nicht, jedenfalls nicht an der Westfront. Laut Fiedler standen 1914 insgesamt 96 Divisionen zur Verfügung wovon 9 (laut wiki) im Osten eingesetzt wurden. Dann hätten im Westen maximal 87 Divisionen zu Verfügung gestanden. Andererseits hatten auch die Franzosen weiter aufgerüstet, zwischen 1905 und 1914. War denn das Kräfteverhältnis an der Westfront 1914 günstiger für Deutschland, als es das 1905 nach dem Schlieffenplan gewesen wäre?

Die These vom französischen Angriff stützt Zuber mit den Kriegsspielen und Generalstabsreisen Schlieffens. Nie - so Zuber - hat Schlieffen einen Angriff geplant, es gab immer nur Gegenoffensiven.
Das wäre aber nur die ersten Jahre nach 1905 gegangen, als die Russen durch den verlorenen Krieg gegen Japan kurzzeitig quasi ausgefallen waren. Wenn die Russen aber wie 1914 über eine schlagkräftige angriffsfähige Truppe verfügen und alle deutschen Divisionen im Westen stehen, bräuchten die Franzosen mit dem Angriff nur solange zu warten, bis die Russen im unverteidigten Ostpreußen einmarschieren.
 
Deine Frage ist für 1906 leicht zu beantworten. Die eingesetzten Kräfte (96 Divisionen) gab es nicht (es gab nur 72 Divisionen). Und - wie gesagt - alle standen an der Westfront, der Osten wurde gar nicht behandelt.

Die These vom französischen Angriff stützt Zuber mit den Kriegsspielen und Generalstabsreisen Schlieffens. Nie - so Zuber - hat Schlieffen einen Angriff geplant, es gab immer nur Gegenoffensiven.

Schlieffen plante die Gegenoffensive. Daraus wurde dann durch das politische Moment und vor dem Hintergrund der realen Kräfteverhältnisse im Zweifrontenkrieg die schnelle Offensive. Diese besondere Dynamik ist somit dem Plan geschuldet, der eine Siegchance gegen die frz.-russische Allianz von der raschen Ingangsetzung der Offensive abhängig machte. Man könnte sagen, das Zeitfenster wurde verkleinert.

Die Frage oben bezog sich allerdings konkret auf den September 1914 und die dann eintretenden realen militärischen Verhältnisse bzw. Vorgänge (BEF, frz. Umgehung des deutschen rechten Flügels, Gegenangriff der 1. Armee, operative Bedeutung der Lücke zur 2. Armee, Verhalten der 3. Armee). Im Tagebuch Halder gibt es so einen Satz: jede Operation hat ihre Krisis, die durchzukämpfen ist. Die Frage bezog sich daher auf die Lage am 8.9.1914, ohne jetzt das Problem Paris mit einzubeziehen. Das würde sich erst danach stellen. Ausweitend die Frage, ob im "Wettlauf" um die rechte Flanke ab 8.9.1914 Fehler gemacht wurden (oder hier ganz banal das Eisenbahnnetz auf deutscher Seite entschied)?
 
# 12 So ist es, 1914 gab es die 96 Divisionen auch nicht. Auch darum geht Zuber davon aus, dass die Vernichtung der französischen Armee in einer einzigen, Cannae-ähnlichen Schlacht nicht angedacht war.

Die Ostfront ohne Verteidigung zu lassen ist reine Theorie. In der Praxis gab es das nicht. Das ist wiederum ein Argument von Zuber um zu zeigen, dass die Schlieffendenkschrift 1905/06 kein Kriegsplan war. Auch ein schwaches Russland ist ein Land mit einem enormen Menschenpotential und mangelhafte Ausrüstung hat weder die zaristische noch die rote Armee von Angriffen abgehalten.
 
# 12 So ist es, 1914 gab es die 96 Divisionen auch nicht. Auch darum geht Zuber davon aus, dass die Vernichtung der französischen Armee in einer einzigen, Cannae-ähnlichen Schlacht nicht angedacht war.
...Das ist wiederum ein Argument von Zuber um zu zeigen, dass die Schlieffendenkschrift 1905/06 kein Kriegsplan war.

Auf die Idee kann Zuber kommen, wenn er folgenden Satz von Schlieffen überlesen haben sollte:

"Wir haben die allgemeine Wehrpflicht und das Volk in Waffen erfunden und den anderen Nationen die Notwendigkeit, diese Institution einzuführen, bewiesen. Nachdem wir aber unsere geschworenen Feinde dahin gebracht haben, ihre Heere ins Ungemessene zu vermehren, haben wir in unseren Anstrengungen nachgelassen. Wir pochen noch immer auf unsere hohe Einwohnerzahl, auf die Volksmassen, die uns zu Gebote stehen, abe diese Massen sind nicht in der vollen Zahl der Brauchbaren ausgebildet und bewaffnet."

Siehe die Differenz zwischen IST und PLAN 1905 von 8 Armeekorps.

Daraus zwei sich ergänzende Interpretationen:

- der Schlieffen-Plan als Ausdruck eines Worst-Case-Szenarios, mit der Forderung zum hasardartigen Blitzkrieg bei politisch krisenhafter Lage

- der Schlieffen-Plan als unverblümte Aufforderung zur Heeresrüstung und zur Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht einerseits, als Machbarkeitsstudie bzw. NACHWEIS andererseits bei Erfüllung der rüstungsseitigen Bedingungen und zu fordernder Divisionszahl (wobei natürlich der Charakter der Armee als Polizeitruppe durch Verwässerung verändert wird bzw. sogar verloren gehen könnte - ein Grausen durchzog das preußische Offizierskorps).


tiefschürfend dazu unter dem Aspekt der Rüstung Stig Förster; Der doppelte Militarismus - Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-Quo-Sicherung und Aggression 1890-1913.


P.S. schade, des keiner so recht auf die Marne eingehen möchte - abseits von Operationsentwürfen
 
#15 Die zweite Interpretation ist diejenige von Zuber. Die Denkschrift 1905/06 ist eine Argumentationshilfe für eineWehrvorlage (d.h. mit den damals bestehenden Kräften könnte solch ein Krieg nicht gführt werden, nach einer entsprechenden Aufrüstung - wie eben in der Denkschrift angegeben - schon).

Bekanntlich war die Heeresvermehrung 1913 hchst strittig. Die von Moltke verfasste Denkschrift vom 21.12.1912 erfasste ziemlich genau die Situation von 1914. Zum Ausnutzen des Kräftepotentials steht geschrieben: "Frankreich stellt 82% seiner Wehrpflichtigen in das Heer ein, Deutschland etwa 52% bis 54%!" Die Darlegung der Kräfteverhältnisse gibt detaillierte Zahlen bzgl. der Übermacht der späteren Feinde.

Im Juni 1913 bewilligte der Reichstag zwei neue Armeekorps (117.000 Mannschaften und 19.000 Offiziere und Unteroffiziere).

Ludendorff hat in seinen Memoiren dem Reichstag die Hauptschuld für das Debakel an der Marne gegeben.
 
#15 Die zweite Interpretation ist diejenige von Zuber. Die Denkschrift 1905/06 ist eine Argumentationshilfe für eineWehrvorlage (d.h. mit den damals bestehenden Kräften könnte solch ein Krieg nicht gführt werden, nach einer entsprechenden Aufrüstung - wie eben in der Denkschrift angegeben - schon).

Und damit schließt sich der Kreis.

Die zweite Interpretation ist logisch mit der ersten verknüpft, nämlich der politische Glaube an die studienartig belegte Machbarkeit.

Das Dogma der Vernichtungsschlacht entwickelte nun eine Eigendynamik. Ansonsten hätte man den Faden der Abrüstung in Haag etc. aufgreifen müssen, wäre die Undurchführbarkeit des Operationsplans angenommen worden. Es wurde die Grundlage für die Zukunft gelegt, dass die Politik als "Getriebene" des hasardartigen Blitzfeldzuges handeln muss, wenn die krisenhafte Zuspitzung eintritt. Das ein paar Divisionen fehlen, wurde dabei wohl großzügig übersehen, wenngleich man diverse Anstrengungen zur Komplettierung der Schlieffenschen Order of Battle zwischen 1906-1914 unternahm (was als gescheitert angesehen werden kann).

zu Ludendorff: natürlich, wie auch sonst? ;) Die Niederlage ist immer die Folge zu geringer Rüstung. Der Kriegsausbruch ist Folge der Politik. Die Politik orientierte sich am Operationsplan (und natürlich am Stand der dreadnoughts und des KW-Kanals, weswegen 1912 zu früh kam)
 
Nein, das ist falsch. Nach Zuber – und er geht in seiner Dissertation sehr in die Einzelheiten um dies nachzuweisen – gab es während der Dienstzeit Schlieffens bei seinen Kriegsspielen etc. immer (immer heißt immer und nicht etwa meistens oder fast immer) nur Gegenoffensiven der Deutschen. Es gab keine hasardartigen Blitzkriege bei politisch krisenhafter Lage. Er brauchte die gegnerische Offensive um seine Gegenoffensive richtig wirken zu lassen.

Zuber behandelt nicht die Frage, was Schlieffen getan hätte, wenn die in der Denkschrift vorhandenen Kräfte (96 Divisionen im Westen, die nötigen Divisionen im Osten, alles bei den von ihm angenommenen Stärkeverhältnissen). Das war nach Zubers Auffassung zu Schlieffens Lebzeiten keine realistische Annahme.

Allerdings kann es keinen Unterschied machen, wenn der rechte deutsche Flügel deutlich stärker ist. Er kann dann einen größeren Raum umfassen. Aber auch dann müssen sich Frankreichs Armeen nach Osten bewegen, da nur in diesem Fall Flügel und Rücken der Franzosen zu greifen sind. Wenn sich die Franzosen von ihrem rechten Flügel sofort zum linken umgruppieren können, ist das für die Deutschen sehr ungünstig (das Problem 1914 war, dass der französische Angriff zurück – letztlich zur Marne - geschlagen wurde). Wie gesagt, nach Zuber sind es immer Gegenoffensiven der Deutschen. D.h. die Franzosen müssen angreifen. Sonst würde sich doch niemand über Zubers Thesen aufregen.
 
Nein, das ist falsch. Nach Zuber – und er geht in seiner Dissertation sehr in die Einzelheiten um dies nachzuweisen – gab es während der Dienstzeit Schlieffens bei seinen Kriegsspielen etc. immer (immer heißt immer und nicht etwa meistens oder fast immer) nur Gegenoffensiven der Deutschen. Es gab keine hasardartigen Blitzkriege bei politisch krisenhafter Lage. Er brauchte die gegnerische Offensive um seine Gegenoffensive richtig wirken zu lassen.

Zuber behandelt nicht die Frage, was Schlieffen getan hätte, wenn die in der Denkschrift vorhandenen Kräfte (96 Divisionen im Westen, die nötigen Divisionen im Osten, alles bei den von ihm angenommenen Stärkeverhältnissen). Das war nach Zubers Auffassung zu Schlieffens Lebzeiten keine realistische Annahme.

Sicher, zu Lebzeiten keine realistische Annahme, sondern "nur" ein Vermächtnis der Forderungen für den Nachfolger.

Was Zuber verkennt:
Es geht darum, was die Politik daraus gemacht hat - die Eigendynamik, nicht darum, was sich der unbestritten defensiv eingestellte Schlieffen (in seiner typisch militärischen Einkreisungsphobie) dabei gedacht hat.
 
Die deutsche Rüstung war deutlich geringer als die der Gegner (in der Schrift von Moltke #16 detailliert aufgeführt). Die Wehrvorlage 1913 war nur ein Nachziehen in geringen Umfang.

Zuber hat eine Dissertation über ein bestimmtesThema geschrieben.

Die von Dir erwähnte Politik wird nur Rande behandelt (z.B. die langjährige französisch-russische Zusammenarbeit, die ein Krieg mit Deutschland zum Ziel hatte, die russische Mobilmachung, die frühzeitigen Versuche, die russische Mobilmachung herunterzuspielen).
 
Zurück
Oben