Schloss-Wiederaufbau - ein deutscher Trendsport?

In den 1920-er Jahren war das noch ganz anders – Architektur, Mode und Autodesign standen noch im Einklang.

Sure.:)
Auto und Baudesign identisch.
Zumindest in der Aerodynamik. Wie ein Senkrecht im Wind stehendes Brett.:motz:
Die Dame allerdings scheint mir recht "schnittig" zu sein. Da lässt man auch keine Designer ran.:devil:

Ich glaube grad in diesem Punkt täuscht du dich. Ob einem zeitgenössische Architektur ein Unwohlgefühl erzeugt oder nicht hat viel mehr mit Bildung und Wissen zu tun. Und genau hier kranken unsere Schulen. Der musische Unterricht konzentriert sich stark auf Musik und Literatur. Hingegen Architektur, Baukunst, "Design" haben bloss eine marginale Bedeutung.

Und das ist der Punkt.
Ästhetik hat weder mit Wissen noch mit Bildung zu tun.
Machst Du es Dir viel zu einfach: Jeder der einen anderen Geschmack hat, ist ungebildet und unwissend!?!?!?

Immerhin ein Fortschritt, zu Stalins oder des Gröfaz Zeiten ....
Aber lassen wir das.


Die Musik ist ein gutes Beispiel: Noch vor einer Generation war Jazz "Negermusik" und Rockmusik Krach; heute völlig gängig und akzeptiert.

Ende der 60er Anfangs der 70er gab es Diskjockeys die allein mit "ihrer" Musik die Welt verbesserten. Haben sie jedenfalls behauptet.
Ist in meinen Augen derselbe Unsinn.


Ähnlich verhält es sich beim Möbel- und Autodesign. In den 1970-ern war die Formensprache vom VW Golf (von Giugiaro) oder später vom Ford Sierra (von Bahnsen) ganz spektakulär und fast schon futuristisch. Nach wenigen Jahren haben sich die Leute an die neue Formensprache gewöhnt und sie als völlig normal adaptiert.


Ach ja?
Inzwischen kaufen sie Audis mit Formen plump wie ein Bleiklotz.
Vergleich mal den 1. Scirocco und den heutigen mit seinen Schießschartenfenstern.:pfeif:
Oder die aktuellen Opeltypen völliger Stylingblackout:weinen:


Hoi R.A

In der Architektur ist das seltsamerweise anders. Viele fahren zwar ein ganz modernes Auto und kleiden sich ganz zeitgemäss. Was ihre Häuser anbelangt, haben sie aber hoffnungslos rückwärtsgewandte Ideale. Zwischen dem Design ihrer Häuser und Autos liegen Generationen…


Hähäh.
 
Ob einem zeitgenössische Architektur ein Unwohlgefühl erzeugt oder nicht hat viel mehr mit Bildung und Wissen zu tun.
Ich halte nicht viel von Architektur, die man erst nach jahrelanger gezielter Schulung (Indoktrination?) versteht oder akzeptiert.
Und so viel mehr wurde doch früher in der Schule auch nicht über Baukunst erzählt als heute.

Wobei ich klarstellen möchte: Ich habe nicht komplett die zeitgenössische Architektur gemeint. Da wird auch viel gebaut, was "schön" ist (vor allem mit Glas und geschwungenen Flächen) und gut ankommt.
Es gibt einige Trends, die offensichtlich eine modische Sackgasse darstellen, auch wenn sie in gewissen Kreisen immer noch propagiert werden.
Dazu zählen z. B. eine zur Klötzchenstapelei entartete Bauhaus-Nachfolge oder die schreckliche Sichtbeton-Manie vieler Architekten.

Es ist übrigens bezeichnend, daß so wenige Architekten selber in einem Neubau wohnen. Der große Schrei bei denen ist ein edel renovierter Fachwerkbau oder ähnliches.

Die Musik ist ein gutes Beispiel: Noch vor einer Generation war Jazz "Negermusik" und Rockmusik Krach; heute völlig gängig und akzeptiert.
Das ist eben die normale Akzeptanz von neuen Trends. Als die Gotik kam, werden die alten Romanik-Bauherren auch gemeckert haben.

Aber so etwas muß sich spätestens mit der nächsten Generation geregelt haben (wie das beim Jazz passiert ist).
Wenn dann immer noch auf breiter Front Ablehnung da ist, war die neue Richtung offenbar nicht Avantgarde, sondern nur daneben.

Siehe deswegen mein Vergleich mit der "Neuen Musik". Die gehört ja durchaus in denselben geistigen Kontext wie diverse Formen der modernen Architektur. Und hat bis heute ähnliche Akzeptanzprobleme - während parallel Generation für Generation neue Musikformen aufkommen und sich durchsetzen (Jazz, Rock, Beat, Rap ...).

In der Architektur ist das seltsamerweise anders.
Bei der Architektur sehe ich nur das Spezialproblem, das man ihr als "Normalbürger" nicht so leicht ausweichen kann.

Wenn die Sekte der Zwölftöner sich trifft und (hochsubventioniert) ihrem Hobby frönt, stört das keinen Außenstehenden.
Aber wenn ein Bauwerk mitten im Stadtbild steht, geht das jeden Bürger an.
 
Kleine Anekdote hinterher:

Bei uns im Ort gibt es aktuell eine große Diskussion über das neue Kongreßzentrum.

Meine Tochter (16) plant derzeit ihr nächstes Praktikum (müssen die hessischen Gymnasiasten regelmäßig in Betrieben ihrer Wahl machen). Und da meinte sie, vielleicht möchte sie sich mal die Arbeit in einem Architekturbüro anschauen. Bei der Diskussion über die Gründe und Ideen dazu meinte sie: "Ich bin die einzige in meiner ganzen Klasse, die das neue Kongreßzentrum nicht Scheiße findet".

Wobei dieses Kongreßzentrum nun definitiv nicht à la Bauhaus entworfen ist. Ich persönlich finde den Entwurf übrigens ganz gut - nur bei der Bauausführung wurde dem (bei Großbauten unerfahrenen) Architekten zu sehr freie Hand gelassen, da ist viel schief gegangen und das hat das Meinungsbild natürlich auch stark beeinflußt.
 
Wo hat denn die "moderne Architektur" ein Akzeptanz-Problem?

Wer jetzt auf "Errungenschaften" alla Märkisches Viertel oder Hellersdorf-Marzahn verweist sollte bedenken, dass hier von den Ideen der Moderne nur eine einzige umgesetzt wurde: Viele Menschen auf möglichst engem Raum zu möglichst kleinen Kosten unterzubringen.

EDIT
http://www.architekten24.de/buecher...-jovis-maerkisches-viertel-berlin-/index.html

http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/14541419

Da ich letztens auf das Hansaviertel als Paradebeispiel moderner Architektur verwiesen habe: Die Unterschiede zwischen diesem und bspw dem Märkischen Viertel sind enorm; zB liegen die Bauten des Hansaviertels weit auseinander in einer parkähnlichen Gegend mit massig Liege- und Spielwiesen, kulturellen Einrichtungen, Läden, Kneipen, eigenem U-Bahnhof etc.. Das märksiche Viertel ist ein reines Wohnsilo ohne Bahnanschluss, nur mit einem Bus. Woran das nur liegt? Und warum wohl das Hansaviertel immer noch eine bliebte Wohngegend ist, dass Märkische Viertel ... naja, wer da wohnt tut das aus nur einem einzigen Grund: Der günstigen Miete ...
EDITEnde

Als Folge solches Spardenkens stellte Heinrich Zille fest, man können einen Menschen mit einer Wohnung ebenso gut erschlagen wie mit einer Axt. Der meinte damit allerdings die zu seiner Zeit übliche Sparvariante, die heute (gut saniert mit Innen-WC ;)) als "Altbauten" zu den beliebteren Domizilen gehören.

EDIT
http://www.heinrich-zille-museum.de/

http://www.chronik-berlin.de/
EDITEnde

Gerade aus der Debatte um den Wiederaufbau des Stadtschlosses ziehe ich die Erkenntnis, dass es eben keinerlei einhellige Meinung zu Architektur und Stadtplanung gibt, die Meinung der meisten Menschen aber vom bisherigem Leben, Erfahurng, Erziehung, Assoziationen geprägt ist, nicht von einer in der Luft schwebenden Ästhetik.

Fragen, die auf der einen Seite so von individuellen, emotionalen Faktoren abhängen, auf der anderen Seite aber über das Stadtbild unzählige Menschen erreichen ... solche Fragen sqind politisch nicht einfach zu beantworten ... und wenn sie dann auch noch dermaßen ideologisch aufgeladen sind ... Meen lieba Justav, wie der Balina sacht ...
 
Zuletzt bearbeitet:
Das sind richtige Argumente, die die Abwehrhaltung der Menschen erklären. Moderne Komponisten komponieren am Publikum vorbei, weshalb Konzertsäle und Opernhäuser bei entsprechender Musik leer bleiben, moderne Architekten bauen am Geschmack vieler Menschen vorbei und wundern sich, wenn ihre architektonischen Konstrukte nur bei der einschlägigen Fachwelt Anklang finden.

Würde ich so nicht sagen, es gibt immer wieder Phasen der Integration und der Exklusivität der Kunst. Im Moment steuert alles wieder Richtung Integration: Menschen sind wichtig, Kunst soll populär und zugänglich sein, künstlerische Ideale haben einen Bezug in der Realität.
Im Musiktheater hat sich z. B. gerade das Musical außerhalb der staatlichen Häuser erfolgreich breit gemacht – und damit der "komischen Oper" die Kundschaft geklaut. Na und? Als die komische Oper erfolgreich war, gab es genau so ein Echauffieren über den Niveauverlust wie heute über Musicals.
Es gab auch immer wieder mal "verkopfte" oder schlichtweg irrelaufende Kunstrichtungen: so z. B. die Hochgotik, die neben enormen Kosten und einem Riesenaufwand nichts "menschliches" an sich hatte. Mit dem Bauhaus und den Konstruktivisten hatten wir einen ähnlich radikalen Einschnitt; mal sehen, wie es weitergeht. Die moderne moderne Architektur (wie z. B. das von Marcia geschilderte Krankenhaus oder das Darmstadticum) finde ich durchaus vielversprechend.

Entschuldigt bitte, ich war lange "draußen" und hoffe jetzt doch wieder den Einstieg zu finden ––
 
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Gestern war ein interessanter Beitrag zu diesem Thema in ttt:
Die Zukunft unserer Städte
Vielleicht hats ja jemeand gesehen (ich sah leider nur das Ende des Beitrags)? Anlass dafür ist eine Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne über die Geschichte der Rekonstruktionen.

Das Thema bleibt spannend.....
 
Ich hab's gesehen.

Es passt in die sehr moderne und vollkommen nutzerfeindliche Anlage "MyZeil" hinein wie, sagen wir mal, ein Furz in den Schweigekreis, hat aber weder die räumlich/städtebauliche Dominanz noch die exponierte Lage noch die vergleichbare Größe eines Stadtschloss. Es steht einfach da, ist leer, und links und rechts davon zieht sich Wolkengekrätz.

Bzw. dahinter und rechts türmt es sich. Links davon schmuddeln Normalobauten aus den 60ern und 70ern sich hoch zum Eschenheimer Turm, gegenüber ist es auch nicht besser. Man fragt sich, was wohl hier unter diesem Feigenblatt versteckt werden sollte, dass es so gezwergt und erniedrigt wird.

Übrigens: so toll ist es auch nicht, Frankfurt hat ein paar Stadtpaläste, das Problem bei Frankfurt sind nicht die schönen Häuser sondern der vollkommen fehlende Zusammenhang unterhalb 25 m Bauhöhe.
 
Und auch Frankfurt am Main hat ja sein Schloss bzw. Palais wiederbekommen:
Palais Quartier | Willkommen

Kennt das wer in Realität?

Gerade Frankfurt hat in der Nachkriegszeit schwerste Bausünden begangen. Große Teile des Westend mit prächtiger Gründerzeitarchitektur aus dem 19. Jh. wurde vernichtet und musste Bürogebäuden und renditeträchtigen Luxuswohnungn weichen.

Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Rudi Arndt (SPD) wollte das gründerzeitliche Opernhaus, von dem die Umfassungsmauern noch standen, "mit Dynamit" wegsprengen, was ihm folglich den Spottnamen "Dynamit-Rudi" eintrug. Dazu kam es zum Glück nicht, denn die an die Regierung gelangte Frankfurter CDU restaurierte das Opernhaus mit Hilfe eines Spendenvereins, sodass es heute als Alte Oper Konzert- und Kongresszentrum ist.

http://www.google.de/imgres?imgurl=http://whitey.net/GE20010413_FrankfurtAlteOper.jpg&imgrefurl=http://whitey.net/pt/alemanha-fotos-2.htm&usg=__uB7sJlPSRloDUh8CzMu-z7G9p84=&h=600&w=800&sz=138&hl=de&start=9&zoom=1&um=1&itbs=1&tbnid=H0PyzWlnVULQqM:&tbnh=107&tbnw=143&prev=/images%3Fq%3Dfrankfurt%2Balte%2Boper%26um%3D1%26hl%3Dde%26client%3Dfirefox-a%26sa%3DN%26rls%3Dorg.mozilla:de:eek:fficial%26tbs%3Disch:1
 
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So wird die Rekonstruktion zum Bettvorleger für Konsumtempel
Ein Zitat aus dem Beitrag in ttt, man kann sich den ganzen online anschauen. Auch die Meinungen von Albert Speer (ja, er ist der Sohn) sind nicht uninteressant.

Frankfurt dürfte wirklich einen sehr eigenen Weg im Umgang mit seinem historischen Erbe gegangen sein. Zum einen wurde ja schon in der Nachkriegszeit der Römer oder das Goethehaus rekonstruiert, zum anderen - wie Dieter schreibt - sollte noch Mitte der 60er die alte Oper weggesprengt werden.
Und auch die allerneusten Entwicklungen wie die (meiner Meinung nach) seltsame Rekonstruktion des Thurn- und Taxispalais oder der jetzige Abriss des technischen Rathauses. Was soll eigentlich dort hingebaut werden?

Das was Mummius schreibt, das Nichtbestehen einer Bauhöhe bzw. das Wuchern von Hochhäusern im innenstadtbereich, scheint ja eine sehr akute städtebauliche Krankheit seit den 1990er Jahren in den mitteleuropäischen Großstädten sein. Auch in Wien - das ja im Vergleich zu deutschen Städten in WKII kaum zerstört wurde - wurden in den letzten 10 Jahren Glastürme entlang des Donaukanals hingestellt. Fade Protzarchitektur von Versicherungen, Banken und Boulvardmedien langweilen mit ihren ödem Äußeren den Betrachter um die Wette. Selbst gute Architekten wie Jean Nouvel bringen da nix zsamm und stellen noch einen Turm mit schrägen Fassaden hin.

Es wundert mich nicht dass Rekonstruktionen so populär sind - auch wenn ich moderne Architektur sehr gerne mag, gute Beispiele findet man nicht so oft.
 
Es wundert mich nicht dass Rekonstruktionen so populär sind - auch wenn ich moderne Architektur sehr gerne mag, gute Beispiele findet man nicht so oft.

Das ist ein ganz zentraler Grund. Ein zweiter kommt hinzu: Viele Bürger vermissen in ihren Städten wichtige Bauwerke vergangener Epochen, die einst identitätstiftend wirkten und dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fielen. Somit wird vielfach - wie in Dresden, Berlin, Potsdam und anderswo - ein "Erinnerungsmal" gewünscht.

Das steckt letztlich hinter der Forderung, an wenigen Orten (!) Schlösser oder Palais zu rekonstruieren und nicht die "Sehnsucht nach einer monarchischen Epoche", wo alles angeblich "besser" war. Dieser Grund wird von einigen Architekten gern zur Verunglimpfung von Bügerinitiativen benutzt, die für die Rekonstruktion eines wichtigen Bauwerks eintreten. Man sollte sich ernsthaft mit diesen Forderungen der Bürger auseinandersetzen und nicht alles, was da entsteht, als "Disneyland-Architektur" schmähen. Es ist ein "Erinnerungsmal" - mehr nicht - und keiner verlangt, ein ganzes Stadtzentrum zu rekonstruieren. Es bleibt noch genug architektonischer Schund aus der Nachkriegszeit übrig.
 
Meines Erachtens ist es schwierig, althergebrachte Baustile mit unserer modernen Architektur zu vergleichen. Viel mehr als heute spielte damals die Repräsentation nach außen hin eine gewichtige Rolle. Mir fällt hier das Gymnasium Illustre in Durlach ein - ein Gebäude aus der Renaissance. Diese höhere Schule musste sich vom Baustil und dem verwendeten Material kaum vor dem zeitgleichen markgräflichen Schlossbau in Gottesaue verstecken. Wenn ich mir heute moderne Schulgebäude ansehe, so geht es hier viel mehr um die Praktikabilität der Räumlichkeiten und natürlich um die Kosten in Zeiten leerer öffentlicher Kassen. Würde nun ein Architekt Fassadenschmuck vorschlagen, der Bauausschuss würde ihn wohl gleich in die Wüste schicken.

Auch im privaten Bereich wird kaum Geld für die Außenwirkung eines Gebäudes ausgegeben. Gerade im Bauträgergeschäft zählt einzig und allein jeder heraus gepresste Quadratmeter Wohnfläche. Wer gibt den Geld für ein repräsentatives Gebäude aus, wer zahlt extra für eine Natursteinfassade mit Steinplastiken? Als in Berlin ein Bauherr sich ein Wohnhaus mit klassizistischen Elementen (Säulenportikus) errichten ließ, war dies dem SPIEGEL gar ein Bericht wert. Ganz anders die Gründerzeitviertel in unseren Städten. Echte Eye-Catcher sind dort die Hausfassaden. An dem einen Gebäude hat der Bauherr Büsten seiner vier Kinder anbringen lassen. An dem anderen Gebäude prangt eine Merkur-Statue. Daneben beeindruckt uns ein Pfau aus Stuck. Der Nachbar versuchte dies mit plastisch ausgebildeten überlebensgroßen Atlas-Figuren zu toppen, welche einen Erker stützen.
;)

Und dann kommt eine Neubau-Wohnanlage eines großen Bauträgers. Die gelben Fassaden der Bauprojekte dieser Firma findet man von Baden-Baden bis Speyer. Eigentlich erübrigt sich die Frage, natürlich hat die Firma XY auch hier ihren Standardbauplan in das gewachsene Viertel hingeklotzt - eigentlich noch weniger kreativ als das WSP70 der DDR. Innenliegende Bäder ohne Tageslicht und Küchen die an der Innenwand des Wohnzimmers geklatscht werden. Da fällt mir nur dieses für den Firmenchef ein
:haue:

Und weil heute nicht mehr fürs Auge des Betrachters, sondern für den Nutzer gebaut wird, fallen uns die alten Gebäude so positiv auf. Selbst ein profanes Gebäude wie eine mittelalterlicher Zehntscheuer macht für den Betrachter mehr her als ein modernes Kaufhaus in der City. Will man als Bauherr imponieren, dann fällt einem höchstens noch die Höhe ein - kanns ein Stockwerk beim Wolkenkratzer mehr sein?

Deshalb sind diese "Ankergebäude so wichtig, die den architektonischen Einheitsbrei der heutigen Zeit aufpeppen. Hat eine Stadt solch ein Gebäude durch Krieg oder ideologischem Irrsinn verloren, so ist für mich der Wunsch der Menschen nach deren Rekonstruktion verständlich. Bei der Wahl eines modernen Gebäudes oder den Wiederaufbau eines im Krieg zerstörten Schlosses als Räumlichkeiten der Musikhochschule hat man sich in Karlsruhe aus gutem Grund für letzteres entschieden. Durch entsprechende Elemente (zum Beispiel der Fenster) sagt man den Betrachter ehrlich, dass er nicht vor einem Original aus dem 16. Jahrhundert steht - sondern vor einer gelungenen Vereinigung aus Alt und Neu.

http://193.197.165.50/bilderbogen/stadtansichten/slides/_MG_6924.jpg

Ich habe noch keinen Besucher erlebt, der das Gebäude nicht ansprechend findet. Und doch haben wir hier kein Original vor uns - sondern etwas neu entstandenes.

Und ich behaupte nun: Für die Studenten ist es auch anregender in solch einem Gebäude zu lernen als in dem viereckigen Glaskasten, welches wohl als Alternative dort gebaut worden wäre.
 
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Im Grunde genommen sind Säulen, Sockel, Kapitelle etc. kein "Fassadenschmuck", sondern wurden erst in den Neo-Epochen der Viktorianik dazu gemacht. Ein Sockel ist vorspringend, weil er eine Mauer tragen muss; Säulen machen eine tragene Fläche transparent, Kapitelle erhöhen die Auflagefläche. Alle diese dekorativen Formen haben einen strunzfunktionalen Ursprung: das geht bis hin zum Nachweis der Kanneluren aus dem ägyptischen Vorbild von Papyrusbündeln.

Die Ornamentik war solange ok, wie sie als Tradition zur Bautechnik gehörte. Als mit der viktorianischen Epoche (in einer gegenreformatorischen Tendenz zum Klassizismus, der mit der französischen Republik, dem erstarkenden Bürgertum und dem Anspruch an politischer und wirtschaftlicher Teilhabe verbunden wurde) staatlich-zentralistische Macht durch Rennaissance- und Neobarockbauten formuliert wurde, gottesfürchtig-untertänige Weltordnung durch Neogotik und Neoromanik, war es nur ein kleiner Schritt, durch die Ablehnung all dieser Stile und der damit verbundenen Gedanken klassische, nüchterne Moderne zu erfinden.

Die Gedanken, die hinter den ganzen "Neos" des 19. Jhdts stehen, sind mittlerweile verpufft, ein paar schale Abgase davon sind noch hier und da in den Köpfen, aber keiner würde ernsthaft vorschlagen heute ein neues (!) Barockschloss zu bauen. Da die überlebenden Häuser und Bauwerke aber immernoch aussehen "wie von damals", machen wir einen unbewussten Transfer zu "guten alten Zeiten", die es niemals gab. Das ist ein Grund, weshalb ich Rekonstruktionen ablehne.
 
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Die Gedanken, die hinter den ganzen "Neos" des 19. Jhdts stehen, sind mittlerweile verpufft, ein paar schale Abgase davon sind noch hier und da in den Köpfen, aber keiner würde ernsthaft vorschlagen heute ein neues (!) Barockschloss zu bauen. Da die überlebenden Häuser und Bauwerke aber immernoch aussehen "wie von damals", machen wir einen unbewussten Transfer zu "guten alten Zeiten", die es niemals gab. Das ist ein Grund, weshalb ich Rekonstruktionen ablehne.
Das verstehe ich nicht.

Was hat denn eine Architektur mit der Bezeichnung "gute alte Zeit" zu tun?

Die "gute alte Zeit" an sich, ist immer diejenige, die einige Dekaden zurück lag. In Deutschland haben wir freilich, außer für Neon-s, den Bruch mit dem Dritten Reich. Das konnte man schwerlich in den 50ern oder 60ern als "gute alte Zeit" begreifen.
 
Ich hab's gesehen.

Es passt in die sehr moderne und vollkommen nutzerfeindliche Anlage "MyZeil" hinein wie, sagen wir mal, ein Furz in den Schweigekreis, hat aber weder die räumlich/städtebauliche Dominanz noch die exponierte Lage noch die vergleichbare Größe eines Stadtschloss. Es steht einfach da, ist leer, und links und rechts davon zieht sich Wolkengekrätz.

Bzw. dahinter und rechts türmt es sich. Links davon schmuddeln Normalobauten aus den 60ern und 70ern sich hoch zum Eschenheimer Turm, gegenüber ist es auch nicht besser. Man fragt sich, was wohl hier unter diesem Feigenblatt versteckt werden sollte, dass es so gezwergt und erniedrigt wird.

Übrigens: so toll ist es auch nicht, Frankfurt hat ein paar Stadtpaläste, das Problem bei Frankfurt sind nicht die schönen Häuser sondern der vollkommen fehlende Zusammenhang unterhalb 25 m Bauhöhe.
Auf den Bildern von diesem Palais Quartier sieht es danach aus, als ob man vielleicht an US-amerikanische Vorbilder anknüpfen will, wo ja auch teilweise bestimmte historisch wichtige Gebäude des 18.Jh. zwischen irgendwelcher Wolkenkratzer- oder zumindest aussagelosen Architektur regelrecht eingepfercht wirken.
Der Sinn des Ganzen, auch der ästhetische, erschließt sich mir leider nicht.
 
Die "gute alte Zeit" an sich, ist immer diejenige, die einige Dekaden zurück lag. In Deutschland haben wir freilich, außer für Neon-s, den Bruch mit dem Dritten Reich. Das konnte man schwerlich in den 50ern oder 60ern als "gute alte Zeit" begreifen.

Jein,
bei mir ums Eck hat man, neben überaus futuristischem gerade in den 50ern einiges an öffentlichen Gebäuden mit Arkaden, Galerien und Bögen gebaut. In der "Tradition Schmitthenners"

Hechinger Rathaus, Balinger Kreissparkasse, Ebinger Gesundheitsamt Rathaus in Winterlingen fällt mir so kurz ein.
Fürchterliche Dinger.
 
[...]Ganz anders die Gründerzeitviertel in unseren Städten. Echte Eye-Catcher sind dort die Hausfassaden. An dem einen Gebäude hat der Bauherr Büsten seiner vier Kinder anbringen lassen. An dem anderen Gebäude prangt eine Merkur-Statue. Daneben beeindruckt uns ein Pfau aus Stuck. Der Nachbar versuchte dies mit plastisch ausgebildeten überlebensgroßen Atlas-Figuren zu toppen, welche einen Erker stützen.

Und dann kommt eine Neubau-Wohnanlage eines großen Bauträgers. Die gelben Fassaden der Bauprojekte dieser Firma findet man von Baden-Baden bis Speyer. Eigentlich erübrigt sich die Frage, natürlich hat die Firma XY auch hier ihren Standardbauplan in das gewachsene Viertel hingeklotzt - eigentlich noch weniger kreativ als das WSP70 der DDR. Innenliegende Bäder ohne Tageslicht und Küchen die an der Innenwand des Wohnzimmers geklatscht werden. Da fällt mir nur dieses für den Firmenchef ein
[...]

Also gurndsätzlich teile ich deine Meinung zu den Gebäuden, doch du würfelst hier verschiedene Bauten der Gesellschaftsschichten durcheinander.

Wenn wir alte Gebäude heute sehen, schaut keiner mehr hin, wer diese bauen lies und nutzte.

Wenn Du neue Wohneinheiten nach Standardstadtplan vergleichst, dann bitte doch nicht mit Gründervillen. Da sollte doch ein Vergleich mit den Hinterhofarbeiter Wohnhäusern gezogen werden. Und mit Verlaub, die neuen Standardgebäude sind wesentlich besser zu bewohnen.
Oder wer würde heute noch ein Plumpsklo für alle auf dem Treppenhaus haben wollen?

Im Grund kann man Architektur aus verschiedenen Epochen nicht objektiv Vergleichen, vor allem nicht ohne den Vergleich mit dem Leben der Menschen in der jeweiligen Gesellschaft.
 
Das verstehe ich nicht.

Was hat denn eine Architektur mit der Bezeichnung "gute alte Zeit" zu tun?

Architektur ist (meistens, ideologisches) Programm. Indem Kaiser Wilhelm 2 Kirchen in Neoromanik bauen liess, knüpfte er ideologisch an Zeiten an, in denen für ihn "die Welt noch in Ordnung" war: der Kaiser oben, das Volk unten, Ritterlichkeit und der ganze Quatsch. Neogotische Kirchen postulieren eine tiefe Volksfrömmigkeit, wie man sie zu Zeiten Feuerbachs und Engels seitens der Kirchen wieder beschwören wollte. Rennaissance-Bahnhöfe künden von merkantiler Macht der Städte. Die Stile, auf die sich die "Neos" beziehen, verkörpern Zeiten, die in der retrograd konservativen Sicht der Bauherren "gut" waren.

Das blöde daran ist, dass wir nicht mehr wahrnehmen, wie diese Bauwerke zur Zeit ihrer Entstehung als ideologische Aussagen im Raum standen und stehen: eine neoromanische Kirche ist nur von Fachleuten von einer romanischen zu unterscheiden (wenn sie gut gemacht ist). Die Gründerzeitlügen werden gewissermaßen zur heutigen Wahrheit.

Meine Befürchtung ist, dass sich hinter den technischen Wiederherstellbarkeiten auch ideologische Restitutionsversuche einschleichen, weshalb ich vor allem den Monumental- und Symbolbauten skeptisch gegenüberstehe.

Übrigens unterstelle ich der "guten alten Zeit"-Symptomatik keinen Automatismus. Die "Retro"-Wellen der Mode erklären sich leicht aus Wohnungsauflösungen und Flohmarktwellen, die architektur ist da weitestgehend aussen vor.
 
Auch im privaten Bereich wird kaum Geld für die Außenwirkung eines Gebäudes ausgegeben.
Das liegt aber sehr stark auch am Baurecht. Selbst wenn ein Bauherr etwas für Außendekoration ausgeben wollte - es wird ihm meist nicht genehmigt.

Bei deutschen Bauämtern (bzw. folgend der aktuellen Architekten-Doktrin) scheint eine Schmalspur-Vorstellung von Bauhaus zu dominieren. Häuser haben weiße Schuhschachteln zu sein, Dekorelemente gelten als Übel. Maximal darf man mit Glas mal einen Erker oder eine Front darstellen. Ich kenne keinen Bebauungsplan, der z. B. eine Gründerzeitvilla (oder gar ein Barock-Gebäude) zulassen würde.

Wer gibt den Geld für ein repräsentatives Gebäude aus, wer zahlt extra für eine Natursteinfassade mit Steinplastiken?
Natursteinfassade? Steinplastiken? Im Deutschland des Jahres 2010?

Ich zitiere mal einen völlig typischen Bebauungsplan, gerade beschlossen in einer ganz normalen deutschen Stadt:
"
Im Wohngebiet sind für Wohngebäude ausschließlich symmetrische Walmdächer mit einem Neigungswinkel von 25 Grad zulässig.
Für Carports und Nebenanlagen sind ausschließlich Flachdächer mit einem Neigungswinkel von maximal 3 Grad zulässig.
Es sind ausschließlich dunkelbraune, matte (nicht glasierte oder spiegelnde) Dachziegel oder Dachsteine zu verwenden.
Die Errichtung von Dacheinschnitten oder Dachgauben ist nicht zulässig.
Die Dachflächen sind ohne Fensteröffnungen auszuführen.

Die Farbgestaltung der außen liegenden Bauteile ist wie folgt vorzunehmen:
Die Fassaden sind in sehr hellen grün, grau, gelb oder beige abgetönten Farbtönen mit Hellbezugswerten von 73 bis 82 zu gestalten. (vgl. Farbliste)
Der gleiche Farbton ist auch für die Unterseiten von Vordächern, Carports und Balkonen sowie die Balkonabtrennungen zu verwenden.
Für die Haustüren, Terrassenabtrennungen und Gartenhütten sind mittelhelle grüne, blaue, rotbraune oder graue Farbtöne mit Hellbezugswerten von 10 bis 23 zu verwenden (vgl. Farbliste 2).
Carporteinbauten sind entweder in den gleichen mittelhellen Farbtönen oder dunklen grünen, blauen oder rotbraunen Farbtönen mit Hellbezugswerten von 6 bis 8 auszuführen (vgl. Farbliste 2 und 3).
Die Dachunterseiten der Hauptgebäude und die Profile der Fenster und Wintergärten sind in hell weiß auszuführen.
Die Fensterbänke und Kanten der Stirnseiten von Vordächern, Carports, Balkonen und Balkongeländer sind in einem mittleren Grauton mit einem Hellbezugswert von 48 auszuführen (vgl. Farbliste 4).
Die Stützen der Carports und die Standrohre sind in einem dunklen Grauton mit einem Hellbezugswert von 10 auszuführen (vgl. Farbliste 5).
Die Vordachumrandungen, die Dachrinnen und Fallrohre sind in Zink natur oder mit dem Farbton RAL 9006 zu gestalten.
"

Das ist nur ein Auszug - es geht seitenweise so weiter. Da wird z. B. ein grüner Maschendrahtzaun von 1 m Höhe vorgeschrieben, oder die Gestaltung von Mülltonnen-Einhausungen und es gibt Pflanzlisten, was im Garten erlaubt ist.

Und jetzt geh' mal aufs Amt zu Leuten, die sich so etwas ausdenken. Was werden die wohl zu solchen Ideen sagen:
An dem einen Gebäude hat der Bauherr Büsten seiner vier Kinder anbringen lassen. An dem anderen Gebäude prangt eine Merkur-Statue. Daneben beeindruckt uns ein Pfau aus Stuck. Der Nachbar versuchte dies mit plastisch ausgebildeten überlebensgroßen Atlas-Figuren zu toppen, welche einen Erker stützen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das blöde daran ist, dass wir nicht mehr wahrnehmen, wie diese Bauwerke zur Zeit ihrer Entstehung als ideologische Aussagen im Raum standen und stehen: eine neoromanische Kirche ist nur von Fachleuten von einer romanischen zu unterscheiden (wenn sie gut gemacht ist). Die Gründerzeitlügen werden gewissermaßen zur heutigen Wahrheit.
Das ist schon richtig - aber ich sehe damit kein Problem.
Eben weil (bis auf wenige Fachleute) keiner mehr weiß, welche ideologischen Aussagen sich damals mit der Neoromanik verbanden.
Was immer Willy2 und Co. mit solchen Bauten an Botschaften rüberbringen wollten - das findet heute keinen Adressaten mehr.

Wenn heute etwas "auf alt" wiederaufgebaut wird, dann rein aus ästhetischen Gründen, vermischt mit ziemlich harmloser Nostalgie.
 
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