Schloss-Wiederaufbau - ein deutscher Trendsport?

Dieses Thema ist immer noch aktuell und faszinierend zu gleich. Die FAZ - oder sagen wir besser: zwei Redakteure der FAZ - kanzeln die städtebaulichen Projekte in Potsdam in diesem Beitrag ab und singen ein Lob auf die DDR-ARchitektur.

Stadtplanung: Make Potsdam schön again - Feuilleton - FAZ

Aus dem Artikel:
Und an der nordwestlichen Ecke ragt der Modernismus der Fachhochschule in den Platz, ein eleganter zweistöckiger Bau auf schlanken Säulen, dessen Fassade dringend neuen Putz und einen neuen Anstrich brauchte.
:fs: Ähhhhhhh... dazu fällt mit bei diesem Betonständerbau nichts mehr ein. :nono:
Und trotzdem finde ich, dass die Autoren Recht haben:
Was man am Alten Markt versucht, ist die komplette Auslöschung all dessen, was zu Zeiten der DDR gebaut wurde, und das ist nicht nur ein Akt der Herzlosigkeit gegenüber denen, die hier in den siebziger und achtziger Jahren ihre Zeit verbracht und vielleicht ein paar schöne Erinnerungen an den Ort haben; es nimmt auch denen, die nach Potsdam kommen, die Chance, seine Geschichte zu verstehen.
Die Frage ist doch, welches Weltbild dahinter steht, wenn man alte Barockschlösser, die Jahrzehnte verschwunden waren, wieder auferstehen lässt. Es war ein historisches "Verbrechen", sie abzureißen; dieses versucht man nun durch ein neues historisches "Verbrechen" rückgängig zu machen. Aber Paläste sind eben keine Bauwerke des Volkes und damit auch einer Demokratie nicht angemessen, vor allem wenn es darum geht, sie wieder auferstehen zu lassen. Vor allem verstärkt man aber mit solchen Abrissaktionen das Gefühl, das viele Ostdeutsche teilen: Dass sie, ihre Geschichte und Gefühle nichts gelten, dass sie von "Wessis" überfahren werden und nur Bürger zweiter Klasse seien. Das wiederum führt dazu, dass Ostalgie politisch wird und sich in den Wahlen niederschlägt. Ob das "innerdeutscher Neokolonialismus" ist, wie ihn die Autoren diagnostizieren, weiß ich nicht. Also auch wenn ich die Beurteilung der Gebäude, welche die Autoren vornehmen, nicht teile (und unterstelle, dass sie das insgeheim auch anders sehen), halte ich den Grundtenor des Artikels für richtig. Neohistorismus ist ein Fake!
 
Wer Säulen und Stützen in einen Topf wirft, hat halt scheinbar keine Ahnung von Architektur. Aber das scheinen ja auch generell keine Architekturkenner zu sein, die den Artikel abgefasst haben.

Ob Barockarchitektur nun zu einer Demokratie passt oder nicht, finde ich nicht den springenden Punkt. Die Frage ist für mich, ob nicht die Architektur jeder Baustilrichtung seine Daseinsberechtigung hat. Zahlreiche Bauten aus der DDR-Zeit wie der Palast der Republik oder auch das Gebäude des großen Bauernkriegspanoramas in Bad Frankenhausen mögen heute manch einen ästhetisch nicht gefallen, aber sie sind eben herausragende Zeugnisse eines Zeitgeistes und architektonische d.h. künstlerische Ausdrucksmittel gewesen. Wie man eine Fachwerkstadt (Schwäbisch Hall, Stolberg im Harz usw.), eine Renaissancestadt (Görlitz) als Gesamtensemble erhalten will wegen dem Wert als Baudenkmal, so dürfte ähnliches auch für Hinterlassenschaften der DDR gelten.
 
Die Frage ist doch, welches Weltbild dahinter steht, wenn man alte Barockschlösser, die Jahrzehnte verschwunden waren, wieder auferstehen lässt. Es war ein historisches "Verbrechen", sie abzureißen; dieses versucht man nun durch ein neues historisches "Verbrechen" rückgängig zu machen.

Ich kann dazu nur wiederholen:

Ich freue mich darüber, dass angesichts flächendeckender Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg einige Städte wenigstens zentrale Identifikationsorte durch Rekonstruktionen wichtiger Bauwerke neu erstehen lassen. Auch wenn das Innere modern gestaltet wird, so sind solche Bauten doch Erinnerungsmale, die unverwechselbar sind.

Manche Architekten sprechen von "Disneyland" und kritisieren die angeblich rückwärtsgewandte Baugesinnung. Anscheinend besteht jedoch bei der Mehrheit der Bevölkerung der Wunsch, angesichts der Masse gesichtsloser Bauten besonders der frühen Nachkriegsära zu einer zumindest partiellen Heilung verlorener Bausubstanz zu kommen. Aus diesem Grunde haben wir rekonstruierte Schlösser, Bürgerbauten und Marktplätze in Dresden - dort sogar mit Schloss und Frauenkirche sowie einigen Palais -, in Potsdam, Hannover, Berlin, Braunschweig, Hildesheim usw.
 
... besteht jedoch bei der Mehrheit der Bevölkerung der Wunsch...
Wo kann man derlei Wünsche nachlesen?

Aus diesem Grunde haben wir rekonstruierte Schlösser, Bürgerbauten und Marktplätze in Dresden - dort sogar mit Schloss und Frauenkirche sowie einigen Palais -, in Potsdam, Hannover, Berlin, Braunschweig, Hildesheim usw.
Die Frauenkirche ist aber auch ein Sonderfall. Hier ist der Wiederaufbau der Frauenkriche, der zu einem großen Teil aus England finanziert wurde, auch ein Symbol des freundschaftlichen Bandes ehemaliger Kriegsgegner. Was Potsdam angeht, so ist die Stadt doch voll von echter historischer Bausubstanz.
Was das Beispiel aus Potsdam angeht, so hat man den Eindruck einer zweiten damnatio memoriae, die erste damnatio memoriae unter Stalin/Ulbricht, die zweite damnatio memoriae unter geschmierten Bürgermeistern, die sich und den Großinvestoren ein Denkmal setzen wollen. Als ginge es darum, bestimmte stadtgeschichtliche Entwicklungen vergessen zu machen.
 
Aus meiner persönlichen Erfahrung wohnen manche Verfechter der 1950er und 1960er Jahre-Architektur gerne in einer alten Wassermühle aus dem 17. Jahrhundert oder in der Gründerzeitvilla eines schicken Vorortes einer Großstadt. Für mich haben die billig hochgezogenen Klötze der 60er Jahre im Westen oder die Plattenbauten im Osten nicht wirklich etwas mit dem Bauhaus der 20er und 30er Jahre zu tun. War denn die Intention des Bauhauses, kostensparend eine große Anzahl gleichförmiger Immobilien zu errichten?
 
Kurz nach der Wende bereiste ich das erste Mal die untergehende DDR (1990). Faszinierend fand ich, dass zum Beispiel das Rheinsberger Schloss zu einer Diabetiker-Klinik umfunktioniert worden war. Also in einem "demokratischen Sinn" verwendet wurde, und gleichzeitig als kulturelles Gedächtnis (der Ereignisgeschichte, der Architektur, Kunst, des Landschaftsgartenbaus, aber auch der Literatur - Fontane, Tucholski) erhalten wurde. Zwei Jahre später (1992) war ich wieder dort, "man" (bei einer Schloßführung) befürchtete den Ausverkauf, eine große Hotelkette interessierte sich für das touristische Filetstück am Rheinsberger See. Insofern bin ich froh, dass es immerhin als Museum im Besitz der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg der demokratischen Öffentlichkeit erhalten geblieben ist. ich habe jetzt in einem Artikel gelesen, dass trotz eines Befehls Stalins 209 von 1947, der den Abriss aller Schlösser befahl, nur etwa 20 % tatsächlich abgerissen wurden, einfach weil man die übrigen Schlösser als Erholungsheime, Waisenhäuser, Bibliotheken, Jugendclubs, Hotels, Museen, Urlaubsheime, Trinkerheilanstalten, Kuhställe, Gemeindeverwaltungen, Kinderheime, Krankenhäuser, Jugendwerkhöfe und Zuchthäuser brauchte. Alle Gebäude zu erhalten ist pragmatisch und finanziell kaum möglich und sinnvoll, über den Erhalt des Rheinsberger Schlosses habe ich mich sehr gefreut. Wahrscheinlich bin ich nur romantisch, oder es liegt an der Erzählung Rheinsberg: Bilderbuch für Verliebte von Kurt Tucholski.
 
Zuletzt bearbeitet:
Fast unbemerkt ist in Berlin tatsächlich ein außerordentlich komplexer Bau ohne große Verzögerung hochgezogen worden, das Berliner Stadtschloss / Humboldtforum.
Mit diesem Bau wird eine schmerzhafte Lücke im Stadtinnenraum der Hauptstadt geschlossen.
Man darf nicht vergessen, der Palast der Republik war ein Prestigebau der DDR. Auch wenn der heutige Zeitgeschmack goldbronzene Thermofenster vielleicht nicht so attraktiv findet, darf man nicht vergessen, dass der Bau mit einem hohen Aufwand gebaut wurde. Das war keine banale Kiste. Wenn der Bau auf der anderen Flussseite gebaut worde wäre, er würde garantiert noch heute stehen.

Zurück zum Humboldtforum:
Wie gefällt euch der Bau? Habt ihr ihn schon besichtigt?

[Politische Äusserungen wurden von der Moderation gelöscht.]

[Über das verdecken von Inschriften darf gerne diskutiert werden: ]
(historische Inschriften sollen verdeckt werden etc etc.)
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Ich habe in den 70ern als 13-jähriger Wessi mit meinem Vater Verwandte in der DDR besucht. Da gab es auch einen Ausflug nach Berlin (Ost), Hauptstadt der DDR, wo wir uns den nagelneuen Palast der Republik anschauten. Der hat damals in meiner Erinnerung seine Funktion voll erfüllt, er war offen, hell und bunt, es gab eine Bandprobe im Foyer, die Leute waren gut drauf, es gab Restaurants und Cafés (oder nur eins davon?). Vielleicht war die Wirkung auf mich nur so positiv, weil das Stadtzentrum sonst so grau und leer und zugig war.
Erst jetzt, an schönen Frühlingstagen, nachdem sich die meisten Rennomiergebäude wieder herausputzen durften, kann einem plötzlich auffallen, dass das Berliner Zentrum seine eigene Schönheit hat.
Zumal da jetzt wieder das Stadtschloss steht.
 
Ich finde es immer seltsam, wieviele Schmerzen eine Lücke zufügen kann. Meiner Erinnerung nach sind die Menschen nicht durch den Lustgarten geirrt und wußten nicht, wo sie waren, weil das Schloß fehlte. Und es ist auch keiner gegangen und hat gesagt "ich flaniere nicht Unter den Linden, weil das Schloß nicht da ist."

Seis drum. Ich bin ja beruflich auch mit dem Schloß beschäftigt, und ich finde es grauenvoll. Ich war mehrfach drin, und das Museum für Asiatische Kunst gefällt mir überhaupt nicht, besonders dahingehend, daß ich die alte Ausstellung in Dahlem kannte und mochte. Auch der restliche Innenausbau des Schlosses hat den Charme einer Flughafentoilette - nichts an den Räumlichkeiten ist einladend. Wenn man sich ja außen so sehr am Original orientiert hat, daß sogar die umstrittene Inschrift an der Kuppel wieder hermußte, ist es frappierend, wie wenig sich im Inneren zeigt - der große Schloßhof ist ja nicht mehr da, so daß sich der Sinn des Eosanderportals gar nicht erschließt.

Am Schlimmsten ist die Ostseite - die war nämlich am interessantesten, denn dort waren noch die ganzen Bauphasen seit Beginn des Schlosses sichtbar gewesen, seit Friedrich II. (dem Markgrafen). Daß man dort nicht mal ansatzweise versucht hat, etwas Erinnerung zu schaffen, sondern diesen phantasielosen Lochstreifen hingesetzt hat, ist ein Offenbarungseid der modernen Architektur.
 
Meiner Erinnerung nach sind die Menschen nicht durch den Lustgarten geirrt und wußten nicht, wo sie waren, weil das Schloß fehlte. Und es ist auch keiner gegangen und hat gesagt "ich flaniere nicht Unter den Linden, weil das Schloß nicht da ist."
Die Leute mögen das Schloss nicht vermisst haben, aber sie hielten sich nicht gerne in der Gegend auf, es sei denn Touristen. Flanieren machte Spaß auf der Luitpoldstraße oder der Maximilianstraße in München, aber nicht Unter den Linden, das könnte sich jetzt langsam ändern.
Das Schlossinnere kenne ich noch gar nicht, und ich habe ein bisschen Angst, dass Du da recht hast.
 
Die Leute mögen das Schloss nicht vermisst haben, aber sie hielten sich nicht gerne in der Gegend auf, es sei denn Touristen. Flanieren machte Spaß auf der Luitpoldstraße oder der Maximilianstraße in München, aber nicht Unter den Linden, das könnte sich jetzt langsam ändern.

Das ist ein bißchen eine Wahrnehmungsfrage, denke ich. Abgesehen davon, daß man den Menschen ja nicht auf den ersten Blick ansieht, ob es Touristen sind oder nicht, war die Gegend nicht menschenleer. Da haben viele Leute gearbeitet, und der Palast der Republik war gut besucht. Auch nach der Wende kann ich mich als Student der Humboldt-Uni nicht an gähnende Leere erinnern. Das unterschied sich wesentlich von der Karl-Marx-Allee/Frankfurter Allee, wo wirklich kaum Spaziergänger zu finden sind, auch heute noch nicht, was natürlich auch mit der Armut an Geschäften oder Restaurants zusammenhängt.

Außerdem, und nun betreiben wir ein bißchen Lokalkolorit, hat ein Berliner in der Regel nie Zeit. Wenn Du irgendwohin willst, bist Du immer eine Stunde unterwegs. Sehenswürdigkeiten besucht man, wenn Gäste da sind, denen man etwas zeigen muß, ansonsten geht man ja nicht zum Brandenburger Tor.
Ein Berliner lebt - abgesehen von den Arbeitswegen - überwiegend in seinem Kiez.
Ick fah' ja ooch nich zuun Kudamm, wat soll ick'n da? Inkoofen kann ick ooch woandas.


Das Schlossinnere kenne ich noch gar nicht, und ich habe ein bisschen Angst, dass Du da recht hast.

Nun, Geschmäcker sind ja unterschiedlich - vielleicht gefällt es Dir ja. Im Keller unter dem Eosander-Portal ist eine archäologische Ausstellung, die ist ganz schön gemacht. Da kommt man auch frei rein.
 
Mein Gott, da kann Deutschland ja aufatmen.
Claudia Roth hat tatsächlich die Rekonstruktion der Innenräume der Frankfurter Paulskirche in letzter Minute verhindern können.

Und jetzt ohne Ironie:
Worum gehts, es gab eine Iniative die die Innenräume der Frankfurter Paulskirche rekonstruieren wollte. Diese Iniative wurde ua. von FW Steinmeier und Frau Grüthers unterstützt. Jetzt ist aber der Plan beendet worden. Claudia Roth hat sich wohl persönlich hierfür eingesetzt.

Auffällig ist hierbei wieder, mit welchem Hass sich Vertreter der politischen Linken in Deutschland gegen alles historische wenden. Es ist aber auch eine Generation von alternden Architekten, die die Nachkriegszeit immer wieder feiern, und alles Alte ablehnen. Man reklamiert für sich einen absoluten Geschmack und lässt keine anderen Meinungen gelten.
Mein Onkel zB. ist ein Architekt und war mal in führender Position in Deutschland und war beim Bau des Hansaviertels in Berlin beteiligt. Auch er ist gegen jede Form von Rekonstruktionen, einmal hat er aber auch zugegeben, das Umfeld und die Histoire haben ihn nie bei seinen Bauten interessiert haben. Ich werde aus Gründen aber hier nicht sagen, in welcher mittelgroßen deutschen Stadt ihr seine Meisterwerke finden könnt :D Sein Todesargument ist in derartigen Debatten immer: das ist bürgerlicher Geschmack! Nur was soll daran eigentlich falsch sein? Man kann ja Architektur nicht ausweichen, von daher sollte ja ein Konsens immer erstrebt werden und nicht nur eine kleine Minderheit ansprechen.

Keine Rekonstruktion: Frankfurter Paulskirche gerettet
 
Auffällig ist hierbei wieder, mit welchem Hass sich Vertreter der politischen Linken in Deutschland gegen alles historische wenden.
Du unterstellst hier ideologische Gründe. Interessanterweise zitierst du einen FAZ-Artikel, der lobt, dass Roth sich gegen die Umgestaltung der Paulskirche wendet. Und die FAZ ist nun mal eher im konservativen Lager zu verorten.

Während du der "politisch Linken" vorwirfst, sich "gegen alles historische zu wenden" (und dann auch noch voller "Hass") vergisst du, dass das Aussehen der Paulskirche heute auch ein Ergebnis eines historischen Prozesses ist.

Du stellst also zwei historische Zustände der Paulskirche gegeneinander und wertest diese als in dem einen Fall mehr und in dem anderen Fall weniger wertvoll. Aus denkmalschützerischer Perspektive ist aber auch der Entwurf von 1948 wertvoll und seinerseits historisch.

Zum Architekten der wiederaufgebauten Paulskirche: Rudolf Schwarz (Architekt) – Wikipedia
Der hatte zunächst Theologie und erst später Architektur studiert und sich auf Kirchenbauten spezialisiert.
 
Nebenbei: vor ca. 20 Jahren hatten grüne Politiker in Ulm dafür plädiert, die historischen Festungsanlagen als Zeugnisse von menschenverachtendem Militarismus abzureissen und an ihrer Stelle Sozialwohnungen zu bauen. Ein wiss. Fach namens Kunstgeschichte betrachtet die Festungsanlagen in Ulm ganz anders... ;)
 
(...) vergisst du, dass das Aussehen der Paulskirche heute auch ein Ergebnis eines historischen Prozesses ist.

Du stellst also zwei historische Zustände der Paulskirche gegeneinander und wertest diese als in dem einen Fall mehr und in dem anderen Fall weniger wertvoll. Aus denkmalschützerischer Perspektive ist aber auch der Entwurf von 1948 wertvoll und seinerseits historisch..

Wobei mein Beitrag noch einige Aspekte mehr enthielt, die du hier nicht ansprichst.
Sicher ist es so, dass jeder bauliche Zustand irgendwie eigenständig ist und irgendwie schützenswert ist.
Wie du an der Debatte zum Palast der Republik sehen kannst, lobe ich durchaus moderne Architektur, wenn sie denn ein wertiger Ausdruck ihrer Zeit ist.
Klar kann man sich einen nüchternen Schreibtisch von dem italienischen Kleinserienhersteller Desalto für 5.000,-- € kaufen. Man darf aber nicht erwarten, dass diese Entscheidung von allen gelobt wird, bzw. die Kaufpreisgestaltung verstanden wird.

Ich gebe zu, ich bin kein Kenner der Frankfurter Paulskirche, aber dies trifft ja auch auf dich zu.
Dem Artikel auf Wikipedia kann man entnehmen, dass der Wiederaufbau 1948 aus finanziellen Gründen deutlich geringer ausgefallen ist, als er ursprünglich geplant war. Auch an dieser Stelle muss aber das heutige dem Vergleich mit der Historie stand halten und ist nicht per se besser, nur weil es neuer ist. Leider ist es so, dass viele Leute schon aus Reflex gegen Rekonstruktionen sind, mir persönlich ist das argumentativ zu wenig.
 
Auch an dieser Stelle muss aber das heutige dem Vergleich mit der Historie stand halten und ist nicht per se besser, nur weil es neuer ist.
Siehst du, genau diese Wertunterscheidung habe ich gar nicht getroffen.
1944 war die Paulskirche nur noch eine Ruine. 1947/48 wurde sie wieder aufgebaut, dabei aber das Innenleben neu gestaltet. Sie ist seitdem einer der Repräsentationsräume der Bundesrepublik, natürlich auch aufgrund ihrer historisch-politischen Bedeutung. Und mit einem Abriss dieser Repäsentationsräume der Bundesrepublik würde man deren Geschichte geringschätzen.

Leider ist es so, dass viele Leute schon aus Reflex gegen Rekonstruktionen sind, mir persönlich ist das argumentativ zu wenig.
Die Welt ist kein Disneyland. Das würde sie aber, wenn wir historische Entwicklungen von Bauwerken zurückdrehen würden, nur um Bauwerke wieder in den - von wem eigentlich definierten? -Idealzustand oder vermeintlichen historischen Ursprungszustand zurückbauen würde. Man stelle sich vor, der Aachener Dom würde wieder auf die ursprüngliche Pfalzkapelle reduziert.
Man schaue sich die Leipziger Universitätskirche an. Die Sprengung des Altbaus war eine Sünde. Das ändert aber nichts daran, dass der Neubau gelungen ist.

Die Paulskirche ist zu vergleichen mit
- der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin
- dem Reichstag
- der Frauenkirche in Dresden.

Bei der Gedächtniskirche hat man den zweiten Namensteil wunderbar umgesetzt, indem man den alten Turm als Mahnmal gegen den Krieg hat stehen lassen und daneben die modernen Bauten der neuen Kirche und des Turms gestellt hat.
Beim Reichstag hat man die von den Nazis zerstörte Kuppel nicht wiederhergerichtet, sondern stattdessen in Erinnerung an die alte Kuppel eine neue Kuppel gebaut, die sich von der alten sichtbar unterscheidet. Notwendig wäre sie aber nicht gewesen, schließlich war das Gebäude auch vor dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin in Funktion.
Bei der Frauenkirche hat man - mit erheblicher Unterstützung aus England - einen Wiederaufbau unter Verwendung erhaltenen Altmaterials gewagt und die Kirche auch im Innern wieder Barock ausgestaltet. Hier war der Wiederaufbau ein symbolisches Werk der Zusammenarbeit ehemaliger Feinde.
 
Weißt du warum man meinte, die Innenräume neu gestalten zu müssen?
Weil Ressourcen (Geld und Manpower) fehlten und Frankfurt 1947/48 drängendere Probleme hatte, als einen Bau nach dem Geschmack 130 Jahre zuvor wiederherzurichten.

Fun Fact: Würde man die Kirche wieder in den Vorkriegszustand bringen, wäre sie schlechter nutzbar als heute, weil bestimmte Räumlichkeiten, die sie heute hat, fehlten, die Emporen aber gar nicht genutzt werden dürften.
 
Die Welt ist kein Disneyland.

Das kostet 5,-- € für das Phrasenschwein. Ein schlechteren Einstieg konntest du kaum wählen.
Dieses Argument gilt ja schon seit Jahren als größtmöglichste dümmliche Vereinfachung von komplexen Sachverhalten.
Man sieht das ja gut an der Debatte über das Berliner Stadtschloss/Humboldtforum, wo bestimmte Leute immer dieses Argument gerne bringen. Dabei wird immer deutlich, dass das Kunsthandwerk und die Leistungen der Steinmetze mit ihren vielen individuell angefertigen Teilen gering geschätzt werden. So eine Fassade ist ein Gesamtkunstwerk und keine aufblasbare Hüpfburg.

Die Paulskirche ist zu vergleichen mit
- der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin
- dem Reichstag
- der Frauenkirche in Dresden.

Beim Reichstag hat man die von den Nazis zerstörte Kuppel nicht wiederhergerichtet, sondern stattdessen in Erinnerung an die alte Kuppel eine neue Kuppel gebaut, die sich von der alten sichtbar unterscheidet. Notwendig wäre sie aber nicht gewesen, schließlich war das Gebäude auch vor dem Umzug des Bundestages von Bonn nach Berlin in Funktion.

Interessant wie flexibel Deine Argumentation ist. Während der Wiederaufbau der Paulskirche sakrosankt für dich ist, ist beim Reichstag es anscheinend gar kein Problem, dass Sir Norman Foster die Nachrkiegsmoderne von Paul Baumgarten emotionslos abgeräumt hat. So führst du oben aus:
Hast du doch bei der Paulskirche geschrieben:
Sie ist seitdem einer der Repräsentationsräume der Bundesrepublik, natürlich auch aufgrund ihrer historisch-politischen Bedeutung. Und mit einem Abriss dieser Repäsentationsräume der Bundesrepublik würde man deren Geschichte geringschätzen.

Also was denn nun, wo bleibt der Aufschrei gegen dieses Frevelei? Komisch, komisch

Dabei ist auch Sir Norman Fosters Innenraumgestaltung des Reichstags nicht unumstritten in der Fachliteratur, da viel häufiger das Stichwort Flughafenwartehalle. Der gestalterische Höhepunkt waren wohl die Vitra Imago Sessel von Mario Bellini in Reichstagsblue.

Vorsicht, daraus lässt sich ja sonst ableiten, das ein moderner Umbau eines internationalen Stararchitekten immer erlaubt ist, ein historischer aber nicht? Gibt es schon wieder Berührungsängste mit der Historie?

Bei der Frauenkirche hat man - mit erheblicher Unterstützung aus England - einen Wiederaufbau unter Verwendung erhaltenen Altmaterials gewagt und die Kirche auch im Innern wieder Barock ausgestaltet. Hier war der Wiederaufbau ein symbolisches Werk der Zusammenarbeit ehemaliger Feinde.

Beliebigkeit ist Trumpf der nächste Teil :D Ohne die Beteiligung der Briten von 1 Million bei Baukosten von über 180 Millionen Euro, wäre wohl auch hier die historische Rekonstruktion eine "schlimme Sache "gewesen.
 
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