Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Mag sein, aber sie zu verrohen und ihnen eine Rückkehr in ein normales Leben zu verunmöglichen ergibt nur dann irgendeinen Sinn wenn überhaupt noch irgendeine zukunftsperspektive vorhanden ist, insbesondere eine, die weitere Instrumentalisierung ermöglicht (um in der verbrecherischen Logik zu bleiben).

Wenn man der Meinung ist, dass das deutsche Volk im Falle einer Niederlage seine Existenzberechtigung sowieso verloren hätte, brauchts auch keine Zkunftsperspektive für Pimpfe...
 
Gerade in der Endphase darf man den völlig enthemmten Ideologen jede Schandtat zutrauen. Die Frage in diesem Strang war nur, ob sie auch oft die Gelegenheit dazu hatten. Wenn die bloße Indoktrination durch den Staat, etwa in Schule und Hitlerjugend, aus allen Kindern potentielle Mörder gemacht hätte, wäre die junge Bundesrepublik Deutschland (ungeachtet all ihrer Versäumnisse) wohl kaum eine Erfolgsgeschichte.

Ich denke, das Beispiel historischer Kindersoldaten zeigt, warum es unwahrscheinlich ist, dass Hitler- und Volksturmjungen regelmäßig zu Tätern wurden. Es muss ein ziemlicher Aufwand betrieben werden, um Kinder so weit zu bekommen, dass sie töten. Drogen, Gewalt, Manipulation im großen Ausmaß. Mit anderen Worten: Es braucht eher einen Joseph Kony oder Abu Bakr al-Baghdadi als einen Artur Axmann.

Und bei aller Propaganda und Indoktrination hatte auch der NS-Staat einem solchen Aufwand gewisse Hürden gesetzt. Natürlich wurde den Jungen eingetrichtert, dass es wahrhaft teutsch sei, die Feinde des Vaterlands auszumerzen, trotzdem wurden auch sie erzogen nach Prinzipien wie: Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, und so weiter, denn es ist ja nicht so, dass man in Hitlers Reich grundsätzlich straflos den Nachbarn erschlagen oder ein Geschäft ausrauben konnte. Es gab Regeln.

Kindersoldaten findet man aber meist in Regionen bzw. unter Umständen, die der Anarchie näher sind als irgendeiner Ordnung, auch einer diktatorischen Ordnung. Charismatische und gewissenlose Soziopathen implementieren ihr eigenes System anstelle der beseitigten oder kollabierten alten Ordnung.
 
Wenn man der Meinung ist, dass das deutsche Volk im Falle einer Niederlage seine Existenzberechtigung sowieso verloren hätte, brauchts auch keine Zkunftsperspektive für Pimpfe...

Ich verstehe ehrlich gesagt den Sinnzusammenhang dieser Entgegnung auf meine Einlassung nicht ganz.

Jugendliche systematisch zu Verbechen zu ermuntern und ihnen so den Weg in ein normales Leben zu verunmöglichen, mit dem Effekt, das sie an die Personen und Organisationen die sie dazu gebracht haben gebunden und dadurch kontrollierbar sind, ergibt nur dann irgendeinen Sinn, wenn diese Personen und Organisationen selbst eine Perspektive haben weiter zu existieren und diese Kontrolle und die sich daraus ergebenden Einflussmöglichkeiten auch ausüben zu können.
Das war in der Endphase des NS-Regimes aber nicht mehr gegeben.

Spätestens Mitte '44 bis Anfang '45 musste jedem, der noch einigermaßen klar denken konnte klar sein, dass das NS-Regime keine Zukunft mehr haben würde, in der sich die Jugendlichen noch würden instrumentalisieren lassen, folglich musste es im Rahmen einer verbecherischen Ökonomie entsprechend auch unsinnig erscheinen in besonderem Maße Energie und Ressourcen darauf zu verwenden auf eine solche Zukunft hin zu arbeiten.

Über den militärischen Wert dürftig ausgerüsteter Jugendlicher ohne ernsthafte militärische Ausbildung, ohne jede reale Kampferfahrung wird man nicht groß diskutieren brauchen, der tendierte gegenüber den kampferfahrenen Streitkräften der Anti-Hitler-Koalition gegen Null.

Die meisten Truppenführer, denen entsprechende Kontingente an "Kindersoldaten" zugeordnet waren, werden diese demach wahrscheinlich in aller erster Linie als Ballast empfunden und dementsprechend nach Hause oder so weit wie möglich in die Etappe geschickt haben, wo sie niemandem im Weg standen.
 
Gerade in der Endphase darf man den völlig enthemmten Ideologen jede Schandtat zutrauen.

Wäre allerdings die frage zu stellen, inwiefern die entsprechend enthemmten Ideologen den unmittelbaren Zugriff auf die ausgehoben Jugendlichen hatte.

Der Volkssturm dürfte ja in den meisten Fällen eher der Wehrmacht, als irgendwelchen Gliederungen der NSDAP oder der Allgemeinen oder Waffen-SS unterstanden haben.
Wenn wir in diesem Zusammenhang mal davon ausgehen, dass die militärischen Vorgesetzten der ganzen Veranstaltung in der Regel eher Berufsmilitärs waren, die die Lage realistisch einschätzen konnten und sicherlich mit geringerer Wahrscheinlichkeit fanatische und ideologisch vollkommen freidrehende Nazis waren, als das Personen aus anderen Strukturen ggf. waren, ließe sich, denke ich auch da die Frage nach der Gelegenheit stellen.

Ich bitte das nicht als schönfärberei der Wehrmacht zu betrachten, dass soll es durchaus nicht sein, die Verbrechen sind ja bekannt, aber letztendlich hat diese Organisation doch weit mehr als andeere bewaffnete Organe des NS-Staates weniger nach ideologischen Gesichtspunkten, als nach militärischer Ratio funktioniert.
 
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Ich bezweifele ja, dass jemand freiwillig als 14jähriger zum Volkssturm ging. Haben die Nazis die Kinder nicht gezwungen zu gehen und sie in den letzten Kriegstagen im Volksstürm als Kanonenfutter verheizt?
Wer sich weigerte wurde von denen erschossen, Kind hin oder her.
Selbst wenn noch eines dieser Kinder leben würde, wäre eine Anklage völlig unangebracht.
Denn was für eine Option hatten die Menschen denn damals? In einer brutalen Diktatur, in der jeder Widerstand und am Ende auch Verweigerung mit dem Tod bestraft wurde?

Nein!

Die Nazis haben 12 Jahre lang Kinder indoktriniert und aufgehetzt, nach dem Motto dass "Jugend von Jugend geführt wird. Sie haben Kindern beigebracht, dass sie nichts sind, aber ihr Volk alles, dass auch Kinder ihren Beitrag zum Endsieg leisten können. Der Einsatz an Arbeitskraft, Engagement und Begeisterung, den HJ und BDM als Erntehelfer, Flakhelfer, usw. in der Landwirtschaft, in der Rüstungsindustrie und anderen Bereichen war durchaus beachtlich.

Die HJ wurde teilweise eingebunden etwa bei der Jagd nach entflohenen Häftlingen. Es gab den sogenannten HJ-Streifendienst. Das waren Jugendliche, die eingesetzt wurden, um andere Jugendliche zu kontrollieren: Bündische Jugend, Pfadfinder, Swing-Jugend, Edelweißpiraten.

Der HJ-Streifendienst war nicht zimperlich. Überlebende berichten, dass oppositionelle Jugendgruppen von Streifendienst zusammengeschlagen wurden. Kindersoldaten gehörten häufig zu den fanatischsten. Einige glaubten, dass sie gebraucht wurden für den Endsieg, und zahlreiche autobiographische Werke wie "Die Brücke" von Manfred Gregor berichten davon, dass der Kriegseinsatz vielfach als großes Abenteuer gesehen wurde, und Jugendliche geradezu auf den Kriegseinsatz brannten.

Der Regisseur und Autor Imo Moskowiecz nahm an einem der letzten "Todesmärsche" teil, mit denen die letzten Häftlinge "evakuiert" wurden. Zum Begleitschutz gehörten auch zwei Hitlerjungen nicht älter, als 16 oder höchstens 17. Diese beiden Jungen waren laut Moskowiecz Erlebnisbericht die schlimmsten Totmacher, die in großer Zahl Zurückbleibende und Erschöpfte erschossen.

Einer der Angeklagten im Auschwitz-Prozess war Hans Stark aus Darmstadt. Trotz seiner Jugend, er kam mit 17 Jahren nach Auschwitz war er unglaublich brutal. Überlebende berichteten, dass sie den Eindruck hatten, dass Stark mit seiner Brutalität beweisen wollte, dass er ein vollwertiger SS-Mann war. Als Gymnasiast wurde er mit 17 Jahren Rapport-Führer und Herr über Leben und Tod. Das Abitur bestand er mit Hilfe ausgezeichneter Mentoren. Stark wurde nach Jugendrecht verurteilt, er hat (Angabe ohne Gewähr 10 Jahre bekommen), da er zur Tatzeit noch nicht volljährig war.

Die Soldaten die zur Wehrmacht (oder seit 1943 zur Waffen-SS gezogen wurden, hatten bei der HJ schon schießen gelernt, wie man mit Karte und Kompass umgeht oder ein Funkgerät bedient. Es gab bei der HJ Untergliederungen wie die Motor-HJ, die Flieger-HJ und die Marine-HJ wo gezielt Nachwuchs für die Luftwaffe, Marine oder Panzertruppe ausgebildet wurde.

"Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes, als Deutsch denken und handeln. Wenn diese Knaben und Mädel in unsere Organisation kommen und überhaupt erst eine frische Luft bekommen, dann kommen sie zum Jungvolk oder in die HJ. Dann nehmen wir sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder SS. Und wenn sie dort noch immer noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sind, dann kommen sie in den (Reichs)Arbeitsdienst. Was dann noch an Klassenbewusstsein oder Standesdünkel vorhanden sein sollte, dass übernimmt dann die Wehrmacht zur Weiterbehandlung. ...Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben. Aber sie sind glücklich dabei, sie sehen sich ganz anders an."

"Dann kommt eine neue deutsche Jugend, und die dressieren wir schon von von klein auf an für diesen neuen Staat. Bei der bringen wir solche (humanistischen und demokratischen) Gedanken von Vornherein schon zu Fall."

Hitler 1937

Selten hat jemand so offen seine Absichtn ausgesprochen.

HJ und BDM-Mitglieder wurden immer am 20. April (Führergeburtstag) in die HJ oder den BDM aufgenommen. Die HJ nutzte jugendliches Aufbegehren gegen das Elternhaus oder die Schule, um Jugendliche zu gewinnen. Die Jugend wurde systematisch im Sinne der NS-Ideologie indoktiniert, und es wurden Jugendliche natürlich als Kanonenfutter sinnlos verheizt, es waren Jugendliche aber nicht bloß Opfer, sie wurden sehr früh schon als Helfer eingebunden, und einige Jugendliche durchaus auch als Mittäter. Es gab Kinder, die Nachbarn oder die eigenen Eltern denunzierten.

Kinder und Jugendliche wurden gezielt eingebunden, andere Kinder und Jugendliche, vor allem Jugendliche, die von der Linie abwichen zu verfolgen, und gerade in den letzten Kriegsjahren wurden Jugendliche auch in großer Zahl Mittäter. In den letzten Kriegstagen kam es immer wieder vor, dass besonnene Leute, die sinnlosen Widerstand zu verhindern suchten, von fanatisierten Kindersoldaten erschossen oder gelyncht wurden.
Dass die SS bei Todesmärschen oder dergleichen auf "Nachwuchs" aus der HJ zurückgriff, war kein Einzelfall. Das Personal in vielen KZs war teilweise sehr jung. Nicht wenige dieser Jugendlichen zeigten wie Hans Stark außerordentliche Brutalität. Hans Stark sagte in seinem Schlusswort, dass er sich die Frage stelle, ob er zum Verbrecher geworden sein. (Er habe darauf keine Antwort gefunden so Hans Stark.)

Adolf Hitler Dezember 1938
 
Wäre allerdings die frage zu stellen, inwiefern die entsprechend enthemmten Ideologen den unmittelbaren Zugriff auf die ausgehoben Jugendlichen hatte.

Der Volkssturm dürfte ja in den meisten Fällen eher der Wehrmacht, als irgendwelchen Gliederungen der NSDAP oder der Allgemeinen oder Waffen-SS unterstanden haben.
Wenn wir in diesem Zusammenhang mal davon ausgehen, dass die militärischen Vorgesetzten der ganzen Veranstaltung in der Regel eher Berufsmilitärs waren, die die Lage realistisch einschätzen konnten und sicherlich mit geringerer Wahrscheinlichkeit fanatische und ideologisch vollkommen freidrehende Nazis waren, als das Personen aus anderen Strukturen ggf. waren, ließe sich, denke ich auch da die Frage nach der Gelegenheit stellen.

Ich bitte das nicht als Schönfärberei der Wehrmacht zu betrachten, dass soll es durchaus nicht sein, die Verbrechen sind ja bekannt, aber letztendlich hat diese Organisation doch weit mehr als andeere bewaffnete Organe des NS-Staates weniger nach ideologischen Gesichtspunkten, als nach militärischer Ratio funktioniert.

Ich denke dabei auch weniger an den Volkssturm. Die SS aber warb kräftig um die Jugend. Ab 1943 konnten Jugendliche auch zur Waffen-SS eingezogen werden. Mit der HJ besaß die SS eine Art Nachwuchs-Reservoir, und Sonderformationen wie die Motor-, Flieger- und Marine-HJ fungierten schon vor dem Krieg als Nachwuchs- und Kader-Schmiede. Die Wehrmacht, Luftwaffe, Kriegsmarine oder Waffen-SS konnte ziemlich sicher sein, dass sie Nachwuchs bekamen, die schießen konnten, die mit Karte und Kompass arbeiten konnten. Bei Fahndungs-Aktionen nach Kriegsgefangenen, oder wenn Flugblätter eingesammelt werden sollten, durchaus auch bei der Bekämpfung von Jugendgruppen und zuletzt auch bei Todesmärschen griff die SS immer wieder auf Freiwillige aus der HJ oder aus dem HJ-Streifendienst zurück.
 
Zwar halte ich es prinzipiell für möglich, dass während der sog. Endphase auch Volkssturmmitglieder, die die Beteiligung an Verbrechen verweigerten, ermordet wurden (eine Handvoll entsprechender Fälle in der Wehrmacht und unter Beamten sind verbürgt, insofern wäre der Volkssturm eine bemerkenswerte Ausnahme).

Insgesamt ist aber festzuhalten – wie Browning in 'Ordinary Men' so beeindruckend herausgearbeitet hat –, dass die Teilnahme an Kriegsverbrechen im Dritten Reich in der weit überwiegenden Zahl der Fälle freiwillig erfolgte. Es sind sogar Fälle überliefert, bei denen die Teilnahme explizit freigestellt und versprochen wurde, dass den Betreffenden keine Nachteile drohten.

Gerade im Osten kam es sehr selten vor, dass verbrecherische Befehle verweigert wurden, und wenn, hielten sich die Folgen in Grenzen. Todesurteile oder Haftstrafen sind nur wenige verbürgt, etwas häufiger kam es zur strafweisen Versetzung zur "Bewährung", was oft (aber nicht immer) mit einer höheren Gefährdung verbunden sein konnte.

Zwar muss man meiner Ansicht nach in Rechnung stellen: Aus der Rückschau ist es einfach, Mut einzufordern; und natürlich muss man gar nicht jede Abweichung bestrafen, um eine Bevölkerung zu kontrollieren, es genügt, die bloße Möglichkeit der Bestrafung nicht in Vergessenheit fallen zu lassen. Trotzdem bleibt die traurige Wahrheit: Die Nazis mussten in der Regel zu nichts zwingen.

Der Gruppenzwang in der von ihnen gleichgeschalteten Gesellschaft genügte zumeist vollauf, um sich der Duldung oder Komplizenschaft der Männer sicher sein zu können. Dies war ja auch eines der Ziele der Nazis. Ich habe die genaue Fundstelle des Zitats vergessen, aber Goebbels sagte einmal, dass er die Deutschen alle zu Mittätern machen wolle; denn dann müssten sie alles für den Endsieg geben, weil sie andernfalls die Vergeltung der Sieger zu fürchten hätten. Eine Schicksalsgemeinschaft der Schuldigen.

Die soziale Bindung in den Einheiten erledigte den Rest. Es ist nicht so sehr der Krieg an sich, der den Soldaten verroht, sondern auch eine tragisch-simple Tatsache: Wenn man zum eigenen Überleben darauf angewiesen ist, dass die Kameraden alles für einen tun werden, will man naturgemäß nicht derjenige sein, der Zweifel daran aufkommen lässt, ob auch er bereit ist, für die Gemeinschaft alles zu tun. Es braucht deswegen in einer schlecht oder nach inhumanen Prinzipien geführten Einheit potentiell nur ein paar schwarze Schafe, die mit schlechtem Beispiel vorangehen, schon ist die Gefahr groß, dass der Rest mitzieht.

Man wusste, dass Exekutionen auch das Nervenkostüm der Abgebrühtesten belastete. Beim Reservebataillon der Hamburger Polizei sagte der Kommandeur "Papa" Kraft, dass man zurücktreten konnte. Es kam vor, dass Leute, die nicht mitmachten, von Kameraden geschnitzten wurden, dass sie nicht befördert wurden.

Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre ich selbst ins KZ gekommen" war die lahme Entschuldigung der Täter. Tatsächlich aber gibt es nicht einen einzigen Fall, dass tatsächlich jemand erschossen wurde, weil er einen Tötungsbefehl nicht befolgt hat.

Natürlich stellte sich keiner hin und sagte "Das mache ich nicht!" Man meldete sich krank, man versuchte sich versetzen zu lassen, man schob irgend etwas vor. Es gab da natürlich eine Menge an Möglichkeiten, eine offene Befehlsverweigerung zu vermeiden. Was vorkam, war dass Leute, die Frauen und Kinder nicht erschießen wollten, Latrinendienst, Küchendienst schoben, dass Kameraden sie als Weicheier beschimpften, dass man den Verweigerern vorwarf, sie überließen den Kameraden die Drecksarbeit.

Soweit wir heute wissen, braucht es für Kriegsverbrechen keine Überzeugungstäter. "Ganz normale Männer" reichen. Zu den Ersten, die Juden umbrachten, gehörte das Hamburger Polizeibataillon. Das waren Leute, die aus der Schule der Hamburger Kripo kamen, nicht unbedingt stramme Nazis. Da gab es durchaus eine Menge Vorbehalte und Skrupel. Der Kommandeur war in Tränen aufgelöst, es gab einige, die sich weigerten, aber dennoch funktionierten die Leute, bildete sich eine Gruppendynamik. Um dazuzugehören machten die Meisten wider besseres Wissen mit.
 
Dafür spricht schon, dass auch in totalitären Systemen Kinder eher nicht als Täter in Erscheinung treten; dafür spricht der Mangel an prägnanten Fallbeispielen (die zu Recht thematisiert worden wären).

Aber vor allem: Stelle Dir vor, Du seiest irgendein fanatischer SS-Scharführer im April 1945. Wem befiehlst Du, den entlaufenen Kriegsgefangenen zu ermorden, den Du "gestellt" hast: Deinem 50-jährigen Volkssturmmann, der wahrscheinlich auch noch ideologisch mit Dir übereinstimmt, oder einem Pimpf, der kaum seinen Karabiner gerade halten kann? Da fällt die Wahl doch eher auf den Erwachsenen.

Kinder und Jugendliche lassen sich aber viel leichter indoktrinieren, als Erwachsene. Ein erfahrener Mensch, wägt sorgfältiger ab, ist weit weniger risikofreudig. Kindersoldaten sind oft weitaus fanatischer.

Wenn ich ein fanatischer SS-Scharführer wäre, hätte ich weitaus mehr Vertrauen in einen Kinder-Soldaten, der sein ganzes Leben im NS verbracht hat, der mit 10 zum Jungvolk, mit 14 zur HJ gekommen ist und jahrelang im Sinne der NS-Ideologie indoktriniert wurde. Der womöglich glaubt, er könnte mit seinem Opfer noch den Endsieg erzwingen.

Da dürfte eher auch größere ideologische Übereinstimmung vorhanden sein, als beim über 50 Jährigen, der schon den Ersten großen Kladderadatsch miterlebt hat, und dem man zumindest soviel Sachverstand zutrauen darf, dass er eher weniger Ambitionen verspürt, in letzter Minute noch den Heldentod zu sterben.

Ein Großteil der Täter in Auschwitz war recht jung. Hans Stark wurde mit 17 Rapport-Führer. Die Gestapo hat wiederholt mit dem HJ-Streifendienst zusammengearbeitet. Auch die Beteiligung von HJ-Mitgliedern bei Todesmärschen oder bei Fahndungen war kein Einzelfall. Die SS nutzte in großem Umfang die HJ als Nachwuchsreservoir. Während des Krieges wurde eine Waffen SS-Division Hitlerjugend aufgestellt, die in der Normandie enorme Verluste erlitt.

Hans Stark meldete sich zu den Totenkopfverbänden, da dort schon 16 Jährige aufgenommen wurden. Starks Vater war Polizeibeamter, der als sogenannter "Zwölfender" sich für 12 Jahre beim Militär verpflichtet hatte. Bei der Schuler der Nation, die Starks Vater als geeignete Erziehungs-Institutionen betrachtete, bei der Wehrmacht und beim Reichsarbeitsdienst war das Mindestalter 17. Hans Stark trat daher mit 16 Jahren in die 2. SS-Totenkopfstandarte Brandenburg ein. Mit 16 wurde Stark Außenlager-Führer in Sachsenhausen. Er ging dann nach Buchenwald und Dachau, wobei er Rottenführer Rekrutenausbilder war. 1940 kam Stark als 19 Jähriger nach Auschwitz, wo er Blockführer wurde.
 
Lebt überhaupt noch einer von denen? Es sind jetzt 78 Jahre seit Kriegsende, die Täter müssten also schon auf die 100 zugehen, da kann eigentlich kaum noch jemand übrig sein. Falls die noch leben, sind die vielleicht auch schon dement und kriegen nichts mehr mit da macht eine Verurteilung wenig Sinn. Das hätte gleich 1945 gemacht werden müssen, die Nürnberger Prozesse waren nur für die prominenten Verbrecher, die anderen kamen alle davon. Jetzt noch sabbelnde, fast 100 jährige Opis vor Gericht zu stellen bringt nichts, es hätte direkt gemacht werden.

Natürlich hätte es viel früher eine juristische Aufarbeitung geben müssen. Um verhandelt zu werden, um angeklagt zu werden, muss man aber auch erst mal eine hieb und stichfeste Anklage haben. Dafür braucht es Personal, es braucht Arbeitszeit. Archive waren zerstört Aktenbestände ausgelagert worden. Die Opfer waren vielfach schwerstens traumatisiert, konnten oder wollten sich nicht erinnern. Seinerzeit die Nürnberger Prozesse, aber auch der Auschwitz-Prozess erforderte eine akribische Vorbereitung, und es waren eben auch so viele irgendwo beteiligt, dass es praktisch gar nicht möglich war, die alle zur Verantwortung zu ziehen, selbst wenn das Engagement dazu größer gewesen wäre.

Eine historische und eine moralische Aufarbeitung war in 1-2 Generationen kaum zu schaffen. So bedauerlich das auch sein mochte, es musste das Land und die Demokratie eben mit dem Volk wieder aufgebaut werden es gab kein anderes. . Fairerweise wird man auch konstatieren müssen, dass die meisten "alten Nazis" mit der Zeit ganz passable Demokraten wurden, die Errungenschaften der Demokratie durchaus zu schätzen wussten. Sicher, viele gerioeten bei Erinnerun gen an HJ-Fahrten oder KDF-Fahrten ins Schwärmen, aber selbst wenn Mancher daher schwadronierte, dass "ein kleiner Adolf" Not tue, wünschten sich den doch nur ganz Wenige zurück.



Zu Demenzkranken. Es kommt tatsächlich gar nicht so selten vor, dass in deutschen Gefängnissen tatsächlich Demenzkranke landen.

Das sind in der Regel Leute, die selten ihre Post lesen. Die stecken etwas aus Versehen ein oder ziehen auch mal die Notbremse. Meistens wird die Erkrankung nicht erkannt. Es kommt die Polizei, schimpft ein bisschen., es gibt irgendeine Geldstrafe. Es erfolgt keine Reaktion darauf, und dann geht die Sache eben ihren Gang.

Das würde mit Sicherheit nicht passieren, wenn diese Leute einem Richter vorgeführt würden. Kein deutsches Gericht, sei es noch so hartgesotten, würde in Kenntnis der Krankenakte bei Demenzkranken den Vollzug anordnen. Die Diagnose kristallisiert sich oft erst nachträglich auf, die Leute gelten eben als ein "bisschen tüttelig".

Die Gefängnisleitungen versuchen auch, darauf Rücksicht zu nehmen. Selbst wenn bei über 90 Jährigen tatsächlich eine Haftstrafe ausgesprochen würde- Kein Gericht würde in so einem Fall dann tatsächlich noch die Vollstreckung anordnen.

Auf ältere Gefangene wird in deutschen JVAs schon Rücksicht genommen. Es gibt in zahlreichen JVAs Trakte für Gefangene über 60 . Auch wenn Vollzugsgesetze das eigentlich nicht erlauben, sind die meisten Beamten geneigt, bei älteren Gefangenen ein Auge zuzudrücken, ihnen zusätzliche Freizeit/Freistunde zu gewähren, teilweise die Zellen nur für die Nacht abschließen. In der Regel wird das auch von anderen Gefangenen akzeptiert-niemand würde sich darüber beschweren.
 
Ich denke dabei auch weniger an den Volkssturm. Die SS aber warb kräftig um die Jugend. Ab 1943 konnten Jugendliche auch zur Waffen-SS eingezogen werden.

Meine Ausführungen bezogen sich explizit auf den Volkssturm, weil weiter vorne explizit von Verbrechen des Volkssturms die Rede war.

Im Hinblick auf die Waffen-SS magst du sicherlich recht haben, in diesem Rahmen hatten Jugendliche sicherlich häufiger die Gelegenheit entsprechende Verbrechen zu begehen.
 
Lebt überhaupt noch einer von denen? Es sind jetzt 78 Jahre seit Kriegsende, die Täter müssten also schon auf die 100 zugehen, da kann eigentlich kaum noch jemand übrig sein. Falls die noch leben, sind die vielleicht auch schon dement und kriegen nichts mehr mit da macht eine Verurteilung wenig Sinn. Das hätte gleich 1945 gemacht werden müssen, die Nürnberger Prozesse waren nur für die prominenten Verbrecher, die anderen kamen alle davon. Jetzt noch sabbelnde, fast 100 jährige Opis vor Gericht zu stellen bringt nichts, es hätte direkt gemacht werden.

Ich finde es durchaus sinnvoll, dass Mord nicht verjährt. Durch Fortschritte in der forensischen Kriminalistik ist es in den letzten Jahren immer wieder mal vorgekommen, dass Morde noch nach Jahren oder Jahrzehnten aufgeklärt werden konnten. Die Verurteilung des Täters macht das Opfer nicht mehr lebendig. Für die Familienangehörigen etwa von ermordeten Kindern wie Johanna Bohnacker ist die Aufklärung der Tat und des Tathergangs und die Verurteilung des Täters, der im Fall Bohnacker mehrfach bei Ermittlungen durch die Maschen gegangen aber vielfach eine große Erleichterung.

Es ist zu bedenken, dass heute bei Anklagen nur um Mord oder Beihilfe zum Mord gehen kann. Alles andere, und wäre der Beschuldigte noch so schuldig- es wäre verjährt.

Man kann natürlich sagen, dass die juristische Aufarbeitung zu spät kommt. Es gab ja vor ein paar Jahren den Fall des Buchhalters von Auschwitz Oskar Gröning. Gröning hatte in mehreren Verfahren als Zeuge ausgesagt, er wurde aber nie angeklagt. In 2007-2008 oder so, gab es eine sehr gute Doku der BBC über Auschwitz. Gröning hatte sich damals als Zeitzeuge zur Verfügung gestellt.

Er hatte damals freimütig über das Gebaren der SS berichtet. Da war nicht von Mord und Totschlag die Rede. Eher von geraubten Devisen und vom Privatleben der SS in Auschwitz. Gröning war so ein ganz anderer SS-Mann. Er war kultiviert, freundlich, wirkte sympathisch, ein Schlitzohr , ein Mensch wie du und ich.

Gröning war kein Mörder, er hat aber ungeachtet des Mordens um ihn rum eine ruhige Kugel geschoben. Auschwitz sei wie eine Kleinstadt gewesen, und es habe Jubel Trubel Heiterkeit geherrscht. Gröning wurde gefragt, ob er kein schlechtes Gewissen habe, weil er es sich eingerichtet hat und von dem System profitierte. Gröning sagte: "Absolut nicht!" Er war ein wirklich hochinteressanter Zeitzeuge, ein durchaus sympathisch wirkender Mann war offensichtlich dass Gröning in der Demokratie angekommen und kein verkappter Nazi war. Ein durchaus sympathischer Typ, interessanter Gesprächspartner aber zugleich auch ein skrupelloser Opportunist.

Als er dann schließlich angeklagt wurde, war er schon recht gebrechlich. Es war auch, durchaus schon bei der BBC-Doku zu merken, dass Oskar Gröning sich schuldig fühlte-- Das forsche Bekenntnis, er bedaure nicht, dass er in Auschwitz eine ruhige Kugel schob, seinen Vorteil nutzte, das nahm man Gröning nicht so recht ab. Er sagte damals auch, dass ihn Holocaust-Leugner dazu motiviert hätten, sich zu äußern, dass er diesen Leuten sagen wolle: "Ich war in Auschwitz und es ist alles wahr!" Oskar Gröning hat den Ausgang seines Verfahrens nicht mehr erlebt, er ist vor dem Urteil gestorben.

Niemand hätte Gröning ins Gefängnis gesteckt. Er war nie straffällig geworden, hat sich nie rechtsradikal betätigt, er war ein Deutscher, der völlig in der Demokratie angekommen war. Er wirkte so ganz anders, als Charaktere, die aus dem KZ-Universum bekannt wurden: Josef Mengele, Irma Grese Maria Mandl und wie sie alle hießen.

Der Prozess gegen Oskar Gröning konnte nach Lage der Dinge eher symbolischen Charakter haben. Ich finde aber nicht, dass man ihn sich hätte schenken können. Grönings Aussagen auch im Rahmen der Doku sind wertvolle Zeitzeugenberichte. Auschwitz war ein arbeitsteiliger Betrieb. Der sympathische Buchhalter, der sich vom Geklauten etwas einsteckte oder die nette Sekretärin gehörten ebenso zum Betrieb wie die "Bestien". Auch wenn an Ende eine Strafe ausgesetzt und am Ende nicht vollstreckt wird, trägt ein Prozess ja auch dazu bei, einen Tathergang zu rekonstruieren und vollständig aufzuklären. Bei einigen Mordfällen, die zum Teil oft nach Jahrzehnten aufgeklärt wurden, hat die Aufklärung Betroffene vielfach erleichtert. Zu wissen, wie es passiert ist, erleichtert Angehörigen die Bewältigung.
Manchmal erleichtert das Bekenntnis auch den Täter. Es kommt immer wieder mal vor, dass Täter ohne Zwang nach Jahren eine Tat gestehen, weil die Schuld sie drückt, weil sie "reinen Tisch" machen wollen.

Es wirkte bei Gröning im Rahmen der BBC-Doku und auch im Prozess als habe es ihn selbst getrieben, dass alles endlich mal rauszulassen, darüber zu sprechen. Ich denke, es war kaum zu übersehen, dass Gröning sich schuldig fühlte.

Er fühlte sich schuldig, natürlich auch, weil er schuldig war. Er wirkte sympathisch, er sprach recht offen über seine Erfahrungen, und er war so ganz anders, als die Tötungsarbeiter, die sich auf Befehlsnotstand herausreden wollten, und er gab offen Auskunft über das Drohnendasein der SS.
 
Es genügt wohl der Hinweis, dass Verjährungsfristen prozessökonomischen Bedenken geschuldet sind. Mit Gerechtigkeit haben sie nichts zu tun. Bei einem verhältnismäßig leichten Unrecht mag es noch angehen, zu sagen, dass die Wahrheitsfindung nach so-und-so-vielen Jahrzehnten allzu erschwert wäre und die Sache doch schon abgetan sei. Mord ist freilich unentschuldbar. Die Menschenwürde ist unantastbar, so besagt es das Grundgesetz. Wer mordet, tastet die Menschenwürde nicht bloß an, er negiert sie. Insofern ist es unumgänglich, den Täter bis an sein natürliches Lebensende zu verfolgen.
 
Wenn ich hier lese, wie die Rolle des Volkssturms und der Hitlerjugend hier teilweise kleingeredet wird, dann komme ich nicht umhin zu denken, dass die Masterarbeit, auf die @Sepiola verwies, nicht gelesen wurde. Stattdessen wird aus hohler Hand argumentiert und über die Rolle der Täter gemutmaßt.
Und das in einem Geschichtsforum. :(

Für jene, die diese detaillierte Arbeit doch noch lesen wollen, hier Sepiolas Posting vom 9. Juli 2023:
Eine andere verbrecherische Menschenjagd unter Beteiligung des Volkssturms gab es in Krems - Stein an der Donau, dieser fielen Hunderte von entlassenen Gefangenen sowie einige Justizbeamte zum Opfer.
(...)
https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwjFi62fp_7_AhUOVKQEHRV3BJoQFnoECCcQAQ&url=https://phaidra.univie.ac.at/download/o:1286068&usg=AOvVaw07GWUmqIyqgQ6jAIg1ZOMJ&opi=89978449
Ich zitiere nur einen Satz aus dieser Arbeit:

So arbeiten auch im Stein-Komplex verschiedene Einheiten der Wehrmacht, SS-, SA-, GESTAPO-, Volkssturm- und HJ-Angehörige Hand in Hand mit einfachen ParteigenossInnen sowie zufällig anwesenden ZivilistInnen.
 
Auch im nationalsozialistischen Deutschland war Mord eine Straftat. Die Paragraphen im Strafgesetzbuch zu Mord und Totschlag sind heute noch die von 1941, weshalb Heiko Maaß, als er noch Justizminister war, eine Strafrechtsreform anstrebte. Es ist ja nicht so, dass im nationalsozialistischen Dtld. gänzlich andere Werte gegolten hätten.

Es gab ja sogar mal den Fall, dass ein Mörder wegen der Ermordung von KZ-Häftlingen dafür verurteilt wurde:

Ich denke hier an Karl Otto Koch, den Kommandanten von Buchenwald.

Der hatte sich heftig verkracht mit Gruppenführer Josias von Waldeck. Da Buchenwald zum Zuständigkeitsbereich des höheren SS und Polizeiführers Waldeck fiel, ließ dieser wegen Korruption Koch verhaften, als er glaubte, genug gegen ihn in der Hand zu haben. Koch wurde aber von Oswald Pohl und Himmler gedeckt, der Koch freiließ und die "Lex Waldeck" erließ. SS-Führer sollten künftig nur mit seiner Erlaubnis angeklagt werden.

Dass Waldeck sich über Korruption beschwerte, war freilich ein Witz. Er ließ ein eigenes Forschungsamt gründen, das keine andere Aufgabe hatte, als die von Waldeck geschossenen Rehböcke zu versorgen. (Eugen Kogon Der SS-Staat)

Waldeck ließ aber nicht locker. Er war mal in Buchenwald von zwei Häftlingen, Karl Peix und Walter Krämer wegen Furunkulose behandelt worden, einer von ihnen war Heilpraktiker oder Pfleger, und es gelang, Waldeck zu kurieren. Peix und Krämer wussten aber so einiges von Kochs Schandtaten, und einer von beiden hatte Koch mal wegen Syphilis behandelt. Als lästige Mitwisser ließ Koch sie daher "auf der Flucht" erschießen.

Waldeck sammelte akribisch Material gegen Koch, ließ Aufseher befragen, und er intrigierte heftig bei Himmler, dem er seine Untersuchungsergebnisse mitteilte. Auf Kochs Unregelmäßigkeiten und Kontobewegungen war inzwischen auch der SS-Richter Morgen aufmerksam geworden. Pohl deckte Koch nicht mehr, und auch Himmler hielt nicht mehr die Hand über ihn. Am 24. August wurde Koch samt seiner Ehefrau Ilse, der "Hexe von Buchenwald" von der Gestapo verhaftet und wegen Korruption und wegen den Morden an Peix und Krämer angeklagt und verurteilt.

1944 wurde vor einem SS-Gericht der Fall gegen die Kochs verhandelt. Kurz vor Ende des Krieges wurde Karl Otto Koch in Buchenwald erschossen.
 
Wie ist eigentlich der aktuelle Forschungsstand zu Konrad Morgen? Er versuchte sich ja selbst als jemanden darzustellen, der innerhalb seiner Möglichkeiten bestrebt gewesen sei, die schlimmsten Exzesse in den KZs zu unterbinden (was freilich ein Paradoxon ist, war das KZ doch bereits ein Zivilisationsbruch).
 
Niemand hätte Gröning ins Gefängnis gesteckt.
Das Bundesverfassungsgericht entschied am 21. Dezember 2017, Grönings hohes Alter stehe einer Verbüßung der Strafe nicht entgegen
Oskar Gröning – Wikipedia
Am 29. November 2017 entschied das OLG Celle, der 96-jährige Gröning müsse die Haft antreten (AZ 3 Ws 491/17). Das Gericht entschied auf der Basis eingeholter Sachverständigengutachten, dass er trotz seines hohen Alters vollzugstauglich sei. Es verstoße auch nicht gegen Grundrechte des Verurteilten, ihn in den Strafvollzug aufzunehmen. Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit überwiege die Rechte des Verurteilten.[31][32]

Grönings Beschwerde dagegen beim Bundesverfassungsgericht wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Die dritte Kammer des Zweiten Senats entschied am 21. Dezember 2017, Grönings hohes Alter stehe einer Verbüßung der Strafe nicht entgegen.[7][33] Ein von Gröning daraufhin eingereichtes Gnadengesuch nach der Niedersächsischen Gnadenordnung[34][35] wurde abgelehnt.[36] Im Februar 2018 richtete Gröning ein zweites Gnadengesuch an das niedersächsische Justizministerium.[37] Noch vor der Entscheidung der Justizministerin verstarb Gröning am 9. März 2018, ohne die Strafe angetreten zu haben.[38]
 
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Dem Ukrainer John Demjanjuk wurde vorgehalten, er hätte zu den sowjetischen Partisanen flüchten können. Die für den Völkermord an den Ukrainern verantwortlich waren.

Unsinn + polemische Verzerrung der Urteilsbegründung

Aus dem Urteil LG München II, 1. Strafkammer, 12.05.2011,
1 Ks 115 Js 12496/08, dort zitiert aus dem historischen Gerichtsgutachten sowie aus diversen Fälle vorheriger Strafverfahren:


Von den rund 5000 Trawniki-Männern haben mindestens 1000 sich vom Dienst mit oder ohne Waffe in der Absicht entfernt, dauerhaft nicht mehr zurückzukehren. Die Motive hierfür waren vielfältig: Viele verließen die Truppe aus Gewissensgründen, weil sie die massenhafte Ermordung wehrloser Menschen nicht mehr mitmachen wollten. Viele befürchteten aber auch die Bestrafung durch das eigene Land, wenn sie nach dem Ende der Kampfhandlungen wieder in ihre Heimat zurückkehren wollten. Manchen war auch einfach der militärisch geregelte Dienst zu unangenehm. Mit der im Winter 1942/43 eingeleiteten Wende im Krieg gegen die UdSSR und dem damit einhergehenden, allgemein bekannten Vormarsch der Roten Armee gegen Westen desertierten die Angehörigen der Trawniki-Wachmannschaften in zunehmendem Maße.

Viele der Geflüchteten schlossen sich Partisanengruppen an oder versuchten sich auch zu Einheiten der Roten Armee durchzuschlagen. Im Bereich um Chelm und Sobibór nahe dem Grenzfluss Bug gab es eine starke ukrainisch sprechende Bevölkerungsgruppe, so dass geflüchtete Trawniki-Männer ukrainischer Herkunft keine Verständigungsschwierigkeiten hatten.


Den Trawniki-Männern war bewusst, dass sie sich der Ermordung wehrloser Menschen durch Flucht aus dem Lager entziehen konnten und in der Umgebung mit der gemischt polnisch-ukrainisch-sprachigen Bevölkerung und in dort operierenden Partisanengruppen Unterschlupf finden konnten, wenn sie den Fahndungsmaßnahmen der Polizei entgangen sein würden. Dies wussten sie auf Grund ihrer Kontakte mit der Bevölkerung während ihre Ausgänge.


Der Angeklagte hatte wie alle anderen Trawniki-Männer während der Dauer seines Aufenthalts im Vernichtungslager Sobibór die Möglichkeit, während eines Ausgangs zu flüchten und sich über den Bug zu Partisanengruppen in der Ukraine, oder auch nur zu Partisanengruppen in der Umgebung von Chelm und Sobibór durchzuschlagen oder bei der ländlichen Bevölkerung unterzutauchen.


Viele Wachmänner, welche die Flucht aus den Lagern ergriffen hätten, seien zu den Partisanen übergelaufen. Dies gehe aus zahlreichen Aussagen von Trawniki-Männern hervor. Als Ukrainer in einem polnischen Umfeld habe man es schwierig gehabt. Anders im Bereich um Chelm mit einem starken ukrainisch sprechenden Bevölkerungsteil, der bis in die Gegend um Sobibór gereicht habe. Die Partisanen hätten ab Herbst 1942 durchaus auch Leute aufgenommen, von denen sie gewusst hätten, dass sie vorher in deutschen Diensten gestanden hätten.

[Hinweise auf diverse Fälle von Überläufern zu Partisanen aus diversen früheren Strafverfahren]


Insgesamt ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnisquellen, dass es Wachleuten in tatsächlicher Hinsicht möglich war, sich dem Dienst in den Vernichtungslagern zu entziehen, ohne hierdurch in unmittelbare Todesgefahr zu kommen oder die Gefahr schwerwiegender Nachteile für ihre Gesundheit oder Freiheit befürchten zu müssen. Dass konkret auch Fluchten aus dem Lager Sobibór erfolgreich waren, ist zumindest punktuell belegt. Dem steht auch nicht entgegen, dass in der Kriegssituation per se bereits die Gefahrenlage deutlich erhöht war und – abhängig vom jeweiligen Frontverlauf – in den möglichen Fluchtregionen neben militärischen Einheiten auch verschiedene Partisanengruppen aktiv waren. Den Hinweisen auf erfolgreiche Fluchten ist jedenfalls teilweise zu entnehmen, dass Hilfestellung in dörflichen Strukturen zu erwarten war oder ein Anschluss an die Partisanengruppen eine reale, wenn auch nicht gänzlich risikofreie Option darstellte.


Es bestand keine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben oder für das erst mit § 35 idF des 2. StrRG eingeführte Rechtsgut der Freiheit des Angeklagten, weil der Angeklagte die Möglichkeit hatte, sich der Beteiligung an dem Massenmord durch Flucht über den Bug oder zu Partisanen im gemischt polnisch-ukrainischsprachigen Raum um Chelm und Sobibór zu entziehen. Eine solche Flucht ohne Waffe barg im Falle der Wiederaufgreifung durch SS oder Polizei die Gefahr einer Bestrafung, ohne hierbei den Tod zu erleiden. Lediglich bei Flucht mit der Waffe drohte im Ergreifungsfalle die Erschießung. Die dem Angeklagten drohende Gefahr war nicht größer als das Risiko, das er allgemein als Soldat in Kriegszeiten hatte. Dieses Risiko einzugehen war der Angeklagte angesichts der Schwere der Verbrechen, an denen er sich auf Befehl beteiligten sollte, verpflichtet.
 
In 'Reckonings: Legacies of Nazi Persecution and the Quest for Justice' nennt die britische Historikerin und Holocaust-Expertin Mary Fulbrook – gelinde gesagt – ernüchternde Zahlen:

Zwischen 1949 und 2005 verurteilte die deutsche Justiz 6.656 Personen wegen Teilnahme am Holocaust.

4.993 erhielten Haftstrafen unter 5 Jahren.

164 Personen wurden wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Fulbrook schätzt aufgrund deutscher Justizakten, dass ausreichend Beweismaterial zur Erhebung von Anklagen gegen mindestens 140.000 Personen vorgelegen hätte. (Wobei sie betont, dass auch bei einer verfolgungswilligen Justiz diese Zahl nicht gleichbedeutend ist mit der Zahl der möglichen Verurteilungen.) Ihrer Auffassung nach umfasste der unmittelbare Täterkreis am Holocaust mindestens 200.000 Personen, die Mehrzahl davon deutsche Reichsangehörige (aber z.B. auch Franzosen und Ukrainer). Alle denkbaren Tatbeiträge jeder Schwere eingeschlossen, hätten bis zu 1.000.000 Personen justiziabel gehandelt.

Das Versagen Westdeutschlands bei der Verfolgung von NS-Unrecht verortet Fulbrook in der Judikative, die durch die Politik gedeckt worden sei. Gerade die Ober- und Generalstaatsanwälte sowie die Gerichte hätten die Verfolgung meist passiv, oft aber aktiv hintertrieben. (Unter Rückgriff auf Ingo Müller und das BMJ beziffert sie die Zahl der höheren Juristen mit NS-Vergangenheit in den ersten 25 Nachkriegsjahren auf bis zu 66%). Weniger kritisch beurteilt sie die einfachen Staatsanwälte und die Polizei.

Neben der personellen Kontinuität im Justizapparat sei das Bestreben der Westalliierten nach 1949 ausschlaggebend gewesen, die BRD als Staat zu stabilisieren und zum Bollwerk gegen die erwartete Aggression der UdSSR aufzubauen. Um die Deutschen für sich einzunehmen, habe man dabei alle Hühneraugen zugedrückt. Allerdings sieht Fulbrook auch in Ostdeutschland ein systemisches Versagen. Sie attestiert vor allem dem Gründungsmythos der DDR als "antifaschistischem Staat", den Verfolgungswillen (Original: "ambition to prosecute") unterminiert zu haben.

Kurz gesagt: Ja, Täter sollten auch heute noch verurteilt werden. Viel zu viele kamen davon.
 
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Das Versagen Westdeutschlands bei der Verfolgung von NS-Unrecht verortet Fulbrook in der Judikative, die durch die Politik gedeckt worden sei. Gerade die Ober- und Generalstaatsanwälte sowie die Gerichte hätten die Verfolgung meist passiv, oft aber aktiv hintertrieben.

"Gedeckt" ist zu wenig. Die Politik hat die Richter gewählt und die Staatsanwälte sind weisungsgebunden. Denen hätte die Politik Weisungen geben können.
RiWG - Richterwahlgesetz
§ 3
(1) Mitglieder kraft Amtes im Ausschuß, der die Richter eines obersten Gerichtshofs wählt, sind die Landesminister, zu deren Geschäftsbereich die diesem obersten Gerichtshof im Instanzenzug untergeordneten Gerichte des Landes gehören.
(2) Sie können sich nur nach den gleichen Regeln vertreten lassen, die für ihre Vertretung in der Landesregierung gelten.
(3) Für das Verfahren nach § 1 Absatz 3 regeln die Länder, welcher Landesminister Mitglied kraft Amtes ist.
§ 10
(1) Der zuständige Bundesminister und die Mitglieder des Richterwahlausschusses können vorschlagen, wer zum Bundesrichter zu berufen ist. Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz und die Mitglieder des Richterwahlausschusses können vorschlagen, wer im Verfahren nach § 1 Absatz 3 von der Bundesregierung nach Artikel 253 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zum Richter oder Generalanwalt des Gerichtshofs benannt werden soll und wer im Verfahren nach § 1 Absatz 3 von der Bundesregierung nach Artikel 254 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zum Mitglied des Gerichts benannt werden soll.
(2) Der zuständige Bundesminister legt dem Richterwahlausschuß die Personalakten der für ein Richteramt Vorgeschlagenen vor.
(3) Zur Vorbereitung der Entscheidung bestellt der Richterwahlausschuß zwei seiner Mitglieder als Berichterstatter.

§ 13
Stimmt der zuständige Bundesminister zu, so hat er die Ernennung des Gewählten beim Bundespräsidenten zu beantragen.
 
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