Was [Marx] nicht wissen konnte und somit auch nicht reflektiert hatte, da die Erfahrungen der "Revolutionen" für [ihn] in der Zukunft lagen, ist die sozialpsychologische Seite von sozialen Bewegungen.
Das sehe ich etwas anders. Marx hat ja die Französische Revolution von 1789 gekannt und an er Revolution von 1848 teilgenommen. Insofern hatte er natürlich schon ein gewissen Erfahrungswissen - gerade die Revolution von 1789 hatte ja den Terreur zur Folge gehabt. Im
achtzehnten Brumaire bezeichnet Marx die Phase des Terreur in einem berühmten Zitat als Tragödie ("Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Caussidière für Danton, Louis Blanc für Robespierre, die Montagne von 1848-1851 für die Montagne von 1793-1795, der Neffe für den Onkel. Und dieselbe Karikatur in den Umständen, unter denen die zweite Auflage des achtzehnten Brumaire herausgegeben wird!")
Und über diesen Prozeß der Annäherung an die militanten Instrumente der Konterrevolution verliert die sozialistische Bewegung ihre politische Unschuld. Und bildet in ihrer Überreaktion Instrumente totalitärer Staaten (z.B. NKWD bzw. KGB etc.) aus. Mit sämtlichen Konsequenzen, die im Ostblock zu beobachten waren.
Wow! Dieser Abschnitt gibt zwar weitgehend meine Meinung wieder, ich hätte das aber niemals so schön formulieren können.
Wie soll Kommunismus funktionieren bzw. bestehen, wenn der Mensch seine tiefesten Emotionen nicht abstellen oder verbergen kann:
Neid und Hass?
(Kommunismus funktioniert genauso wenig, wie ein perpetuum mobile, wegen der Reibung zwischen den Menschen....)
Anders gefragt: Bestünde in einem funktionierenden Kommunismus (ich zeichne hier mal die Utopie von Wohlstand und Arbeit für alle bei umweltfreundlicher Ressourcennutzung) noch die Notwendigkeit zu Neid?! Hass? Hass ist ein starkes Wort. Auf der persönlichen Ebene ist Hass wohl nicht auszuschalten, hat aber imho nichts mehr mit der Organisation des Wirtschaftslebens zu tun (nichts anderes ist ja Kommunismus eigentlich, eine Organisationsform des wirtschaftlichen Zusammenlebens). Anderer Hass wäre (in dieser freilich utopischen Welt) gar nicht mehr notwendig.
Ich hab hier jetzt viel von Utopien geredet. Man sollte diese aber nicht zu sehr geringschätzen. Vor 200 Jahren war auch die Demokratie noch eine Utopie. Ich sehe gerade, Reinecke hat das schon ausgeführt:
Jede, wirklich jede Gesellschaftsform hat die Utopien, die ihre Überwindung für möglich erklären, durch Hinweise auf "die Natur des Menschen" zu diskreditieren versucht. In der klassischen Antike war es gesellschaftlicher Konsens, dass Sklaverei naturnotwendig war (wegen der Natur des Menschen), absolutistische Könige und deren Anhänger hielten eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie für unfunktionabel (wegen der Natur des Menschen), heute ist halt die jetzige Form sankrosankt und unveränderlich (wegen der Natur des Menschen).
Gut gesagt, aber gerade der gesellschaftliche Interessenausgleich, auf welcher Basis soll er entstehen?
Die kapitalistische Verwertungspolitik greift doch nur das auf, was wir Menschen möchten.
Täte das ein nachfrageorientierter Kommunismus nicht auch?
Dieser "blöde" Spruch nach "Angebot und Nachfrage" reguliert einfach den Markt. Aber nicht der Kapitalismus reguliert den Markt, sondern die Konsumenten.
Das ist nur teilweise richtig. Manche Nachfrage entsteht erst dadurch, dass das Produkt existiert und es existiert nur deswegen, weil andere wiederum Geld verdienen wollen. Die Nachfrage des Konsumenten muss also erst durch den Hersteller bzw. seinen Vertragshändler geschürt werden. Frag mal Marketing-Fachleute danach.
Ich finde, besonders gut kann man das am Lebensmittelsektor sehen: Wir alle wissen, dass die Kaffeekette Stern-Dollar völlig überteuert ist oder der bekannte schottische
fast Food Anbieter Junk Food anbietet. Und dennoch kaufen wir überteuerten Chai Latte und müssen unbedingt probieren, wenn es den neuen McSoccer gibt, obwohl wir die Marketingstrategien durchschauen. Und jedes Mal findet in unserem Kopf ein "Kampf" zwischen
Über-Ich (Kauf keinen Schrott!) und
Es (Limitierte Auflage! Limitierte! Auflage! Du musst unbedingt mal probieren, bevor das Produkt wieder aus dem Angebot verschwindet!) statt.
Die Gedanken des Marx und Engels und wie auch die ganzen anderen Sozialisten/Kommunisten jener Jahre, haben auf die neue Klassengesellschaft geantwortet, die im 19. Jh auch bestimmt Bestand und ihre Berechtigung hatte.
Sicher, die Gesellschaft ist seitdem komplizierter geworden, es gibt Milieus, keine Klassen mehr. Und dennoch sind einige Probleme geblieben.
Der Kommunismus, um zum Thema zurückzukehren, steuert sich durch Stillstand.
Ist das so? Oder gilt das nicht eher für die Wirtschaftsformen des Ostblocks? Siehe auch
Aber eine zentral geplante Wirtschaft ist eben mE nicht das einzige kommunistische Wirtschaftsystem, das vorstellbar ist.
Das ist ja auch ganz logisch und das hat Marx ja auch gesehen. Von Anfang an setzte er auf diese Formen gewaltsamer Durchsetzung, ihm war schon klar, daß die von ihm geforderten massiven Veränderungen nicht ohne entsprechend massivem Zwang kommen konnten.
Fraglich ist, ob Marx sich das wirklich so vorgestellt hat, wie das später in der SU und anderswo umgesetzt wurde. Marx: "Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich nothwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht, und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktions-Verhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktions-Verhältnissen die Existenz-Bedingungen des Klassengegensatzes der Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf." (
Kommunistisches Manifest)
Die Gewalt ist hierin
für den Augenblick der Revolution gerechtfertigt. Ob darüber hinaus, das ist Auslegungssache. Auch Ob Gewalt Mord und Folter mit einschließt. Die meisten politischen Revolutionen waren gewaltsam, da sie sich gegen gewalttätige Regime richteten. Auch unsere bürgerlichen Demokratien haben ihren Ursprung in gewaltsamen Revolutionen. Problematisch wird es, wenn eine zunächst durch die herrschenden Verhältnisse berechtigte Revolution die vorrevolutionären Verhältnisse durch eine eigene Gewaltherrschaft perpetuiert oder wenn sie es zulässt oder gar fördert, dass in der Revolution private Rachegelüste befriedigt bzw. neue Gewaltstrukturen geschaffen werden. Nicht umsonst ist der Satz des Revolutionsführers Vergniaud so berühmt geworden, die Revolution sei wie Saturn und fresse ihre eigenen Kinder, nämlich die Revolutionäre. Für viele (nicht für alle) Revolutionen hat dieser Satz seine Berechtigung, ob wir nun nach Frankreich im 18. Jhdt. schauen, nach Russland, Kuba, oder nach China.
"politisch unschuldig" im Sinne von friedlich oder auf Überzeugung setzend war diese Bewegung nie, wenn sie Marx folgte. Der Totalitarismus ist deswegen keine "Überreaktion", sondern ganz direkte Umsetzung Marx'scher Vorstellungen.
Das ist eine Frage der Auslegung. Oder gibt es eine Stelle, die Gewalt und Unterdrückung einfordert? Eigentlich geht es ja um die Aufhebung der Unterdrückung, wenn notwendig mit Gewalt. Und dies galt auch für die bürgerlichen Revolutionen, in deren Tradition auch unser Staat sich sieht.
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich möchte hier keineswegs der Gewalt das Wort reden oder einen dieser unsäglichen "aber die haben doch auch"-Ansatz von Mauer- und Stasi-Apologeten versuchen. Gesellschaftlicher Konsens ist aber wohl (von einigen sehr weltfremden Pazifisten vielleicht abgesehen), dass Gewalt
situationsbedingt ein legitimes Mittel sein
kann, sonst würden wir uns z.B. keine Bundeswehr leisten und die sogar zu bewaffneten Auslandseinsätzen schicken, was vor wenigen Jahren angesichts unserer Geschichte noch ein absolutes Unding war.
Ich denke, die Antwort muss eindeutig NEIN lauten, denn was in der Sowjetunion oder den Ostblockstaaten entstand, war höchstens eine pervertierte Form des Kommunismus, d.h. - besonders in der UdSSR - eine Diktatur und terroristische Gewaltherrschaft. Auch wenn sich das Bild nach Stalins Tod aufhellte, so blieben die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten dennoch Gewaltherrschaften, in denen weder die Menschenrechte noch die Stimme der Bürger etwas galten. Ob eine solche Staats- und Gesellschaftsform im Sinne von Marx und Engels gewesen wäre, darf bezweifelt werden.
Nun könnte man einwenden, dass die Gesellschaft in der Sowjetunion erst im Übergangsstadium vom Sozialismus zum Kommunismus war. Denn nach strenger Lesart wird der Kommunismus bekanntlich von der Proletarischen Revolution eingeleitet, in der die Arbeiterklasse die "Diktatur des Proletariats" errichtet. Und erst nach der Übergangsphase des Sozialismus entsteht allmählich die klassenlose kommunistische Gesellschaft, in der das Privateigentum abgeschafft ist und die Produktionsmittel in Gemeinbesitz überführt worden sind.
Erst wenn durch die Gleichheit aller Menschen auch Gerechtigkeit herrscht, wären nach Auffassung von Marx und Engels die Menschenrechte gesichert.
Ich habe eigentlich den Eindruck, dass man im Ostblock zwar viele - teilweise unfreiwillig komische - Phrasen gedroschen hat, aber dabei nicht sonderlich theoriefest war. Da gingen doch die Begrifflichkeiten manchmal arg durcheinander.
Aber wer kann glauben, dass die Sowjetunion diesen Zustand irgendwann erreicht hätte? Ein strammer Kommunist würde hierauf antworten: "Natürlich muss es erst eine Weltrevolution geben, bevor sich der Kommunismus so verwirklichen lässt, wie Marx und Engels das gewollt haben."
Manch strammer Kommunist ist eben bei weitem religiöser, als es seine atheistische Grundüberzeugung zulässt.
Eigentlich nicht.
Wenn man von einigen Exzessen der Stalinzeit absieht, dann war das nicht "pervertiert", sondern im Gegenteil eine recht genaue Umsetzung der Vorgaben von Marx. Was man schon daran sieht, daß auch diverse andere Marxismus-Umsetzungen außerhalb des Machtbereichs der SU in den wesentlichen Bereichen ziemlich ähnlich aussahen.
Das ist nur eine scheinbare Beweisführung. Nicht aneinander muss man die sogenannten kommunistischen Regime messen, sondern an der Theorie.
Insbesondere haben die Menschenrechte per se im Marxismus keine besondere Priorität.
Das Recht auf Leben oder körperliche Unversehrtheit stand Mitgliedern der falschen Klasse ohnehin nicht zu, Meinungsfreiheit oder freie Entfaltung der Persönlichkeit konnten ja auch keine Werte sein in einer Zielgesellschaft, in der es "wissenschaftlich nachgewiesen" nur eine Wahrheit geben konnte.
Marx hat die Menschenrechte kritisiert, das ist richtig. Seine Kritik zielte aber vor allem darauf, dass die Menschenrechte aus der Sicht eines gewinnorientierten (also kapitalistischen) Bürgertums formuliert wurden
und dass die Menschenrechte schon zum Zeitpunkt ihrer Beschließung keine Anwendung fanden.
Karl Marx: Zur Judenfrage
Eben dies war nie der Fall.
Den Arbeitern ging es elend im vergleich zum Bürgertum. Aber besser als in ihrem vorherigen Leben auf dem Land (sie sind ja nicht ohne Grund in die Städte und Fabriken geströmt). Der vorherrschende Trend war nicht Verelendung, sondern Verbesserung (natürlich von einem sehr niedrigen Niveau ausgehend).
Das ist nicht richtig. Landflucht erleben wir bis in die Gegenwart - wenn auch nicht mehr in den mobilen Gesellschaften, wo das Land eher zersiedelt wird, weil die Menschen zwar gerne stadtnah, aber dann doch bitte
im Grünen leben möchten - und es ist eigentlich immer im Interesse der Regierungen die Landflucht einzudämmen. Nicht umsonst reden wir, wenn wir vom 19. Jahrhundert reden, auch vom
Pauperismus. Marx und Negels haben diese Entwicklung im Übrigen begrüßt, weil sie darin das notwendige Näherkommen einer sozialen Revolution sahen.
"Eine" Umwälzung ist sehr wohl ohne Gewalt möglich. Unsere Gesellschaft unterscheidet sich nun sehr deutlich von der Mitte des letzten Jahrhunderts - und diese Umwälzungen sind im Prinzip alle gewaltfrei erfolgt.
Auch das stimmt leider nicht. Die bürgerlichen Revolutionen in England, Frankreich und Amerika sind Grundlage für unsere Demokratie. Unser erster Versuch war auch eine Revolution, und unsere später installierten Demokratien sind die Resultate vom Weltkriegen, wobei wir insbesondere beim letzten Mal dann von den oben genannten bürgerlichen Demokratien die Möglichkeit erhalten haben, quasi unter deren Schutz, das bundesrepublikanische System zu entwickeln. Und dass 1989/90 nicht so endete wie 1953 oder der Juni 1989 in China, ist gewissermaßen Glück. Aber man denke nur an die Ereignisse in Rumänien, wo der Diktator sich Paläste baute, in die heute ganze Universitäten passen: Die Rumänen hatten nicht das Glück, das ihre Revolution unblutig verlief.
Aber seinen Zielen entsprach das schon - wenn eine Gruppe (das "Proletariat") absolut herrschen soll, und es abweichende Meinung wegen der behaupteten Wissenschaftlichkeit der Marx'schen Lehre nicht wirklich geben kann, dann sind die entsprechenden Unterdrückungsmaßnahmen nur folgerichtig.
Das Ziel war die klassenlose Gesellschaft, so formuliert von Marx, der davon Sprach, dass das Proletariat sich selbst aufheben würde. Man mag Marx' Analysen für falsch halten oder seine Vorstellungen nicht teilen, aber man sollte ihm auch nichts anhängen.
Verlagsseite schrieb:
"Das vergangene 20. Jahrhundert war die Epoche des Sozialismus in all seinen Farben. Sozialdemokratie, Kommunismus, Nationalsozialismus und Neosozialismus vernichteten Wohlstand, Vielfalt, Recht, Moral, Kultur und Leben."
Das ist wieder diese unsägliche Gleichsetzung von Nationalsozialismus mit Sozialismus nur weil die Nationalsozialisten das Wort
Sozialismus aufgegriffen haben. Genauso könnte man die Volksrepublik China für eine
öffentliche Sache des Volkes halten, heißt doch schließlich Volksrepublik, oder die DDR für einen demokratischen Staat, schließlich trug sie die Demokratie im Namen. Reine Suggestion. :motz: