Warum verlor Westrom den Krieg gegen die Germanen ?

Guten Abend Ashigaru


Kompliment, ein Kenner hat meine Zeilen gelesen. Die waren stegreif, deshalb vielleicht ein paar Bemerkungen bzw. Präzisierungen:

"Verklärt" würde ich nicht sagen. Nach der Lektüre von diversen Fachpublikationen, leider meist in Englisch, kann man sich aber nicht einer gewissen Hochachtung erwehren angesichts der (militärischen) "Gesamtleistung" eines doch eher - zumindest anfangs - kleinen Volkes. Es strahlt ja ungemein viel bis in die heutige Zeit aus, oft unbemerkt.

Das mit den "Ausländern" stimmt schon; ich sah das aus der Warte der Legion (also nicht des Heeres) als kampfentscheidende Eliteeinheit, in welcher anfangs eben nur Römer - nicht mal Bundesgenossen - dienten. Die Auxiliartruppen unterschieden sich ja auch in Bewaffnung und Kampfweise.
Zumindest die Trennung Bundesgenossen - Römer erübrigt sich späterhin, da man beide volks- oder typmäßig (ohne über diese Begriffe streiten zu wollen) mehr oder weniger gleichsetzen kann - starke Gemeinsamkeiten hinsichtlich Herkunft, Kultur, Sprache, Wille, das Land zu verteidigen usf.

Das mit dem harten Bauernschlag ist einem der gelesenen Werke entnommen. Insgesamt sehe ich es so, daß jene Lebensbedingungen, die die Gracchen (leider erfolglos) wiederherzustellen versuchten, einem "kerngesunden" Soldatentypus zuträglich waren (freie Kleinbauern auf eigenem Land).

Die häufige zahlenmäßige Unterlegenheit habe ich, glaube ich, bei Goldsworthy gefunden. Ad hoc fallen mir dazu ein: Caesar: Alesia, Helvetier, Ariovist; Marius: Aquae Sextiae, Vercellae, Jugurtha; Keltenkriege vor Caesar; Kynoskephalai; Pydna; Pyrrhos; Boudicca / Boadicea; Agricola: Mons Graupius; Idistaviso; Angrivarierwall; leichte Unterlegenheit meines Wissens bei Zama.

Der "römische Geist" ist sicher ein Punkt, der viel Diskussion zuläßt. Ich sehe das in etwa so, daß es eben dieser (Kampf- oder rationale) "Geist" oder Charakter war, der ein solches Instrument wie die römische Armee hervorgebracht hat und diese auch trug; mit dem Schwinden der Italiker (um die Bundesgenossen, s.o., einzubeziehen, die ja schon vor dem Bundesgenossenkrieg nicht zB zu Hannibal überliefen) verlief sich eben, meiner Meinung nach, auch dieser Charakter in der Armee. Sicher wird auch ein "Nachlassen" der Römer selbst mitgespielt haben ("allgemeiner Niedergang").

Ein wenig wird die Frage des "römischen Charakters" auch im Umkreis der constitutio antoniniana aufgeworfen werden können, da ja die Verleihung des Bürgerrechts nicht gleich eine Verwandlung in einen Römer bedeutet haben dürfte, mithin die ab da als Legionäre Dienenden nicht unbedingt, Bürgerrecht hin oder her, den Italikern gleichzusetzen sein dürften.

Ganz aus dem Finger gesogen habe ich mir das mit dem Römergeist übrigens auch nicht, sowas zieht sich schon auch durch viele Publikationen, und nicht nur bei antiken wie Cato oder Tacitus.


Beste Grüße! Ricus




Ashigaru schrieb:
@ Ricus: Meines Erachtens siehst du die Rolle der Armee und der römischen Soldaten viel zu verklärt.



Schon im 3./2. Jahrhundert v. Chr. war im römischen Heer ein großer Anteil von "Ausländern" vertreten. Das waren zum Großteil die italischen Bundesgenossen, aber es gab z.B. auch keltische Söldner. Auch in Caesars "Gallischem Krieg" wird an vielen Stellen deutlich, dass er Kontingente aus verbündeten gallischen und germanischen Stämmen mit sich führte.



Mir ist unklar, warum Griechen, Kelten oder Germanen weniger hart und kräftig und an das Leben in der Natur gewöhnt waren. Dass die Römer an Kämpfe und Kriege gewöhnt waren, mag ich nicht bestreiten, aber das galt ebenso für andere Völker der Antike. Der Vorzug lag m.E. doch eher darin, dass das politische System derart militärisch ausgerichtet war (man denke nur an die militärischen Posten im "Cursus Honorum"). dass es gelang, die kampfstärksten Armeen im Mittelmeeraum aufzustellen.

Die Römer waren keineswegs in fast allen Schlachten zahlenmäßig unterlegen. Wie es strategisch sinnvoll ist, versuchten sie in der Vorbereitung von Feldzügen stets ein zahlenmäßiges Übergewicht herzustellen, was auch meist gelang.



Diesen Punkt würde ich am stärksten kritisieren. Zum einen bestanden noch bis in die späte Republik starke rechtliche und soziale Unterschiede zwischen Römern und Italikern (mit ein Grund, warum es zum "Bundesgenossenkrieg" kam). Zweitens sind mir Formulierung wie der "römische Geist" zu unkonkret. Drittens war das Heer eines der wichtigsten Instrumente der Romanisierung und Integration: Einheimische Männer dienten in den Auxiliartruppen, bekamen dafür nach dem Dienst das römische Bürgerrecht, was in der frühen und mittleren Kaiserzeit ein höchst erfolgreiches Modell war. Ich denke, dass dieses System 212 nach der "constitutio antoniana" von Caracalla hinfällig wurde, als nahezu alle männlichen Einwohner des Reiches das Bürgerrecht erhielten.

Ich finde es schwierig zu beurteilen, welche Konsequenzen die starke "Germanisierung" der Armee in der Spätantike hatte. Männer wie Stilicho oder Odoaker nutzten zwar ihre Machtsstellung aus, aber sicher waren sie nicht von dem Gedanken geleitet, dass römische Reich von innen heraus zu spalten, um die germanischen Stämme zu stärken. Ich denke eher, dass (zumindest in den Westprovinzen) die schwindende römische Bevölkerung zunehmend weniger in der Lage war, den Nachwuchs für alle wichtigen Institutionen bereit zu stellen war und schleichend ihre Autorität verlor - zuletzt zumindest in Germanien auch die Bischofsposten (um 600).
 
"Verklärt" würde ich nicht sagen. Nach der Lektüre von diversen Fachpublikationen, leider meist in Englisch, kann man sich aber nicht einer gewissen Hochachtung erwehren angesichts der (militärischen) "Gesamtleistung" eines doch eher - zumindest anfangs - kleinen Volkes.

Das sehe ich sogar genauso - zumindest wenn man militärische Leistungen zu schätzen weiß. Mit "verklärt" meinte ich eher eine Verklärung des römischen Heers während der Blütezeit des Reichs im Vergleich zum spätantiken Heer. Ich bin halt der Meinung, dass es vorwiegend andere Gründe als militärische hatte, dass das weströmische Reich unterging.

Insgesamt sehe ich es so, daß jene Lebensbedingungen, die die Gracchen (leider erfolglos) wiederherzustellen versuchten, einem "kerngesunden" Soldatentypus zuträglich waren (freie Kleinbauern auf eigenem Land).

Die Germanen pflegten aber z.B. genau diese kleinbäuerliche Lebensweise, ohne vergleichbare militärische Erfolge zu vollbringen. Auch die meisten römischen Soldaten waren nach ihrem aktiven Dienst wieder Bauern. Der Erfolg der römischen Armee lag für mich doch eher in einem Staatswesen, dass der Armee einen hohen Stellenwert einräumte. Es waren ja doch eher die Disziplin, Strategie und Taktik, die Bewaffnung, die Versorgungsmöglichkeiten sowie auch die Ingenieursleistungen als individuelle Kampfleistungen, die die Leistung der römischen Armee ausmachten. Gerade dass unterschied sie ja von den Barbarenvölkern, wie in der antiken wie heutigen Literatur immer wieder betont wird.

Ad hoc fallen mir dazu ein: Caesar: Alesia, Helvetier, Ariovist; Marius: Aquae Sextiae, Vercellae, Jugurtha; Keltenkriege vor Caesar; Kynoskephalai; Pydna; Pyrrhos; Boudicca / Boadicea; Agricola: Mons Graupius; Idistaviso; Angrivarierwall; leichte Unterlegenheit meines Wissens bei Zama.

Es ist aber auch ein häufiger Topos, dass antike Schrifsteller die zahlenmäßige Überlegenheit des Gegners betonen (gutes Beispiel: Ammianus Marcellinus, Schilderung der Schlacht bei Straßburg 357: angeblich 12 000 Römer gegen 35 000 Alemannen, aber es sollen nur ca. 200 römische Verluste sein).
Von den genannten Beispielen würde ich besonders die Unterlegenheit des Germanicus bezweifeln, der bei seinen Feldzügen acht Legionen (damals ca. ein Viertel des römischen Heers) zur Verfügung hatte.
Unabhängig von den Details im einzelnen will ich aber auf folgendes hinaus: Spätestens im 2., wenn nicht schon im 3. Jahrhundert vor Christus verfügten die Römer sicherlich über das qualitativ wie quantitativ stärkste Heer der antiken Welt. Und bis ins 3. Jahrhundert nach Christus war es prinzipiell selbst für die hartnäckigsten und stärksten Gegner wie Parther, Germanen oder Kaledonier entscheided ins Reich einzudringen.
Wenn Offensiven geplant waren, wurden im Vorfeld oft schon sehr starke Heere aufgestellt; bei Feldzügen in Germanien gings z.B. eigentlich immer mit mindestens vier Legionen los, selbst beim vermutlich relativ ungefährlichen Chattenfeldzug des Domitian.

Ganz aus dem Finger gesogen habe ich mir das mit dem Römergeist übrigens auch nicht, sowas zieht sich schon auch durch viele Publikationen, und nicht nur bei antiken wie Cato oder Tacitus.

Das ist richtig, und gerade in der Spätantike waren unter den Autoren solche Diskussionen über Moral und Charakter des Reiches sogar sehr en vogue. Ich sehe halt grundsätzlich keine Belege dafür, dass die spätrömische Armee prinzipiell weniger "Geist" (du willst ja wohl auf die Kampfmoral der Truppen hinaus) besessen hätte als die mittelkaiserzeitliche. Was sich feststellen lässt, ist allenfalls die Verkleinerung der Einheiten, ebenso wie sinkende Truppenstärken.
Selbst noch im Jahr 400 dürfte die römische Armee qualitativ ihren Gegner noch überlegen gewesen sein, aber die Truppen reichten (außer vielleicht im Osten) nirgendwo mehr aus, um sich den zahlreichen eindringenden Völkern entgegenzustellen.
Eine neuere Tendenz der Forschung, der ich mich auch anschließen möchte, ist dass ein Großteil der Truppen nicht durch fremde Einfälle, sondern in den Bürgerkriegen des 3. und 4. Jahrhunderts, wie der verheerenden Schlacht bei Mursa 351 verloren gingen.
 
Ashigaru schrieb:
Eine neuere Tendenz der Forschung, der ich mich auch anschließen möchte, ist dass ein Großteil der Truppen nicht durch fremde Einfälle, sondern in den Bürgerkriegen des 3. und 4. Jahrhunderts, wie der verheerenden Schlacht bei Mursa 351 verloren gingen.

Das sehe ich genauso. Ich lese gerade "Geschichte der Spätantike" von Demandt,
welche mit dem Tod Severus Alexanders beginnt und sich im ersten Kapitel
mit der Phase der Soldatenkaiser befasst. Also irgendwie kam doch Rom
nie wieder raus aus der Instabilität, hervorgerufen durch Bürgerkriege,
Ursurpationen usw. Die Tetrachie wirkte vorerst stabilisierend, leider scheiterte
sie aus den uns bekannten Gründen, es kam wieder zu Bürgerkriegen.
Auch die relative Ruhephase während der Konstantiner ist geprägt durch
Instabilität. Meiner Meinung nach haben die Machtkämpfe der einzelnen
Kontrahenten im 4. Jahrhunder die Armee mehr geschwächt als während der Phase
der Soldatenkaiser. Man lies mehr von Schlachten untereinander als gegen die äußeren Feinde.

Ein Hoffnungsschimmer bzw. ein Stabilitätsfaktor wäre bestimmt Kaiser Julian
gewesen, leider verstarb dieser zu früh...
 
Grüß Dich, Ashigaru -

wir sind im selben Fahrwasser. D'accord. Kurze Notationen: Auch ich sehe andere Faktoren als ausschlaggebend an. Man kann ja nun wirklich nicht von einem regelrechten, einige Jahrhunderte (!!) andauernden Krieg sprechen. Man könnte als conclusio noch sagen, daß die übrigen - sozialen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen - Aspekte dazu beitrugen, daß damit dem Heer letztendlich jener Boden entzogen wurde, den es not gehabt hätte - die "Heimatfront" sozusagen ließ aus.

Was die Kelten und Germanen betrifft, habe ich aufgrund meiner Lektüre, eher den Eindruck gewonnen, daß die mehr von Raubzügen und Überfällen untereinander lebten; auch die Völkerwanderung als solches ist ja nicht gerade ein Manifest der Seßhaftigkeit. Tacitus schreibt, daß in - ihnen gar nicht willkommenen - Friedenszeiten die Germanen dem Nichtstun frönten und eher die Frauen arbeiteten.
Bekannt sind ja auch die ständigen Galliereinfälle vor 200 vChr. Klarerweise kann man nicht generalisieren; es gab sicher auch bäuerlicher geprägte Germanenstämme, und wer Caesar gelesen hat, weiß, daß die Gallia transalpina auch bäuerlich durchzogen war (hier waren die Kelten sicher bereits seßhafter als die herüberdrängenden Germanen).
Rom selbst hingegen hat immer - stolz - sein bäuerliches Herkommen (v.a. im Gegensatz zu den "verweichlichten" Griechen) betont, samt allen Tugenden. Ich hatte das eher in diesem Spannungsbogen eingebettet gesehen. Naturgebunden waren damals alle, wahrscheinlich in einem Ausmaß, das wir uns heute (leider?) nicht mehr vorstellen können.
Die von mir betonte Härte etc. der Legionäre sehe ich weiters auch in ihrem langen Dienst. Der bestand natürlich nicht aus permanentem Kriegführen, sicher aber aus entsprechendem Training, und sie wurden ja, wie wir wissen, anderweitig zur Genüge beschäftigt (Straßen- und Festungsbau, Ingenieurwesen...).
Ich bin aber klarerweise einer Meinung mit Dir, daß der herausstechende Unterschied in der Disziplin, den Fertigkeiten und der Taktik liegt.

Bezüglich der zahlenmäßigen Unterlegenheit waren sich die von mir gelesenen Autoren alle eher einig und waren denen die Quellen und ihr Wert auch klar; ich habe die Bücher aufgrund einer Übersiedlung nicht mehr hier, nenne Dir aber noch gerne die Verfasser. Insgesamt mache ich aber kein Dogma daraus. Es mag ja auch andere Profis geben, die zu gegenteiligen Schlüssen gelangen.

Übrigens wäre ein interessantes Thema hier, was passiert wäre, wenn der Dakeraufstand nicht losgebrochen wäre. Man könnte die Frage stellen, ob nicht die Geschichte anders gelaufen wäre, denn meinen Quellen zufolge waren die Germanen bereits am Ende, als die Römer gezwungen waren, ihre Armee raschest ins heutige Rumänien zu transferieren.
Eine verkürzte Ostgrenze hätte sich vielleicht leichter halten lassen.
Ich verfüge aber hier über nicht allzuviel Literatur.

Schönen Abend! Ricus
 
Wir sollten die Quellen in dem Sinne nicht zu sehr vertrauen was sie als Raubzüge aburteilen. Weder Kelten noch Germanen waren wirklich seßhaft, was man gut bei den Helvetiern sehen kann, die zwar ein Sieldungsgebiet besaßen aber ohne weiteres bereit waren dem Druck der Sueben zu weichen als es soweit war. Ob sie nun gleich zu Raubzügen neigten mag mal dahin gestellt bleiben, auch wenn Caesar so etwas in der Art schreibt.

Ich würde zwar das Problem auch im Militär suchen, aber weniger darin dass keine Römer mehr im Militär dienten sondern vielmehr dass eine durch und durch militärisierte Gesellschaft wie die der Römer, die dazu beigetragen hatte dieses Weltreich zu erobern aufhörte zu existieren (freilich nicht von einem Tag auf den Anderen) und dadurch dem Staat an Kraft entzog. Es war im Prinzip kein Problem dass weniger Römer und Italiker in der Armee dienten sondern vielmehr dass auch im Notfall keine Römer und Italiker zu mobilisieren waren.
 
Weder Kelten noch Germanen waren wirklich seßhaft, was man gut bei den Helvetiern sehen kann, die zwar ein Sieldungsgebiet besaßen aber ohne weiteres bereit waren dem Druck der Sueben zu weichen als es soweit war.

@ wulfnoth: Die Kelten der La Tene-Zeit würde ich sehr wohl als sesshaft bezeichnen. Oppida wie Manching oder auch Alesia waren riesige Anlagen, zu deren Errichtung eine Vielzahl von Einwohner und zumindest stadtähnliche Gesellschaftsstrukturen nötig waren. Bei den Germanen sieht das etwas anders aus, aber auch hier gibt es etliche Orte, die über Jahrhunderte dauerhaft bewohnt waren und deren Einwohner auf keinen Fall Nomaden waren - so etwa die "Feddersen Wierde" bei Bremen, die vom 1. vorchristlichen bis zum 6. Jahrhundert bewohnt war.

Klarerweise kann man nicht generalisieren; es gab sicher auch bäuerlicher geprägte Germanenstämme, und wer Caesar gelesen hat, weiß, daß die Gallia transalpina auch bäuerlich durchzogen war (hier waren die Kelten sicher bereits seßhafter als die herüberdrängenden Germanen).
@ Ricus: Kelten und Germanen hatten sicher keine den Römern vergleichbare Landwirtschaft. Aber in den nahezu durchweg agrarischen Gesellschaften der Antike war es auch hier selbstverständlich der Haupterwerb, die Lebensgrundlage. Es sieht aber so aus, als wären bei beiden Ethnien die Oberschichten sehr stark in den Handel involviert gewesen, und als hätten sich die jungen Männer häufig als Söldner verdingt.


Übrigens wäre ein interessantes Thema hier, was passiert wäre, wenn der Dakeraufstand nicht losgebrochen wäre. Man könnte die Frage stellen, ob nicht die Geschichte anders gelaufen wäre, denn meinen Quellen zufolge waren die Germanen bereits am Ende, als die Römer gezwungen waren, ihre Armee raschest ins heutige Rumänien zu transferieren.
Eine verkürzte Ostgrenze hätte sich vielleicht leichter halten lassen.
Ich verfüge aber hier über nicht allzuviel Literatur.

Darüber habe ich neulich gerade gelesen. Der Chatten-Feldzug unter Domitian war laut Becker, "Rom und die Chatten", nicht mehr als eine regional begrenzte Militäraktion, um die größtenteils bereits unter Vespasian erworbenen Gebiete in der Wetterau und im Taunus stärker zu sichern; um Stärke gegenüber den Chatten zu demonstrieren; um Domitian, der als Thronfolger keine Militärlaufbahn vorweisen konnte, militärische Reoutation zu verschaffen.

Beckers Erklärungen haben viel für sich. Den vergleicht man den Territorialgewinn des Domitian mit den bereits unter Vespasian erworbenen rechtsrheinischen Gebieten (auch denen am Neckar), so nimmt sich das äußerst bescheiden aus. Abgesehen davon, gibt es bisher weder einen literarischen noch einen archäologischen Nachweis dafür, dass Domitian überhaupt in die nordhessischen Gebiete der Chatten vorgedrungen ist. Bezeichnenderweise finden sich die einzigen potentiellen provisorischen Lager aus jener Zeitstellung, die Legionen oder zumindest Vexillationen hätten aufnehmen können, im später durch den Limes geschützten Gebiet: Arnsburg, Bad Nauheim-Goldstein, Heldenbergen, Heddernheim.

Auf jeden Fall war es kein 2. Versuch, ganz Germanien zu erobern. Nach Becker nahmen am Feldzug fünf, maximal sechs Legionen teil. Ebenfalls ist nichts davon bekannt, dass andere Stämme als die Chatten überhaupt angegriffen wurden. Und bei den Legionen darf man von den kämpfenden Truppen sicher noch etliche abziehen, die für die Anlage der Limesbauten, Straßen, der bei Frontin erwähnten Schneisen etc. nötig waren.
 
Der Untergang Westroms ist ein sehr vielschichtiger Vorgang, bei dem Schlachten und Armeen nur ein Faktor unter vielen sind.

In der Spätantike und im Mittelalter sah man mögliche Erklärungen im Verfall römischer Werte und Tugenden und in der Vergänglichkeit irdischer Macht. Ein Staat, so glaubte man, würde wie ein lebender Organismus nach der Geburt einen kraftvollen Höhepunkt erreichen, schließlich aber dem Zerfall und einem unaufhaltsamen Tod entgegengehen (Dekadenztheorie).

Lässt man sich jedoch auf Spekulationen ein, dass z.B. das "gesunde Bauerntum" des republikanischen Roms in der Kaiserzeit immer mehr abnahm, und die "Durchmischung mit fremden Völkern" den Untergang beschleunigt oder gar verursacht habe, so begibt man sich auf gefährliches Terrain. Der amerikanische Historiker Tenney Frank beschäftigte sich z.B. zu Beginn des 20. Jh. mit der Bevölkerungsentwicklung des Römischen Reichs und vertrat eine solche "biologische Argumentation" (außer ihm auch andere), die wir heute als puren Rassismus bezeichnen würden. Ich will damit nur sagen: Ein Zusammenhang zwischen dem Niedergang Westroms und dem Schwinden der "tugendhaften bäuerlichen Bevölkerung Roms" ist völlig unbewiesen und auch unwissenschaftlich.

Eine wesentliche Rolle spielt vielmehr der Niedergang der Landwirtschaft und eine unerhörte steuerliche Belastung, die die Kosten der Reichsverteidigung und andere staatliche Leistungen aufbringen sollte. Die Steuerreform des Diokletian verstärkte den Druck auf die Reichsbewohner, die sich inzwischen einer übermächtigen Bürokratie und unerträglichen Steuerlast gegenübersahen. Besonders hart traf es die Kolonen, die Landpächter. Zur Verhinderung der Landflucht fesselte sie der Staat durch Gesetze an die Scholle und erzwang damit - oft vergeblich - die Bebauung des Landes und Steuerzahlungen.

Die städtischen Eliten verarmten inzwischen, da der Staat alle Leistungen auf die Kommunen abzuwälzen suchte und dafür städtische Senate und Bürgermeister in Haftung nahm. Das führte schließlich dazu, dass sich niemand mehr für den römischen Staat verantwortlich fühlte, der nur noch als Steuerbüttel und Blutsauger wahrgenommen wurde.

Als nach dem Hunneneinfall germanische Völker auf die Reichsgrenzen vorrückten, trafen sie im Raum des Weströmischen Reichs auf eine zerrüttete Landwirtschaft mit unzureichender Nahrungsproduktion, vielfach entvölkerte Regionen mit unbebauten Äckern sowie niedergehende Städte. Die Armee bestand sowohl diesseits als auch jenseits der Grenze aus vielfach unzuverlässigen "Barbaren", da man längst dazu übergegangen war, die Soldaten aus den Grenzgebieten zu rekrutieren, in denen sie eingesetzt wurden. An der Spitze des Staates standen schließlich entweder Kinderkaiser, die oft korrupte oder unfähige Vormunder hatten, oder rasch wechselnde Kaiser von Gnaden des Militärs.

Diese totale Desintegration, hervorgerufen durch unterschiedliche soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren, bewirkten zwangsläufig den Untergang Westroms. Es ist bezeichnend, dass das Oströmische Reich, das innenpolitisch und wirtschaftlich stabiler war - selbst wenn auch hier Kaiser oftmals wechjselten - , noch eine weitaus längere Lebensdauer hatte.
 
@ wulfnoth: Die Kelten der La Tene-Zeit würde ich sehr wohl als sesshaft bezeichnen. Oppida wie Manching oder auch Alesia waren riesige Anlagen, zu deren Errichtung eine Vielzahl von Einwohner und zumindest stadtähnliche Gesellschaftsstrukturen nötig waren. Bei den Germanen sieht das etwas anders aus, aber auch hier gibt es etliche Orte, die über Jahrhunderte dauerhaft bewohnt waren und deren Einwohner auf keinen Fall Nomaden waren - so etwa die "Feddersen Wierde" bei Bremen, die vom 1. vorchristlichen bis zum 6. Jahrhundert bewohnt war.

Ich würde die Kelten und die Germanen auch keinesfalls als Nomanden bezeichnen. Allerdings können wir doch eine leichte Tendenz zu Völkerwanderungen feststellen. Jedenfalls eine Größere als bei den Stadtkulturen des Mittelmeers. Sowohl Germanen als auch Kelten waren durchaus bereit ihre Siedlungsgebiete zu Räumen und "umzuziehen" wenn die Bedingungen sich verschlechterten. Sehen können wir das z.B. bei den Teutonen und Kimbern. Aber eben auch bei den Helvetiern.
Komplett seßhafte Völker fühlen sich von (momentan) umherziehenden immer bedroht (häufig zurecht). Deren umherziehen aber gleich als Plünderungszug auszulegen muss nicht immer stimmen und nur darauf wollte ich hinweisen.

Und mehr kommt hier auch nicht, da ich gerade erheblich vom Thema abweiche.
 
Wulfnoth schrieb:
Ich würde die Kelten und die Germanen auch keinesfalls als Nomanden bezeichnen. Allerdings können wir doch eine leichte Tendenz zu Völkerwanderungen feststellen. Jedenfalls eine Größere als bei den Stadtkulturen des Mittelmeers.

Einspruch! Die Griechen - um mal nur eine typische Stadtkultur des Mittelmeers herauszugreifen - waren über viele Jahrhunderte außerordentlich mobil. Sie besiedelten Südfrankreich, Spanien und halb Italien - Süditalien wurde von den Römern nicht ohne Grund "Großes Griechenland" genannt.
 
Guten Abend, Hyokkose -

ich sehe einen Unterschied Völkerwanderung - Griechen in Massilis oder Nea Pilis: Bei der Völkerwanderung zogen ganze Völer los und ließen alles hinter sich, während es sich bei den Griechen in Südfrankreich und Italien um Kolonisten handelte, die sich dann dort vermehrten. Kolonien gründeten ja auch die Römer - der Name Köln zB kommt davon: Colonia Agrippinensis - doch keiner würde die Römer als völkerwandernden Stamm bezeichnen. Was meinst Du?

Beste Grüße, Ricus
 
Ricus schrieb:
ich sehe einen Unterschied Völkerwanderung - Griechen

Ich sehe auch noch einen Unterschied: Die Germanen, die sich nach im Mittelraum niederließen, waren zumeist nach wenigen Generationen in der alteingesessenen Bevölkerung aufgegangen. Das war bei den viel zahlreicheren und kulturell dominanteren Griechen nicht der Fall.
 
Hi Hyokkose - das Stichwort Kultur zieht sicher. Die Römer holten da ja ziemlich rasch auf, und mit der Zeit bildeten die Griechenstädte keine Enklaven mehr. Die Germanen hingegen, die man in der späteren Kaiserzeit sich ansiedeln ließ, gründeten nach und nach die diversen Königtümer - Langobarden, Franken, Vandalen... sodaß spätestens ab da die völkerwandernden Gruppen, nicht aber mehr die Griechen eigenständig (bezogen auf Rom) auftraten.
 
Auf die Gefahr hin, daß ich jemanden wiederhole.

Die Frage "Warum verlor Westrom den Krieg gegen die Germanen?" ist eigentlich falsch gestellt. Der Krieg gegen die Germanen wurde nicht verloren. Die germanischen gentes waren mit ihren Truppen fester Bestandteil des römischen Heeres. Die Goten operierten überwiegend in römischen Auftrag. Zum Teil benutzte eine Reichshälfte die germanischen Truppen dazu gegen die andere Reichshälfte vorzugehen. Theoderich und Odoaker waren keine germanischen Eroberer, sie waren römische Mandatsträger. Theoderich war magister militum und sogar patricius. Er regierte Italien als Stellvertreter des oströmischen Kaisers, als rex romanorum, nicht als rex gothorum. Auch die Westgoten in Aquitanien waren Föderaten. Auch die fränkischen Könige waren römische Mandatsträger.

Die Germanen gaben somit allenfalls nur den letzten Gnadenstoß eines dahinsiechenden Staates. Die echten Gründe des Zerfalls sind wohl eher im Niedergang der politischen römischen Eliten zu suchen, in sozialen Ungerechtigkeiten etc.
 
Nun ja, oftmals wurden die Titel oder der Föderatenstatus dazu genutzt, eine für die Römer ungünstige Situation nachträglich zu legitimieren.

Was Odoaker und Theoderich betrifft, würde ich halbwegs zustimmen. Im Falle der Westgoten, Franken und auch der Vandalen kam es aber während des 5. Jahrhunderts zu heftigen Kämpfen zwischen Germanen und dem Reich. Die Eroberung Spaniens und großer Teile Galliens durch die Westgoten war nun gar nicht im Sinne des Reichs. Diese Kämpfe wurden auch in der Tat im Endeffekt sämtlich verloren.

Es gab unbestritten Kriege gegen die Germanen, aber nicht DEN Krieg gegen die Germanen, weil Vandalen, Franken und wie die einzelnen Stämme heißen, nie verbündet waren und in seltenen Fällen zusammen arbeiteten.
 
beorna schrieb:
Auf die Gefahr hin, daß ich jemanden wiederhole.
Die Germanen gaben somit allenfalls nur den letzten Gnadenstoß eines dahinsiechenden Staates. Die echten Gründe des Zerfalls sind wohl eher im Niedergang der politischen römischen Eliten zu suchen, in sozialen Ungerechtigkeiten etc.

Das römische Reich ging meiner Meinung nach deshalb unter, weil es keiner Römer zu der Verteidigung des Reiches mehr gab, sondern Germanen.
Die römischen Ideale des Gemeinsinns waren schon längst über Bord geworfen worden. Von menschlichen Tugenden will ich garnicht erst schreiben. Das Volk und die Staatsführung waren total degenriert und deshalb hörte es auf ein Reich zu sein. :rolleyes:
 
Hallo Heinz, es waren in der späten RKZ gerade germanische "Generäle" die das Römische Reich verteidigten und dies mit großer Entschlossenheit.

Ashigaru, die Westgoten waren unruhige Föderaten im Ostteil und wurden dann in den Westen geschickt. Hätte sich Honorius dazu entschlossen Alarich Jahrgelder für seine Truppen zu bezahlen, wäre dieser ein treuer Gefolgsmann des Honorius geworden (naja, mehr oder weniger). Erst der Verrat an ihm brachte das Faß zum Überlaufen. Kurz nach seinem Tod wirkten die Westgoten wieder als Föderaten und säuberten Spanien, wurden dann als Föderaten in Aquitanien angesiedelt und hatten diesen Status bis zum Ende des Weströmischen Reiches. Auch die Franken (Salfranken) standen in römischem Dienst. Die Germanen waren alles in allem dem RR unterlegen. Sie konnten Siege feiern aber niemals den Krieg gewinnen. Es waren vielmehr Scharmützel zum Gelderwerb. Ich glaube Wolfram nennt dies "Sommerfahrten".

Octavianus hat also insofern Recht, daß die Germanen auf Reichsboden den Reichsgedanken weiterführten und daher Westrom nicht durch sie zerstört werden sollte.
 
Na ja, aber es war sicher nie geplant, dass so große und bedeutende Gebiete wie Spanien oder Nordafrika unter germanische Herrschaft geraten würden.

Die Leistung der römischen Armee im 5. Jahrhundert würde ich nicht mehr allzu hoch ansiedeln. Neben dem bedeutenden Sieg des Aetius 451 überwogen doch eher die Misserfolge - als einer der prekärsten sicherlich der missglückte Versuch, Nordafrika zurückzuerobern.

Westgoten und Franken waren zeitweise zwar wirklich Föderaten, aber in der Spätphase des weströmischen Reichs sind sie klar als Gegner zu identifizieren - unter Eurich verleibten sich die Westgoten von Südwesten her Gallien ein, während die Franken dies von Nordosten her ab 455 taten (Stationen: 459 Eroberung von Köln, 479 Eroberung von Trier, 487 Zerschlagung des letzten römischen Territoriums des Syagrius). Die Römer waren letztendlich machtlos gegen diese Expansion. Naturgemäß musste es zum Zusammenstoss zwischen Westgoten und Franken in Gallien kommen, was dann 507 geschah.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sicherlich agierten manche Germanen sehr selbständig bzw. selbstherrlich, sie erkannten jedoch idR die römische Oberherrschaft an. Wie gesagt, viele waren römische Amtsträger.Die "Sommerfahrten" der germanischen Föderaten kann man, nicht ganz ernst genommen, mit heutigen Tarifverhandlungen gleichsetzen. Gelang solch ein Coup stiegen die Jahrgelder, mißlang er gab es weniger oder sie blieben erstmals aus. Es war niemals ein ernster Versuch das Weströmische Reich zu erobern.
 
@ Beorna: dass du noch einmal eine Essenz deines vorangegangenen Postings schreibst, wirkt als Antwort auf meines etwas stereotyp ;)

Es handelte sich schon um "echte" Kampfhandlungen in der Endphase des weströmischen Reichs, auch wenn viele germanische Fürsten noch römische Titel anerkannten und trugen, so eroberten sie faktisch Macht und Territorien. Erinnert sei auch an den Bericht des Sidonius Appolinaris, wie er in seiner Heimatstadt Clermont-Ferrand vier Jahre lang die Verteidigung der Bürger gegen die Westgoten unter Eurich organisierte.

P.S.: und sie haben ja das weströmische Reich erobert.
 
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