Was wäre, wenn der Erste Weltkrieg nicht stattgefunden hätte?

atürlich hatte Grey gelogen und auch Belgien war nur ein Vorwand. Aber wenn Deutschland nicht in Belgien einmarschiert wäre oder den Krieg gegen Frankreich erklärt hätte, hätte man Belgien auch nicht als Vorwand benutzen können. Wie gesagt davon ausgehend, dass Deutschland sich nicht zum Angriff hätte verleiten lassen und Frankreich wie auch Russland den Krieg hätten erklären müssen, dann wären zum einen die Versprechungen, die defensiver Natur waren, nicht zum Tragen gekommen und zum anderen hätte Grey erklären müssen, warum man einen französisch-russischen Angriff auf Deutschland unterstützen sollte.
Ich gehe davon aus, das dir die Implikationen des Schlieffenplans bekannt sind.

Warum konnte Serbien das Ultimatum nicht einfach akzeptieren? Warum musste Russland nun die Krise dermaßen hochkochen, ohne mit Serbien verbündet zu sein?


ass Deutschland fast immer ein schlechtes Timing hatte. Immer dann, wenn ein starkes Auftreten, ein Vorpreschen (z.B. gemeinsam mit Österreich-Ungarn) notwendig gewesen wäre, war man still und wenn man besser Ruhe bewahrt hätte, ist man vorgeprescht. Ich kann es nicht besser präzesieren oder belegen, aber dieser Eindruck herrscht bei mir vor.

Eine Präzisierung wäre aber schon wünschenswert.


Schau dir die ganzen Krisen am Vorabend des Weltkrieges an. Marokko Teil 1 meinten Frankreich und Großbritannien im Vorfeld in der Entente sich über Teile Nordafrikas zu verständigen.Nebenbei wurden der Madrider Vertrag und auch der Berliner also das Völkerrecht gleich mehrfach gebrochen. Wann wäre deiner Meinung nach der richtige Zeitpunk gekommen, die eigenen Rechte zu verteidigen?

Bosnische Annexionskrise. Lies einfach den Faden, ich glaube du hast es schon getan, dann weißt du wie diese Krise abgelaufen ist. Iswolsky wollte sich nicht mehr an dem Deal mit Aehrenthal halten.

Marokko Teil 2. Erneut bricht Frankreich das Recht. Erneut wird es von Großbritannien unterstützt. Wann sollte Deutschland handeln oder lieber die Füße stillhalten und sich vorführen lassen.

In beiden Balkankriegen ist Deutschland wohl kaum ein Vorwurf zu machen. Berlin hat gemeinsam mit London dafür gesorgt, das der Frieden erhalten blieb.

Liman-von-Sanders-Krise. Da gibt es hier auch einen umfänglichen Faden. Deutschland war schnell bereit den russischen Wünschen nachzugeben. Sasonow kochte die Krise bis an dem Rand des Krieges hoch. Er war auch nicht mit seinem Erfolg zufrieden. Unmittelbar nach der Krise wurden auf mehreren Konferenzen besprochen, wie die Meerengen militärisch einzunehmen seien. Des Weiteren sollte "endlich" eine vertragliche militärische Bindung mit London her. Das war die projektierte Marinekonvention, die dann in der Julikrise in der britischen Presse besprochen und Gegenstand von Anfragen an Grey im Unterhaus wurden.

Hier gab es überhaupt keinen richtigen Zeitpunkt. Und das bereitwillige Nachgeben wurde sehr frühzeitig signalisiert.

Was durchaus zu recht kritisiert werden kann, ist, das die deutsche Diplomatie die Neigung hatte, wie ein. Elefant in Porzellanladen aufzutreten. Aber sie war im Recht.
 
Die sogenannte Weltpolitik des Kaiserreichs, das muss auch betont werden, beschrieb keinen deutschen Sonderweg.

Das deutsche auswärtige Politik ist nichts besonders; sie war nicht außergewöhnlich aggressiv oder rücksichtslos zu Werke gegangen, sondern bemerkenswert ist das grandiose Scheitern. Das grundlegende Dilemma Deutschlands war es, eben nicht so sein zu dürfen wie alle anderen. Es wurde Deutschland einfach nicht zugebilligt. Deutschland durfte nicht imperialistisch und expansionistisch sein.
Die Mächte der traditionellen Groß- oder gar Weltmächte wie Großbritannien, Russland und Frankreich, die schon miteinander genügend Problem hatten, sahen die neuen Aufsteiger und Überflieger Japan, USA und Deutschland nicht eben gern in ihrer Mittel.

Mit Japan und den USA arrangiert man sich; die waren auch weit weg. Mit Deutschland lagen die Dinge anders.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hierbei sollte man allerdings nicht die rasante ökonomische Entwicklung des "DR" übersehen. Der "deutsche" Handel war eine ernsthafte Bedrohung für die Briten, die im Wettbewerb mehr und mehr ins Hintertreffen gerieten. Allein die Stärke bei chemischen Produkten spricht hier für sich, auch im Schiffbau und der Elektrotechnik sah es ähnlich aus, zudem braucht man sich nur einmal die Liste der Nobelpreisträger vorzunehmen.
 
...dass man Konkurrenz als Bedrohung wahrnimmt, wo sie doch eigentlich das Geschäft belebt, ist gerade bei aggressiv agierenden kapitalistischen Imperialisten ein wenig paradox ... ;)
 
Ja, die britische Ökonomie stand von allen Seiten unter Druck, auch die US-Amerikanische Wirtschaft, ebenso wie die japanische Industrie sind hier durchaus erwähnenswert.

Die Briten hatten durch ihr "koloniales Imperium" bei einigen Produkten durchaus Nachteile, als Beispiel kann man hier die Indigofarben nennen.
 
Wann wäre deiner Meinung nach der richtige Zeitpunk gekommen, die eigenen Rechte zu verteidigen?
Z.B. beim ersten Balkankrieg. An dieser Stelle möchte ich Konrad Canis ausführlich (ich fasse auch z.T. zusammen) zitieren:
"Wien stand allein, unter den Großmächten wie unter den Balkanstaaten, Berchtold wusste, sich nicht einmal auf Deutschland verlassen zu können. Dagegen gingen die Ententemächte wohlabgestimmt und geschlossen vor. Um die Rivalen stillzustellen richtete als erstes Poincaré eine Demarche an die Großmächte, in der Berchtolds Vorschläge aufnahm: den Krieg zu verhüten, ihn andernfalls zu lokalisieren und im Einvernehmen vorzugehen. Russland und Österreich sollten die Balkanstaaten zum Frieden aufrufen und andernfalls auf den status quo verpflichten. Während Paris auf diese Weise Wien Kooperationsbereitschaft signalisierte, nahm sich London Berlin vor. Des naiven Annäherungswillen des Rivalen gewiss, ließ Grey auf einmal gegenüber dem Botschaftsrat Richard von Kühlmann, der die Geschäfte führte, eine Bereitschaft, sich zu verständigen, erkennen, die alle bisherigen Schritte weit übertraf. Kühlmann sah sich hochgemut als Wegbereiter des Durchbruchs. In der deutschen Botschaft und in Berlin glaubte man, England könnte von Entente nach Deutschland abschwenken. Das war eine Fehleinschätzung. Für Grey hatte die Entente absolute Priorität und es ging darum, Berlin und Wien ruhigzustellen und in Sicherheit zu wiegen, um Russland den Weg zu ebnen. Ich war lange Zeit auch der Ansicht, dass die Deutschen und die Briten gemeinsam einen Weltkrieg auf dem Balkan verhindert haben, aber Canis deutet (sehr überzeugend) etwas anderes an.
Im Hintergrund hielt Sasonow die Fäden in der Hand, um dem nahen Konflikt auf dem Balkan freien Raum zu geben. Sasonow manipulierte hierzu London, Berlin und Wien. Mensdorff meldete nach einem Treffen mit Sasonow aus London die Erkenntnis, diesem bedeute die Kooperation mit Berchtold den einzigen Hoffnungsstrahl für die Zukunft. Tschirschky drängte Berchtold in Wien inständig, bei einem Kriegsausbruch an Desinteresse, Lokalisierung und territorialem Status quo festzuhalten. Österreich würde sonst als Störenfried dastehen. "Wir sollen uns nicht mucken", hielt der Minister verärgert fest. Er konnte nicht mehr im Zweifel sein, die Lokalisierungsforderung der übrigen Großmächte zielte darauf, Wien zum Stillstand zu zwingen. Berchtold hatte also erkannt, was wirklich gespielt wurde, in Berlin erkannte man das nicht. Berchtold wusste, dass er mit Stillsitzen nur die Kriegstreiber ermunterte, allein (ohne Deutschland) blieb ihm nur, hilflos zu erkennen, dass er folgen musste. Das meine ich z.B., wenn Deutschland hätte stärker hätte vorpreschen müssen, mit Österreich gemeinsam. Man wusste doch schon länger, was für ein Spiel die Entente trieb, aber man klammerte sich an vergebliche Hoffnungen, mit England eine Übereinkunft erreichen zu können.
Das ganze Schauspiel wurde auf die Spitze getrieben, indem die Großmächte kurz vor Kriegsausbruch in einer gemeinsamen Note an die Balkanstaaten zum Frieden aufzufordern und Gebietsänderungen eine Absage erteilten. Davon gebunden sehen musste sich allein Österreich-Ungarn. Mit der Zusage der Neutralität sollte er den Balkanstaaten einen Freibrief für die Aggression geben, klagte Berchtold. Natürlich sahen die Balkanstaaten die Teilnahme Russlands an der Demarche als eine Finte an, die sie nicht ernstzunehmen brauchten. Selbstverständlich war der erste Balkankrieg dann schneller entschieden, als alle erwartet hatten, dennoch zeigte sich dass die Abstimmung zwischen der Entente reibungslos funktionierte, die des Zweibundes jedoch nicht. Die deutsche Politik war hier nicht konsequent. Man setzte auf den letzten verbliebenen Bündnispartner Österreich-Ungarn, unterstützte diesen aber oftmals nicht. Die Entente setzte beim Zweibund an der Schwachstelle, bei Österreich-Ungarn an und versuchte Deutschland über diesen Weg zu schwächen. Als Deutschland dann im Juli 1914 ernst machte und Österreich tatsächlich unterstütze, war es zu spät: Serbien hatte sich fast verdoppelt und band erhebliche Truppenteile Österreichs, Rumänien hatte sich längst dem Bündnis entfernt, usw. Die Rivalen des Zweibundes hat ihren Höhepunkt und die stärkst mögliche Koalition gegen diesen erreicht.
(Canis, Konrad - Die bedrängte Großmacht S. 396 ff.)

Ich will damit sagen, die deutsche Führung beschäftigte sich mehr, was hätte sein können, was wünschenswert wäre (Übereinkunft mit England) als mit dem zu arbeiten, was man hatte (Österreich-Ungarn) und aus dem Zweibund rauszuholen, was noch ginge, ihn möglichst zu stärken, denn die beiden Kaiserreiche waren immer noch ein nicht zu unterschätzender wirtschaftlicher und militärischer Block mit dem Vorteil der inneren Linie. Was mit der richtigen Abstimmung und Stärkung des Bündnispartners hätte durchaus abschreckend wirken können. Die deutsche Armee allein besaß ja durch ihren Ruf allein schon ein gewisses Abschreckungspotential. Frankreich glaubte ja Russland, das ganze Empire, am besten die ganze Welt auf seiner Seite zu haben, um mit Deutschland fertigzuwerden (was ja nicht ganz falsch war).
Ich hoffe, ich konnte es damit etwas besser präzesieren, sehe aber ein, dass ich gerade nicht die Sternstunde meines Schreibens erreicht habe und es nicht so gut erklären kann, worauf ich eigentlich hinaus möchte.

Ich stimme dir auch bei allen genannten Punkten zu, sei es die Liman-von-Sanders-Krise, Marokko usw. Wie gesagt, das Verhalten der Entente will ich in keiner Weise rechtfertigen, nur darüber diskutieren, ob Deutschland hier nicht etwas cleverer darauf hätte reagieren können.
Ich gehe davon aus, das dir die Implikationen des Schlieffenplans bekannt sind.
Ja, mir ist bewusst, dass man in Deutschland glaubte, einen Krieg nur mit dem Schlieffenplan überstehen zu können. Aber wir waren ja schon an dem Punkt, dass Deutschland sich eben nicht auf einen Krieg einlässt und dadurch auch der Schlieffenplan hinfällig wird. Da komme ich zum Ultimatum. Natürlich stimme ich dir auch bzgl. Serbien und Russland zu, aber Wilhelm II. hatte es selbst schon erkannt, der diplomatische Sieg für Österreich war da, für ihn war es genug, es bedurfte keines Krieges. Natürlich wollte Russland die Eskalation (anderseits z.T. auch lieber erst 1917). Aber die deutsche Seite hätte ja sagen können: Wir machen bei diesem Spiel nicht mit, wir lassen uns diesen Krieg nicht aufdrängen und das wäre dann wieder ein Zeitpunkt gewesen, an dem ich wiederum Zurückhaltung für angebrachter gehalten hätte. Man hätte Österreich-Ungarn ganz klar kommunizieren müssen, dass wenn eine wie auch immer geartete Antwort Serbiens auf das Ultimatum zu einem diplomatischen Sieg umgemünzt werden und damit zu einer Stärkung Österreichs beitragen konnte, dann hält man die Füße still bzw. setzt sich zumindest noch einmal zusammen, um eine gemeinsame Vorgehensweise zu besprechen. Mir ist bewusst, dass die geheime russische Mobilmachung schon begonnen hatte, aber auch auf diese hätte man reagieren können. Bis 1913 hatte man den Aufmarschplan Ost ausgearbeitet und Hermann von Staabs hat nachgewiesen, dass eine Umgliederung des deutschen Westaufmarsches, selbst wenn dieser schon stattgefunden hätte (was zu diesem Zeitpunkt nicht der Fall war) noch möglich gewesen wäre. Kein Angriff auf Serbien, keiner auf Belgien. Den Russen den ersten Zug überlassen. Hätte Frankreich da angegriffen? Notgedrungen wahrscheinlich schon, da man Russland nicht allein gegen die Zentralmächte kämpfen lassen konnte und am Ende allein auf dem Kontinent gestanden hätte. Aber wäre England dann gleich mit auf den Zug aufgesprungen? Vielleicht später, um bei der Nachkriegsordnung mitwirken zu können, aber sicher nicht von Anfang an, wenn Russland alleine oder im Verbund mit Frankreich offensichtlich (und nicht insgeheim) die Aggressoren gewesen wären. Man stelle sich drei deutsche Armeen zu Verteidigung im Westen vor und fünf deutsche und vier bis fünf k.u.k.-Armeen im Osten zur Abwehr vor. Acht bis neun Armeen der Mittelmächte gegen die russischen Dampfwalze, den Vorteil der inneren Linie ausnutzend, die eigenen Kräfte zu konzentrieren. Frankreich konnte keine Armee an die Ostfront schicken.
Die sogenannte Weltpolitik des Kaiserreichs, das muss auch betont werden, beschrieb keinen deutschen Sonderweg.

Das deutsche auswärtige Politik ist nichts besonders; sie war nicht außergewöhnlich aggressiv oder rücksichtslos zu Werke gegangen, sondern bemerkenswert ist das grandiose Scheitern. Das grundlegende Dilemma Deutschlands war es, eben nicht so sein zu dürfen wie alle anderen. Es wurde Deutschland einfach nicht zugebilligt. Deutschland durfte nicht imperialistisch und expansionistisch sein.
Die Mächte der traditionellen Groß- oder gar Weltmächte wie Großbritannien, Russland und Frankreich, die schon miteinander genügend Problem hatten, sahen die neuen Aufsteiger und Überflieger Japan, USA und Deutschland nicht eben gern in ihrer Mittel.

Mit Japan und den USA arrangiert man sich; die waren auch weit weg. Mit Deutschland lagen die Dinge anders.
Volle Zustimmung. Es wäre auch viel realitätsnäher von britischer, französischer und russischer Weltpolitik zu sprechen, aber deren Kolonialgebiete sind ja freiwillig dem Empire, dem französischen Kolonialreich und dem Russischen Reich beigetreten. ;)
 
meine Vermutung: es wurde auf allen Seiten so viel gezündelt - irgendein Funke wäre schon explodiert. So war es eben das Attentat von Sarajewo.
Aber ich fürchte, man dachte zusehr im Schema: "ach, schon wieder eine von den kleinen Krisen, das kriegen wir - wie die anderen Male - schon hin."
 
Um die Gedanken einmal weiterzuführen. Die Gedanken sind nicht von mir, sondern einfach mal von Niall Fergusson und John A. Dredger bzw. Günter Kronenbitter zusammengefasst, Deutschland hätte um den Großmachtsstatus von Österreich-Ungarn als Lebensversicherung hochrüsten müssen.
1. Massiver Ausbau der Bahnstrecken in ÖU
2. Vereinheitlichung bei der Artillerie, diese ganzen ÖU Sonderwege wie diese ganzen Konstruktion des Wiener Arsenal (Stichwort: Stahlbronze, Konkurrenz von Privatwirtschaft und Staatsbetrieben mit dem Ergebnis, dass am Ende viel zu wenig Material und viel zu viel veraltetes vorhanden war)
3. Ausbau mobiler Verteidigungsanlagen
4. streng abgestimmte gemeinsame Aktionen, kein Nebenher von kuK Truppen und deutscher Armee,
5. gemeinsamer Generalstaab mit Aufteilung 50/50
6. Modernisierung der ÖU Taktik.

=> Österreich hatte in allen Bereich gute Konstrukteure und gute Leute, ob Kropatschek, Franz von Uchatius, Siegfried Popper, Josef Frommer etc.
Das Industriepotential und teilweise schräge Entscheidungen schwächten die Armee (Vergleich das Schreiduell von Kropatschek und Josef Skoda).

Ich denke, das wäre schon mal das Wichtigste gewesen, um durch einen starken Armeeverbund den Frieden zu sichern.
 
Zuletzt bearbeitet:
@Emperor_Antonius

Sasonow fragte tatsächlich noch kurz vor Ausbruch des Ersten Balkankrieges den deutschen Botschafter Pourtales, "Ob die Zusage Deutschlands, eine österreichische Expansion auf dem Balkan nicht zu unterstützen, auch gelte, wenn Wien gegen sein Ratschlag dennoch vorgehe."

Ab Juli 1912 hatte Berchtold die veränderte Einstellung der Großmächte zur Bewahrung des Status Quo auf dem Balkan endgültig realisiert. Dies wird sehr deutlich aus seinem Erlaß an den Botschafter in London vom 20.Juli 1912.
Der deutsche Schwenk wird der der Entrevue von Potsdam, der russische Zar war zu Besuch gekommen und der Abberufung des deutschen Botschafters Marschall in Konstantinopel markiert. Marschall hatte sich in den langen Jahren seiner Dienstzeit eine gute Stellung in Konstantinopel erarbeitet. In Konstantinopel hatte man kurz nach der Entrevue registriert, das man nicht mehr unbedingt auf den deutschen Schutz bauen könnte. Die Beziehung kühlt sich ab.

Die Russen seien wieder erstarkt und würden ihre Blicke auf die Meerengen werfen.

Nachzulesen in "Österreich-Ungarns Außenpolitik,Band 4, S.283 ff

Deutlich wird jedenfalls, das bei der deutschen Balkanpolitik die Beziehung zu Russland zu jenem Zeitpunkt eine nicht zu verachtende Rolle spielte. Und dann die Politik der Entspannung gegenüber England. Das ist der zweite bedeutende Aspekt. Beides lang unbedingt im deutschen Interesse.

Im August 1912 war Poincaré zu Besuch in Petersburg. Er wußte das die Serben und Bulgaren einen Vertrag unterschrieben hatten. Was er nicht wußte, waren die Bestimmungen. Sasonow verschleppte die Bereitstellung der Information für Poincarè. Als dieser dann davon erfuhr, war er unangenehm berührt; vor allem hinsichtlich der Passage der gleichzeitigen Mobilmachung gegen das Osmanische Reich.

Ich zitiere den von dir genannten Konrad Canis:

"Kurz darauf unterstrich er (Berchtold, Anmerkung von mir) seine Grundsätze im Ministerrat. Österreich-Ungarn werde versuchen, den Krieg tunlichst vorzubeugen, wenn dies aber nicht gelingen sollte, die konflagration nach Möglichkeit zu lokalisieren und keine Veränderung des Status Quo ohne unsere Zustimmung zuzulassen." Serbien sei zu verstehen zu geben, "das wir eine Überschreitung der türkischen Grenze durch die serbischen Truppen nicht zugeben können und uns für diesen Fall die Freiheit unserer Entschließungen vorbehalten müßten."

Es blieb eine leere Drohkulisse. Berchtold hatte gar nicht vor in einem Krieg einzugreifen.

Deutschland fuhr während des Ersten Balkankrieges gewissermaßen eine Doppelstrategie. Ich will das kurz illustrieren.
Ende November/Anfang Dezember ließ Kiderlen innerhalb eine Woche in Wien "einen kalten Wasserstrahl verabreichen" (Jäkh, Alfred von Kiderlen -Wächter, Band 2 , S.191)wie er beliebte sich auszudrücken und Kanzler Bethmann im Reichstag vitale österreichische Interessen zu denen des Deutschen Reiches machte (Große Politik der Europäischen Kabinett, Band 33, S.445f). Letzteres wurde in London übel vermerkt und reklamiert.

So brachte der britische Kriegsminister Haldane im Dezember 1912 gegenüber den deutschen Botschafter Lichnowksy zu Ausdruck, "das die Balance of Power " eine Kernstück britischer Politik sei. "Das Königreich werde nicht zulassen, dass es sich nachher einer kontinentalen Gruppe unter Führung einer einzigen Macht gegenübersehe."

Während Bethmann sich in seiner Rede vom 02.Dezember mit der Rolle des Zweibundes und des Dreibundes auseinandersetzt und davon sprach, dass "wir bei der Regelung mancher Fragen unser Wort zugunsten unserer Verbündeten mit in die Waagschale zu legen haben" und außerdem die deutsche Bündnistreue betonte, kamen in der offiziösen Note, die Kiderlen am 25.November in der "Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" platziert hatte, die Bündnisse nicht einmal vor. Dort hieß es, "die Regierungen alller Großmächte ernsthaft bemüht sind, für immerhin eine schwierige Frage eine friedliche Lösung zu finden. Und vor allem dementierte der Artikel Gerüchte über österreichisch-ungarische Alleingänge und betonte die Einmütigkeit der Mächte.
Das kam natürlich in Wien nicht gut an; man fühlte sich im Stich gelassen. Berchtold hatte die Unterstützung Bethmanns nicht richtig verstanden. Er verstand es "als väterliche Mahnung nach Wien, hübsch stille zu sitzen." (Vermiedene Kriege, S.653 von Kröger, Dülffler und Wippich). Das Verhältnis zwischen Wien und Berlin kühlte stark ab. Die Monarchie lenkte schließlich ein.


Obwohl die deutsche Diplomatie seit dem Tripoliskrieg eigentlich das Interesse an kollektiven Aktionen verloren hatte und weitere Initiativen ablehnte, stattdessen die Dreibundpolitik betonte und lieber allein oder im Verbund mit Österreich-Ungarn vermittelnd tätig wurde, war die deutsche Diplomatie schon vor und während des Ersten Balkankrieges zu einer Mächtekonzertpolitik bereit.

Im Vorfeld des Krieges unterschieden sich die Ziele Wiens und Berlins. Berchtold wollte den Krieg unbedingt verhindern, Berlin ihn lokalisieren.

Schließlich einigte man sich, zur Beilegung der Krise, auf die Botschafterkonferenz in London und hier war es dann dem Zusammenspiel von London und Berlin zu danken, das die Krise , zumindest temporär, entschärft werden konnte.

Das deutsche AA hatte zu Hause Mühe sich gegenüber den Kaiser und in dessen Gefolge dem Militär durchzusetzen. Sie taktierten erfolgreich mit einer Doppelstrategie, sich letztlich gemeinsam mit London gegen einen russischen "Übergriff" gegenüber Wien, die auch die Entschlossenheit für Bündnishilfe dokumentiert und das Prestige Wien berücksichtige. Nur das sah man in Wien ganz anders.
 
Marokko Teil 2. Erneut bricht Frankreich das Recht. Erneut wird es von Großbritannien unterstützt. Wann sollte Deutschland handeln oder lieber die Füße stillhalten und sich vorführen lassen.
Vielleicht verstehe ich dich miss, aber das ist doch genau die Denke des 19. und frühen 20. Jhdts. (Also gewissermaßen die Denke der hsitorischen Situation, über die ihr hier sprecht.) Das hört sich jetzt aber so an, als sei das deine Denke, die im 21. Jhdt. doch etwas aus der Zeit gefallen scheint.
 
@Emperor_Antonius

Der Siedepunkt war für Österreich-Ungarn erreicht, als die serbischen Truppen den Hafen von Durazzo einnahmen. Das war für die Monarchie nicht mehr hinnehmbar.

Wie mobilisierte eine große Anzahl von Soldaten und verlangte den Rückzug der Serben. Hier entzündete sich die Krise.

Die Forderung Wiens rief natürlich sofort die Russen auf dem Plan, da sie die Serben unter ihrer Patronage gestellt hatten.

Und hie stellt sich die Frage, welche Alternative hatte die deutsche Diplomatie? Hätte sich sich bedingungslos hinter Wien gestellt, dann wäre der große Krieg da gewesen. Die Deutschen entschieden sich für die oben beschriebene Doppelstrategie, die nach Lage der Dinge das einzig Vernünftige war; auch wenn es dafür so manche Kritik einzustecken galt.

Aber, und das ist nicht zu unterschätzen, ein weites Mal wollte Berlin den Verbündeten "nicht alleine im Regen stehen lassen" und agierte im Juli 1914 entsprechend. Auch London war im Juli 1914 nicht gewillt mäßigend auf seinen Verbündeten Russland einzuwirken.
 
Vielleicht verstehe ich dich miss, aber das ist doch genau die Denke des 19. und frühen 20. Jhdts. (Also gewissermaßen die Denke der hsitorischen Situation, über die ihr hier sprecht.) Das hört sich jetzt aber so an, als sei das deine Denke, die im 21. Jhdt. doch etwas aus der Zeit gefallen scheint.

Ich habe lediglich Tatsachen präsentiert. Nicht mehr.
 
Es sind Tatsachen. Die dürfen benannt werden. Ich weiß nicht, was du mit deinen Äußerungen eigentlich bezwecken willst. Aber zu den von dir verwendeten und abwertenden Begriffen revanchistisch und unzeitgemäß halte ich ein Kommentar meinerseits für nicht erforderlich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Frankreichs Präsident Poincaré schlug dem russischen Außenminister Sasonow in einem Brief vom 04.November 1912 vor, das Frankreich, England und Russland durch einen Präventivschlag eine Intervention Österreich-Ungarns in dem Ersten Balkankrieg verhindert werden sollten.

Mitte November erkundigte sich Sasonow in London und Paris, wie diese sich denn zu einer militärischen Intervention Russlands stellen würden.

Das zeigt wie explosiv die Lage war und das Russland und Frankreich bereit waren für Serbien in dem Krieg zu ziehen.

Das machte es für Deutschland jedenfalls nicht leichter und mit seiner Strategie und die Zusammenarbeit mit Großbritannien konnte der Frieden gewahrt werden.


Clark, Schlafwander, S.387 ff
 
Es sind Tatsachen. Die dürfen benannt werden.
Klar.

Ich weiß nicht, was du mit deinen Äußerungen eigentlich bezwecken willst.
Du musst nicht hinter allem eine Bösartigkeit vermuten. Ich teile dir mit, wie dein Wortlaut bei mir ankommt. Du kannst mir sagen: Nein, es ist nicht revanchistisch gemeint. Dann ist alles okay. Wenn du es aber revanchistisch meinst, dann musst du dir halt gefallen lassen, dass ich deine Äußerungen für revanchistisch und unzeitgemäß halte.

Wenn du es nicht revanchistisch meinst, dann sind da zwei Möglichkeiten:
1.) du formulierst ungeschickt
2.) ich spinne

50:50

Das kannst du dir ja durch den Kopf gehen lassen und vielleicht mal ne Nacht drüber schlafen. Wenn du dann morgen meinst, ich übertriebe, kannst du dir drei mal mit dem Zeigefinger an die Stirn tippen, den Kopf über meine Blödheit schütteln und ignorierst einfach, was ich schreibe.
Du kannst dir aber auch überlegen: "Hm, das kommt bei EQ unzeitgemäß und revanchistisch an. Liegt das vielleicht daran, wie ich, Turgot, formuliere?"

Wie gesagt: 50:50.
 
@El Quijote

Ich muss mir nichts durch den Kopf gehen lassen.
Wie viele Jahre sind wir hier schon unterwegs. Es sind viele und du solltest mich so langsam kennen.
Revanchist, also ehrlich. Ein unzutreffender Vorwurf!!
Nur weil ich das Deutschland von 1862 bis 1918 nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit kritisiere, bin ich noch lange kein Revanchist!!!
Ich finde diese öffentliche Befragung von dir nun nicht gerade als Freundlichkeit.
 
@El Quijote

Ich muss mir nichts durch den Kopf gehen lassen.
Wie viele Jahre sind wir hier schon unterwegs. Es sind viele und du solltest mich so langsam kennen.
Revanchist, also ehrlich. Ein unzutreffender Vorwurf!!
Nur weil ich das Deutschland von 1862 bis 1918 nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit kritisiere, bin ich noch lange kein Revanchist!!!
Ich finde diese öffentliche Befragung von dir nun nicht gerade als Freundlichkeit.
Ich sage dir, wie deine Formulierung bei mir ankommt. Da kann man doch mal drüber nachdenken, ob das ganz vielleicht Hand und Fuß hat. Und wenn man dann zu dem Ergebnis kommt, dass dem nicht so ist, ist das doch in Ordnung. Aber wenigstens mal ein paar Minuten darüber nachdenken, das tut doch nicht weh.
Ich habe nebenbei nicht gesagt, dass du ein Revanchist seist, sondern, dass eine spezielle Formulierung bei mir unzeitgemäß revanchistisch ankommt. Du hättest ganz einfach sagen können: "EQ, du irrst dich, ich habe aus der Perspektive des Kaiserreichs, nicht aus meiner eigenen gesprochen."
Nebenbei #2. Niemand hat je von dir verlangt, "Deutschland ... bei jeder sich bietenden Gelegenheit" zu kritisieren noch ist es im Forum Usus "Deutschland ... bei jeder sich bietenden Gelegenheit" zu kritisieren.
 
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