Mir "scheint" es nicht nur so zu sein, sondern ich habe keinerlei Zweifel, dass es so war. Es geht mir darum, dass der Militarismus die deutsche Zivilgesellschaft wirkungsvoll durchdrungen hatte - wer nicht "gedient" hatte, war suspekt. Unvorstellbar in den Nachbarländern.
Das war z.B. in Frankreich alles andere als unvorstellbar.
In der 3. Republik kurz vor dem 1. Weltkrieg erfasste die Wehrpflicht nämlich deutlich größere Teile der Beevölkerung, als in Deutschland.
Deutschland zog anno 1913 zwischen 50 und 60% der theoretisch wehrpflichtigen jungen Mäner tatsächlich zur Ausbildung und zum Dienst an der Waffe heran, in Frankreich waren es zum gleichen Zeitpunkt an die 80%.
Wenn man in Deutschland nicht gediehnt, befand man sich in der Gesellschaft, von knapp der Hälfte aller jungen Männer im wehrfähigen Alter.
Wenn man in Frankreich nicht geedienht hatte, war man, imm Besonderen, wenn man von den 20% noch die untauglichen abzieht, ziemlich krass in der Minderheit und wesentlich eher Außenseiter.
In Paris war das Militär bei weitem kein derart gesellschaftspolitischer Faktor wie in Berlin.
Was allerdings, wenn du mich fragst vor allem daran gelegen haben dürfte, dass dadurch dass die Wehrpflicht in Frankreich größere Teile der Bevölkerung umfasste und im Gegensatz zu Deutschland tatsächlich so gut wie jeder erwachsene Mann irgendwie mal gediehnt hatte, das Militär eben nichts besonderes mehr war.
Aber nicht weil Frankreich weniger krigerisch oder militaristisch gewesen wäre, sondern weil sich anders als in Deutschland damit beim Militär gewesen zu sein nicht mehr in diser Form angeben ließ.
Die "Haben-sie-überhaupt-gediehnt-?"-Mentalität und der Verusch eine Abgrenzung zu ungedienten Zivilisten zu schaffeen, funktioniert ja nur dann, wenn man genügend ungdiehnte Zivilisten findet.
Wenn man damit rechnen muss, dass die Leute denen man begegnet ohnehin alle gediehnt haben, weil es so üblich ist, dann kann man die Uniform auch zu Hause lassen und sich den schnarrenden Kasernenhof-Ton auch sparen, denn dann macht man sich damit nur zum Kasper.
Es gibt sicherlich einen massiven Unterschied was das Militär in Deutschland und Frankreich angeht und der liegt daran, dass sich in Deutschland das Militär der Aufsicht und Kontrolle der Politik in einer Weise entzog, wie das in Frankreich nicht möglich gewesen wäre.
Das ist im Hinblick auf das Zustandekommen des 1. Weltkriegs auch ein großes strukturells Problem, dass bei Deutschland vorhanden war und das den Krieg begünstigte.
Es war aber kein Alleinstellungsmerkmal, weil es in der Donaumonarchie und vor allem in Russland ähnlich damit stand.
Man sollte beim internationalen Verglich durchaus auch hin und wieder nach Osten schauen.
Das macht die Dinge in Deutschland nicht weniger problematisch, widerspricht allerdings so ein wenig dem "Sonderweg-Modell".
Ja, auch in Frankreich war es problematisch, das Militär zu kritisieren oder gar, wie Zolà, es publizistisch zu attackieren. Aber immerhin gab es Menschen, die das taten. Hingegen bei uns?
Och, bei uns zum Beispiel lief Rosa-Luxemburg durch die Gegend kritisierte das Militär offen wegen stattfindender Soldatenmisshandlungen
und blamierte bei einem anschließenden Prozess, den Kriegsminister von Falkenhayn gegen sie wegen Beleidigung/Verleumdung angestrengt hatte, das Militär bis auf die Knochen:
Ist nicht so, dass sich über das Militär oder dessen Betragen in Deutschland niemand aufgeregt hätte oder dass das allgemein glichgültig hingenommen worden wäre.