Was wurde aus Leutnant v. Forstner ?

Nein, den Beschlagnahmaktionen ging keine Klage voraus. ich lese es morgen nochmal nach, heute Abend schaffe ich das nicht mehr.

Ich finde nur das:

"Dies erreichte einen Höhepunkt, als am 29. Oktober 1898 eine Karikatur Heines mit den Kreuzrittern Gottfried von Bouillon (um 1060–1100) und Friedrich Barbarossa (reg. 1152–1190, ab 1155–1190 Kaiser) sowie ein Spottgedicht Wedekinds auf das Kreuzrittertum während der Reise von Kaiser Wilhelm II. (1859–1941, Deutscher Kaiser 1888–1918) nach Palästina als Majestätsbeleidigung verstanden wurden und zur Beschlagnahmung der Zeitschrift führten."

Demnach war für die Staatsanwaltschaft der Tatbestand der Majestätsbeleidigung der unmittelbare Anlass zur Beschlagnahmung der Zeitschrift.
 
Demnach war für die Staatsanwaltschaft der Tatbestand der Majestätsbeleidigung der unmittelbare Anlass zur Beschlagnahmung der Zeitschrift.
Es gab wohl drei Jahre vorher also 1895 schon einen Zensur"skandal" beim Simplicissimus:

"Einen ersten Schub der Politisierung seiner Zeitschrift erreichte Langen mit der aus heutiger Sicht sehr zurückhaltenden Entscheidung, in Heft 4 des ersten Jahrgangs Gedichte des zwanzig Jahre früher verstorbenen Schriftstellers Georg Herwegh abzudrucken. Dieser zählte zu den Wortführern einer Demokratisierung Deutschlands in der Revolution von 1848 und später zu den Begründern des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, dem Vorgänger der SPD; er war also dezidiert gegen die Monarchie eingestellt. In Österreich, wo der Simplicissimus von Beginn an auch vertrieben wurde, war er anscheinend so sehr „persona non grata“, dass die Ausgabe verboten und angeblich von der Polizei sogar beschlagnahmt wurde. Über diese Vorgänge sind wir vor allem durch die Berichterstattung des Simplicissimus selbst informiert, denn Redaktion und Herausgeber erkannten sofort, dass sich mit dieser Gegenreaktion der Obrigkeit die beste Werbung machen ließ."

 
Doooch, das ist richtig. Vom Simplicissimus wurden, lange, lange vor dem I. Weltkrieg verschiedene Ausgaben beschlagnahmt. Einfach so, durch Behördenbeschluss.
Die Beschlagnahmung von Printmedien muss durchaus nichts mit Zensur zu tun haben.

Wenn diese Medien rechtswidrige Inhalte publizierten und das konnte von Beleidigungen, über Billigung von Verbrechen, Verrat von Staatsgeheimnissen, Sittlichkeitsdeklite oder Schüren von Aufruhr reichen, war eine Beschlagnahmung der entsprechenden Nummer einer Zeitung oder Zeitschrift durchaus möglich, ohne dass das unter eine wie auch immer geartete Zensurgesetzgebung fiel.

Wäre sie übrigens unter Umständen auch heute noch.


Der Simplicissimus war eine satirierische Zeitschrift, die sich natürlich durch manche Karrikatur sicherlich im Graubereich bewegte, was Schmähkritik und etwaige Beleidigungen angeht.

Natürlich bestand in gewissem Rahmen die Möglichkeit satirische oder unangenehme Zeitschriften dadurch zu schikanieren sie mit Beleidigungsklagen etc. zu überziehen.
Und dann spielte unter Umständen durchaus die politische Meinung der Richter eine Rolle dahingehend, was einkassiert werden konnte und was nicht, so dass es durchaus gewisse Möglichkeiten gab das Spektrum des Publizierbaren zu beeinflussen.

Aber das war keine deutsche Spezialität, das gab es auch anderswo, durchaus auch in Westeuropa.

Sogar wegen "Majestätsbeleidigung" musste sich Langen mal verantworten, was zur Folge hatte, dass er für Jahre in Frankreich und der Schweiz im Exil leben musste. Der nette König von Sachsen hat Albert Langen dann irgendwann begnadigt. Gegen eine Geldauflage von 30.000(!!!) Mark. Das nenne ich doch mal echt liberal.
Naja, Majestätsbeleidigung war nunmal ein Straftatbestand.
War es übrigens selbstverständlich auch in allen anderen Monarchien Europas.

Der Deal der Einstellung von niedrigschwelligen Strafverfahren, gegen Geldauflagen, die sich in ihrer Höhe durchaus an Vermögen und Einkommen der zu belangenden Personen orientieren, ist doch nichts, was uns aus unserer Realität gänzlich unbekannt ist?
Wie oft ließt du in den Medien heute irgendwas von Promis, deren Verfahren wegen irgendwelcher Bagatellen/niedrigschwelligen Vergehen gegen entsprechende Auflagen eingestellt werden?

Gegenfangfrage: Wäre der Mörder freigesprochen worden, wenn Jaurès kein Sozialist gewesen wäre?
Weiß ich nicht, weil ich natürlich nicht weiß, wer in der Jury saß und wie die Leute so tickten.

Nur wenn 11 von 12 Jury-Mitgliedern einen Mörder, der am hellichten Tag, mitten in Paris einen landesweit bekannten Politiker in aller Öffentlichkeit erschoss und an dessen Schuld kein Zweifel war, weil es wirklich genug Zeugen dafür gab, freisprachen, dann spricht das für mich durchaus dafür, dass es in Frankreich durchaus einige Leute gab, die diesen Mord für völlig in Ordnung hielten und die dementsprechend Jaurès wahrscheinlich eher für einen Verräter als für einen Patrioten hielten.

Ich würde sagen, da werden gewisse Neigungen zum Exremismus und gewisse Parallelen zu der auf dem rechten Auge sehr blinden Justiz in der Weimarer Republik sichtbar.


Aber nochmal - ich rede nicht von militaristischen Militärs, das ist im Deutschland vor 1914 der Normalzustand, ebenso wie in vielen anderen Ländern. Ich spreche von einer Zivilgesellschaft, die von militärischem Gedankengut druchdrungen war und das war in Deutschland nun einmal auf besondere Weise ausgeprägt.
Bin ich nicht von Überzeugt.
Ich kenne auch keine Studien, die das untermauern würden.
Der Hang zum Militärischen war in Deutschland sehr stark wahrnehmbar, weil eben Uniformmen überall präsent waren. Allerdings nur weil jemand eine Uniform trägt, fängt er nicht automatisch an militaristisch zu denken.

Ich zumindest kann es mir nicht anders erklären, dass sich, noch vor Kriegsbeginn!, ein von Moltke wenig bis gar nicht um das scheren musste, was Regierung oder Reichstag taten oder sagten.
Da sind wir bei der angesprochenen mangelnden Kontolle der zivilen Politik über das Militär.

Moltke musste sich nicht darum scheren, weil im politischen System Deutschlands eben nicht ein Regierungschef oder das Parlament trägr der obersten Befehlsgewalt über die Armee war, sondern der Kaiser und KW II. verstand von militärischen Dingen wenig genug, dass er in diesen Dingen recht einfach zu bearbeiten war.

Das wäre In Frankreich, wo die Amree der politischen Kotrolle durch die gwählte und dem Parlament verantwortliche Regierung unterstand nicht möglich gewesen, deswegen konnte die französische Regierung Joffre auch zurückpfeifen, als der genau wie auf der anderen Seite Motlke die "tolle" Idee hatte eine Verletzung der belgischen Neutralität in seine Kriegspläne mit einzubeziehen.

Allerdings, dass das Militär dem Monarchen als Oberkommandierendem Unterstand und dass Regierung und Parlament keine Weisungsbefugnis in militärischen Dingen oder den militärischen Stellen gegenübr hatte, das war in Russland und Östrreich-Ungarn ganz genau so.
Das meine Ich damit, dass man, wenn man vergleiche ziehen möchte, durchaus auch nach Osten schauen sollte.
Dann stellt man nämlich sehr schnell fest, das viele in der populären Rezeption als solche benannte deutsche Eigenheiten in den militärischen Strukturen so deutsch nicht waren sondern sich auch bei einigen der anderen monarchisch verfassten Staaten fanden.

Der Spruch, dass sich die preußische Armee einen Staat hielt, kam nicht von ungefähr, sondern traf in weiten Teilen zu. Wo simmer denn, wenn sich die Armee jeder Kontrolle entzieht?
Der Spruch war auf die Zeit des "Soldatenkönigs" und auf die Friedrich II. gemünzt.

Zu dieser Zeit hatte Preußen eine gemessen an seiner Gesamtbevölkerung absurd große Armee und der Oberkommandierende dieser Armee war gleichzeitig Monarch und zwar kein konstitutioneller, an eine Verfassung gebundener, sondern absolutistischer Monarch.

Das allerdings hat mit den Verhältnissen in der Wilhelminischen Zeit nicht mehr viel zu tun.

Deutschland gab pro Kopf weniger für das Militär aus und rekututierte im Verhältniss zur Gesamtbevölkerung weniger Soldaten als etwa der französische Nachbar.
Und auch wenn der Kaiser nominell noch Oberbefehlshaber war, war das mehr eine zeremonielle Rolle, das eigentliche, faktische Oberkommando lag beim preußischen Generalstabschef.
Der hatte allerdings in zivilen Fragen kein Mitspracherecht und erst keines, dass mit der Machtfüll des "Alten Fritz" vergleichbar wäre.

Wo simmer denn, wenn sich die Armee jeder Kontrolle entzieht?
Was die Zeit der Weltkriege betrifft?

In Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland, dem Osmanischen Reich, Japan, Griechenland, Ungarn, Rumänien, Polen, Spanien möglicherweise Serbien...........

Es gab da durchaus einige Staaten, bei denen im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Kontrolle der zivilen Politik über das Militär doch sehr zu wünschen übrig ließ und wo sich mindestens Teile des Militärs auch schonmal selbstständig machten.

In Ostasien führten etwa die Eigenmächtigkeiten der Kwangtung-Armee in Korea und der Mandschurei zu einem veritableen Waffengang Japans mit China, in Spanien traten in den 1930er Jahren Teile des Militärs den Bürgerkrieg los um nur die extremsten Beispiele zu nennen.
 
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Nein, den Beschlagnahmaktionen ging keine Klage voraus.
Ich weiß es nicht mit Sicherheit, könnte mir aber durchaus vorstellen, dass "Majestätsbeleidigung" ein Offizialdelikt darstellte.
Und wenn dem so war bedurfte es keiner Klage, sondern dann konnte und musste die Staatsanwaltschaft bei entsprechendem Verdacht von sich aus tätig werden.
 
Doooch, das ist richtig. Vom Simplicissimus wurden, lange, lange vor dem I. Weltkrieg verschiedene Ausgaben beschlagnahmt. Einfach so, durch Behördenbeschluss.

Sogar wegen "Majestätsbeleidigung" musste sich Langen mal verantworten, was zur Folge hatte, dass er für Jahre in Frankreich und der Schweiz im Exil leben musste. Der nette König von Sachsen hat Albert Langen dann irgendwann begnadigt. Gegen eine Geldauflage von 30.000(!!!) Mark. Das nenne ich doch mal echt liberal.

Majestätsbeleidigung war ein Straftatbestand:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.

verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt:

Für die Verfolgung und Bestrafung der in den §§ 95, 97, 99, 101 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Vergehen gelten nachstehende Vorschriften. Die Beleidigung ist nur dann auf Grund der §§ 95, 97, 99, 101 strafbar, wenn sie in der Absicht der Ehrverletzung, böswillig und mit Überlegung begangen wird. Sind in den Fällen der §§ 95, 97, 99 mildernde Umstände vorhanden, so kann die Gefängnisstrafe oder die Festungshaft bis auf eine Woche ermäßigt werden.Im Falle des § 95 kann neben der Gefängnisstrafe auf Verlust der bekleideten öffentlichen Ämter erkannt werden.Die Verfolgung verjährt in sechs Monaten.Ist die Strafbarkeit nach Abs. 2 ausgeschlossen, so finden die Vorschriften des vierzehnten Abschnitts des Strafgesetzbuchs Anwendung.Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.Gegeben Berlin im Schloß, den 17. Februar 1908.(L. S.) Wilhelm.
Fürst von Bülow.


Die Behörden im Kaiserreich waren befugt, Zeitungen ohne Gerichtsbeschlusse zu beschlagnahmen, wenn der begründete Verdacht bestand, das die Zeitung gegen gesetzliche Bestimmungen verstieß.

Gemäß dem Pressegesetz von 1874 war die Presse und Meinung aber frei.

Von einer Zensur im eigentlichen Sinne kann also keiner Rede sein.
 
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Die Behörden im Kaiserreich waren befugt, Zeitungen ohne Gerichtsbeschlusse zu beschlagnahmen, wenn der begründete Verdacht bestand, das die Zeitung gegen gesetzliche Bestimmungen verstieß.

Gemäß dem Pressegesetz von 1874 war die Presse und Meinung aber frei.

Von einer Zensur im eigentlichen Sinne kann also keiner Rede sein.
Ich geb's bald auf. Ich möchte gern über die Auswirkungen von Militarismus, Zensur und reaktionären Mustern auf die deutsche Gesellschaft vor dem I. Weltkrieg sprechen und darüber, dass Kulturschaffende wie Albert Langen unter Zensur und Reaktion leiden mussten - und werde mit Paragraphen zugebombt, was ich wie folgt verstehe: "Ja, mei, war halt so damals. Und rechtens war es auch, Pech gehabt, Herr Langen".

Es ist erstmal nebensächlich für mich, wie rechtens was gewesen ist, mich interessieren nicht so sehr die Paragraphen, sondern wie diejenigen, die darunter gelitten haben, oder die diesen Paragraphen kritisch gegenüberstanden damit umgingen. Menschen stehen im Mittelpunkt der Geschichte, nicht Paragraphen.

Ich möchte wirklich niemandem vor den Karren fahren, ganz bestimmt nicht, und das Suchen und Einfügen der damals geltenden Gesetze machen ja auch ne Menge Arbeit und danke dafür! Aber §97 ist mir echt sowas von nebensächlich in diesem Zusammenhang.
 
Ich möchte gern über die Auswirkungen von Militarismus, Zensur und reaktionären Mustern auf die deutsche Gesellschaft vor dem I. Weltkrieg sprechen und darüber, dass Kulturschaffende wie Albert Langen unter Zensur und Reaktion leiden mussten - und werde mit Paragraphen zugebombt

Wirtschaftlicher Erfolg​

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Die Zensur-Maßnahmen, so existentiell bedrohend sie teils waren, wurden geschickt genutzt, um die Zeitschrift der gesellschaftskritischen Leserschaft bekannt zu machen. In enger Zusammenarbeit mit dem Staranwalt Max Bernstein wurden durchaus entsprechende Anzeigen provoziert und die Prozesse bereits lange im Voraus als publikumswirksame Spektakel geplant. Laut dem Verlagskatalog Langens von 1904 stieg die Auflage zwischen April 1897 und April 1904 von 15.000 auf 85.000 Exemplare an.

1906 brachten die wichtigsten Mitarbeiter – Olaf Gulbransson, Ludwig Thoma, Bruno Paul, Th. Th. Heine, Eduard Thöny und Rudolf Wilke – Albert Langen dazu, den Simplicissimus aus seinem Verlag herauszulösen und ihn in eine eigene GmbH einzubringen, an der sie beteiligt waren (Simplicissimus-Verlag G.m.b.H. München).
Bewusst am Rande der damaligen Legalität zu balancieren, war offensichtlich ein recht einträgliches Geschäftsmodell. Sicher nicht ganz ohne (kalkulierbares) Risiko - Wedekind musste 4 Jahre einsetzen, Lange zeitweilig ins Exil*) - aber eben auch mit einer für Kulturschaffende beachtlichen Rendite.
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*) 30000 zu zahlen, um nicht gerichtlich belangt zu werden, gelang Langen
 
Ich geb's bald auf. Ich möchte gern über die Auswirkungen von Militarismus, Zensur und reaktionären Mustern auf die deutsche Gesellschaft vor dem I. Weltkrieg sprechen und darüber, dass Kulturschaffende wie Albert Langen unter Zensur und Reaktion leiden mussten - und werde mit Paragraphen zugebombt, was ich wie folgt verstehe: "Ja, mei, war halt so damals. Und rechtens war es auch, Pech gehabt, Herr Langen".

Wenn man sich über Zensur unterhalten möchte, wäre es ersteinmal wichtig, sich klar zu machen, was Zensur überhaupt ist.

Zensur ist die Einschränkung der Presse- und Publikationsfreiheit, abseits des Schutzes von Rechtsgütern durch den Staat.

Wenn die Inhalte einer Publikation mit den Gesetzen eine Staates in Konflikt stehen die ein Rechtsgut schützen (und zwar gleich, was man von diesen Gesetzen hält), handelt es sich per Definition nicht um Zensur.
Zensur ist es erst dann, wenn der Staat die Publikation von Medien unterbindet, deren Inhalt mit keinem Rechtsgut in Konflikt stehen.


Man kann den Umstand, dass es so etwas wie einen Straftatbestand zur Ahnundung von Majestätsbeleidgung gab persönlich scheiße finden, keine Frage.
Dieser Straftatbestand schützte aber durchaus Rechtsgüter, die auch heute noch als schützenswert betrachtet werden, nämlich die persönlich Ehre einer Person, in diesem Fall der des Monarchen, und das Ansehen verfassungsmäßiger staatlicher Institutionen, in diesem Fall der Monarchie.

Wenn nun also mit der Begründung, des Verdachts auf Majestätsbeleidigung eine Publikation aus dem Verkehr gezogen wurde, mag das vielen gegen den Strich gegangen sein, war aber, sofern man das tatsächlich als Beleidigung des Monarchen verstehen konnte, keine Zensurmaßnahme.

Es konnte wie gesagt sicherlich zur Schikane eingesetzt werden, entspach aber nicht einer generellen Unterdrückung der Pressefreiheit im Rahmen einer tatsächlichen Zensur, wie es sie in anderen Teilen Europas, z.B. in Russland duchaus noch gab.
 
Ich geb's bald auf. Ich möchte gern über die Auswirkungen von Militarismus, Zensur und reaktionären Mustern auf die deutsche Gesellschaft vor dem I. Weltkrieg sprechen und darüber, dass Kulturschaffende wie Albert Langen unter Zensur und Reaktion leiden mussten - und werde mit Paragraphen zugebombt, was ich wie folgt verstehe: "Ja, mei, war halt so damals. Und rechtens war es auch, Pech gehabt, Herr Langen".

Das würde voraussetzen das es eine Zensur gegeben hat. Es gab sie nicht. Das Deutsche Reich war ein Rechtsstaat! Die rechtlichen Grundlagen für die Beschlagnahme, die dich nicht interessieren, habe ich oben benannt. Ich gehe auch davon aus, das Langen diese kannte.
 
Und wieder werden Paragraphen zitiert. Und was bitteschön ist die Beschlagnahmung kritischer und satirischer Publikationen denn anderes als Zensur? Egal, wie man es nannte, egal mit welcher rechtlichen Grundlage? No, I am porfoundly sorry, aber nur weil es rechtens war, war es trotzdem grundfalsch. Und eine Form der Zensur, die es angeblich gar nicht gab. Eine staatliche Obrigkeit, die es nicht aushält, dass man sie zum Gespött macht, kann nicht behaupten, es gäbe keine Zensur.
 
Und wieder werden Paragraphen zitiert. Und was bitteschön ist die Beschlagnahmung kritischer und satirischer Publikationen denn anderes als Zensur? Egal, wie man es nannte, egal mit welcher rechtlichen Grundlage?

Wie schaffst du es dich einerseit darüber zu beschweren, dass auf Gesetze verwiesen wurde und andererseits aber nach der Rechtsgrundlage zu fragen?
Die gesetzlichen Bestimmungen sind die Rechtsgrundlage.

No, I am porfoundly sorry, aber nur weil es rechtens war, war es trotzdem grundfalsch.
Der Meinung kannn man ja sein.

Aber nur weil man etwas für falsch hält, wird daraus keine quaisdiktatorische, den Rechtsstaat konterkarrierende Maßnahme.

Und eine Form der Zensur, die es angeblich gar nicht gab. Eine staatliche Obrigkeit, die es nicht aushält, dass man sie zum Gespött macht, kann nicht behaupten, es gäbe keine Zensur.

Es ist nichts einkassiert worden, mit der Begründung, dass sich über die Obrigkeit lustig gemacht worden wäre.

Nebenbei bemerkt, die ganze modernere Karnevalstradition im Rheinland ist maßgeblich aus Verhohnepipelung der preußischen Obrigkeit hervorgegangen.
Aus der Verpottung der Obrigkeit konnte man in Deutschland sogar ein Volksfest machen, ohne dass die staatlichen Behörden deswegen im Dreieck gesprungen sind.

Bei der Beschlagnahmung ging es um den Vorwurf der Beleidigung.
Wegen Beleidigung kann auch jede Privatperson klagen und man könnte durchaus argumentieren, dass nicht einzusehen sei, warum etwa der Monarch sich Anfeindungen gefallen lassen müsste, gegen die der Normalbürger wegen Beleidigung oder Verleumdung klagen könnte.

Man kann sich jetzt darüber streiten, ob ein eigener Straftatbestand der "Majestätsbeleidigung" dafür angemessen ist, im Besonderen, wenn das mit einem anderen Strafmaß verbunden ist, als eine einfache Beleidigung gegen eine andere Person oder Institution, da kann man so etwas wie "Majestätsbeleidigung" als eigene Rechtskategorie sicherlich für etwas reaktionäres halten.
Es gibt aber keinen Grund einem Monarchen oder anderen staatlichen Funktionsträgern nicht die persönlichen Rechte zuzugestehen, die auch allen anderen Personen innerhalb der Rechtsordnung zustehen.

Wenn also entsprechend die Beleidigungsklage einer Privatperson dazu führen kann, dass die Medien beschlagnahmt werden und deren weitere Publikation so lange unterbunden wird, bis ein Gericht darüber entschieden hat, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt oder nicht (und das ist bis heute geübte Praxis), ist nicht einzusehen, warum Beleidigungsklagen von Amtsträgern oder Instititionen gegen einen Verleger anders zu behandeln sein sollten.


Wenn die Obrigkeit wegen jedem Unsinn vor Gericht zieht macht sie halt keinen besonders souveränen Eindruck.
Das macht das System aber nicht zu einem wie auch immer gearteten Unrechtsstaat oder eine Beschlagnahmung im Rahmen eines ordentlichen Gerichtsverfahrens zu einem zensorischen Willkürakt.
 
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Trotz allem: Auf dem deutschen Meinungsmarkt fand der Leser ein breites Angebot von Zeitungen und Zeitschriften vor, das jedem Interesse entgegenkam. Noch Beschlagnahmen oder kurze Verbote oder Strafprozesse konnten dies einschränken. Hatte es 1871 rund 1525 Tageszeitungen gegeben, erschienen bis 1914 4200, deren Seitenzahl von jährlich zweitausend auf sechstausend angestiegen, deren Preis aber wöchentlich von 149 auf 89 Pfennige gefallen war. Mehr als 70 große Zeitungen lieferten zu jener Zeit sogar eine Morgen -und Abendausgabe aus, einige schafften sogar ein dreimaliges tägliches Erscheinen.
 
Das beantwortet die Frage nicht. Außerdem impliziert deine These, das der Kaiser ein Idiot gewesen sei. Wilhelm II. war durchaus in so manchen Fragen speziell; ein Blödmann war er nicht.



Nun, auch in anderen europäischen Gesellschaften wurden Uniform öffentlich zur Schau getragen. Und was an Zuckmayers Stück ist historisch verbürgte Wahrheit? Hast du dafür entsprechende Quellen?

Der Kaiser war amüsiert über den Vorfall. Er setzte sich für ein mildes Urteil ein und erlaubte Voigt auch, dass er nach Verbüßung der Haft in Hauptmannsuniform posieren durfte.

Wilhelm soll den Vorfall so kommentiert haben: " Das ist Disziplin! Das macht uns kein Volk der Welt nach!"

Irgendwo hatte er ja damit recht. Sicher war die Überhöhung des Militärs und Obrigkeitsdenken kein Charakteristikum der Deutschen allein. Es ist allerdings auch schwer vorstellbar, dass sich die Köpenickiade so auch in London oder Paris hätte ereignen können. Dass ein Ex-Knacki sich eine Hauptmannsuniform anzieht, auf der Straße eine Gruppe Soldaten anhält und mit denen loszieht, den Bürgermeister verhaftet, die Stadtkasse beschlagnahmt und seelenruhig davon fährt.

Die meisten Leute haben über die Köpenickiade gelacht, und auch der Kaiser bildete keine Ausnahme.

Es waren nur wenige Leute, die Unbehagen darüber verspürten, dass alles sofort vor der Uniform kuschte, dass niemand den Hauptmann nach Papieren und Legitimationen fragte. Im Stück ist die Frau des Bürgermeisters geistesgegenwärtig genug nach Legitimationen zu fragen- und Voigt zeigt auf die Soldaten: "Reicht das etwa nicht?"

Die Köpenickiade wurde in ganz Deutschland viel belacht, und die Sache hat ja lächerliche Züge. Das was Wilhelm "Disziplin" nannte, ist aber doch bei Lichte betrachtet Obrigkeitshörigkeit und Untertanengeist.
Der Hauptmann hält Soldaten auf der Straße an. Er befolgt nur Befehle, und damit gibt sich alles zufrieden. Niemand fragt nach Legitimation, der Hauptmann ist ein Hauptmann und trägt eine Uniform und das reicht.

Wilhelm fand das wohl selbstverständlich, dass in Deutschland alles vor einer Uniform kuschte, und natürlich sah er nicht und wollte er nicht sehen, dass das was er "Disziplin" nannte, keineswegs unbedingt so bewunderungswürdig und nachahmenswert war. Es waren nur wenige Leute, die erkannten, dass die Köpenickiade eindrucksvoll den deutschen Militarismus mit seiner kritiklosen Obrigkeitshörigkeit bloßstellte und dass diese Überhöhung des Militärs dieses kritiklose sich unterordnen Deutschland einmal auf die Füße fallen konnte.
Carl Zuckmayer nannte sein Stück "ein deutsches Märchen". Es ging ihm gar nicht um exakte historische Darstellung.

Der Schuster Voigt bei Zuckmayer ist ein anarchistischer Held, der im Grunde nur seinen Platz in der Gesellschaft wahrnehmen will. Er wurde als Jugendlicher wegen Postunterschlagung zu 10 Jahren verurteilt. Ohne Aufenthaltserlaubnis bekommt er keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis. Nach der Haft will er ehrlich leben, mit seinem Kumpel Kalle steigt er in Potsdam beim Polizeirevier ein, um sich einen Pass zu verschaffen. Die beiden werden prompt erwischt und Voigt fährt erneut für sechs Jahre ein.

Nach seiner Entlassung beginnt das alte Spiel: Ohne Aufenthaltserlaubnis kein Job, ohne Job keine Aufenthaltserlaubnis. Niemand will für ihn zuständig sein, und er wird ausgewiesen. In dieser Situation kauft Voigt die Uniform. Ein ausrangierter Mensch und eine ausrangierte Uniform gehen ein Bündnis ein, und vor dem Hauptmann von Köpenick kuscht die ganze Stadt.
Voigt stellt sich, man verspricht einen Pass, und die zu erwartende Haftstrafe sieht Voigt locker: "Det sitz ick uff eener Arschbacke ab"

Zuckmayer ging es gar nicht so sehr um die historisch korrekte Darstellung. Wilhelm Voigt hatte er selbst mal kennengelernt. Der literarische Voigt ist ein Wiedergänger von Eulenspiegel, ein Unglücksrabe, der durch eine Jugendsünde in Deutschland keine Existenz mehr findet, und der die deutsche Bürokratie mit ihren eigenen Waffen schlägt.

Das war der historische Voigt nicht. Nach dem, was sich aus Kriminalakten recherchieren lässt, war er ein Trickbetrüger, dem es darum ging, einen lukrativen Coup zu landen. Seine Motivation war nicht, einen Pass zu bekommen, sondern es ging ihm um die Kasse.

Der Hauptmann von Köpenick- ein deutsches Märchen so nannte Zuckmayer sein Stück. Das ist durchaus ein treffender Titel. Die Geschichte klingt märchenhaft, und es ist eine sehr deutsche Geschichte. Die Geschichte eines Deutschen, der in Deutschland keinen Platz mehr findet und der im Kampf gegen eine menschenverachtende Bürokratie diese mit ihren eigenen Waffen schlägt.
 
Ich versuche mal zur Ausgangsfrage zurückzukehren.

Günther Freiherr von Forstner ist soweit ich weiß im Weltkrieg gefallen, im Jahre 1915 bei Kämpfen um die belarussische Ortschaft Kobryn.
 
Nein, ist nicht so, sonst wäre es noch deprimierender, als ohnehin schon. Es gab damals Deutschland immer Menschen, die mit dem Militarismus absolut nichts anfangen konnten.

Aber nochmal - ich rede nicht von militaristischen Militärs, das ist im Deutschland vor 1914 der Normalzustand, ebenso wie in vielen anderen Ländern. Ich spreche von einer Zivilgesellschaft, die von militärischem Gedankengut druchdrungen war und das war in Deutschland nun einmal auf besondere Weise ausgeprägt. Ich zumindest kann es mir nicht anders erklären, dass sich, noch vor Kriegsbeginn!, ein von Moltke wenig bis gar nicht um das scheren musste, was Regierung oder Reichstag taten oder sagten. Der Spruch, dass sich die preußische Armee einen Staat hielt, kam nicht von ungefähr, sondern traf in weiten Teilen zu. Wo simmer denn, wenn sich die Armee jeder Kontrolle entzieht?

Sicher war die Überhöhung des Militärs im Kaiserreich kritikwürdig. Der Militarismus bekam in Deutschland aber auch sein Fett weg. Die schnarrenden Potsdamer Gardeleutnants waren ein beliebtes Ziel der Kritik, und es gab immer wieder mal Fälle, dass eine Ausgabe einer Zeitschrift nicht erscheinen durfte, und zweifellos war die Unsitte der Majestätsbeleidigungsprozesse überaus kritikwürdig.

Dem späteren Friedensnobelpreisträger und Historiker Ludwig Quidde war die Staatsanwaltschaft monatelang auf den Fersen, und Quidde hat zuletzt wegen Majestätsbeleidigung 3 Monate Stadelheim absitzen.

Das kann man kritisieren, und es wurde kritisiert. Deutschland hatte aber im Großen und Ganzen recht liberale Pressegesetze, und so richtig schadete ein Majestätsbeleidigungsprozess den meisten Leuten nicht. Wer etwas vorsichtig war, konnte schreiben, was er wollte, und vielfach machte ein Majestätsbeleidigungsprozess den Beklagten zum Helden des Tages. In München, Leipzig oder Stuttgart war manches möglich, das einem in Preußen die Staatsanwaltschaft auf die Fersen brachte.

Ludwig Quidde hat die 3 Monate Stadelheim als einen großen Spaß angesehen. Die Gesellschaft des Kaiserreichs hatte zweifellos reaktionäre Züge, sie war aber auch in vielen Belangen sehr modern, und neben den schnarrenden Gardeleutnants lebten eben auch Leute wie Gerhard Hauptmann, Maximilian Harden, Magnus Hirschfeld, Heinrich Zille, Käthe Kollwitz und andere in diesem Reich, es gab eine kritische Öffentlichkeit, die Presse und Kulturszene war sehr vielschichtig, und mochte der Kaiser über "Rinnsteinliteraten" schimpfen und eher zweitklassige Künstler fördern, so änderte das nichts daran, dass der Literaturbetrieb und die Presse eine breite Palette von Meinungen abbildete.
 
Das mit dem Blödmann habe ich doch gleich nochmal wo gesagt? Ach ja, genau - nirgendwo!

Wenn jemand nicht kapiert, worum es geht, ist er deswegen längst kein idiot. Wilhelm war ein Kind seiner Zeit und hätte Kritik am Militarismus, den er vorlebte wie kaum ein anderer, darum gar nicht verstanden. Macht ihn das zum Idioten? Merkst du hoffentlich selber.

Nochamal - du redest von Zuckmayer, ich hingegen meine die Ereignisse, die Zuckmayer literarisch verarbeitet hat, namentlich jene hier:


Und nein, das ist nicht erfunden.

Der Schuster Voigt hatte mit seiner genialen Unverschämtheit die Lacher auf seine Seite gebracht- ja sogar den Kaiser selbst. Wilhelm soll selbst darüber gelacht haben- Jedenfalls setzte er sich für ein mildes Urteil ein, und Voigt wurde auch nicht das Leben schwergemacht. Noch Jahre später posierte er in Hauptmannsuniform, und bei einem dieser Anlässe hatte Zuckmayer ihn persönlich beim Mainzer Karneval kennengelernt.

Die "Köpenickiade" erregte in ganz Europa Aufsehen- der Hauptmann von Köpenick war sozusagen ein Teil der Popkultur geworden.

Die Reaktionen waren Lachen und Kopfschütteln, nur sehr wenige Zeitgenossen haben nachdenkliche Reaktionen gezeigt, und es waren nur sehr wenige, die erkannten, dass Autoritätsgläubigkeit und Obrigkeitsdenken Deutschland einmal ganz furchtbar auf die Füße fallen konnte.

So gesehen bildete Wilhelm II. keine Ausnahme, er lachte über den Hauptmann und die Köpenickiade wie es die Mehrheit der Deutschen tat.
 
Dem späteren Friedensnobelpreisträger und Historiker Ludwig Quidde war die Staatsanwaltschaft monatelang auf den Fersen, und Quidde hat zuletzt wegen Majestätsbeleidigung 3 Monate Stadelheim absitzen.

Man kann es hier in seinen Erinnerungen nachlesen:


Für den "Caligula" hätte man Quidde wohl gern belangt, der war aber so wasserdicht geschrieben, dass man ihm nichts konnte. Es ging ja schließlich nur um den dem Cäsarenwahn verfallenen römischen Kaiser, und wenn der Leser bei jedem Absatz unwillkürlich an Wilhelm II. denken musste, dann lag das schließlich am Leser...

Eine öffentliche Bemerkung über "Wilhelm den Kleinen" brachte ihm erstmals eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung ein, doch auch diesmal kam es nicht zur Eröffnung des Hauptverfahrens.

"Ich geißelte es, daß man jetzt von »Wilhelm dem Großen« spreche, und sagte, es bestehe wirklich kein Grund, den alten Kaiser »Wilhelm den Großen« zu nennen, außer wenn man ihn von einem zukünftigen »Wilhelm dem Kleinen« unterscheiden wolle. Das Publikum raste vor Vergnügen."​

Dann leistete er sich aber eine unglückliche Formulierung, aus der ihm die Staatsanwaltschaft einen Strick drehen konnte:

"Als ich nach Hause kam, sagte ich: »Heute ist mir etwas Ärgerliches passiert. Ich fand die Adjektiva nicht, die ich brauchte, und aus dem, was ich sagte, können sie mir, wenn sie wollen, einen Strick drehen.« Dabei hatte ich den Kaiser wirklich nicht gemeint. Heute könnte ich's ja sagen, wenn's so wäre."​

Nachdem er seine Strafe abgesessen hatte, sagte er:

»Ich komme, wie Sie wissen, aus dem Gefängnis, wegen einer Majestätsbeleidigung, die ich nicht begangen habe. Das schmerzt mich, wenn ich daran denke, eine wie schöne Majestätsbeleidigung man für 3 Monate Gefängnis schon hätte verüben können!«​
 
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