Dem würde ich zustimmen. Außerdem handelte es sich ja um altes russisches Land, die Provinz Ingermanland, die in der "Zeit der Wirren" verlorenging. Der Beiname des russischen Nationalhelden Alexander Newski bedeutet ja "von der Newa", und der völlige Neubeginn mit einer neuen modernen europäischen Metropole eignete sich natürlich auch gut für eine Geschichtspropaganda, wie sie etwa in Puschkins Gedicht vom "Ehernen Reiter" zum ausdruck kommt, dem Reiterdenkmal, das Katharina zu Ehren Peters aufstellen ließ.
Petersburg wollte sein Bauherr auf jeden Fall behalten, er war während der größten Krise des Krieges gegen seinen großen Rivalen Karl XII. bereit, alle Eroberungen in Livland abzutreten, wenn Karl ihm nur Petersburg ließ. Sieht man sich den Erfolg von Peters Schöpfung an, die sich zu einem Zentrum russischen Geists und Kultur entwickelte, muß man sich fragen, ob nicht die Gründung eher eine strategische Meisterleistung, als eine strategische Katastrophe war.
Für seinen pointiert polemischen Beitrag sollte sich @kiprian aber auch keinesfalls entschuldigen, die Diskussion lebt ja von solchen Beiträgen, sofern sie sich nicht völlig in Abstrusitäten verirren. Zeitgenössische Beobachter berichten ja zuweilen wirklich, daß sich Peter wie ein schlimmes Kind aufführte. In solchen Momenten konnte es nur Lefort, und später Menschikow und Katharina wagen, dem Zaren zu widersprechen. das russische Volk, Adel wie Bauern hatte viel unter ihm zu leiden. Er war ein Gewaltmensch, jähzornig, brutal und nicht selten grausam. Barbarei bekämpfte er mit barbarischen Mitteln, und seine Reformen waren oft ganz improvisitär und unausgegoren. Seine Ausbildung war in vielem mehr als lückenhaft, verglichen mit der seines Sohnes Alexei. Die Lust, mit der sich Peter noch als reifer Mann an den pubertären Saufgelagen seiner "närrischen Synode" beteiligte, mag man kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Er und die Männer, die er um sich scharte, waren keine Intellektuellen, es waren Typen mit Pulver und Blut an den Händen, die für ein differenziertes, erotisiertes Hofleben, wie es Louis und August von Sachsen- Polen kultivierten, wenig Verständnis hatten. Aus humanitärer Sicht war der Bau Petersburgs eine Katastrophe und allzu viele altgläubige Russen mußten in die Wildnis oder die Steppen der Ukraine fliehen, da die Edikte des Zaren gar so belastend waren. Unzählige Russen verloren vermögen und das Leben durch Peters Taktik der verbrannten Erde, allzu viele Bauernjungs wurden in die Armee gepresst. Karl XII. bedauerte aufrichtig das Schicksal seiner Soldaten. Er dachte allen Ernstes daran, Peter zu einem chevaleresken Zweikampf zu fordern, ehe ihn sein Minister Graf Piper daran hindern konnte. Die Kontributionen und Rekrutierungen seiner letzten Regierungsjahre haben Schweden ungeheuer belastet.
Es ist durchaus nicht unsinnig, darüber nachzudenken, woher das Geld für das Trajansforum kam, daß Versailles und Petersburg buchstäblich auf Gebeinen erbaut wurden.
Doch Peter bewies auch, daß er ein verantwortungsvoller Herrscher war. Die Institutionen, die er schuf, hatten Bestand bis zum Untergang des Zarentums. Er war ein fleißiger Arbeiter, fast ein Workoholic, der mühsahmes Aktenstudium und Gefahren nicht scheute. Er beförderte Leute unabhängig von Geburt nur nach Leistung und war in religiösen Dingen recht tolerant. Selbst ein getaufter Jude wie Schafirow konnte bei ihm Karriere machen, das war sehr modern. Seine Metropole wurde ein wahres Wunderwerk, Tolstoi, Puschkin, Dostojewski, Gogol und Rimski -Korsakow schufen dort ihre Werke. Übrigens hat es auch kein Feind Rußlands je geschafft, die Stadt einzunehmen, nicht einmal die Wehrmacht, die sie drei Jahre belagerte. Doch das Urteil über Peter wird immer sehr zwiespältig ausfallen, der Erfolg gab seiner Politik allerdings oft Recht, so fragwürdig das auch en detail vor sich ging.