Ave zusammen,
Zu den Quellen über Varus:
Man muss bedenken, dass diese NACH der Schlacht verfasst wurden. Da geht also das Bedürfnis ein, einen Schuldigen für die schmachvolle Niederlage zu finden. Es ist dann als zu billig,dem Varus alleine die Schuld zuzuschreiben.
Natürlich hat Varus strategische Fehler begangen, die Frage ist nur, ob er wirklich ad hoc eine Chance hatte, sie zu vermeiden. Im Nachhinein lässt sich dass einfach zeigen, wo die Fehler lagen und was man hätte besser machen können.
Ich denke ad hoc hatte er nur seinen Auftrag, Germanien zu provinzialisieren, eigentlich recht professionell angegangen. Er musste sich dabei auf die Hilfe der Verbündeten verlassen, ob er wollte oder nicht. Insbesondere auf Arminius, der sowohl als römischer Ritter (germanische) Truppenteile befehligte und, das ist etwas ganz besonderes, sogar Tischgenosse des Varus war. Es gab da also ein ausgesprochenes Vertrauensverhältnis zwischen Ihm und Varus, kein anderer germanischer Fürst reichte da heran.
Wenn er also überhaupt jemanden vertrauen konnte, dann Arminius. Auch die (angebliche) Warnungen von Segestes vor einem Überfall ist da kein Grund ihm Fehler vorzuwerfen: wenn hier einer, aus welchen eigennützigen Motiven auch immer, lügte, so war das ad hoc ganz zweifellos Segestes. Er konnte getrost annehmen, das es Segestes war der hier vielleicht den Aufstand in seinem Rücken unterstützte und nur wollte dass er nicht rechtzeitig am Aufstandsort eintraf.
Überrascht wird er erst dann gewesen sein, als er feststellen musste, dass es ausgerechnet sein bester Verbündeter und Tischgenosse war, der ihn so fürchterlich belogen hatte.
Zum Aufstand von "innen" heraus:
Timpe argumentiert im Grundsatz damit, dass dem Arminius für die Organisation eines allgemeinen germanischen Aufstands einerseits die Zeit fehlte, andererseits die Gefahr eines vorzeitigen Auffliegen des Komplotts zu gross war.
Vellius berichtet dass Arminius bei gemeinsamen Kriegen dabei gewesen wäre, schweigt sich aber aus, bei welchem. In Frage kommt der immensum bellum oder der pannonische Krieg. Erster wäre in 5 zu Ende gegangen, letzterer dauerte von 6 bis 9.
Bei ersterem wäre zwar die Zeit da gewesen, aber auch die Gefahr der Aufdeckung gross, bei letzterem wäre er frühestens in 8 oder gar in 9 zurückgekehrt, was für eine sorgfältige Vorbereitung zu wenig Zeit bedeutet hätte.
Ergo: der Kern des Aufstandes dürften die von ihm befehligten germanischen Hilfstruppen gewesen sein. Die Gefahr der Aufdeckung wäre geringer gewesen, da er diese Truppen ständig im Griff hatte, und die Sprachbarriere zwischen seinen mutmasslich cheruskischen Truppen und den Römern wäre auch sehr hilfreich gewesen.
Nichts desto Trotz, Arminius hat natürlich die ganze Zeit seinen Hals riskiert! Varus hätte ihn persönlich zu Sushi verarbeitet, wenn er ihm nur auf die Schliche gekommen wäre.
Was natürlich die Frage nach seiner tieferen Motivation aufwirft. Er hatte höchste Posten inne, er war römischer Ritter, er war sogar als Tischgenosse Mitglied des "inner circle" um Varus, er hatte mit Sicherheit grosse und dauerhafte wirtschaftliche Vorteile. Warum nur gibt er dass alles auf?
Beutelust erklärt dass nicht, er gab einen dauerhaften Vorteil gegen einen einmaligen Vorteil auf, wobei nichteinmal klar war, ob der überhaupt jemals zustande kommen würde. Viel höher war dei Wahrscheinlichkeit, dass er vorher schon seinen Kopf verlieren würde.
König von Germanien zwischen Weser und Elbe werden? Warum, er war es ja schon in kleinerem Umfang. Und was für einen Vorteil sollte ihm dass bringen, ausser ehrlicher Armut vielleicht?
Ich glaube, er hatte schon einen tiefen moralischen und politischen Hintergrund. Die Schlacht des Jahres 9 war schliesslich nicht die erste in Germanien. Es hatte dutzende gegeben, das Leid für die okkupierte Bevölkerung muss fürchterlich gewesen sein, schliesslich kamen Drusus und Co. nicht als Kulturdezernenten an die Elbe, sondern sie haben sich den Weg freigemetzgert. Als Drusus in 9 v.Chr. bis zur Elbe kam und die Cherusker unterwarf, da war Arminius sieben Jahre alt. Wieviele seiner Verwandten waren da gefallen? Während des immensum bellum war ein Teenager bis Anfang 20, was wird er da alles erlebt haben, was mit seinen Volk geschah? All die Hungerwinter die den Sommern folgten in denen römische Truppen die Landstriche geplündert hatten, reihenweise verhungerten Frauen, Männer und vorallendingen Kinder! Wir wissen nicht ob er uns unbekannte Brüder, Schwestern, Freunde verlor, es werden sicherlich etliche gewesen sein.
Diese jungen Jahre haben ihn geprägt und sie bestimmten den Antrieb für sein späteres Handeln. Mit Varus brach zwar eine neue Zeit an, es sollte nicht mehr nur das römische Schwert durch germanische Hütten fahren, es sollten jetzt auch die Segnungen römischer Moderne in Germanien Einzug halten. Aber dazu kam es dann nicht mehr. Irgendwann hatte Arminius entscheiden seine Stellung für eine anderes Ziel als der persönlichen Bereicherung auszunutzen. Er tat dass, obwohl er riskierte alles was er bereits erreicht hatte zu verlieren, auch unter dem Risiko dass es seiner Familie an den Kragen ginge, und nicht zuletzt unter ständiger eigener Lebensgefahr.
Meine Schlussfolgerung ist: Sowohl die Reduzierung der Varuskatastrophe auf einen dummen Varus als auch die Reduzierung des Arminius auf Grössenwahn und Beutegier, entbehrt jeder Grundlage. Es sind nachträglich angenommene Eigenschaften der römischen Historiographen um eine Erklärung für das eigene Scheitern zu finden.
Beste Grüsse,Trajan.