Also doch Präventivkrieg? Ein Präventivkrieg ist aber etwas, was man will! [...]
Was dagegen, wenn ich das in Bezug auf einige Kriege des letzten Jahrhunderts an die israelische Botschaft weiterleite?
Des Weiteren sezt ein Präventivkrieg doch voraus, das ein Staat ganz sicher davon ausgehen kann, das ein anderer Staat in naher Zukunft den Firden brechen wird, und man deshalb diesen Staat durch eigene militärische Gewaltanwendung zuvorkommt.
Wie sah die Situation für Deutschland denn sonst aus?
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Deine Fakten, Turgot, sind unzweifelhaft und mir - im Großen und Ganzen - durchaus wohlbekannt.
Es ist auch unstrittig, dass die deutsche Diplomatie nicht gerade die talentierteste war, was zur politischen Verschlechterung der Gesamtsituation erheblich beitrug.
Auch war Wilhelm bekanntermaßen ein Freund der markigen Worte und der Selbstinszenierung, gepaart mit einem bemerkenswerten Talent, im falschen Moment das Falsche zu sagen.
Aus vielen dieser genannten Fakten ist auch klar herauszulesen, dass Deutschland an der Entwicklung, die schlussendlich zum Krieg geführt hat, bei weitem nicht unschuldig ist. Ich halte es aber bei etlichen dieser Fakten für etwas konstruiert, daraus eine
bewusste deutsche
Absicht zum Krieg abzuleiten.
Wie kommst du zu derMeinung, das Großbritanniens Angebot "nichts" war?
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass es kein "Zuckerle" war, das man unbedingt hätte annehmen müssen.
Großbritannien hat gute Gründe dafür gehabt
Natürlich. Das hatte George W. Busch auch, als er den Irak angriff. Aber eben hochgradig eigennützige. Und England hatte jahrhundertelang bewiesen, dass es ein Meister des Eigennutzes war. Auch das besagte Angebot entsprang bei weitem nicht einer reinen Menschenfreundlichkeit. Dahinter standen knallharte Absichten Englands zum eigenen Nutzen und die hohe Wahrscheinlichkeit signifikanten Ärgers für Deutschland.
Ich verstehe durchaus, wenn man in Deutschland die britischen Angebote als etwas (zu) eigennützig aus britischer Sicht sah. Heute, mit dem Wissen über die folgenden historischen Entwicklungen und nach der Lektüre zahlreicher Rezensionen von Historikern in der Hinterhand, die sich nach Jahren der Forschung und der Denkarbeit auf kontrafaktorische mögliche Alternativen versteifen, von deren zwangsläufigem Erfolg zur Friedenssicherung sie fest überzeugt sind, gleichwohl sie das nicht beweisen können, vermeinen wir natürlich schlauer zu sein. Aber ist das ein historischer Schuldbeweis? Oder ist das vielmehr die Bestätigung einer historischen Dämlichkeit, die zwar tragisch, aber eben völkerrechtlich durchaus legal ist?
Wilhelm wollte den Zug, der mit Vollgas in Richtung Krieg raste, erst am 28. Juli 1914 aufhalten, nämlich als er Kenntis von der serbischen Reaktion auf das Ultimatium Österreich-Ungarns erhalten hat.
Wenn tatsächlich alle anderen keinen Bock auf den Krieg hatten und ständig mit Friedenszweigen im Mund herumliefen, warum war Wilhelms später Versuch dann nicht von Erfolg gekrönt? Warum haben nicht alle Länder Europas gesagt: "Na endlich kommt Ihr zur Vernunft, Majestät. Schön, reden wir noch mal über alles."?
Hätte der Österreichische Monarch eingelenkt und seine Generäle zurückgepfiffen, wäre es nicht zum Krieg gekommen.
Wilhelm mag ihn vorher bestärkt haben, aber jetzt kniff er. Er hatte wohl erwartet, dass es nur ein Krieg zwischen Österreich und Serbien werden würde, aber nun dämmerte es ihm endlich, dass sich da etwas viel Größeres zusammenbraute und das wollte er dann offenbar ja doch nicht.
Bis zu diesem Zeitpunkt vertrete ich die Ansicht, Deutschland trug eine große Schuld an der Eskalation der Gesamtsituation. Ich erkenne auch durchaus einen Willen zu einem begrenzten Krieg auf dem Balkan. (Im Übrigen ohne deutsche Beteiligung und nicht zum unmittelbaren Nutzen des deutschen Reiches. Das ist etwas, was ich Wilhelm vorwerfe: Dass er bereit war, die Torheiten seiner Verbündeten derart mitzutragen und ein hohes Risiko für Deutschland einzugehen, dem noch nicht einmal eine Aussicht auf Nutzen gegenüberstand. Eine klassische lose-lose-Situation also. Geradezu verbrecherisch hirnrissig, sich auf so was einzulassen...)
Spätestens ab diesem Zeitpunkt vertrete ich aber die Ansicht, einen Willen zu
dem Krieg, der schließlich ausbrach, nicht erkennen zu können.
Wilhelm und sein Diplomatenkorps erscheinen mir mehr wie ein Kind, das mit Zündhölzern spielte und dem man dann später unterstellt, es hätte
vorsätzlich das Haus angezündet.
Man mag ihm Fahrlässigkeit vorwerfen, Provokation und Dämlichkeit, aber der Vorwurf, vorsätzlich einen europäischen Krieg angezettelt zu haben, der erscheint mir etwas zu ungerechtfertigt.
Bei aller erwähnter Fahrlässigkeit, Provokation und Dämlichkeit, ohne europäische Kollegen, die eifrig mitgezündelt haben, wäre nicht das geschehen, was schließlich geschehen ist.
In diesem Kontext ist es zu verstehen, wenn ich in da dagegenrudere. Ich bestreite nicht eine signifikante
Mitschuld Deutschlands am Krieg. Ich sehe auch eine
Hauptschuld Deutschlands an der politischen Entwicklung Anfang des Jahrhunderts, die schließlich in den Krieg mündete. Aber die Ableitung der
besonderen Schuld Deutschlands im Rahmen dieser Diskussion scheint mir stellenweise etwas zu konstruiert.