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Und noch eine naive Frage: Hatte jeder die Möglichkeit zu bleiben, wenn er ab da Pole sein wollte? Oder mußte z.B. eine deutsche Schlesierin ihren polnischen Freund heiraten und konnte dann bleiben? Oder wurde wieder mal Ahnenforschung betrieben, um diesmal die polnischen Ahnen zu belegen? [...]
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In
Vertreibung ? Wikipedia wurde zumindest meine Zahlenvorstellung präzisiert, es sind insgesamt 2,5 Mio wovon aber nur 1,1 auf Schlesien, Pommern und Ostpreußen entfallen.
Nun weiß ich immer noch nicht, wie die verbliebenen Deutschen es 1945/46 "hingekriegt" haben, in der Heimat bleiben zu können. Das sollte ich vielleicht zum Anlaß nehmen, mich mit dieser Geschichte zu beschäftigen.
Erstmal vorweg, ich meine, dass wir uns den Vertreibungs- und Ausweisungsprozess nicht geordnet und nach ganz klaren Regeln abgelaufen vorstellen dürfen.
Wie immer in Hast, Zeiten der Umwälzung und (Nachkriegs-) Zeit spielten Willkür, Zufall, Kontakte und die Laune der verantwortlichen Personen eine entscheidende Rolle.
Viele Deutsche sind
vor der Roten Armee geflüchtet, der darauf folgende Vertreibung der Verbliebenen war wechselhaft.
Gerade in Oberschlesien blieb ja ein Großteil der dt. Bevölkerung zurück, aus mehreren Gründen:
1. Viele Deutsche lebten nach der Teilung Oberschlesiens 1922 auch im polnischen Teil. Diese hatten am 1.9.1939 die polnische Staatsbürgerschaft und das war ein entscheidendes Kriterium. Nach dem Krieg wurde überprüft, welche Angehörigkeit man besaß und das konnte u.U. einiges vereinfachen und es ermöglichen, zu bleiben.
(Ich bin gerade nicht zu Hause, habe dort aber ein Dokument, das die Suche nach einer Wohnung betrifft, auf dem dieses "Kriterium" vermerkt ist, ich scanne es dann ein.)
Diese Deutschen ("Volksdeutsche") mussten (insofern sie bleiben wollten) eine so genannte Rehabilitation durchlaufen und mussten sich "verantworten". Vor Gericht (oder Kommissionen?) musste begründet werden, warum man bleiben wolle. Außerdem mussten Zeugen Aussagen darüber machen, dass man sich nichts "zu Schulden kommen lassen" hatte.
Bei einem positiven Bescheid bekam man die polnische Staatsangehörigkeit zugeteilt.
(Jedenfalls war das das Vorgehen in einem geordneten Verfahren.)
Koordinierte Sprachtests hohen Niveaus konnte es allerdings nicht für jeden gegeben haben, wahrscheinlich war bei einer Familie der Familienvater hauptverantwortlich. Nähere Informationen dazu habe ich nicht.
2. Wie ihr schon erwähnt habt, gab es in Oberschlesien eine bikulturelle Gesellschaft, Familien in denen deutsch und polnisch gesprochen wurden, die Elternteile mal Deutsche oder Polen waren. Polnisch oder ein polnischer Nachname konnten dort als Grund für ein Verbleiben dienen.
3.Ein dritter Grund konnte die Unabdingbarkeit in der Industrie sein, geschultes Personal, auf das nicht verzichtet werden konnte, durfte bleiben oder wurde gar zurückgehalten.
Die letzten beiden Gründe galten besonders für "Reichsdeutsche", die es weitaus schwerer hatten zu bleiben. Gerade bei ihnen war wohl viel von Willkür, Beziehungen und Qualifikation abhängig.
Übrigens mussten sich viele nach dem Krieg ihren deutschen Nachnamen ändern lassen, so wurden aufeinanderfolgende doppelte Buchstaben "abgeschafft" (z.B. ll-->l), manche sollten sogar ihren "urdeutschen" Vornamen ändern.
Aber auch dieser Vorgang fand nicht flächendeckend statt. So gibt es von meinem Nachnamen viele Einwohner in Oberschlesien mit "-nn", genauso wie mit "-n".
[...]kam es dort zu Vermischungen zwischen den deutsch- und polnischsprachigen Volksgruppen. Und dies bereits Jahrzehnte vor der Vertreibung. Dadurch beherrschte ein gewisser Anteil der Bevölkerung (Prozentzahlen kann ich aber nicht liefern) sowohl Polnisch als auch Deutsch.
Diese konnten sich nach 1945 auf ihre polnischen Wurzeln besinnen und in ihrer Heimat verbleiben.
Zusammen mit dem was ich oben schrieb und Carolus schön formuliert hat, kam es schon zwischen 1933 und 1945 zu paradoxen Situationen.
So wurde meine Großtante als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt, ihr Bruder wurde zur Wehrmacht eingezogen.
Nur die positive „Verifizierung“ als polnische Staatsbürger kann ich mir konkret nicht vorstellen.
Ich wußte gar nicht, dass es heute derart aktive Minderheiten in Polen gibt, fast wie bei den Dänen, Friesen und Sorben.
Ich hoffe, ich konnte etwas mehr Licht in den Vorgang bringen
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Die deutsche Minderheit ist auch im polnischen Parlament vertreten, in manchen Gebieten gibt es zweisprachige Ortsschilder, Behörden etc.
Die Nazis waren bescheuert. Die haben mangels anderen objektiven Kriterien die "Volkszugehörogkeit" außerhalb Oberschlesiens an der Religion festgemacht. Ein Protestant war Deutscher.
Den Polen haben natürlich diese Kriterien auch gefehlt. Haben sie gleich gehandelt. Katholik ist Pole.
Das ist jetzt natürlich sehr vereinfacht, natürlich wurde 39-45 und 45-50 in Riesengetue veranstaltet, aber am Ende kam es halt doch darauf heraus.
Ich weiß auch nicht, wie die Ausweisung außerhalb Oberschlesien gehandhabt wurde.
Mir ist zwar bekannt, dass es immer noch einige ursprüngliche Bewohner gibt, aber nicht, wie sie es schafften, dort zu bleiben. Auch hier tippe ich eher auf eine Mischung verschiedener Faktoren.
Zum Abschluss: Es gab in Polen nach 1950 mehrere Ausreisewellen, in denen es den ausreisewilligen Deutschstämmigen gestattet wurde, das Land zu verlassen. Genaue Zahlen habe ich nicht, aber gerade Ende der 50er haben viele das Land verlassen. Spätere, kleinere Ausreisewellen folgten.