... zur weiteren Verwirrung beitragen ...
... möchte ich natürlich nicht, aber nochmal zur Ausgangsfrage zurückkehren: "Ab wann und auf welcher Grundlage sah sich Otto als Nachfolger römischer Herrschertradition und wie wurde diese Anschauung vom Papst getragen?"
Karl
Wenn betont wurde, es gehe "um DAS eine Imperium, das Imperium Romanum", muss man anmerken, dass das EINE seit dem Jahre 395 eine Fiktion war.
Klar ist wohl, dass das Selbstverständnis des oströmischen (byzantinischen) Kaisertums an der Fiktion festhielt, wobei mir keine konkreten Aktivitäten bekannt sind, die darauf abgezielt haben könnten, das gesamtrömische Reich (in den Grenzen von 395) wiederherzustellen. Angesichts der Situation an der byzantinischen Ostgrenze (Perser, Araber usw.) wäre das auch illusorisch gewesen.
Ob umgekehrt eine entsprechende Wiederherstellung von Westen (Westrom) aus den Bereich der Fiktion je verließ? Immerhin sah sich Frankenkönig Karl, wie schon Pippin, in der Nachfolge des "Davidischen Königtums" [1], d.h. als "König des christlichen Volkes" schlechthin. Er blieb freilich Realist insofern, als er den Ausgleich mit Ostrom suchte; der 803 verwendete Begriff "Renovatio Romani imperii" wurde nach dem Ausgleich durch "Renovatio regni Francorum" ersetzt.
Da Karls Reich in relativ kurzer Zeit in einzelne Teile zerbrach, blieb es dem Papsttum überlassen, die Idee DES Reiches zu bewahren, insbesondere bei der "Vergabe" des ("westlichen") Kaisertitels entscheidend mitzuwirken.
Hinz und Kunz
Niemand sonst konnte "Kaiser", also "Caesar" sein. Anders sah man das erst im 19. Jahrhundert, als Hinz, Kunz, Franz-Josef und Wilhelm sich den Kaisertitel meinten anmaßen zu müssen.
Tatsache ist, dass das Papsttum ab dem späten 9. Jh. seine eigenen Hinzens und Kunzens suchte und fand. Auf die "imposante" Kaiserliste im Anschluss an die Karolinger (zuletzt: Karl der Dicke) habe ich schon oben verlinkt. [2] Diese Entwicklung hing auch mit dem inneren Zustand des Papsttums zusammen, der auch bei Ottos Erhebung zum Kaiser eine Rolle spielte.
Nur der Vollständigkeit halber sei vermerkt, dass es später auch noch 6 "spanische" Kaiser gab, freilich ohne Zutun der Päpste. [3]
Otto
Wer vom Jahr 962 schreibt, darf vom Jahr 951 nicht schweigen, nämlich vom ersten Italienzug Ottos, bei dem familiäre Streitigkeiten eine wichtige Rolle spielten. Jedenfalls übernahm er "vielleicht am 9. Oktober [951] ... die Regierung Italiens" [4]. Von Pavia aus schickte er Gesandte nach Rom, "nach überwiegender Meinung der Forschung" zur Vorbereitung der Kaiserkrönung. Die schlug ihm aber der Papst ab; die Gründe/Umstände wären ausführlicher darzustellen.
Erst ein Jahrzehnt später unternahm Otto seinen zweiten Anlauf auf den Kaisertitel. Seine faktische Legitimation bezog er sehr wohl aus der Größe seines Reiches, aus seinem Prestige als Ungarn-Vernichter und, ganz simpel, aus seinem "Dienstalter". Dass der zweite Versuch gelang, hängt wieder, wie erwähnt, mit den italienischen Zuständen im Allgemeinen und den päpstlichen im Besonderen zusammen. [5]
[1] Walter Mohr: Die Karolingische Reichsidee. Münster 1962, S. 3, 44, 64 et passim.
[2]
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_r%C3%B6mischen_Kaiser_(800%E2%80%93924) – Kaiser Arnulf soll damit nicht "verhunzt" werden.
[3]
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiser#Sonstige_Kaisertitel_in_Europa
[4] Hagen Keller, in: Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte. 10. Aufl. Stuttgart 2008, Band 3, S. 187 f. - Er urkundete am 10.10. als "rex Francorum et Langobardorum" und am 15.10. als "rex Francorum et Italicorum".
[5] Siehe Keller, S. 208 ff.