Die ganze Aktion gegen die Brukterer wird ja - nach Tacitus - dadurch ausgelöst, dass der romfreundliche Inguiomerus sich seinem Neffen Arminius anschließt.
Bist Du sicher? Ich meine, bei einem der "Interpretatoren" (Wolters? Wiegels?) gelesen zu haben, dass der Übertritt von Inguiomer zu den Aufständischen eher als Reaktion auf die ungezügelte Racheaktion von Germanicus zu werten sei.
"Nun erwachte in dem Caesar das Verlangen, jenen Soldaten und ihrem Heerführer die letzte Ehre zu erweisen,..."
Das klingt zumindest so, als ob diese Aktion spontan geschah und nicht unbedingt geplant war.
Wobei man sich fragen muss, ob Tacitus in der Lage war, fast hundert Jahre nach den Ereignissen die Motive des Germanicus zu beurteilen.
Überhaupt scheint mir, dass Tacitus uns die Interpretation der damaligen Ereignisse (ungewollt) sehr schwer macht. Er schreibt vieles in einem merkwürdigen "Telegrammstil". Wie an anderer Stelle schon mal erwähnt, ist mir das besonders bei seiner Schilderung der Ankunft des Germanicus auf dem Schlachtfeld aufgefallen. Im ersten Moment liest sich das so, als würde er mit dem noch für drei Legionen ausgelegten Lager, den schon zu flachen Wällen und den Leichenhaufen auf freiem Feld ein und denselben Ort beschreiben. Man muss sich schon anstrengen, um zu erkennen, dass er vermutlich drei verschiedene Orte meint, die drei Tagesmärsche auseinander liegen.
Ähnlich verhält sich das mit dem ganzen Germanicus-Feldzug. Die Beschreibung ist ein paar Seiten lang, der Feldzug hat aber vermutlich Wochen gedauert. Bei manchen Punkten nennt Tacitus Details, andere "verschweigt" er offenbar völlig.
Meiner Ansicht nach liegt das daran, dass er nicht die Absicht hatte, einen "militärischen Einsatzbericht" zusammenzufassen, sondern einen Gegensatz zwischen den Absichten von Germanicus und Tiberius herauszuarbeiten: Germanicus als Held, der eine Schmach tilgen wollte; Tiberius als missgünstiger Neider, der den Verrat der Germanen ungesühnt ließ, um Germanicus als Konkurrenten um die Macht auszuschalten.
So nennt Tacitus nur die Details, die sein "Thema" stützen. Z.B. die Bestrafung der ärgsten Verräter (Brukterer, Marser), die Legionsadler erbeutet hatten. Andere Aktionen klammert er aus, obwohl es sie sicher gegeben hat. Wieder andere Schilderungen baut er ein, obwohl sie zweifelhaft bleiben müssen. Zum Beispiel den "spontanen" Einfall des Germanicus, das Schlachtfeld aufzusuchen. Wusste er wirklich, dass die Entscheidung spontan fiel? Oder wollte er auch hier nur eine "ehrenhafte" Tat des Germanicus schildern, die von Tiberius missgünstig aufgenommen wurde?
Ich glaube nicht, dass man das Problem, was "haud procul" bedeuten mag, durch wörtliche Auslegung lösen kann. Dazu verschweigt Tacitus zu viel.
MfG