552-was wurde aus den Ostgoten?

DieEmpfehlenswert ist in diesem Zusammenhang die Publikation "Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration" von Walter Pohl (2002/2005), wo der Autor im Kapitel "Alboin: nachrömische und nichtrömische Gesellschaften" (S. 186-212) die Situation gut charakterisiert.
Dieser Empfehlung schließe ich mich an!
Eine weitere füge ich hinzu: Herwig Wolfram "das Reich und die Germanen"
 
Sprache - ein Versuch?

Vielleicht wäre Verbände, Kriegergruppen etc eine bessere Wortwahl als Völker?

Die Führungsschicht und ihre Sprache: die wollten und mussten ja auch verstanden werden. Nun ist das Langobrdische sicher nicht exotisch weit vom Gotischen entfernt (mal salopp als Analogie gesagt kann sich ein Bayer mit einem Kölner Jecken auch ohne hochdeutsch halbwegs verständigen) - aber was ich erstaunlich finde ist das Faktum, dass manche nicht unprominente germanische Führungsschicht nach ihrer Etablierung auf ex-römischem Gebiet ihre Sprache eben doch nach ein paar Generationen aufgaben (z.B. Westgoten, Burgunder, Wandalen)

Ich nehme dann, dass in Übergangszeiten viele Leute damals bilingual lebten und auch aufwuchsen, besonders die "Einwanderer" der nachfolgenden Generationen.

Vielleicht waren die Ostgoten nicht lange genug in Italien am Ruder? Von Theoderichs Einmarsch bis Thejas Niederlage vergingen ja keine Jahrhunderte - das sah zeitlich im westgotischen Spanien anders aus.

Da die völkerzeitlichen Armeen, deren Könige die neuen regna errichteten, immer mit teils umfangreichem zivilem Anhang ihre Hauptbewegungen durchführten, ist das Wort "Volk" wohl nicht so unbegründet... Wenn sogar noch frühneuzeitliche Landsknecht-Heere in zeitgenössischer Überlieferung oft als das "Kriegsvolk" eines Kriegsherrn bezeichnet werden (ob ihres umfangreichen, zivilen Anhangs), ist es noch verständlicher. Bei einigen Parallelen sehe ich zwischen beiden Völker- und Armee-Begriffen aber noch genug Differenzen um die antiken Scharen mit mehr Recht als Völker bezeichnen zu können.

Gerade die oft multiethnische Zusammensetzung der Wandervölker der Spätantike bewirkte ja die starke Fixierung auf die Führungsschicht mit dem König. Wer dazu gehören wollte musste sich nicht nur beweisen, er musste sich auch in die Identität des Traditionskerns einfügen. Vieles was den Traditionskern dieser Völker ausmachte war mündlich tradierte „Erinnerung“ und die dürfte über die Volkssprache (des Traditionskerns) weiter gereicht worden sein. Deren (frühes) Verschwinden hätte also das Selbstverständnis des Stammes in Frage gestellt. Wer dazu gehören wollte, konnte dies nicht zuletzt durch seine Sprache vor Anderen dokumentieren. Obwohl die Sprache immer nur EINES von vielen Identifikationsmerkmalen war. Weit wichtiger war die persönliche Stellung zum König und anderer Großer, an der sich der Platz des Einzelnen in der „barbarischen Gesellschaft“ letztlich ausdrückte. Oft genug wird auch die Stellung der Religion in diesem Zusammenhang erwähnt. Nach Übernahme des Christentums war dies nun relativ schwierig geworden.
Es überrascht nicht dass gerade die Goten noch relativ am längsten ihre Volkssprache bewahren konnten, solange sie der arianischen Konfession angehörten, wo sie die Bibelübersetzung des Wulfia (ins Gotische) in der Liturgie verwenden konnten. Dies dürfte stabilisierend auf die Verwendung der Volkssprache gewirkt haben. Dazu kam dass unter Römern das arianische Bekenntnis als Ketzerisch abgelehnt wurde. Ein Bekenntnis zum Arianismus war also sowohl ein Bekenntnis zum König, als auch zum „spezifischen Volksglauben“ der regna. Wenige gentes waren allerdings in der Religionspolitik so Eifernd wie die Vandalen! Einen Trend zu eigenen „Volkskirchen“ der „Wandervölker“ haben schon viele beschrieben. Es ist kaum ein echter Zufall, dass die Aufgabe der Volkssprache und des arianischen Bekenntnisses meist relativ zeitgleich stattgefunden zu haben scheinen. Beides hat sicherlich Wechselwirkungen gehabt, muss aber einander nicht bedingt haben, sondern mag (auch) Ausdruck der allgemeinen Assimilation in das romanische Umfeld gewesen sein.

Eine frühe Phase der Zweisprachigkeit ist als sicher zu betrachten, da die komplette Zivilverwaltung weiterhin in Latein abgewickelt wurde. Stabilisierend für die „Volkssprachen“ mag auch das geteilte Rechtssystem für einige Zeit gewesen sein? Es gab überall eine parallele Rechtsprechung: Die römischen Untertanen wurden weiterhin nach römischem Recht und von römischen „Funktionsträgern“ abgeurteilt, während die Wandervölker ihre eigene Rechtsprechung beibehielten. Vom ostgotischen Italien ist bekannt, dass in „Mischfällen“ Richter beider Völker beteiligt wurden, wobei das letzte Wort aber der gotische Richter zu sprechen hatte. Anders, als während der Romanisierung die Rechtslage zwischen römischen Bürgern und peregrinen Unterworfenen einst gewesen war! Denn damals war es für Peregrine fast unmöglich gewesen ihr Recht zu verteidigen, denn sobald ein römischer Bürger betroffen war, waren römische Gerichte zuständig und die Aussage eines Peregrinen galt dort nichts gegen das Wort eines Vollbürgers! Die Könige erließen für ihre Reiche meist sehr schnell eigene Rechtssammlungen, die stark von römischem Recht inspiriert waren und mithilfe römischer Juristen auch noch in Latein abgefasst wurden! Wie lange unter diesen Umständen das Rechtswesen noch eine Stütze der Eigensprachlichkeit hatte bieten können muss aber offen bleiben. Die Erfahrungen des Mittelalters lassen für die Praxis völlig unterschiedliche Antworten zu. Ähnliches gilt für das Militär, was doch die stärkste Stütze und Identifikationspunkt für das Selbstverständnis der „Barbaren“ in ihren regna war.
 
Hallo Tejason,

erst einmal vielen Dank für Deinen lesenswerten informationsreichen Beitrag!

Ich bin davon überzeugt, dass wir beide ganz sicher nicht den Begriff eines Germanenvolks verwenden, wie es im 19. Jh. üblich war; dennoch könnte es mißverständlich für "zulesen" (analog zum zuschauen) sein, wenn als Übersetzung für das spätlat. gens, gentis pl. gentes Volk, Völker gewählt wird. Mir wäre es lieber, stattdessen vorsichtshalber entweder die Namen zu verwenden (Goten, Gepiden etc.) oder eben polyethn. Verbände.

Was ich an den Wirren und Umwälzungen dieser Zeit - "Völkerwanderungszeit" - u.a. so interessant finde, ist die Tatsache, dass es wohl weniger differenzierte Sprachen als eben Gruppen von ihren Sprchern gab, auch dass manche der Sprachen rasch aufgegeben wurden.

gotische Sprechen:
laut Procopius sprachen Visigoten, Ostrogoten, Vandalen, Gepiden "gotische Sprachen" - ich nehme an, dass sich die verschiedenen Gotengruppen, Gepiden und Wandalen in ihrer german. Sprache einigermaßen verstehen konnten. Vereinfacht gesagt gilt natürlich nicht, dass jede Gruppe auch ihre eigene Sprache gehabt hätte.
Die Traditionskerne bei den german. Gruppen im Sinne von Wenskus sind wahrscheinlich kleiner und mehr gewesen, als die Anzahl voneinander differierender Sprachen. Erstaunlich dabei ist, dass sich für manche Gruppen, die sich mehrmals neu formierten, eine Sprache als verbindlich gehaltn hatte: Herwig Wolfram beschreibt das sehr anschaulich in seinem Buch über die Goten.

verblüffend:
außerhalb des Imperiums, d.h. vor der friedlichen oder gewaltsamen Integration, haben sich offenbar Sprachen identitätsbildend gehalten - danach - also in der neuen Umgebung, in der man zwar Oberschicht war, aber demografisch Minderheit - nicht mehr.
ein paar Exempel hierzu:
die mit den vandalischen Gruppen ziehenden Alanen gaben wohl schon in Spanien ihre Sprache auf, das später in Nordafrika eingerichtete Regnum der Wandalen (Geiserich nannte sich noch rex vandalorum et alanorum) gab nach und nach die eigene Sprache zugunsten des Latein auf;
die bis zum Beginn des 8. Jh. eigenständigen Westgoten in Spanien hielten ebenfalls nicht an ihrer Spache fest;
ebenso die Burgunden in der Sapaudia;
auch die Langobarden garben ihre Sprache auf.

Einzig im Merowingerreich (d.h. in dessen östlicher Hälfte) blieb es beim fränkischen althochdeutsch - - und dann eben noch die Ausnahme der Ostgoten.

Ich nehme nun folgendes an: die Ostgoten waren einfach nicht lange genug in Italien, um es wie die langfristiger ansässigen anderen zu tun.

Interessant ist auch, wie sich im burgundischen und westgotischen und langobardischen Recht jeweils der Rechtsstatus nach und nach änderte, bis eben juristisch kein Unterschied mehr zw. z.B. westgotischem Adel und hispano-lateinischem Adel mehr bestand (Aufhebung des Connubiumverbots etc.). All das, also der Verzicht auf die mitgebrachte "fremde" Sprache sowie der Verzicht auf eine eigene Sonderstellung - natürlich nach ein paar Generationen! - spricht für die "Integrationsbereischaft"*) und gegen "völkische" Bilder des 19. Jh.

Bitte betrachte meinen Beitrag nicht als Gegenwind oder sowas - ich finde das Thema enorm interessant und versuche, dran zu bleiben und ein wenig beizutragen.

Was also blieb an Tradition nach der Etablierung auf Reichsboden? Familienclans bzw. frühmittelalterlicher Adel, der seine Kontinuität im Beibehalten der got. oder wand. oder burgund. oder fränk. Eigennamen wahrte.

herzliche Grüße,
dekumatland

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*) die ja recht problematisch und oft genug auch sehr gewaltbereit war, denn Integration bedeutete für diese primär militär. Gruppen, in militärische und politische Spitzenpositionen zu kommen
 
Einzig im Merowingerreich (d.h. in dessen östlicher Hälfte) blieb es beim fränkischen althochdeutsch - - und dann eben noch die Ausnahme der Ostgoten.

Ich nehme nun folgendes an: die Ostgoten waren einfach nicht lange genug in Italien, um es wie die langfristiger ansässigen anderen zu tun.

Könnte es nicht mehr daran liegen, dass es im Ostfrankenreich einfach keine nennenswerte romanische Bevölkerung mehr gab? Die rechtsrheinischen Gebiete wurden frühzeitig aufgegeben, hier fand noch ein relativ geordneter Rückzug statt.

Dagegen romanisierte sich das Westfrankenreich sehr schnell, schon unter Chlodvig war das Frankenreich eher ein romanisches Staatsgebilde mit fränkischen Einschlägen, der später eroberte Osten war längst kein romanisches Gebiet mehr.
 
Dagegen romanisierte sich das Westfrankenreich sehr schnell, schon unter Chlodvig war das Frankenreich eher ein romanisches Staatsgebilde mit fränkischen Einschlägen, der später eroberte Osten war längst kein romanisches Gebiet mehr.
Das betraf aber noch lange nicht die fränkische Führungsschicht. Noch Karl der Große sprach als Muttersprache Fränkisch. Insofern sehe ich in den ersten Jahrhunderten des fränkischen Reiches keinen echten Unterschied zu anderen Germanenreichen: Romanischsprachige Untertanen, germanischsprachige Herren.
 
Könnte es nicht mehr daran liegen, dass es im Ostfrankenreich einfach keine nennenswerte romanische Bevölkerung mehr gab? Die rechtsrheinischen Gebiete wurden frühzeitig aufgegeben, hier fand noch ein relativ geordneter Rückzug statt.

Dagegen romanisierte sich das Westfrankenreich sehr schnell, schon unter Chlodvig war das Frankenreich eher ein romanisches Staatsgebilde mit fränkischen Einschlägen, der später eroberte Osten war längst kein romanisches Gebiet mehr.

das ist ein schwieriges Terrain...
einmal gibt es ja die kontrovers diskutierte Sprachgrenze, wobei sich anfangs eine Ausbreitung des german. fränkisch zeigte, die aber immer weiter ausdünnte, je weiter es in den Westen ging (vgl. Ernst Gamilschlegs Germania Francia und die daran anknüpfenden Korrekturen)
erstaunlich auch, dass in der Trierer Gegend sich eine gallische Sprachinsel bis ins MA hielt
ob der fränkische Adel weit im Westen tatsächlich noch lange am althochdeutsch festhielt, ist zweifelhaft
 
Das betraf aber noch lange nicht die fränkische Führungsschicht. Noch Karl der Große sprach als Muttersprache Fränkisch. Insofern sehe ich in den ersten Jahrhunderten des fränkischen Reiches keinen echten Unterschied zu anderen Germanenreichen: Romanischsprachige Untertanen, germanischsprachige Herren.

Die Straßburger Eide wurden doch nicht für den "kleinen Mann", sondern für die Oberschicht aufgezeichnet. Und aus diesen geht klar hervor, dass die Adligen aus dem Westen die althochdeutsche Sprache gar nicht verstanden.

Etwas anderes ist, dass mit den Karolingern eine östliche (austrasische) Dynastie auf dem Thron saß,
 
Das Westfränkische Karls des Großen darf man auch nicht mit dem Althochdeutschen verwechseln.

Außerdem richteten sich die Straßburger Eide zwar nicht an das Volk, aber sehr wohl an die Krieger beider Parteien.

Und nicht zuletzt befinden wir uns in der Phase des sprachlichen Übergangs, wobei die Straßburger Eide immerhin fast hundert (!) Jahre nach der Kindheit Karls des Großen (in der er seine Muttersprache lernte) gesprochen wurden.
 
Das Westfränkische Karls des Großen darf man auch nicht mit dem Althochdeutschen verwechseln.
Das Althochdeutsche ist nach meiner Kenntnis eine Sammelbezeichnung für verschiedene west- und südgermanische Dialekte/Sprachen ab etwa 750 bis etwa 1050, zu denen eben auch verschiedene Formen des "altfränkischen" zählen - - aber ich glaube, das ist gar nicht die eigentliche Frage. Sondern im Vielvölkerstaat der Merowinger sowie bei den Karolingern gab es mehrere Sprachen: im Westen spätlatein und später altfranzösisch und okzitanisch, im Osten "althochdeutsch" bzw. davor die entsprechenden (kaum verschriftlichten) Vorläufer.
Vermutlich wurde in linksrheinischem Gebiet zu Julians Zeiten nur wenig "germanisch" gesprochen (ausgenommen vermutlich bei diversen Foederaten), aber mit der zunehmenden späteren merowingischen Macht änderte sich das: das germanische fränkisch breitete sich in westliche Richtung aus - - - wie weit und in welcher Dichte, scheint umstritten zu sein (aber sicher ist, dass weder zu Chlodwigs noch später zu Balthilds Zeit in Paris überwiegend germanisch gesprochen wurde)
 
...Bitte betrachte meinen Beitrag nicht als Gegenwind oder sowas - ich finde das Thema enorm interessant und versuche, dran zu bleiben und ein wenig beizutragen.

...Was also blieb an Tradition nach der Etablierung auf Reichsboden? Familienclans bzw. frühmittelalterlicher Adel, der seine Kontinuität im Beibehalten der got. oder wand. oder burgund. oder fränk. Eigennamen wahrte...

Meiner war auch nicht als Gegenwind gedacht, ich wollte nur ein paar Gesichtspunkte herausstreichen oder gewichten. Das ist ja auch Sinn eines solchen Threads in meinen Augen: Fruchtbarer Austausch. Dein Post war für mich halt ein geeigneter Aufhänger.

Indem du die Familenclans und Namensgebung extra ansprichst: Gerade die Namensgebung von Personen hat wohl die älteren Überlieferungen der alten Stammesverbände länger bewahrt, da hier klassischer Ahnenstolz stabilisierend mit in Spiel kommen konnte. Gepflogenheiten wie Namensgebung waren vorher nur ein Aspekt von Identitätsmerkmalen für die früheren Traditionskerne der Völkerwanderungszeit gewesen. Unter den wichtigen Geschlechtern fanden sich immer wieder gleiche Namen und teils regelhafte Namensvarianten. Das lässt sich teils recht gut bei den Amalern ebenso bemerken, wie bei den Balthen oder Merowingern. Auch die hasdingische Königsfamilie hat regelhafte Namen, die häufig mit Kampf zu tun haben. Eine Regelmäßigkeit die Helmut Castrius interessanterweise beim dem Königsgeschlecht der Burgunder ähnlich wieder findet, dass er die (nicht weiter ausgeführte) Frage stellt, ob es zwischen beiden Geschlechtern Verbindungen gegeben haben könnte, die sich in der Ereignisgeschichte gar nicht nachvollziehen lässt. [„Die Vandalen, Etappen einer Spurensuche“, 2007].

Die Namensgebung des Frühmittelalters führt Tendenzen allerdings nur fort, wie sie ähnlich vorher unter den gentes üblich gewesen waren. Ich will damit aber keinesfalls einem echten Fortleben alter „Traditionskerne“ das Wort reden, es sind nur noch Eigenheiten, die durch zunehmend christliche Namensgebung und ganz andere Verschmelzungsprozesse ähnlichen Prinzipien folgten. Aus alten Vorbildern war wohl eher eine gefällige Mode geworden. Nicht dass noch jemand glaubt ich sehe in dieser Namensgebung per se ein ungebrochenes Fortleben „germanischer Traditionskerne“, die vorher polyethnische Verbände zusammengehalten hätten.^^
 
Indem du die Familenclans und Namensgebung extra ansprichst: Gerade die Namensgebung von Personen hat wohl die älteren Überlieferungen der alten Stammesverbände länger bewahrt, da hier klassischer Ahnenstolz stabilisierend mit in Spiel kommen konnte.
(...)
Aus alten Vorbildern war wohl eher eine gefällige Mode geworden. Nicht dass noch jemand glaubt ich sehe in dieser Namensgebung per se ein ungebrochenes Fortleben „germanischer Traditionskerne“, die vorher polyethnische Verbände zusammengehalten hätten.^^
eigentlich müsste ich alles zitieren!! (die Kürzung (...) ist der Übersichtlichkeit geschuldet)

Ja die Namensvarianten/variation bei den Hasdingen, Burgundern, Amalern, wohl auch Merowingern ist ein solches Beispiel. Interesant hierbei natürlich auch die Konstruktion künstlicher Abstammungen (Cassiodors origo gotica) mit Vermengung von biblischer (Generationenzahl) und gentiler Überlieferung. Ebenso interessant auch die mannigfaltigen Versuche der barbarischen Heerführer und Könige, sich dem röm. sowie oström. Kaiserhaus anzusippen - die "Verwandtschafts"-Tafeln Demandts sind da sehr interessant: etlicher gentiler barbarischer "Hochadel" wollte auch in Sachen "Clan" gerne kaiserlich werden, d.h. zur Sippe der Kaiser gehören (auch Attila hatte mal sowas am laufen...)

Wie schon gesagt oder eher angedeutet: mit der zunehmenden Integration in die (im Westen) reströmische Welt wurden auch gentile Traditionen nach und nach brüchig, d.h. sie dienten hauptsächlich dem Herrschaftserhalt der jeweils eigenen Sippe und weniger dem Zusammenhalt einer kompletten Gruppe (denn man war ja schon auf ehemaligem Reichsboden zu dieser Zeit gefestigt und brauchte keinen ständig durch Erfolg warm gehaltenen exercitus mehr)
 
...
gotische Sprechen:
laut Procopius sprachen Visigoten, Ostrogoten, Vandalen, Gepiden "gotische Sprachen" - ich nehme an, dass sich die verschiedenen Gotengruppen, Gepiden und Wandalen in ihrer german. Sprache einigermaßen verstehen konnten. Vereinfacht gesagt gilt natürlich nicht, dass jede Gruppe auch ihre eigene Sprache gehabt hätte.
...
Es gibt zum Verstehen der gotischen Sprache sogar recht erstaunliche Aussagen, wenn sie sich auch nicht auf die Ostgoten, sondern auf die Krimgoten beziehen.

1253 n. Chr. berichtete der Franziskaner-Missionar Wilhelm Ruysbroek nach einem Besuch der Krim folgendes:
„Sunt quadraginta castella inter Kersonam et Soldaiam, quorum quodlibet fere habebat proprium ydioma; inter quos erant multi Goti quorum ydioma est Teutonicum.“
Übersetzt: "Zwischen Cherson und Soldaia liegen 40 Ortschaften, von denen fast jede ihren eigenen Dialekt hatte und unter denen es viele Goten gab, deren Sprache die deutsche ist."

Zwischen 1436 und 1452 bereiste der Venzianer Giosafatte Barbaro das Gebiet und stellte fest:
„Hinter der Insel Capha in der Gegend am großen Meer befindet sich das Gebiet der Goten, dann das der Alanen […]. Die Goten sprechen deutsch und ich weiß dies, weil sie sich mit einem deutschen Diener, den ich bei mir hatte, unterhielten. Sie verständigten sich ganz ordentlich, so wie sich ein Bürger von Forlí mit einem Florentiner verständigen würde.“
 
Es gibt zum Verstehen der gotischen Sprache sogar recht erstaunliche Aussagen, wenn sie sich auch nicht auf die Ostgoten, sondern auf die Krimgoten beziehen.

1253 n. Chr. berichtete der Franziskaner-Missionar Wilhelm Ruysbroek nach einem Besuch der Krim folgendes:
„Sunt quadraginta castella inter Kersonam et Soldaiam, quorum quodlibet fere habebat proprium ydioma; inter quos erant multi Goti quorum ydioma est Teutonicum.“
Übersetzt: "Zwischen Cherson und Soldaia liegen 40 Ortschaften, von denen fast jede ihren eigenen Dialekt hatte und unter denen es viele Goten gab, deren Sprache die deutsche ist."

Zwischen 1436 und 1452 bereiste der Venzianer Giosafatte Barbaro das Gebiet und stellte fest:
„Hinter der Insel Capha in der Gegend am großen Meer befindet sich das Gebiet der Goten, dann das der Alanen […]. Die Goten sprechen deutsch und ich weiß dies, weil sie sich mit einem deutschen Diener, den ich bei mir hatte, unterhielten. Sie verständigten sich ganz ordentlich, so wie sich ein Bürger von Forlí mit einem Florentiner verständigen würde.“

Das spricht dann aber eher gegen die krimgotische These und viel eher dafür, dass wir hier mit deutschen Ostsiedlern zu tun haben.
 
Wie sollten die im 13. Jhdt. auf die Krim geraten sein? Das war Jahrhunderte vor der Anwerbung deutscher Siedler durch die (russischen) Herrscher dieser Gegend, und unter der Herrschaft eines deutschen Fürsten stand sie erst recht nicht.
 
Es gibt zum Verstehen der gotischen Sprache sogar recht erstaunliche Aussagen, wenn sie sich auch nicht auf die Ostgoten, sondern auf die Krimgoten beziehen. (...)

ja und nein - das Krimgotische hielt sich als isolierte Sprache; die Krimgoten mischten "weltgeschichtlich" nicht mit, das unterscheidet sie von den Ostgoten, die in Italien gerade mal rund 60 Jahre am Ruder waren.
Auch Busbeq im 16. Jh. bezeugt das krimgotische. Leider ist es nur lückenhaft überliefert (vgl. RGA Sonderband Trümmersprachen, wo auch das krimgotische abgehandelt wird)

Aber dass auf der Krim bis ins 17.-18. Jh. ein weiter entwickeltes, mit zunehmenden Lehnworten vershenes Gotisch gesprochen wurde, sagt nichts über die sprachlichen Verhältnisse barbarischer Militärgruppen innerhalb des ehemaligen Imperiums.

Vorerst bleibe ich noch bei meiner "Beobachtung": auf "Reichsgebiet" gaben mit Ausnahme der Franken alle germanischen Gruppen ihre Sprachen nach ein paar Generationen auf. Lediglich die Ostgoten kamen nicht so weit, weil sie viel zu wenig Zeit hatten... Sprachlich resistenter handhabte die slawische Landnahme das, weshalb man in den ehemals illyrischen Provinzen heute südslawische Sprachen spricht.

Ein Exotikum geradezu ist als romanische Sprache das Rumänische: umgeben von slawischen Sprachen, zu denen sich dann das finno-ugrische Ungarisch im Mittelalter gesellte, hielt sich dieses, obwaohl nachgewiesen ist, dass in Spätantike/Frühmittelalter einige romanische Bevölkerungsteile abwanderten (vgl. G. Schramm "Sieger und Besiegte")

Faszinierend freilich bleibt, dass auf italienischem Gebiet dennoch ostgotische Sprachinseln zeitweilig bestehen blieben - schade, dass man zu wenig über diese weiss.
 
Das spricht dann aber eher gegen die krimgotische These und viel eher dafür, dass wir hier mit deutschen Ostsiedlern zu tun haben.
Wie sollten die im 13. Jhdt. auf die Krim geraten sein? Das war Jahrhunderte vor der Anwerbung deutscher Siedler durch die (russischen) Herrscher dieser Gegend, und unter der Herrschaft eines deutschen Fürsten stand sie erst recht nicht.
Ravenik, da bist Du mir zuvor gekommen. So merkwürdig das auch klingt, zumal die Sprache deutsch genannt wird, so fraglich ist, aus welchem Grund Deutsche um die Zeit dorthin ausgesiedelt sein sollten, direkt unter die Fremdherrschaft anderer Völker aus dem Osten.

Nur zum Verständnis, damit nicht der Gedanke aufkommt, der Text stamme aus „nationaldeutschen“ Zeiten und es stände deshalb „deutsch“ geschrieben: der Text ist von Piergiuseppe Scardigli (1973?).
 
Vorerst bleibe ich noch bei meiner "Beobachtung": auf "Reichsgebiet" gaben mit Ausnahme der Franken alle germanischen Gruppen ihre Sprachen nach ein paar Generationen auf.

Auch die Franken gaben ihre germanische Sprache auf und zwar zugunsten des gallo-romanischen Sprechlateins, aus dem sich allmählich das romanische Französisch entwickelte.

Es vollzog sich also der eher seltene Vorgang, dass sich Sieger - nämlich die Franken - sprachlich den Besiegten - nämlich der gallo-romanischen Bevölkerung mit iihrem Vulgärlatein - anpassten. Übrig blieben eine Reihe germanischer Wörter im sich bildenden romanischen Französisch, womit wir die klassiche Situation eines sprachhistorischen Superstrats Superstrat (Linguistik) ? Wikipedia haben. Dass sich dieser Vorgang vom 6. bis ins 9. Jh. hinzog - Karl der Große sprach als Muttersprache noch fränkisch - ändert nichts an seinem Ausgang.

Französische Sprache ? Wikipedia
 
@ Sogenannte "Krimgoten"
In der letzten Quelle ist so weit ich weiß von plattdeutsch sprechenden Tataren die Rede, also keineswegs von Deutschen oder Goten.

Der Gotenname auf der Krim verschwindet bereits in der Spätantike. Nach der Auswanderung der Wisigothen und Ostrogothen ist auf der Krim nicht mehr länger von den Goten die Rede, trotzdem wird das Gebiet weiterhin "Gothia" genannt. Laut Procop lebten die Tetraxiten in der Gothia, d. h. das dem alten Land der Goten. Ob sie tatsächlich Abkömmlinge der eigentlichen Goten waren, ist unklar. Genausogut könnten die Reste eines anderen "gotischer Völker" gewesen sein, die eben zufällig auf eine germanische Sprache sprachen. Verdächtige gibt es ja genug: Heruler, Skiren, Bastarnen ...

"Gothia" bleibt in byzantinischer Zeit Landschaftschaftbezeichnung für die Krim. So ist etwa im 8. Jahrhundert ein orthodoxer Bischof Johannes von Gothia bekannt. Im 13. Jahrhundert entsteht sogar ein kleines Fürstentum namens "Gothia" bzw. "Theodoro", ohne jeden Bezug zu einem Volk oder Stamm der Goten.
Von einem Volk der Goten auf der Krim gibt es aber das ganze Mittelalter über keine einzige Nachricht!
Und in der Neuzeit wundert sich eben ein reisender über "plattdeutsch" sprechende Tataren. Selbst wenn eine germanische Sprache wenigestens bei einem kleinen Teil vorhanden blieb, eine Stammesidentität ging vollständig verloren.
Ob der Begriff "Gothia" nur in der griechischen Sprache von byzantinischen Gelehrten benutzt wurde oder auch von nicht griechisch-sprachigen Krim Bevölkerung ist mir unbekannt. Der alternative Name Theodoro spricht ja dafür, dass Gothia eine gelehrte Konstruktion in Anspielung auf die Spätantike war.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wieso sollten Tataren plattdeutsch reden? Ist da nicht der Schluss naheliegender, dass Reisende einfach sämtliche Bewohner der Krim für Tataren hielten und das Krimgotische als Plattdeutsch einordneten, weil es diesem irgendwie ähnelte und sie es nicht besser wussten?

Bei den Bastarnern ist gar nicht sicher, ob sie überhaupt Germanen waren oder nicht doch Thraker. Außerdem siedelten sie an der unteren Donau. Die Skiren waren doch auch nie in der Krimgegend, lediglich die Heruler trieben sich dort mal herum, allerdings auch schon im 3. und 4. Jhdt. Die Goten waren von allen Germanenvölkern auf der Krim am aktivsten, zuerst schon im 3. Jhdt. als Ausgangspunkt ihrer Plünderungsfahrten im Schwarzmeerraum, später als Teil des Reiches von Ermanarich.

Herwig Wolfram schreibt in "Die Goten" auf S. 87 übrigens: "Danach vergehen nochmals zwei Menschenalter, bis sich die Krim wieder bei der Zentrale meldet. Im Jahre 548 bitten die Goten der Halbinsel um einen Nachfolger für den verstorbenen Bischof." Sofern Wolfram in seine Quelle nicht irgendetwas hineininterpretiert hat, scheint es also für 548 noch eine Erwähnung von Goten auf der Krim zu geben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was halt ein wenig erstaunlich ist, ist dass das Krimgotische nach 1000 Jahren Isolierung von anderen germanischen oder gar den deutschen Dialekten nicht nur vom frankophonen Rubruk sondern auch von dem deutschsprachigen Diener des zitierten Venezianers für eine Variante des Deutschen gehalten wurde, letzterer sich sogar mit den Krimgoten unterhalten können haben soll. Das macht stutzig.
 
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