Hallo Tejason,
erst einmal vielen Dank für Deinen lesenswerten informationsreichen Beitrag!
Ich bin davon überzeugt, dass wir beide ganz sicher nicht den Begriff eines Germanenvolks verwenden, wie es im 19. Jh. üblich war; dennoch könnte es mißverständlich für "zulesen" (analog zum zuschauen) sein, wenn als Übersetzung für das spätlat. gens, gentis pl. gentes Volk, Völker gewählt wird. Mir wäre es lieber, stattdessen vorsichtshalber entweder die Namen zu verwenden (Goten, Gepiden etc.) oder eben polyethn. Verbände.
Was ich an den Wirren und Umwälzungen dieser Zeit - "Völkerwanderungszeit" - u.a. so interessant finde, ist die Tatsache, dass es wohl weniger differenzierte Sprachen als eben Gruppen von ihren Sprchern gab, auch dass manche der Sprachen rasch aufgegeben wurden.
gotische Sprechen:
laut Procopius sprachen Visigoten, Ostrogoten, Vandalen, Gepiden "gotische Sprachen" - ich nehme an, dass sich die verschiedenen Gotengruppen, Gepiden und Wandalen in ihrer german. Sprache einigermaßen verstehen konnten. Vereinfacht gesagt gilt natürlich nicht, dass jede Gruppe auch ihre eigene Sprache gehabt hätte.
Die Traditionskerne bei den german. Gruppen im Sinne von Wenskus sind wahrscheinlich kleiner und mehr gewesen, als die Anzahl voneinander differierender Sprachen. Erstaunlich dabei ist, dass sich für manche Gruppen, die sich mehrmals neu formierten, eine Sprache als verbindlich gehaltn hatte: Herwig Wolfram beschreibt das sehr anschaulich in seinem Buch über die Goten.
verblüffend:
außerhalb des Imperiums, d.h. vor der friedlichen oder gewaltsamen Integration, haben sich offenbar Sprachen identitätsbildend gehalten - danach - also in der neuen Umgebung, in der man zwar Oberschicht war, aber demografisch Minderheit - nicht mehr.
ein paar Exempel hierzu:
die mit den vandalischen Gruppen ziehenden Alanen gaben wohl schon in Spanien ihre Sprache auf, das später in Nordafrika eingerichtete Regnum der Wandalen (Geiserich nannte sich noch rex vandalorum et alanorum) gab nach und nach die eigene Sprache zugunsten des Latein auf;
die bis zum Beginn des 8. Jh. eigenständigen Westgoten in Spanien hielten ebenfalls nicht an ihrer Spache fest;
ebenso die Burgunden in der Sapaudia;
auch die Langobarden garben ihre Sprache auf.
Einzig im Merowingerreich (d.h. in dessen östlicher Hälfte) blieb es beim fränkischen althochdeutsch - - und dann eben noch die Ausnahme der Ostgoten.
Ich nehme nun folgendes an: die Ostgoten waren einfach nicht lange genug in Italien, um es wie die langfristiger ansässigen anderen zu tun.
Interessant ist auch, wie sich im burgundischen und westgotischen und langobardischen Recht jeweils der Rechtsstatus nach und nach änderte, bis eben juristisch kein Unterschied mehr zw. z.B. westgotischem Adel und hispano-lateinischem Adel mehr bestand (Aufhebung des Connubiumverbots etc.). All das, also der Verzicht auf die mitgebrachte "fremde" Sprache sowie der Verzicht auf eine eigene Sonderstellung - natürlich nach ein paar Generationen! - spricht für die "Integrationsbereischaft"*) und gegen "völkische" Bilder des 19. Jh.
Bitte betrachte meinen Beitrag nicht als Gegenwind oder sowas - ich finde das Thema enorm interessant und versuche, dran zu bleiben und ein wenig beizutragen.
Was also blieb an Tradition nach der Etablierung auf Reichsboden? Familienclans bzw. frühmittelalterlicher Adel, der seine Kontinuität im Beibehalten der got. oder wand. oder burgund. oder fränk. Eigennamen wahrte.
herzliche Grüße,
dekumatland
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*) die ja recht problematisch und oft genug auch sehr gewaltbereit war, denn Integration bedeutete für diese primär militär. Gruppen, in militärische und politische Spitzenpositionen zu kommen