Sagen wir mal so: Für jemanden, der sich intensiver mit den Forschungsergebnissen zur diplomatischen, militärischen und ökonomischen Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges 1871/1914 beschäftigt, wirkt diese Aussage grotesk.
Wenn es eine Attraktivität als Bündnispartner für Rußland gab nach der fernöstlichen Katastrophe und der militärische Schwäche, dann 1905 (wie auch in der vorschnellen Unterschrift in Björkö sichtbar wird). Die letztlich unterlegene germanophile/anglophobe Fraktion der Militär/Diplomaten/Innenpolitiker in Rußland hat genau mit dieser Ratio argumentiert.
Wer trägt denn mit zweifelhaften diplomatischen Noten zum Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges bei, wie Du das selbst hier so virtuos darstellst? Wer ist denn nicht in der Lage, in diesem Krieg effektive Hilfe für Russland zu leisten? Wer nötigt Russland denn unter Ausnutzung der Kriegssituation ein dort äußerst unbeliebtes Handelsabkommen auf? Mit so ene fiese Möp soll Russland sich verbünden? Kein Wunder unterlag die germanophile/anglophobe Fraktion.
Der Stand der Forschung ist der, dass es zur Koexistenz und Entspannung zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich in kolonial/imperialistischen Fragen nach 1904/14 gekommen ist.
Koloniale Expansion war für Deutschland zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr drin, sieht man mal vom lächerlichen Ergebnis der Zweiten Marokkokrise ab, insofern konnten sich gar keine neuen Reibungspunkte mit Großbritannien ergeben. Die deutsche Flottenrüstung, die in Großbritannien zur Riesen-Bedrohung hochgeschrieben wurde, und die Krisen bis 1911, wo GB regelmäßig gegen D Partei nahm, zeigen, dass von Entspannung keine Rede sein kann.
1914 gab es quasi keinen ernsthaften imperialen Reibungspunkt außer den deutschen Ambitionen gegen die britisch/russischen Positionen im Osmanischen Reich/Bagdadbahn, wo man sich zwischen die Stühle der Platzhirsche setzte. "ab 1901 =Tür zu" simplifiziert die Abläufe ab diesem Zeitpunkt. Auch hier ist zu empfehlen, sich den Forschungsstand der letzten 40 Jahre anzusehen. Um den Unsinn "Großbritannien immer mehr gegen Deutschlands" zu erkennen und zu widerlegen, lohnt es sich, die Zusammenarbeit in der Balkankrise 1912/13 sowie die britische Positionierung in den Liman-von-Sanders-Krise anzusehen und gegen die Konfrontation in der 2.Marokko-Krise 1911 scharf abzugrenzen.
Diese Aussagen sind sicher richtig. Das Problem ist nur, dass man sich seitens der Mittelmächte 1914 auf eine erneute Vermittlung Londons verließ. Die dann aber verweigert wurde. Ich spreche auch die ganze Zeit nicht von Kontakten, Verhandlungen, Entspannungsbemühungen und dergleichen. Ich spreche von einem BÜNDNIS zwischen Großbritannien und Deutschland, und das stand seit 1901 nie mehr zur Debatte.
Soweit hier eine offensive Politik oder auf den Wechsel offensiver Militärpläne gegen Deutschland ab 1904 suggeriert werden soll (ich wüßte nicht, welchen andere Zielrichtung die Aussage haben sollte, mag mich aber irren), ist das falsch.
Suggeriert werden soll, dass Frankreich mit keiner anderen bedeutenden Macht außer Deutschland nach 1904 imperiale Gegensätze auszutragen brauchte, was die starke Position Frankreichs in den beiden Marokkokrisen und die diplomatischen Niederlagen bzw. Pyrrhussige Deutschlands erklärt
Konzentration hätte dagegen eine Neutralisierungspolitik ermöglicht, also das genaue Gegenteil der Aussage.
Verstehe ich nicht.
zu 1.Nochmals zum Nachlesen:
zu 1.Die Konvention/Interessenregelung GB/RUS im Mittleren und Fernen Osten stand 1914 kurz vor dem Kollaps.
Ich habe nie behauptet, dass die Triple-Entente in sich spannungsfrei war. Der "bevorstehende Kollaps" trat dann schließlich nicht ein. Er war russischerseits auch nur als Druckmittel gedacht, um die Marinekonvention zum Abschluss zu bringen, die aus deutscher Sicht die Vollendung der Einkreisung darstellte. Ich möchte ja jetzt nicht Mao zitieren, aber noch mehr Lektüre dürfte an meiner Position auch nicht mehr viel ändern.
zu 2. Der rein theoretische, militärisch-politische Wert eines britischen Bündnisses bestand 1892/1914 für das Deutsche Reich in der Neutralisation Frankreichs
Eine "Neutralisation Frankreichs" durch ein Bündnis Deutschlands mit Großbritanniens war nicht erreichbar, weil ab 1892 ein Bündnis Frankreichs mit Russland bestand.
durch den Umstand, dass eine globale Konfrontation für Frankreich mit Großbritannien nicht möglich war. Das ist der Kern der Faschoda-Krise und des frz. Einlenkens.
Nicht zwangsläufig. Auch Frankreich hätte den "Kontinentalblock"-Gedanken aufgreifen und die Konfrontation mit Großbritannien weiter suchen können. Es definierte seine Interessen aber anders.
zu 3.Abgesehen davon, dass die französischen Militärpläne bis zur 2. Marokko-Krise (und dem anschließenden Plan XVII) defensiv waren:
Wann soll denn die reale Situation für solche Präventivkriegsgedanken a) in Frankreich b) in Rußland zwischen 1894 und Juni 1914 vorgelegen haben?
Gab es nicht, weil ein Bündnis Deutschlands mit Großbritannien nicht zustande kam.
Mit den Fakten hat das nichts mehr zu tun
Zahlenspiele haben ihre eigene Logik oder Unlogik. Ich behaupte, dass Überlegungen eines russisch-französichen Präventivkrieges gegen Deutschland im Fall eines Bündnisses Deutschlands mit Großbritannien angestellt wurden, und diese Möglichkeit daher auf deutscher Seite kühl behandelt wurde. Außerdem: Sah Großbritannien nicht Deutschland als imperialen Hauptgegner an? Suchte nicht Großbritannien Ausgleich mit jedermann, nur nicht mit Deutschland? (ich weiß, jetzt kommt gleich wieder 1912/13) Welche koloniale Expansion hätte Großbritannien Deutschland denn anbieten können? Oder wollen? Und hätte die britische Presse jedes neue deutsche Kriegsschiff mit Schlagzeilen wie "Hach, was wieder für ein toller Schlachtkreuzer!" feiern sollen?
Eine Einkreisungspolitik, die du hier sehem möchtest, impliziert eine offensive Ausrichtung.
Das ist zunächst nicht richtig. Man denke an das "Containment" von USA und Verbündeten gegenüber der Sowjetunion (die das allerdings als offensiv bewertete, bis "Topas" ihr das ausreden konnte). Es muss streng genommen auch gar keine militärische Implikation dabei sein, ein "du darfst nicht mehr mit uns spielen" könnte zur Isolation auch schon genügen. Im vorliegenden Fall ist es aber tatsächlich so, dass die
zunächst einmal als Interessenausgleich gedachten Vereinbarungen im Laufe der Zeit immer mehr einen offensiven Charakter annahmen. S.u. mehr.
Des Weiteren ist , auch in der Forschung, die weiterhin schwellenden Gegensätze zwischen Russland und Großbritannien ganz allgemein bekannt und anerkannt. Diese Tatsache solltest du einfach zur Kenntnis nehmen.
Siehe dir deshalb doch einfach einmal nur die Vorgänge in Persien, China und dem Orient nach 1907 an. Grey hatte sehr große Schwierigkeiten das Festhalten an der Überinkungt mit dem Russen in der britischen Öffentlichkeit bzw. Unterhaus überhaupt zu rechtfertigen. Die Stimmen, die einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich forderten, wurden immer lauter.
Nein, das waren sie eben nicht (...die Spannungen innerhalb der Triple-Entente...)und wenn nur sehr vorgergründig. Wie schon gesagt, hilft hier eine vertiefende Auseinandersetzung der weiteren Entwicklungen in Persien, beispiehaft sind u.a. die Vorgänge in der neutralen Zone, den Personen Mohammed Ali Mirza oder Morgan Shusters oder die russische Bombardierung der Moschee von Meschhed etc.etc., China und des Orients weiter.
Ich nehme diese Tatsachen sehr wohl zur Kenntnis. Interessant ist nur, dass Du Grey erwähnst. Es gelang ihm schließlich, Großbritannien auf anti-deutschem Kurs zu halten.
Wie oft wollen wir das eigentlich noch durchkauen?
Silesia (s. ganz oben) und Du ziehen für die Situation von 1905 ständig den Rückversicherungsvertrag aus der Tasche. Ich sage dagegen, das geht so nicht. Es liegt an Euch, wie oft Ihr diesen hinkenden Vergleich wiederholen wollt.
Ganz schlicht: Nein! Siehe auch u.a. meine Zeilen weiter oben. Des Weiteren ist beispielsweise der britische Kriegsminister Lord Haldane 1912 nicht zu seinem Privatvergnügen nach Berlin gekommen. Das hatte Gründe. Erwähneswert ist auch die Zusammenarbeit während der Balkankrisen 1912/13.
Verhandlungen, Entspannungsbemühungen, aber KEINE Vorbereitung eines Bündnisses! Im Übrigen könnte Haldane die Berliner Luft, Luft, Luft ganz gut gefallen haben (*WITZ*).
Die Entente kam erst 1904 zustande und war zunächst einmal "nur"ein weltweiter kolonialer Interessenausgleich der vertragsschließenden Mächte. Nicht mehr! Alles andere hat sich erst im Verlauf der Jahre entwickelt und vor allem, es gab keine verbriefte Zusage Großbritanniens an der Seite Frankreichs in einem eventuellen Krieg einzutreten. Großbritannien war eben nicht der für einen Kriegsfalle fest einplanbare Bündnispartner, den man sich in Paris so sehnlichst wünschte. Nicht umsonst haben die Briten die Franzosen in der Julikrise lange Zeit "im Regen stehen lassen". Die militärisch offenisive Komponente hat vollkommen gefehlt und somit ist deine Aussage nicht zutreffend.
In sich gesehen sind diese Aussagen alle richtig. Du zitierst aber selbst schon wieder französische Einkreisungsabsichten ("der für einen Kriegsfalle fest einplanbare Bündnispartner, den man sich in Paris so sehnlichst wünschte"). Außerdem gab es (ich bin arbeitsmäßig gerade nicht so weit und kann schlecht zitieren) eine französisch-russische Konvention (wohl von 1912) und die nicht zum Abschluss gekommene, in Deutschland aber bekannte britisch-russische Marinekonvention, die offensiven Charakter hatten.
Nicht zwangsläufig, vielleicht waren sie einfach nur zu ehrgeizig oder haben ihre Verhandlungsposition überschätzt. 1901 war die Tür noch nicht zu, die Haldane-Mission war ja erst 1912. Eher war es so, dass nach 1908 wo die feindliche Haltung der Russen klar war, die Bedenken gegen ein Bündnis mit GB wegfielen.
Deutschland versuchte ständig, diese "Politik der freien Hand" zu führen und zwischen allen möglichen Partnern zu lavieren. Damit machte es seinen Wert als Bündnispartner gröbst fahrlässig kaputt. Großbritannien zeigte durch seine Politik, dass es seine Probleme auch ohne deutsche Hilfe lösen konnte. Ich habe keinerlei Kenntnis von Sachverhalten, nach denen nach 1901 wirklich ein BÜNDNIS zwischen GB und D auf der Tagesordnung gestanden hätte.
Finde ich nicht plausibel. Deutschland hat den Krieg mit GB auf der Gegenseite riskiert, warum sollte es ihn mit GB als Verbündetem nicht riskieren wollen? GB hat Frankreich äußerst effektive Militärhilfe leisten können, wieso hätte das beim DR nicht gehen sollen?
Erstens mal war die britische Militärhilfe für Frankreich nicht so wirklich effektiv, zu mehr als einem Patt reichte es nicht, während das zaristische Russland gleichzeitig allmählich den Bach runterging. Zweitens sind auch Politiker und Militärs keine Propheten. Auch wenn man die britische Militärhilfe für Frankreich doch als "effektiv" einschätzen wollte, war das vor 1914 und für Deutschland keineswegs sicher zu erwarten. Drittens kämpft Deutschland gegen zwei Landmächte, da schätzt man die Unterstützung durch Seemächte eher gering ein. Viertens, trotz allen Säbelrasselns im Verlauf der Krisen sollte Deutschlands Politik vorrangig einen Krieg vermeiden. Die Überlegung, die Störung des Gleichgewichts (s.u.) infolge eines Bündnisses mit GB könnte einen verzweiflungsbedingten Präventivkrieg der Gegner auszulösen, wurde eben in Deutschland unternommen, war sie jetzt realistisch oder nicht. Fünftens hätte Deutschland im Siegfalle die Hegemonie über Europa errungen. Warum sollte sich Großbritannien (auf Dauer) damit abfinden?
Du unterstellst quasi, dass die Kriegsgefahr mit GB als Verbündetem höher gewesen wäre als mit GB als Gegner und dass die Deutschen deshalb vor einem Bündnis mit GB zurückgeschreckt wären. Das Risiko war aber mit GB im Feindeslager auf jeden Fall weit größer als andersrum.
D-ÖU einerseits und R-F andererseits bildeten ein äußerst festes militärisches Gleichgewicht. Vorausgesetzt, niemand Fünftes mischt sich ein. Das Gleichgewicht setzt also STRIKTESTE NEUTRALITÄT Großbritanniens voraus. Das Kriegsrisko ist also in beiden Fällen genau gleich groß, egal, für welches Lager sich Großbritannien entscheidet. Es hätte sich am besten ganz rausgehalten.
Das ist aus meiner Sicht ein rein theoretisches und unplausibles Szenario. Das hätte vorausgesetzt, dass das DR Russland erstmal industriell und militärisch nach vorne bringt und damit stärkt, im Vertrauen darauf, dass Russland seine neue Stärke nie gegen das DR einsetzt. Da war überhaupt keine Vertrauensbasis für da, um so eine Politik zu betreiben und selbst wenn, war die russische Regierung gar nicht stabil genug, um so was zu machen. Nach 20 Jahren kommt dann vielleicht die Revolution und das DR steht einer russ. Revolutionsregierung gegenüber.
Da hast Du sicher völlig recht. Was ich da mache, ist "was wäre, wenn" spielen. Ich gehe nun mal von den Überlegungen aus, dass die "Politik der freien Hand" in die Katastrophe geführt hat und ein Bündnis Deutschlands mit Großbritannien die Interessen beider Länder nicht bedient hätte. Was bleibt, wäre ein Bündnis mit Russland gewesen, so unrealistisch sich das auch darstellt. Dabei kommt mir auch noch Silesia zu Hilfe, in dem er sagt:
Die Angewiesenheit lag in erster Linie auf der russischen Seite.
Vernunft auf beiden Seiten vorausgesetzt hätte also durchaus was draus werden können. Aber auch diese Politik wäre nicht ohne Risiko gewesen. Möglicherweise würden wir heute dann über einen anderen Abgrund diskutieren als den, der sich 1914 aufgetan hat.
Grüße, Holger