Deutsche Aktivitäten zur Herbeiführung des russisch-japanischen Krieges 1904

Gibt es eigendlich ein etwas zusammenhängendes Fazit zum Thema?
Wenn ich das richtig sehe, ist nirgends den deutschen Aktivitäten (und der Beschreibung, wie die Vorteilhaftigkeit solcher Aktivitäten wahrgenommen wurde) widersprochen worden.

Dem parallelen Thema zu den britischen Aktivitäten ist zu entnehmen, dass solche aktuell nicht vorlagen, das jedoch das britisch-japanische Bündnis von 1902 die Konfrontation in gewisser Weise ermöglichte. Dass die Konfrontation gesucht wurde, war dem russisch-japanischen Zusammenstoß der Interessen in Fernost, zB Mandschurei/Korea, geschuldet, und wurde von imperialisitschen Ambitionen beider Mächte forciert.

Also nicht das ich die Diskussion unterbrechen möchte, aber es ist schwer aus den vielen tiefen sachlichen Beiträgen eine gewisse Linie zu filtern...
Im Moment erscheint mir als Roter Faden, dass zT sehr kontrovers über die Bündnispositionen und Ziele von GB, FRA, RUS und DR diskutiert wird. Dabei werden militärische, politische, ökonomische und gesellschaftliche Aspekte betrachtet.
 
Mit der Einkreisung wäre ich mir da nicht so sicher. Sicher, die treibenden Kräfte auf russischer Seite waren die Militärs um Obrucew. Allerdings hatten die Herren dabei eine "Abrechung" mit Österreich-Ungarn im Auge; am besten im Zuge eines deutsch-französischen Krieges.
Aber sie haben den Krieg gegen das DR dabei bewusst in Kauf genommen, d.h. wenn die Deutschen nicht bereit wären, ÖU fallen zu lassen würden sie auch zum Kriegsgegner. Es gab ja konkrete Absprachen mit Frankreich, gemeinsam gegen das DR militärisch vorzugehen.
Im Falle Frankreichs würde ich nicht von einer Einkreisung sprechen, die Franzosen wurden nach 1871 des öfteren von den Deutschen hart in die Zange genommen, waren also durchaus einer militärischen Bedrohung oder Pression ausgesetzt. Das gilt für Russland aber nicht.
Deutschlands Vorstellung war der Drei-Kaiser-Bund, also die Wahrung des Status-quo und das eigentlich durchgehend seit 1871. Das wollten die Russen aber nicht. Die "Einkreisung" war von russischer Seite nicht unmittelbar gegen das DR gerichtet aber mittelbar eben schon.

Zunächst einmal wurde auch versucht, den Geldbedarf in Deutschland zu decken, was mißlang. Bereits das ist eine Widerlegung der Vermutung.
Es hieß allerdings des öfteren hier im Forum, dass das DR die benötigten Geld auch ohne Bismarcks zeitweilige Blockade-Aktion gar nicht hätte zur Verfügung stellen können. Dass das DR Russland keine Kredite geben konnte oder auch wollte ist aber m.E. kein ausreichender Grund, dass ein Militärbündnis gegen das DR defensiver Natur ist.

Kennst Du die Verwendungsseite?
Was mit den Krediten gemacht wurde? Nicht im Detail. Aufrüstung, Industrialisierung, Eisenbahnbau (spez. die strat. Eisenbahnen in Polen). Industrialisierung und Aufrüstung gingen wohl auch Hand in Hand, in einem Buch über die russ. Revolution habe ich gelesen, dass die russ. Industrie bis 1914 vorrangig militärische Güter produzierte.

Der russisch-französische Pakt hat in politischer Hinsicht eine differenzierte Auslegung: aus russischer Sicht vorwiegend anti-britisch (Japan spielte dabei eine nicht sooo große Rolle 1890/92/94, jedenfalls bis zur Niederlage Chinas), aus französischer Sicht Absicherung gegen das Deutsche Reich.
Ähm, wenn der Zweiverband aus russ. Sicht antibritisch und nicht antideutsch war, dann hätten doch die Russen versucht die Entente zwischen GB und Frankreich zu hintertreiben.
 
Zuletzt bearbeitet:
El Mercenario schrieb:
Aber sie haben den Krieg gegen das DR dabei bewusst in Kauf genommen, d.h. wenn die Deutschen nicht bereit wären, ÖU fallen zu lassen würden sie auch zum Kriegsgegner.


Entscheidend war, das die Militärkonvention einen defensiven Charakter hatte. Wenn Russland alleine gegen Österreich-Ungarn wegen der andauerenden Balkanstreitigkeiten marschiert wäre, wäre Frankreich also zu nichts verpflichtet gewesen und an einer solchen Auseinandersetzung hatten die Franzmänner auch kein Interesse. Den Franzosen ging es darum, das die Russen an der Ostgrenze des Reichs standen und im Falle eines deutschen Angriffs sofort gegen Deutschland losschlugen.


E Mercenario schrieb:
Ähm, wenn der Zweiverband aus russ. Sicht antibritisch und nicht antideutsch war, dann hätten doch die Russen versucht die Entente zwischen GB und Frankreich zu hintertreiben.

Die Militärkonvention zwischen Frankreich und Russland wurde 1892 abgeschlossen und 1894 schließlich ratifiziert. Die Entente zwischen Grossbritannien und Frankreich wurde erst im Jahre 1904 begründet und hatte zunächst einen weltpolitischen Interessenausgleich primär in der Kolonialfrage zum Gegenstand. Die Franzosen haben haben weiter zielstrebig an einer Tripleentente gearbeitet und zwischen dem Zarenreich und Großbritannien vermittelt, was dann in dem Abkommen von 1907 einmündete. Die Position des Zarenreichs war dadurch so komfortabel geworden, das die Russen das Abkommen massiv nutzten und auch sehenden Auges immer wieder verstießen, da sie genau wußten, das die Briten dieses Abkommen dringend benötigten. So konnte das Zarenreich beispielsweise bequem in Persien "zur Sache" gehen. Auch in China legte man sich keine große Hemmungen auf.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es hieß allerdings des öfteren hier im Forum, dass das DR die benötigten Geld auch ohne Bismarcks zeitweilige Blockade-Aktion gar nicht hätte zur Verfügung stellen können. Dass das DR Russland keine Kredite geben konnte oder auch wollte ist aber m.E. kein ausreichender Grund, dass ein Militärbündnis gegen das DR defensiver Natur ist.
Das ist insoweit richtig, als die russische Finanzierung im Umfang der französischen durch die deutschen Kapitalmärkte nicht hätte gestemmt werden können. Dieser immense Bedarf war allerdings 1892 noch nicht sichtbar und wurde auch nirgends diskutiert.

Es ging mir im Übrigen nicht darum, der Finanzierung einen defensiven oder offensiven Charakter zuzuweisen: die Zuweisung an sich halte ich für fruchtlos, sie steht weder für das eine noch das andere.

Was mit den Krediten gemacht wurde? Nicht im Detail. Aufrüstung, Industrialisierung, Eisenbahnbau (spez. die strat. Eisenbahnen in Polen). Industrialisierung und Aufrüstung gingen wohl auch Hand in Hand, in einem Buch über die russ. Revolution habe ich gelesen, dass die russ. Industrie bis 1914 vorrangig militärische Güter produzierte.
Die Legende von den "speziell" strategischen Eisenbahnen wurde vom deutschen Generalstab schon 1882 verbreitet (das Steckenpferd des Generalstabes mit den Erfahrungen 1866). Jede Linie ist im Kriegsfall und entsprechender Lokalität "strategisch". Mit dieser Simplifizierung würde der deutsche Eisenbahnbau komplett (nicht nur wegen überlanger Bahnhöfe, sondern auch die rückwärtigen Strecken) der Kriegsvorbereitung dienen, was natürlich unsinnig ist.
Die Linien lagen auch in Rußland industriell, agrarbezogen und exportorientiert dort, wo sie hingehörten. Dazu ist lohnend, einen Blick auf die Auslandsbeteiligungen in Rußland, die Verteilung nach Lokalitäten und Branchen zu werfen.

Welche Linie soll dagegen überwiegend militärischen Charakter aufweisen, da dieser Aspekt immer gern hervorgehoben wird?

Ähm, wenn der Zweiverband aus russ. Sicht antibritisch und nicht antideutsch war, dann hätten doch die Russen versucht die Entente zwischen GB und Frankreich zu hintertreiben.
So einfach ist das wiederum nicht. Der errichtungszeitpunkt 1892/94 und 1904 sind insoweit nicht vergleichbar, als

- seit 1903 britisch-russische Fühler über einen umfassenden Interessenausgleich der Spannungsgebiete Persien/Afghanistan/Nordindien/ China bestanden, die mit französischer Unterstützung (und die versprach man sich ab 1904 auch auf der russischen Seite) 1907 in eine Regelung mündeten.

- 1892/1902 neben der frz.-russ. Verbindung die britisch-japanische Annäherung erfolgte, wofür dringend ein Gegengewicht benötigt wurde.
 
silesia schrieb:
Welche Linie soll dagegen überwiegend militärischen Charakter aufweisen, da dieser Aspekt immer gern hervorgehoben wird?

Orenburg -Taschkent

Dann die Linie Bologne über Velikie Luki und Polock nach Siedlce in Kongresspolen. Sinn war den russischen Aufmarsch zu verkürzen. Ich weiß aber jetzt nicht ob die Linie tatsächlich gebaut worden war; sie wurde aber immerhin zwischen den Generalstäben vereinbart.
 
Orenburg -Taschkent
Die betraf allerdings die Briten, aber egal. Welche bekannten ökonomischen Anknüpfungspunkte (Siedlungsschwerpunkte, Rohstoffe, Industrie, Agrarprodukte) hatte die Bahn?


Dann die Linie Bologne über Velikie Luki und Polock nach Siedlce in Kongresspolen. Sinn war den russischen Aufmarsch zu verkürzen. Ich weiß aber jetzt nicht ob die Linie tatsächlich gebaut worden war; sie wurde aber immerhin zwischen den Generalstäben vereinbart.
In die russischen Gebiete Polens flossen zugleich wesentliche Teile der industriellen Auslandsinvestitionen, hinzu kommen die russischen Investitionen.
 
Ich weiß nicht, ob die Problematik schonmal angesprochen wurde, aber welche Auswirkungen hatte der Boxeraufstand 1900 in China insgesamt auf die europischen Mächte, die hier zusammen militärisch handelten?

Gerade Deutschland und Großbritannien, aber auch Russland und Frankreich waren dabei. Gab es hier keine politische Wechselwirkung gerade im außenpolitischen Bezug der europäischen Teilnehmer?
 
Entscheidend war, das die Militärkonvention einen defensiven Charakter hatte. Wenn Russland alleine gegen Österreich-Ungarn wegen der andauerenden Balkanstreitigkeiten marschiert wäre, wäre Frankreich also zu nichts verpflichtet gewesen und an einer solchen Auseinandersetzung hatten die Franzmänner auch kein Interesse.
Aber der Zweiverband richtete sich doch gegen Deutschland und nicht gegen ÖU. Gegen ÖU konnte Frankreich mangels Zugang doch gar nicht helfen, ÖU war auch nicht eingekreist.

Welche Linie soll dagegen überwiegend militärischen Charakter aufweisen, da dieser Aspekt immer gern hervorgehoben wird?
Das weiß ich nicht. Angeblich kann man das erkennen, ob eine Eisenbahnlinie militärisch genutzt werden soll, am Kurvenradius, an der Maximalast der Brücken, an den langen Bahnhöfen. Ob da wirklich was dran ist kann ich nicht beurteilen.
 
El Mercenario schrieb:
Aber der Zweiverband richtete sich doch gegen Deutschland und nicht gegen ÖU. Gegen ÖU konnte Frankreich mangels Zugang doch gar nicht helfen, ÖU war auch nicht eingekreist.



Die Abmachungen der Militärkonvention richteten sich eigentlich gegen den Dreibund; auch wenn das Deutsche Reich sicher der stärkste Partner war. Hier grob die Abmachungen: Die Partner verpflichteten sich
  • zur sofortigen Mobilisierung wenn eine Dreibundmächte mobil macht,
  • zur Zusammenarbeit der Generalstäbe in Friedenszeiten,
  • Erkenntnisse der Geheimdienste werden dem Partner zugänglich gemacht und schließlich
  • kein Abschluss eines Separatfriedens.
silesia schrieb:
Die betraf allerdings die Briten, aber egal.


Weiß ich doch.:winke: Es ging mir nur darum, den Nachweis zu führen, das s eben solche Eisenbahnlinien gab. Außerdem passt es gut zu deiner These, das die Militärkonvention aus russischer Sicht eben auch stillschweigend gegen Großbritannien gerichtet war. Willkommener wirtschaftlicher Nebeneffekt dürfte die Verbindung des russischen mit dem zentralasiatischen Markt gewesen sein.
 
Ich weiß nicht, ob die Problematik schonmal angesprochen wurde, aber welche Auswirkungen hatte der Boxeraufstand 1900 in China insgesamt auf die europischen Mächte, die hier zusammen militärisch handelten?

Gerade Deutschland und Großbritannien, aber auch Russland und Frankreich waren dabei. Gab es hier keine politische Wechselwirkung gerade im außenpolitischen Bezug der europäischen Teilnehmer?

Genaugenommen kamen der Boxeraufstand und die damit verbundene militärische Intervention dem Deutschen Reich höchst ungelegen, denn die Haushaltslage war aufgrund des Flottenrüstens angespannt. Die Aktion sollte möglichst zügig über die Bühne gehen.
Das Deutsche Reich hatte sich im Oktober 1900 in sogenannten Yangtsevertrag mit Großbritannien darüber geeinigt, dass Chinas territoriale Integrität zu wahren sei. Des Weiteren vereinbarte man das open-door Prinzip für die chinesischen Häfen. Andere Mächte wurden eingeladen sich dem Abkommen anzuschließen. Die Briten dürften u.a. mit dem Abkommen die Absicht verfolgt haben, sie stritten sich zu jener Zeit lebhaft mit dem Russen über die Eisenbahnlinie Schanghaignan und Peking, die Deutschen vorsichtig in Stellung gegen Russland zu bringen. Das ist ihnen ja auch gelungen, denn diese Vereinbarung enthält ja eine eindeutige antirussische Spitze. Die Russen waren geradedabei sich in der Mandschurei festzusetzten. Entsprechend begeistert war man in Petersburg. Der deutsche Botschafter in Petersburg, Radolin, der über die neusten Tendenzen der deutschen Außenpolitik nicht entsprechend instruiert worden war, war reichlich irritiert. Er beklagte sich, das er von diesem Abkommen aus der Zeitung Kenntnis erhalten habe. Das nennt man professionelle Außenpolitik! Das Abkommen hat natürlich Wasser auf die Mühlen der antideutschen Kreise in Russland gegossen. Aber auch innenpolitisch war das Abkommen nicht unumstritten. Man malte das Gespenst des Zweifrontenkrieges an die Wand.
 
Weiß ich doch.:winke: Es ging mir nur darum, den Nachweis zu führen, das s eben solche Eisenbahnlinien gab. Außerdem passt es gut zu deiner These, das die Militärkonvention aus russischer Sicht eben auch stillschweigend gegen Großbritannien gerichtet war. Willkommener wirtschaftlicher Nebeneffekt dürfte die Verbindung des russischen mit dem zentralasiatischen Markt gewesen sein.

Dazu passen einige Angaben aus der Habilitationsschrift von Joachim Mai, die sich auf das russische Eisenbahnwesen beziehen.

Die wesentlichen Strecken bis 1894 finanzierte der deutsche Kapitalmarkt, mit gezeichneten Emissionen von rd. 1 Mrd. Mark bis 1894. Darunter befanden sich die Strecken nach Fernost, die Anbindung des Kaukasus, sowie die Anbindung von Moskau/Pertersburg nach Westen und insbesondere die Südwest-Bahnen mit den Anschlüssen zum Balkan.

Diese Emissionen wurden über die bekannten deutschen Bankhäuser abgewickelt, wobei erst nach umfangreichen Aufkäufen durch den russischen Staat seit den 1880ern rund 1/3 der Eisenbahnlinien in staatlicher Hand waren, der Rest zT auch über Auslands-Beteiligungen kontrollierte private Eisenbahngesellschaften.

Die ersten Jahre im Zweiverband führten dazu, dass es zu Umfinanzierungen kam, in dessen Verlauf rund 500 Mio. Mark (bzw. Gegenwert in Rubel) der bestehenden Bahnen auf französisches Kapital umgeschuldet wurde. Dieses führte zu beachtlichen Zinsabsenkungen, da das frz. Geld billiger zu bekommen war.

Daraus würde ich schließen, dass die wesentlichen Streckenführungen bis 1894 ökonomisch indiziert waren, und zugleich auch militärische Interessen (zB nach dem Transportproblemen des Kaukasus-Krieges 1877/78) hinzutraten. Dieses dürfte auch ein Auslöser für die staatlichen Aufkäufe bestehender Eisenbahngesellschaften mit ihren betriebenen Linien gewesen sein. Die Grundlage für die "sensiblen" Strecken nach Westen, Südwesten, Kaukasus und Fernost legten allerdings die deutschen Auslandsinvestitionen, und das war gemäß Kartenlage um 1880 bereits deckend im Westen. Um 1900 stammten 2/3 der Lokomotiven aus deutschen Lieferungen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier grob die Abmachungen: Die Partner verpflichteten sich
  • zur sofortigen Mobilisierung wenn eine Dreibundmächte mobil macht
Allerdings hat Frankreich nicht mobil gemacht als ÖU 1914 die Mobilmachung angeordnet hat. De facto ging es m.E. beim Zweiverband um die gemeinsame Kriegführung gegen das DR nicht gegen den Dreibund.
 
Allerdings hat Frankreich nicht mobil gemacht als ÖU 1914 die Mobilmachung angeordnet hat.

Was wiederum mit dem Taktieren Poincares zu tun hatte, der die französische Mobilmachung - gleichbedeutend mit dem Automatismus zum Großen Europäischen Krieg - herauszögerte bis zur deutschen Mobilmachung. Genau aus dem Grund wurde von französischer Seite versucht, die russische Teilmobilmachung zurückzudrehen, die zu einem Zeitpunkt X definitiv den deutschen Feldzugplan und damit die deutsche Mobilisierung auslösen musste.

Der Hintergrund liegt also im Zusammenspiel von Bündnissystemen und Mob-Bedingungen/Operationsplanungen, somit in der speziellen Situation der Julikrise.

Schmidt, Frankreichs Aussenpolitik in der Julikrise 1914 (Die Endphase der Julikrise/Französische Mobilmachung).
 
Der Zeitraum über den in diesem Thread diskutiert wurde und wird, ist weiter gefasst.
Selbst wenn das Missverständnis bei mir liegen sollte, und ich mich wiederhole, zwischen 1890 und 1905 hatte die Welt sich weitergedreht. Mit der Attraktivität Deutschlands als Bündnispartner für Russland, die 1890 noch bestanden hat, war es 1905 dahin. Deshalb sind Rückgriffe auf den Rückversicherungsvertrag aus der Situation von 1905 heraus nicht produktiv.

Aha, jetzt wäre also Großbritannien für das Deutsche Reich als Bündnispartner nicht interessant.
Merkwürdig ist dabei nur, das die damaligen Akteuere das durchaus anders betrachtet hatten. Das Deutsche Reich hat durchaus Interesse an einem Bündnis mit Großbritannien gehabt, es wollte "lediglich" den Preis dafür für Großbritannien in unerschwingliche Höhen treiben. So weit zumindest die kurze Version.
Über den Sinn eines Bündnisses mit Großbritannien mag man sich streiten. Wenn die Deutschen den Preis dermaßen hoch treiben wollten, zeigt das doch, wie wenig sie das Bündnis im Grunde schätzten. Aber ab 1901 war diese Tür bereits zu, und die Politik Großbritanniens sollte sich immer mehr gegen Deutschland richten.

Für Frankreich wäre es beispielsweise alles andere als angenehm gewesen, die Briten in ihrem Rücken als potenziellen Gegner zu wisssen. Dann waren da noch die ganzen anderen Reibungsflächen, vor allem in Afrika. Und das sollte keine Entlastung an der deutschen Westgrenze ermöglichen.
Die Franzosen hatten 1898 in Faschoda nachgegeben und in Form der Entente cordiale sich mit GB kolonial verständigt. Diese Reibungsflächen spielten damit keine Rolle mehr. Man konnte sich somit französischerseits voll auf den Gegensatz zu Deutschland konzentrieren.

Das Zarenreich hatte noch mehr Brennpunkte mit Großbritanien.
Die waren wieder mit der Konvention über Persien, wo Du selbst die französische Mitwirkung zitierst, weitestgehend vom Tisch. Russland konzentrierte sich in der Folge auf seine Balkaninteressen, wo ein Zusammenstoß mit Österreich-Ungarn und damit Deutschland wenn nicht vorprogrammiert, dann doch mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.

Eine klug agierende deutsche Außenpolitik hätte es verstanden, ist ja schließlich auch eine Frage der schriftlichen Abmachungen, sich nicht von Großbritannien, schon gar nicht in die erste Linie, vorschieben zu lassen.
Hypothetisch. Weiteres siehe gleich zu El Mercenario.

Erstens hätte ein Bündnis mit GB das DR durchaus von einem Zweifrontenkrieg geschützt. Frankreich hätte keinen Krieg gegen den Zweibund riskiert, wenn England auf der Gegenseite steht. Dazu kommt, dass GB den Deutschen Zugriff auf Kolonien gewähren konnte.
Andersrum wird ein Schuh draus. Kein Bündnis mit einer Seemacht hätte die geographische Einklemmungssituation Deutschlands zwischen Frankreich und Russland beseitigen können. Die absehbare Unterlegenheit des R-F-Bündnisses hätte die beiden auch noch zu einem Präventivkrieg reizen können. Ob GB und USA Deutschland effektive Militärhilfe hätten leisten können, ist fraglich. Eine Handelsblockade wie im Ersten Weltkrieg hätte es unter diesen Umständen zwar nicht gegeben. Aber selbst wenn Deutschland aus dieser Auseinandersetzung siegreich hervorgegangen wäre, gab es deutscherseits kein Interesse, sie in einer Form zu riskieren, wo GB und USA nichts, Deutschland aber alles verlieren konnte. Der Zugriff auf Kolonien wäre für Deutschland auch so nicht kriegsentscheidend geworden.

Aber die von mir aufgezählten möglichen Kriege oder auch andere Maßnahmen die Russland ergriffen hätte, um seine imperialen Interessen zu fördern, wären doch gerade solche besonderen Randereignisse gewesen.
Ich sehe das so, dass in die zahlreichen Krisen vor 1914 bewusst mit der Annahme hineingegangen wurde, dass es eben keinen Krieg gibt. Nur dann meinte man, sich dieses Pressionsspiel überhaupt leisten zu können. Erst 1914 sollte sich das ändern. Da war die mittelfristige Sicherheit der Grenzen dann tatsächlich dahin.

Nichts davon war soweit ich informiert bin, in der russ. Führung auch nur angedacht. Russland wollte weder einen deutsch-franz. Ausgleich noch einen Interessenausgleich mit ÖU, im Gegenteil. Geschweige denn deutsche Kolonien im eigenen "Interessengebiet". Schon über die Annektion von Kiaoutschou waren die Russen alles andere als erfreut.
Was Du sagst ist sicher sachlich richtig. Ich habe aber von der hypothetischen Möglichkeit einer deutsch-russischen imperialen Abstimmung geredet. Dass hierfür die Phantasie zu schwach und die gegenseitigen Ressentiments zu stark waren, ist klar.

Das bezweifle ich, Deutschland konnte seine Rohstoffe ganz einfach aus Übersee besorgen und Arbeitskräfte konnte (und hat) es nach Bedarf aus Polen, Italien, vom Balkan, usw. importiert.
Auch das ist sachlich richtig, lässt aber mein Szenario außer acht. Die Nutzbarmachung russischer Ressourcen und die Modernisierung der russischen Wirtschaft im deutschen Sinne ist ohne die Gestellung russischer Arbeitskräfte nicht denkbar. Polen gelten in dieser Konstellation sowieso nicht als "Ausländer", Balkanbewohner zum mindestens großen Teil auch nicht. Außerdem geht es um eine mögliche Kriegssituation, in der diese Konstellation einen "blockadefesten Raum" zumindest ansatzweise ermöglicht. Die Auswirkungen der britischen Seeblockade im Ersten Weltkrieg sind doch wohl klar.

Im Falle Frankreichs würde ich nicht von einer Einkreisung sprechen,
Siehe unten zu Turgot.

Die Franzosen haben haben weiter zielstrebig an einer Tripleentente gearbeitet und zwischen dem Zarenreich und Großbritannien vermittelt, was dann in dem Abkommen von 1907 einmündete.
Und das soll keine Einkreisungspolitik sein? Oder nicht wenigstens ein tragender Teil davon?

Hast du etwas gegen Franz Josef?
Sagen wir's mal so: De mortuis nihil nise bene... Zu seiner Anhängerschaft habe ich jedenfalls nie gezählt.:scheinheilig:

Grüße, Holger
 
Selbst wenn das Missverständnis bei mir liegen sollte, und ich mich wiederhole, zwischen 1890 und 1905 hatte die Welt sich weitergedreht. Mit der Attraktivität Deutschlands als Bündnispartner für Russland, die 1890 noch bestanden hat, war es 1905 dahin. Deshalb sind Rückgriffe auf den Rückversicherungsvertrag aus der Situation von 1905 heraus nicht produktiv.
Sagen wir mal so: Für jemanden, der sich intensiver mit den Forschungsergebnissen zur diplomatischen, militärischen und ökonomischen Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges 1871/1914 beschäftigt, wirkt diese Aussage grotesk.

Wenn es eine Attraktivität als Bündnispartner für Rußland gab nach der fernöstlichen Katastrophe und der militärische Schwäche, dann 1905 (wie auch in der vorschnellen Unterschrift in Björkö sichtbar wird). Die letztlich unterlegene germanophile/anglophobe Fraktion der Militär/Diplomaten/Innenpolitiker in Rußland hat genau mit dieser Ratio argumentiert.

Über den Sinn eines Bündnisses mit Großbritannien mag man sich streiten. Wenn die Deutschen den Preis dermaßen hoch treiben wollten, zeigt das doch, wie wenig sie das Bündnis im Grunde schätzten. Aber ab 1901 war diese Tür bereits zu, und die Politik Großbritanniens sollte sich immer mehr gegen Deutschland richten.
Der Stand der Forschung ist der, dass es zur Koexistenz und Entspannung zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich in kolonial/imperialistischen Fragen nach 1904/14 gekommen ist.

1914 gab es quasi keinen ernsthaften imperialen Reibungspunkt außer den deutschen Ambitionen gegen die britisch/russischen Positionen im Osmanischen Reich/Bagdadbahn, wo man sich zwischen die Stühle der Platzhirsche setzte. "ab 1901 =Tür zu" simplifiziert die Abläufe ab diesem Zeitpunkt. Auch hier ist zu empfehlen, sich den Forschungsstand der letzten 40 Jahre anzusehen. Um den Unsinn "Großbritannien immer mehr gegen Deutschlands" zu erkennen und zu widerlegen, lohnt es sich, die Zusammenarbeit in der Balkankrise 1912/13 sowie die britische Positionierung in den Liman-von-Sanders-Krise anzusehen und gegen die Konfrontation in der 2.Marokko-Krise 1911 scharf abzugrenzen.

Die Franzosen hatten 1898 in Faschoda nachgegeben und in Form der Entente cordiale sich mit GB kolonial verständigt. Diese Reibungsflächen spielten damit keine Rolle mehr. Man konnte sich somit französischerseits voll auf den Gegensatz zu Deutschland konzentrieren.
Soweit hier eine offensive Politik oder auf den Wechsel offensiver Militärpläne gegen Deutschland ab 1904 suggeriert werden soll (ich wüßte nicht, welchen andere Zielrichtung die Aussage haben sollte, mag mich aber irren), ist das falsch.

Der militärische Schwenk kam erst 1912 zum Plan XVII und ist aktuellen Entwicklungen geschuldet, wie an dem fortgeschriebenen Status 1904/11 leicht ablesbar ist. Dazu später mehr. Politisch war weder Italien (Vertragssystem von 1902) noch Großbritannien zuverlässig (Briefwechsel von 1912 - mit klar von den französischen Hoffnung und der russischen Reproduktion durch Sasonow abweichenden britischen Interpretation - siehe Schmidt, Frankreichs außenpolitik in der Julikrise 1914, S. 150).

Die Schwäche der frz. Armee hatte sich in der Agadir-Krise klar erwiesen. 1911/14 verfolgte man daher eine Politik der Vorleistungen gegen Rußland. So rückte - dafür gibt es konflikttheoretische Studien - über das für Frankreich relativ bedeutungslose Serbien der Balkankonflikt in den frz. Fokus (wohlgemerkt: als Getriebener, nicht als Akteur). Krummeich (Aufrüstung und Innenpolitik) spricht wegen dieser permanenten Vorleistungspolitik von einer "Politik am Abgrund". Konzentration hätte dagegen eine Neutralisierungspolitik ermöglicht, also das genaue Gegenteil der Aussage.
 
Die waren wieder mit der Konvention über Persien, wo Du selbst die französische Mitwirkung zitierst, weitestgehend vom Tisch. Russland konzentrierte sich in der Folge auf seine Balkaninteressen, wo ein Zusammenstoß mit Österreich-Ungarn und damit Deutschland wenn nicht vorprogrammiert, dann doch mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.[1]

Andersrum wird ein Schuh draus. Kein Bündnis mit einer Seemacht hätte die geographische Einklemmungssituation Deutschlands zwischen Frankreich und Russland beseitigen können. [2]

Die absehbare Unterlegenheit des R-F-Bündnisses hätte die beiden auch noch zu einem Präventivkrieg reizen können. [3]

zu 1.
Wiederholungen machen die Aussage nicht richtiger. Nochmals zum Nachlesen:
Neilsson, Keith: Britain and the Last Tsar - British Policy and Russia 1894 - 1917
Siegel, Jennifer: Endgame - Britain, Russia and the Final Struggle for Central Asia
Steiner/Neilson: Britain and the Origins of the First World War
Gatrell, Peter: Government, Industry and Rearmament in Russia 1900-1914

Die Konvention/Interessenregelung GB/RUS im Mittleren und Fernen Osten stand 1914 kurz vor dem Kollaps.

zu 2.
Der rein theoretische, militärisch-politische Wert eines britischen Bündnisses bestand 1892/1914 für das Deutsche Reich in der Neutralisation Frankreichs durch den Umstand, dass eine globale Konfrontation für Frankreich mit Großbritannien nicht möglich war. Das ist der Kern der Faschoda-Krise und des frz. Einlenkens.

zu 3.
Abgesehen davon, dass die französischen Militärpläne bis zur 2. Marokko-Krise (und dem anschließenden Plan XVII) defensiv waren:
Wann soll denn die reale Situation für solche Präventivkriegsgedanken
a) in Frankreich
b) in Rußland
zwischen 1894 und Juni 1914 vorgelegen haben? 1911 - beim Wechsel von Plan XVI zu Plan XVII - betrug die rechnerische Überlegenheit an der frz. Ostfront 1,08:1, mit dem BEF und einigen (gerechnet: 6) aktiven deutschen Divisionen mehr im Osten statt im Westen 1,2 bis 1,3:1. Das reicht für keine Offensive, da dieses "Mehr" auf frz. Seite durch die Reservedivisionen - mit vermindertem Kampfwert nach Papierlage - künstlich hochgerechnet wurde.

Mit den Fakten hat das nichts mehr zu tun, wie die Einschätzungen Frankreichs 1905 (1. Marokkokrise) und 1911 (2. Marokkokrise) klar belegen.
 
HolgerXX schrieb:
Und das soll keine Einkreisungspolitik sein? Oder nicht wenigstens ein tragender Teil davon?

Eine Einkreisungspolitik, die du hier sehem möchtest, impliziert eine offensive Ausrichtung. Fakt ist aber, das die Militärkonvention von 1892/94 rein defensiver Natur war und der sogenannte Interessenausglich von 1907 zwischen Großbritannien und dem Zarenreich ebenfalls. Des Weiteren ist , auch in der Forschung, die weiterhin schwellenden Gegensätze zwischen Russland und Großbritannien ganz allgemein bekannt und anerkannt. Diese Tatsache solltest du einfach zur Kenntnis nehmen.

Siehe dir deshalb doch einfach einmal nur die Vorgänge in Persien, China und dem Orient nach 1907 an. Grey hatte sehr große Schwierigkeiten das Festhalten an der Überinkungt mit dem Russen in der britischen Öffentlichkeit bzw. Unterhaus überhaupt zu rechtfertigen. Die Stimmen, die einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich forderten, wurden immer lauter.

HolgerXX schrieb:
Selbst wenn das Missverständnis bei mir liegen sollte, und ich mich wiederhole, zwischen 1890 und 1905 hatte die Welt sich weitergedreht. Mit der Attraktivität Deutschlands als Bündnispartner für Russland, die 1890 noch bestanden hat, war es 1905 dahin. Deshalb sind Rückgriffe auf den Rückversicherungsvertrag aus der Situation von 1905 heraus nicht produktiv.

Wie oft wollen wir das eigentlich noch durchkauen?

HolgerXX schrieb:
Über den Sinn eines Bündnisses mit Großbritannien mag man sich streiten. Wenn die Deutschen den Preis dermaßen hoch treiben wollten, zeigt das doch, wie wenig sie das Bündnis im Grunde schätzten. Aber ab 1901 war diese Tür bereits zu, und die Politik Großbritanniens sollte sich immer mehr gegen Deutschland richten.

Ganz schlicht: Nein! Siehe auch u.a. meine Zeilen weiter oben. Des Weiteren ist beispielsweise der britische Kriegsminister Lord Haldane 1912 nicht zu seinem Privatvergnügen nach Berlin gekommen. Das hatte Gründe. Erwähneswert ist auch die Zusammenarbeit während der Balkankrisen 1912/13.

HolgerXX schrieb:
Die waren wieder mit der Konvention über Persien, wo Du selbst die französische Mitwirkung zitierst, weitestgehend vom Tisch. Russland konzentrierte sich in der Folge auf seine Balkaninteressen, wo ein Zusammenstoß mit Österreich-Ungarn und damit Deutschland wenn nicht vorprogrammiert, dann doch mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.

Nein, das waren sie eben nicht und wenn nur sehr vorgergründig. Wie schon gesagt, hilft hier eine vertiefende Auseinandersetzung der weiteren Entwicklungen in Persien, beispiehaft sind u.a. die Vorgänge in der neutralen Zone, den Personen Mohammed Ali Mirza oder Morgan Shusters oder die russische Bombardierung der Moschee von Meschhed etc.etc., China und des Orients weiter.

HolgerXX schrieb:
Die Franzosen hatten 1898 in Faschoda nachgegeben und in Form der Entente cordiale sich mit GB kolonial verständigt. Diese Reibungsflächen spielten damit keine Rolle mehr. Man konnte sich somit französischerseits voll auf den Gegensatz zu Deutschland konzentrieren

Die Entente kam erst 1904 zustande und war zunächst einmal "nur"ein weltweiter kolonialer Interessenausgleich der vertragsschließenden Mächte. Nicht mehr! Alles andere hat sich erst im Verlauf der Jahre entwickelt und vor allem, es gab keine verbriefte Zusage Großbritanniens an der Seite Frankreichs in einem eventuellen Krieg einzutreten. Großbritannien war eben nicht der für einen Kriegsfalle fest einplanbare Bündnispartner, den man sich in Paris so sehnlichst wünschte. Nicht umsonst haben die Briten die Franzosen in der Julikrise lange Zeit "im Regen stehen lassen". Die militärisch offenisive Komponente hat vollkommen gefehlt und somit ist deine Aussage nicht zutreffend.
 
Zuletzt bearbeitet:
Über den Sinn eines Bündnisses mit Großbritannien mag man sich streiten. Wenn die Deutschen den Preis dermaßen hoch treiben wollten, zeigt das doch, wie wenig sie das Bündnis im Grunde schätzten. Aber ab 1901 war diese Tür bereits zu, und die Politik Großbritanniens sollte sich immer mehr gegen Deutschland richten.
Nicht zwangsläufig, vielleicht waren sie einfach nur zu ehrgeizig oder haben ihre Verhandlungsposition überschätzt. 1901 war die Tür noch nicht zu, die Haldane-Mission war ja erst 1912. Eher war es so, dass nach 1908 wo die feindliche Haltung der Russen klar war, die Bedenken gegen ein Bündnis mit GB wegfielen.


Andersrum wird ein Schuh draus. Kein Bündnis mit einer Seemacht hätte die geographische Einklemmungssituation Deutschlands zwischen Frankreich und Russland beseitigen können. Die absehbare Unterlegenheit des R-F-Bündnisses hätte die beiden auch noch zu einem Präventivkrieg reizen können. Ob GB und USA Deutschland effektive Militärhilfe hätten leisten können, ist fraglich. Eine Handelsblockade wie im Ersten Weltkrieg hätte es unter diesen Umständen zwar nicht gegeben. Aber selbst wenn Deutschland aus dieser Auseinandersetzung siegreich hervorgegangen wäre, gab es deutscherseits kein Interesse, sie in einer Form zu riskieren, wo GB und USA nichts, Deutschland aber alles verlieren konnte.
Finde ich nicht plausibel. Deutschland hat den Krieg mit GB auf der Gegenseite riskiert, warum sollte es ihn mit GB als Verbündetem nicht riskieren wollen? GB hat Frankreich äußerst effektive Militärhilfe leisten können, wieso hätte das beim DR nicht gehen sollen?
Du unterstellst quasi, dass die Kriegsgefahr mit GB als Verbündetem höher gewesen wäre als mit GB als Gegner und dass die Deutschen deshalb vor einem Bündnis mit GB zurückgeschreckt wären. Das Risiko war aber mit GB im Feindeslager auf jeden Fall weit größer als andersrum.

Die Nutzbarmachung russischer Ressourcen und die Modernisierung der russischen Wirtschaft im deutschen Sinne ist ohne die Gestellung russischer Arbeitskräfte nicht denkbar.
Das ist aus meiner Sicht ein rein theoretisches und unplausibles Szenario. Das hätte vorausgesetzt, dass das DR Russland erstmal industriell und militärisch nach vorne bringt und damit stärkt, im Vertrauen darauf, dass Russland seine neue Stärke nie gegen das DR einsetzt. Da war überhaupt keine Vertrauensbasis für da, um so eine Politik zu betreiben und selbst wenn, war die russische Regierung gar nicht stabil genug, um so was zu machen. Nach 20 Jahren kommt dann vielleicht die Revolution und das DR steht einer russ. Revolutionsregierung gegenüber.
 
Sagen wir mal so: Für jemanden, der sich intensiver mit den Forschungsergebnissen zur diplomatischen, militärischen und ökonomischen Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges 1871/1914 beschäftigt, wirkt diese Aussage grotesk.

Wenn es eine Attraktivität als Bündnispartner für Rußland gab nach der fernöstlichen Katastrophe und der militärische Schwäche, dann 1905 (wie auch in der vorschnellen Unterschrift in Björkö sichtbar wird). Die letztlich unterlegene germanophile/anglophobe Fraktion der Militär/Diplomaten/Innenpolitiker in Rußland hat genau mit dieser Ratio argumentiert.

Wer trägt denn mit zweifelhaften diplomatischen Noten zum Ausbruch des Russisch-Japanischen Krieges bei, wie Du das selbst hier so virtuos darstellst? Wer ist denn nicht in der Lage, in diesem Krieg effektive Hilfe für Russland zu leisten? Wer nötigt Russland denn unter Ausnutzung der Kriegssituation ein dort äußerst unbeliebtes Handelsabkommen auf? Mit so ene fiese Möp soll Russland sich verbünden? Kein Wunder unterlag die germanophile/anglophobe Fraktion.


Der Stand der Forschung ist der, dass es zur Koexistenz und Entspannung zwischen Großbritannien und dem Deutschen Reich in kolonial/imperialistischen Fragen nach 1904/14 gekommen ist.

Koloniale Expansion war für Deutschland zu dem Zeitpunkt schon längst nicht mehr drin, sieht man mal vom lächerlichen Ergebnis der Zweiten Marokkokrise ab, insofern konnten sich gar keine neuen Reibungspunkte mit Großbritannien ergeben. Die deutsche Flottenrüstung, die in Großbritannien zur Riesen-Bedrohung hochgeschrieben wurde, und die Krisen bis 1911, wo GB regelmäßig gegen D Partei nahm, zeigen, dass von Entspannung keine Rede sein kann.


1914 gab es quasi keinen ernsthaften imperialen Reibungspunkt außer den deutschen Ambitionen gegen die britisch/russischen Positionen im Osmanischen Reich/Bagdadbahn, wo man sich zwischen die Stühle der Platzhirsche setzte. "ab 1901 =Tür zu" simplifiziert die Abläufe ab diesem Zeitpunkt. Auch hier ist zu empfehlen, sich den Forschungsstand der letzten 40 Jahre anzusehen. Um den Unsinn "Großbritannien immer mehr gegen Deutschlands" zu erkennen und zu widerlegen, lohnt es sich, die Zusammenarbeit in der Balkankrise 1912/13 sowie die britische Positionierung in den Liman-von-Sanders-Krise anzusehen und gegen die Konfrontation in der 2.Marokko-Krise 1911 scharf abzugrenzen.

Diese Aussagen sind sicher richtig. Das Problem ist nur, dass man sich seitens der Mittelmächte 1914 auf eine erneute Vermittlung Londons verließ. Die dann aber verweigert wurde. Ich spreche auch die ganze Zeit nicht von Kontakten, Verhandlungen, Entspannungsbemühungen und dergleichen. Ich spreche von einem BÜNDNIS zwischen Großbritannien und Deutschland, und das stand seit 1901 nie mehr zur Debatte.


Soweit hier eine offensive Politik oder auf den Wechsel offensiver Militärpläne gegen Deutschland ab 1904 suggeriert werden soll (ich wüßte nicht, welchen andere Zielrichtung die Aussage haben sollte, mag mich aber irren), ist das falsch.

Suggeriert werden soll, dass Frankreich mit keiner anderen bedeutenden Macht außer Deutschland nach 1904 imperiale Gegensätze auszutragen brauchte, was die starke Position Frankreichs in den beiden Marokkokrisen und die diplomatischen Niederlagen bzw. Pyrrhussige Deutschlands erklärt


Konzentration hätte dagegen eine Neutralisierungspolitik ermöglicht, also das genaue Gegenteil der Aussage.

Verstehe ich nicht.


zu 1.Nochmals zum Nachlesen:
zu 1.Die Konvention/Interessenregelung GB/RUS im Mittleren und Fernen Osten stand 1914 kurz vor dem Kollaps.

Ich habe nie behauptet, dass die Triple-Entente in sich spannungsfrei war. Der "bevorstehende Kollaps" trat dann schließlich nicht ein. Er war russischerseits auch nur als Druckmittel gedacht, um die Marinekonvention zum Abschluss zu bringen, die aus deutscher Sicht die Vollendung der Einkreisung darstellte. Ich möchte ja jetzt nicht Mao zitieren, aber noch mehr Lektüre dürfte an meiner Position auch nicht mehr viel ändern.


zu 2. Der rein theoretische, militärisch-politische Wert eines britischen Bündnisses bestand 1892/1914 für das Deutsche Reich in der Neutralisation Frankreichs

Eine "Neutralisation Frankreichs" durch ein Bündnis Deutschlands mit Großbritanniens war nicht erreichbar, weil ab 1892 ein Bündnis Frankreichs mit Russland bestand.


durch den Umstand, dass eine globale Konfrontation für Frankreich mit Großbritannien nicht möglich war. Das ist der Kern der Faschoda-Krise und des frz. Einlenkens.

Nicht zwangsläufig. Auch Frankreich hätte den "Kontinentalblock"-Gedanken aufgreifen und die Konfrontation mit Großbritannien weiter suchen können. Es definierte seine Interessen aber anders.


zu 3.Abgesehen davon, dass die französischen Militärpläne bis zur 2. Marokko-Krise (und dem anschließenden Plan XVII) defensiv waren:
Wann soll denn die reale Situation für solche Präventivkriegsgedanken a) in Frankreich b) in Rußland zwischen 1894 und Juni 1914 vorgelegen haben?

Gab es nicht, weil ein Bündnis Deutschlands mit Großbritannien nicht zustande kam.


Mit den Fakten hat das nichts mehr zu tun

Zahlenspiele haben ihre eigene Logik oder Unlogik. Ich behaupte, dass Überlegungen eines russisch-französichen Präventivkrieges gegen Deutschland im Fall eines Bündnisses Deutschlands mit Großbritannien angestellt wurden, und diese Möglichkeit daher auf deutscher Seite kühl behandelt wurde. Außerdem: Sah Großbritannien nicht Deutschland als imperialen Hauptgegner an? Suchte nicht Großbritannien Ausgleich mit jedermann, nur nicht mit Deutschland? (ich weiß, jetzt kommt gleich wieder 1912/13) Welche koloniale Expansion hätte Großbritannien Deutschland denn anbieten können? Oder wollen? Und hätte die britische Presse jedes neue deutsche Kriegsschiff mit Schlagzeilen wie "Hach, was wieder für ein toller Schlachtkreuzer!" feiern sollen?


Eine Einkreisungspolitik, die du hier sehem möchtest, impliziert eine offensive Ausrichtung.

Das ist zunächst nicht richtig. Man denke an das "Containment" von USA und Verbündeten gegenüber der Sowjetunion (die das allerdings als offensiv bewertete, bis "Topas" ihr das ausreden konnte). Es muss streng genommen auch gar keine militärische Implikation dabei sein, ein "du darfst nicht mehr mit uns spielen" könnte zur Isolation auch schon genügen. Im vorliegenden Fall ist es aber tatsächlich so, dass die zunächst einmal als Interessenausgleich gedachten Vereinbarungen im Laufe der Zeit immer mehr einen offensiven Charakter annahmen. S.u. mehr.


Des Weiteren ist , auch in der Forschung, die weiterhin schwellenden Gegensätze zwischen Russland und Großbritannien ganz allgemein bekannt und anerkannt. Diese Tatsache solltest du einfach zur Kenntnis nehmen.

Siehe dir deshalb doch einfach einmal nur die Vorgänge in Persien, China und dem Orient nach 1907 an. Grey hatte sehr große Schwierigkeiten das Festhalten an der Überinkungt mit dem Russen in der britischen Öffentlichkeit bzw. Unterhaus überhaupt zu rechtfertigen. Die Stimmen, die einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich forderten, wurden immer lauter.

Nein, das waren sie eben nicht (...die Spannungen innerhalb der Triple-Entente...)und wenn nur sehr vorgergründig. Wie schon gesagt, hilft hier eine vertiefende Auseinandersetzung der weiteren Entwicklungen in Persien, beispiehaft sind u.a. die Vorgänge in der neutralen Zone, den Personen Mohammed Ali Mirza oder Morgan Shusters oder die russische Bombardierung der Moschee von Meschhed etc.etc., China und des Orients weiter.

Ich nehme diese Tatsachen sehr wohl zur Kenntnis. Interessant ist nur, dass Du Grey erwähnst. Es gelang ihm schließlich, Großbritannien auf anti-deutschem Kurs zu halten.


Wie oft wollen wir das eigentlich noch durchkauen?

Silesia (s. ganz oben) und Du ziehen für die Situation von 1905 ständig den Rückversicherungsvertrag aus der Tasche. Ich sage dagegen, das geht so nicht. Es liegt an Euch, wie oft Ihr diesen hinkenden Vergleich wiederholen wollt.


Ganz schlicht: Nein! Siehe auch u.a. meine Zeilen weiter oben. Des Weiteren ist beispielsweise der britische Kriegsminister Lord Haldane 1912 nicht zu seinem Privatvergnügen nach Berlin gekommen. Das hatte Gründe. Erwähneswert ist auch die Zusammenarbeit während der Balkankrisen 1912/13.

Verhandlungen, Entspannungsbemühungen, aber KEINE Vorbereitung eines Bündnisses! Im Übrigen könnte Haldane die Berliner Luft, Luft, Luft ganz gut gefallen haben (*WITZ*).


Die Entente kam erst 1904 zustande und war zunächst einmal "nur"ein weltweiter kolonialer Interessenausgleich der vertragsschließenden Mächte. Nicht mehr! Alles andere hat sich erst im Verlauf der Jahre entwickelt und vor allem, es gab keine verbriefte Zusage Großbritanniens an der Seite Frankreichs in einem eventuellen Krieg einzutreten. Großbritannien war eben nicht der für einen Kriegsfalle fest einplanbare Bündnispartner, den man sich in Paris so sehnlichst wünschte. Nicht umsonst haben die Briten die Franzosen in der Julikrise lange Zeit "im Regen stehen lassen". Die militärisch offenisive Komponente hat vollkommen gefehlt und somit ist deine Aussage nicht zutreffend.

In sich gesehen sind diese Aussagen alle richtig. Du zitierst aber selbst schon wieder französische Einkreisungsabsichten ("der für einen Kriegsfalle fest einplanbare Bündnispartner, den man sich in Paris so sehnlichst wünschte"). Außerdem gab es (ich bin arbeitsmäßig gerade nicht so weit und kann schlecht zitieren) eine französisch-russische Konvention (wohl von 1912) und die nicht zum Abschluss gekommene, in Deutschland aber bekannte britisch-russische Marinekonvention, die offensiven Charakter hatten.


Nicht zwangsläufig, vielleicht waren sie einfach nur zu ehrgeizig oder haben ihre Verhandlungsposition überschätzt. 1901 war die Tür noch nicht zu, die Haldane-Mission war ja erst 1912. Eher war es so, dass nach 1908 wo die feindliche Haltung der Russen klar war, die Bedenken gegen ein Bündnis mit GB wegfielen.

Deutschland versuchte ständig, diese "Politik der freien Hand" zu führen und zwischen allen möglichen Partnern zu lavieren. Damit machte es seinen Wert als Bündnispartner gröbst fahrlässig kaputt. Großbritannien zeigte durch seine Politik, dass es seine Probleme auch ohne deutsche Hilfe lösen konnte. Ich habe keinerlei Kenntnis von Sachverhalten, nach denen nach 1901 wirklich ein BÜNDNIS zwischen GB und D auf der Tagesordnung gestanden hätte.


Finde ich nicht plausibel. Deutschland hat den Krieg mit GB auf der Gegenseite riskiert, warum sollte es ihn mit GB als Verbündetem nicht riskieren wollen? GB hat Frankreich äußerst effektive Militärhilfe leisten können, wieso hätte das beim DR nicht gehen sollen?

Erstens mal war die britische Militärhilfe für Frankreich nicht so wirklich effektiv, zu mehr als einem Patt reichte es nicht, während das zaristische Russland gleichzeitig allmählich den Bach runterging. Zweitens sind auch Politiker und Militärs keine Propheten. Auch wenn man die britische Militärhilfe für Frankreich doch als "effektiv" einschätzen wollte, war das vor 1914 und für Deutschland keineswegs sicher zu erwarten. Drittens kämpft Deutschland gegen zwei Landmächte, da schätzt man die Unterstützung durch Seemächte eher gering ein. Viertens, trotz allen Säbelrasselns im Verlauf der Krisen sollte Deutschlands Politik vorrangig einen Krieg vermeiden. Die Überlegung, die Störung des Gleichgewichts (s.u.) infolge eines Bündnisses mit GB könnte einen verzweiflungsbedingten Präventivkrieg der Gegner auszulösen, wurde eben in Deutschland unternommen, war sie jetzt realistisch oder nicht. Fünftens hätte Deutschland im Siegfalle die Hegemonie über Europa errungen. Warum sollte sich Großbritannien (auf Dauer) damit abfinden?


Du unterstellst quasi, dass die Kriegsgefahr mit GB als Verbündetem höher gewesen wäre als mit GB als Gegner und dass die Deutschen deshalb vor einem Bündnis mit GB zurückgeschreckt wären. Das Risiko war aber mit GB im Feindeslager auf jeden Fall weit größer als andersrum.

D-ÖU einerseits und R-F andererseits bildeten ein äußerst festes militärisches Gleichgewicht. Vorausgesetzt, niemand Fünftes mischt sich ein. Das Gleichgewicht setzt also STRIKTESTE NEUTRALITÄT Großbritanniens voraus. Das Kriegsrisko ist also in beiden Fällen genau gleich groß, egal, für welches Lager sich Großbritannien entscheidet. Es hätte sich am besten ganz rausgehalten.


Das ist aus meiner Sicht ein rein theoretisches und unplausibles Szenario. Das hätte vorausgesetzt, dass das DR Russland erstmal industriell und militärisch nach vorne bringt und damit stärkt, im Vertrauen darauf, dass Russland seine neue Stärke nie gegen das DR einsetzt. Da war überhaupt keine Vertrauensbasis für da, um so eine Politik zu betreiben und selbst wenn, war die russische Regierung gar nicht stabil genug, um so was zu machen. Nach 20 Jahren kommt dann vielleicht die Revolution und das DR steht einer russ. Revolutionsregierung gegenüber.

Da hast Du sicher völlig recht. Was ich da mache, ist "was wäre, wenn" spielen. Ich gehe nun mal von den Überlegungen aus, dass die "Politik der freien Hand" in die Katastrophe geführt hat und ein Bündnis Deutschlands mit Großbritannien die Interessen beider Länder nicht bedient hätte. Was bleibt, wäre ein Bündnis mit Russland gewesen, so unrealistisch sich das auch darstellt. Dabei kommt mir auch noch Silesia zu Hilfe, in dem er sagt:
Die Angewiesenheit lag in erster Linie auf der russischen Seite.
Vernunft auf beiden Seiten vorausgesetzt hätte also durchaus was draus werden können. Aber auch diese Politik wäre nicht ohne Risiko gewesen. Möglicherweise würden wir heute dann über einen anderen Abgrund diskutieren als den, der sich 1914 aufgetan hat.

Grüße, Holger
 
@HolgerXX

Du vertrittst eine eine Meinung, trägst hier Ansichten vor, die dazu geeignet sind, den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entweder souverän komplett zu ignorieren oder einfach kurzer Hand umzuschreiben. Nur: Wunschdenken ist in einer Diskussion zu geschichtlichen Themen nicht angesagt.

Eine weitere Diskussion ergibt keinen Sinn mehr, weil du auch absolut resitent gegen Argumente bist, die nicht deinen persönlichen Vorstellungen entsprechen; nur das diese mit der historischen Wirklichkeit nichts zu tun haben.
 
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