Der Russlandfeldzug Napoleons

Einigkeit besteht wohl, dass das Argument "Logistik" als wesentlicher Grund für den Fehlschlag des Feldzuges genannt wird. Das wird nachvollziehbar auch auf die Frage übertragen, welche Wirkung der Krieg in Spanien hatte.

Dabei scheint mir aber der Logistik-Aspekt beinahe als Determinate, mit naturgesetzlichem Anstrich behandelt zu werden. Ist das zutreffend? Welche logistischen Fehler, welche nicht genutzten Kapazitäten determinierten denn den Russland-Feldzug Napoleons, und welche Optionen hätte es gegeben, die logistische Vorbereitung zu verstärken.

Ist das eher

- eine Frage des Territoriums, auf dem bestimmte Operationen mit bestimmten Truppenmengen noch möglich waren,
- eine Frage der Verbindungslinien und -längen zur rückwärtigen Versorgung und Lager,
- eine Frage der Breite des angesetzen Feldzuges ("nördlich der Pripjets")?

Rein von der Truppenmenge her gedacht, musste diese in Spanien wie in Russland aus dem Land und über Verbindungslinien versorgt werden. Wieso erscheint das geographisch als nicht "umstellbar"?
 
Ich kann mich irgendwie erinnern, dass N. seine Niederlage mit Spanien begründet hat, finde aber auf die Schnelle das Zitat und den Zusammenhang nicht.

In der spanischen Wikipedia ist ein Zitat aus Ronald Frasers "Napoleon´s cursed war":

"Dieser verdammte Krieg in Spanien war der erste Grund für alle Übel Frankreichs. All die Umstände meiner folgenden Desaster beginnen mit diesem fatalen Knoten: Es zerstörte meine moralische Authorität in Europa, komplizierte meine Schwierigkeiten, eröffnete eine Schule für die britischen Soldaten...dieser verdammte Krieg hat mich verloren."
 
Mir stellen sich die Logistik betreffend 2 Fragen:

War es überhaupt real möglich, die Große Armee in dieser Größenordnung für einen längeren Krieg angemessen zu versorgen? Und
Welche Strategie verfolgte Napoleon?

Nimmt man die Aussage Caulaincourts: "Er war erstaunt, dass sie ihm Wilna kampflos überlassen und ihren Entschluss so zeitig gefasst hatten, dass sie ihm entkommen konnten. Dass er in seiner Hoffnung auf eine große Schlacht vor Wilna sich getäuscht sah, bereitete ihm wirklich schweren Verdruss." [1] dann wird deutlich, dass N. eine frühe Entscheidungsschlacht - eigentlich wie immer - gesucht hat, um danach die Kapitulation entgegenzunehmen: "Sein eigentliches Hauptziel war nicht Geländegewinn, sondern die Zerschlagung der russischen Streitkräfte. Wenn es ihm gelang - so dachte er nicht zu Unrecht -, die Armeen Barlays und Bagrations in einem zweiten Austerlitz zu vernichten, dann blieb Alexander kaum eine andere Wahl, als zu den Bedingungen der Franzosen Frieden zu schließen." [1]

Ich kopiere einmal die Zeilen von Beitzke aus #23:
"In Ostpreußen allein standen mehrere Wochen hindurch 300000 Mann Fußvolk und 45000 Reiter. Diese Provinz, welche schon durch den Feldzug von 1807 so viel gelitten hatte, wurde jetzt fast gänzlich ausgezehrt. Das Fußvolk verzehrte alles, was von der vorjährigen Ernte noch übrig war, aber für die zahlreiche Reiterei reichte das vorhandene Futter nicht aus, für diese musste das grüne Getreide auf dem Felde aushelfen. Die Unordnung konnte bei einem so ungeheuren Heer nicht ausbleiben. Man nahm Vorspann, Lebensmittel, Fourage, Schlachtvieh, selbst Geld, wo man es fand. Wohl kamen Klagen und Widersetzlichkeiten, aber man war genötigt, sich der Gewalt zu fügen. So musste Ostpreußen allein 77900 Pferde, 14000 Wagen, 22770 Ochsen usw. stellen. Große Herden von Schlachtvieh wurden hinter den Truppen zu ihrem unmittelbaren Unterhalt hergetrieben." [2]

Das deckt sich mit Lieven:
"Im russischen Oberkommando war man sich bald im Klaren darüber, dass Napoleons Armee für den Entschluss, dem zurückgehenden Feind nachzusetzen und ihn zur Schlacht zu stellen, einen hohen Preis zu zahlen hatte. Viele von Napoleons Männern und, was noch erheblich wichtiger war, seine Pferde waren in den Wochen vor der Invasion größtenteils schlecht verpflegt worden. Eine so riesige Armee, die für eine frühe riesige Entscheidungsschlacht zusammengezogen wurde, konnte sich schon unter normalen Umständen im verarmten Litauen nicht ausreichend versorgen. Dass diese Truppen, um Barclay zum Kampf zu stellen, nun Gegenden durcheilen mussten, die abgegrast und von den Russen niedergebrannt worden waren, verschlimmerte die Lage wesentlich. Strömender Regen machte das Bild des Elends vollkommen. Der Feldzug war kaum zwei Wochen alt, da schrieb Napoleon seinem Kriegsminister in Paris, es habe keinen Sinn, neue Kavallerieregimenter aufstellen zu wollen, da alle in Frankreich und Deutschland verfügbaren Pferde nicht ausreichten, um die bestehende Kavallerie wieder aufzufüllen und die enormen Verluste auszugleichen, die sie in Russland bereits erlitten habe. Von Deserteuren und Kriegsgefangenen erfuhren die Russen, dass in den Reihen der Franzosen Hunger und Krankheiten herrschten, vor allem aber dass sie Unmengen von Pferden verloren hatten." [1]

Das deutet darauf, dass auch die Logistik auf einen schnellen Sieg ausgerichtet war (nur ausgerichtet sein konnte?). Was mir als Nichtmilitär auch Kopfzerbrechen macht, ist die Frage, wie die Versorgung bei einer Massierung der Armee auf kleinstem Raum (z.B. vor einer Schlacht) funktionieren konnte.

Nimmt man die ganzen Fakten, dann kann man wohl zu dem Schluss kommen, dass der Feldzug eigentlich schon nach Wilna abgebrochen werden konnte, Aussicht auf Erfolg bestand wohl nicht mehr.

Grüße
excideuil

P.S.: @ Bdaian, danke! :winke:

[1] Lieven, Dominic: Russland und Napoleon – Die Schlacht um Europa, C. Bertelsmann, München, 2011 (2009), Seite 183
[2] Beitzke, Dr. Heinrich: Geschichte des Russischen Krieges im Jahre 1812, Leipzig, o.J.
 
@excideuil: Bei van Creveld (S. 61) findest Du eine Reihe von sehr interessanten Darstellungen zur Komplexität der Vorüberlegungen und den, eigentlich nicht zu bewerkstelligen, logistischen Anfoderungen.

Supplying war: logistics from Wallenstein to Patton - Martin L. Van Creveld - Google Bücher

OT: Interessant fand ich den Hinweis, der auch für den Kunersdorf-Thread gilt, dass Turenne aufgrund logistischer Überlegungen eine maximale Obergrenze für depotorientierte Armeen bei ca. n = 50.000 sieht. OT-Ende.

Und Lieven sieht ja gerade die Stärke und den Erfolg der zaristischen Armeen gegen Napoleon in der Logistik, basierend auf den widerstandfähigen russischen Pferden.

Russland gegen Napoleon: Die Schlacht um Europa - Dominic Lieven - Google Bücher
 
OT: Interessant fand ich den Hinweis, der auch für den Kunersdorf-Thread gilt, dass Turenne aufgrund logistischer Überlegungen eine maximale Obergrenze für depotorientierte Armeen bei ca. n = 50.000 sieht. OT-Ende.

Das ist nicht OT, sondern berührt den Kern!

Wie auch immer man den n-Wert um 50.000 schwanken lässt, bezieht sich das auf eine Region, und zugehörige Depots.

Napoleon verzichtete (musste verzichten?, siehe Hinweise zu Spanien oben) auf einen Südflügel (südlich der Pripjets) neben der Hauptarmee mit Stoß auf die Dnjepr-Düna-Landbrücke. Damit ersparte er der russischen Seite einen Dispersioneffekt.
 
Bei Nafziger finden sich noch eine Reihe von erweiterten Hinweisen zu den Problemen mit der Logistik.

Napoleon's Invasion of Russia - George F. Nafziger - Google Bücher

Zum einen wurde durch die dramatische Erweiterung der napoleonischen Armee nicht nur die Qualität der kämpfenden Einheiten deutlich reduziert.

Ähnliches gilt auch für die Qualität der Transporteinheiten, die den Anforderungen in vielen Fälle nicht gewachsen waren.

Technisch war es wohl zudem problematisch, was Napoleon getan hat, auf große Transportwagen zu setzen, die mit den schlechten Straßen in Russland schwer zu Recht kamen.

Dabei basierte der Plan von Napoleon auf einer grenznahen entscheidenden Schlacht, die die später eintretenden logistischen Probleme nicht aufgeworfen hätte.

Vor diesem Hintergrund war die Logistik auf eine Unterstützung von 24 Tagesrationen ausgelegt.

Im Gegenzug dazu wollte General Phull, ein preußischer Offizier, ein befestigtes Lager in Drissa anlegen, das die Funktion eines Torres Vedras haben sollte, um die napoleonische Armee zum Kämpfen und proviantieren in einer "Einöde" ohne natürliche Nahrungsressourcen zu zwingen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Linien_von_Torres_Vedras

Dieser Plan schlug aus einer Reihe von Gründen fehl und so konnte Napoleon weiter marschieren als sich die russischen Planer gewünscht hatten
 
....und so konnte Napoleon weiter marschieren als sich die russischen Planer gewünscht hatten

Oder anders herum: er musste weiter marschieren, als er sich gewuenscht hatte.
Alle Anstrengungen, der Russen in einer schnellen, entscheidenden Schlacht habhaft zu werden, schlugen fehl.


Ich hatte es an anderer Stelle schon mal erwæhnt, ganz empfindlich wurden Nachschub und auch Vormarsch durch nach einer eiskalten Regenperiode gleich zu Beginn des Feldzuges gestørt. Das hat -zigtausende von Pferden das Leben gekostet. Die Fuetterung der Pferde mit unreifen Getreide, dass dann Koliken verursacht, ist glaube ich auch schon genannt worden.
Den klæglichen Rest an Pferden hat man dann spætestens nach dem Wintereinbruch entweder wegen glatten Hufeisen auf blankem Eis verloren und/oder unsinnig eingesetzt, weil unbedingt alle Geschuetze gerettet werden sollten.

Die schweren Karren, die von Ochsen gezogen wurden, (eigentlich eine gute Idee - die Ochsen sind ja auch Verpflegung) sind irgendwann im Schlamm stecken geblieben.

Versorgung "aus dem Lande" war in den sogenannten polnischen Gebieten, auch auf russischer Seite, einfacher, weil die Bevølkerung dem Einmarsch nicht ablehnend gegenueber stand. Im tieferen Russland stiess man dann auf offene Feindseeligkeiten, die das "besorgen" von Lebensmitteln gefæhrlich machten.
Inwieweit sich das Beispiel Spanien bis zu den abgelegenen Bauern in Russland herumgesprochen hatte, weiss ich nicht, aber die Geschehnisse æhneln sich: Wechselweise sich steigernde Brutalitæt.

Gruss, muheijo
 
Napoleon verzichtete .... auf einen Südflügel (südlich der Pripjets) neben der Hauptarmee mit Stoß auf die Dnjepr-Düna-Landbrücke. Damit ersparte er der russischen Seite einen Dispersioneffekt.

Es gab ja einen gewissen Herrn Schwarzenberg fuer den Sueden. Der erscheint mir aber insgesamt zuwenig beleuchtet:
Ausser, dass er angeblich oder tatsæchlich nur halbherzig manøvrierte, gibt es eigentlich nicht viel Informationen zu "seinem" Feldzug.
Abgesehen davon, dass es natuerlich nicht im Interesse Østerreichs/Schwarzenbergs war, die Østerreichische Armee zu verheizen:

Wie detailiert waren die Ideen/Befehle an Schwarzenberg?
War da "mehr" drin, auf eigene Initiative oder mit mehr Energie?
Warum gab es nicht ein gemischtes Korps mit frz. Oberbefehl?

Gruss, muheijo
 
In der spanischen Wikipedia ist ein Zitat aus Ronald Frasers "Napoleon´s cursed war":

"Dieser verdammte Krieg in Spanien war der erste Grund für alle Übel Frankreichs. All die Umstände meiner folgenden Desaster beginnen mit diesem fatalen Knoten: Es zerstörte meine moralische Authorität in Europa, komplizierte meine Schwierigkeiten, eröffnete eine Schule für die britischen Soldaten...dieser verdammte Krieg hat mich verloren."

Das ist seltsam, und evt. die Sicht des Gescheiterten.

Wenn man sich die Vorgänge unmittelbar vor dem Rußlandfeldzug anschaut, dann hinderte das "Festfahren" in Spanien 1810/11 Napoleon offenbar nicht, den Feldzug im Osten zu planen und anzusetzen. Wenn die Misserfolge auf der Iberischen Halbinsel so klar lagen, ist der Ansatz des Feldzuges eigentlich unverständlich. Oder das Ganze dient nur zur ex-post-Erklärung des Desaster.

Die wichtigen britischen Erfolge begannen nämlich nach dem Patt 1811, nach Massénas Rückzug aus Portugal als Ergebnis der Kampagne 1810/11 und der Zurückdrängung Wellingtons nach Portugal, erst in 1812. Die britische Aufklärung hatte den Abzug von französischen Truppen von der iberischen Halbinsel wegen des bevorstehenden Rußlandfeldzuges erkannt [*], und Wellington wurde in der Offensive erfolgreicher (Ciudad Rodrigo Jan1812, und Badajoz Apr1812). Der Zusammenhang ist evident, und der Beitrag der "britischen Aufklärung" (sicher kein MI5 oder MI6 späterer Organisation :devil: ) ist sehr bedeutend bezüglich der erneuten Offensivfreude Wellingtons. Dieser umgehende Rückschlag, mit entsprechender Bindungswirkung 1812, ist vermutlich auch ein Ergebnis der überlegenden militärischen Aufklärung.


[*] zB Huw Davies, Diplomats as Spymasters - A Case Study of the Peninsular War 1809-1813, in JoMH 2012, S. 37
 
Das ist seltsam, und evt. die Sicht des Gescheiterten.

Wenn man sich die Vorgänge unmittelbar vor dem Rußlandfeldzug anschaut, dann hinderte das "Festfahren" in Spanien 1810/11 Napoleon offenbar nicht, den Feldzug im Osten zu planen und anzusetzen. Wenn die Misserfolge auf der Iberischen Halbinsel so klar lagen, ist der Ansatz des Feldzuges eigentlich unverständlich. Oder das Ganze dient nur zur ex-post-Erklärung des Desaster.

So seltsam stellt sich mir die Aussage nicht dar:

Der Krieg in Spanien war der erste Krieg, der kein Geld brachte, sondern viel Geld kostete.
Der Krieg in Spanien war der erste Krieg, in dem ein ganzes Volk sich gegen Napoleon stellte.

1808 stellte sich die strategische Situation so dar, dass N. sogar zu diplomatischen Mitteln (Erfurt) greifen musste, um Österreich ruhig zu stellen und damit eine "zweite Front" zu vermeiden, um in Spanien freie Hand zu bekommen.

Für Napoleon, der bisher mit den stärksten Bataillonen die Probleme regelte eine völlig neue Erfahrung.

Grüße
excideuil
 
Zuletzt bearbeitet:
So seltsam stellt sich mir die Aussage nicht dar:
Der Krieg in Spanien war der erste Krieg, der kein Geld brachte, sondern viel Geld kostete.
Der Krieg in Spanien war der erste Krieg, in dem ein ganzes Volk sich gegen Napoleon stellte.

Mag alles sein, aber das hat er alles im Juni 1812 feststellen müssen, daher erscheint mir die Abfolge der Argumentation seltsam: Napoleon erklärt im Zitat (ex post und indirekt/mittelbar) den Verlust des Rußlandfeldzuges auch mit diesem Grund, und dieser Peninsular-Faktor stand eben fest, bevor er im Juni 1812 losmarschierte.

Wenn diese (seine) Analyse über diesen Mühlstein Spanien Anfang 1812 feststeht, fragt sich: wo findet sich ein Hinweis, dass Napoleon seinen Start mit dieser Belastung ("erster Grund", "beginnen mit diesem fatalen Knoten") beschwert sah?

So etwa in der Art eines Abwägens: ich wage den Krieg gegen Rußland, obwohl in Spanien etc. etc. :winke:

Findet sich da nichts? ...nichts vor dem Juni 1812?

Und als Zusatz: hätten die logistischen Probleme in Rußland nicht gerade aufgrund der Erfahrungen 1808/09/10 vorhergesehen werden können, vielleicht sogar müssen.

Hier (zB in der Katalanischen Kampagne) scheiterte erstmals und grandios Napoleons Maxime "Krieg ernährt den Krieg".
 
Ich glaube, wir reden ein wenig aneinander vorbei.
Ich habe leider das Zitat nicht zur Hand. Wenn ich die Quelle von Bdaian nehme:
"Dieser verdammte Krieg in Spanien war der erste Grund für alle Übel Frankreichs. All die Umstände meiner folgenden Desaster beginnen mit diesem fatalen Knoten: Es zerstörte meine moralische Authorität in Europa, komplizierte meine Schwierigkeiten, eröffnete eine Schule für die britischen Soldaten...dieser verdammte Krieg hat mich verloren."
dann finde ich da keinen Bezug zum Rußland-Feldzug, aber den zu Frankreich und damit zum Ganzen. Klingt damit eher, wie nach seiner Abdankung gesagt.

Und da stimme ich ihm zu:
Neben dem oben angeführten Gründen zerstörte der Krieg den Nimbus der Unbesiegbarkeit, brachte Hoffnung für andere europäische Länder und beeinflusste die Diplomatie und machtpolitische Rechnungen.
Nicht zuletzt kostete Spanien auch N. Glaubwürdigkeit in Frankreich und war auch auslösend für die Abkehr des Bürgertums.

Grüße
excideuil
 
Ich glaube, wir reden ein wenig aneinander vorbei.
Das ist wohl so. Mir ging es um die Frage, ob bei Napi diese ex-post-Analyse auch früher zu finden ist.

Neben dem oben angeführten Gründen zerstörte der Krieg den Nimbus der Unbesiegbarkeit, brachte Hoffnung für andere europäische Länder und beeinflusste die Diplomatie und machtpolitische Rechnungen.
Und die Erkenntnis kam demnach erst nach 1812, nach Beginn des Feldzuges?

Obwohl die Aspekte vorher offenlagen, von der logistischen Erkenntnissen (Verneinung des: "War feeds War") bis zu den Bindungswirkungen Spaniens?
 
Das ist wohl so. Mir ging es um die Frage, ob bei Napi diese ex-post-Analyse auch früher zu finden ist.

Und die Erkenntnis kam demnach erst nach 1812, nach Beginn des Feldzuges?

Obwohl die Aspekte vorher offenlagen, von der logistischen Erkenntnissen (Verneinung des: "War feeds War") bis zu den Bindungswirkungen Spaniens?

Ich habe einiges quergelesen aber nichts gefunden. Einzig bei Caulaincourt wird auf der Schlittenfahrt die span. Frage berührt aber in einem Sinn, der ähnliche Einsichten wie oben vor dem russischen Feldzug wohl ausschließt:

"Zweifellos wäre es besser gewesen, erst den spanischen Krieg zu beenden, bevor man sich in dieses russische Unternehmen stürzte. Aber darüber wäre viel zu sagen. Der span. Krieg besteht nur noch aus Guerilla-Unternehmungen. Am tage, wo die Engländer von der Halbinsel verjagt sind, wird es nur noch eine "Chouannerie" sein; man kann nicht erwarten, ein Land in einigen Monaten davon zu säubern. Da der Widerstand gegen die neuen Verhältnisse von den unteren Bevölkerungsklassen ausgeht, kann diese Gärung nur durch die Zeit und durch die Haltung der oberen Klassen beseitigt werden. Diese müssen geführt werden durch eine starke, umsichtige Regierung, die sich stützt auf eine nationale Gendarmerie und zugleich auf franz. Armeecorps." [1]

Na, ja, N. hatte wohl immer noch nicht begriffen, dass da ein ganzes Volk gegen ihn stand und die Gesetze, die er einzuführen gedachte - die die Aufklärung quasi überspringen sollten - genauso bekämpft wurden wie er selbst. Immer noch gab er sich den Illusionen hin, denen er nach Mme de Rémusat so Ausdruck verlieh: "Ich brauche mich nur zu zeigen, und meine Fahne mit der Inschrift: "Freiheit und Gleichheit" zu entrollen, so werden mir alle Herzen zufliegen. Der Adel wird vernichtet, der Einfluß des Klerus wird gebrochen, mehr will das span. Volk nicht und der endliche Sieg ist mein. Spanien wird mich als seinen Befreier begrüßen." [2]

Erstaunlich ist zudem, dass N. aus dem gerade erlebten russischen Feldzug und seinen vergeblichen Versuchen mit Versprechungen wie der Aufhebung der Leibeigenschaft die russischen Untertanen auf seine Seite zu ziehen, so gar keine Schlussfolgerungen zieht.

Auch erstaunlich ist die Zusammenfassung Caulaincourts über die Ansichten N. über die Anwesenheit der Engländer in Spanien:
"Die Anwesenheit der englischen Armee war, nach dem Kaiser, das größte Hindernis für die Befriedung Spaniens. Aber er ziehe es doch vor, sie dort zu sehen, als jeden Augenblick in der Bretagne, in Italien, kurz, überall, wo zugängliche Küsten sind, von ihr bedroht zu werden. Jetzt wisse er, wo er die Engländer zu suchen habe; wenn sie nicht dort beschäftigt wären, müsste er überall Maßnahmen zu ihrer Abwehr treffen, was ihm viel mehr Truppen entziehen, ihn mehr beunruhigen und gegebenenfalls viel mehr Unheil anrichten könnte." [1]

Klingt für mich nicht nach Analyse, eher, als wenn N. sich da etwas schönredet.
Und dieses schönreden findet sich auch bei Las Cases [sic] zitiert von Herold:
"Ich gebe zu, dass die ganze span. Affäre mit einem falschen Schritt begann. Das ganze Spiel bleibt häßlich, weil ich der Verlierer war. Und trotzdem würde es die Nachwelt gutgeheißen haben, wenn ich es gewonnen hätte." [3]

So richtig analytisch ist das zudem auch nicht.

Grüße
excideuil

[1] Caulaincourt: „Unter vier Augen mit Napoleon – Denkwürdigkeiten des General Caulaincourt, Herzogs von Vicenza, Großstallmeister des Kaisers“, von Dr. Friedrich Matthaesius, Verlag von Velhagen & Klasing, 1937, Seite 99-100
[2] Rémusat: „Memoiren der Gräfin Rémusat, Palastdame der Kaiserin Josephine, Original Ausgabe von Adolf Ebeling, Verlag von Albert Ahn, 3. Bd. Köln und Leipzig 1891, Seite 332
[3] Herold, Christopher: Der korsische Degen – Napoleon und seine Zeit, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Darmstadt, Wien, 1968 (1966), Seite 197
 
Besten Dank für die Recherche!

Schade, es scheint demnach so zu sein, dass sich vor dem Rußland-Feldzug nichts an Hinweise auf die direkte Einwirkung des "spanischen Problems" bzw. eine deutliche Verknüpfung findet.
 
Und als Zusatz: hätten die logistischen Probleme in Rußland nicht gerade aufgrund der Erfahrungen 1808/09/10 vorhergesehen werden können, vielleicht sogar müssen.

Hier (zB in der Katalanischen Kampagne) scheiterte erstmals und grandios Napoleons Maxime "Krieg ernährt den Krieg".

Jetzt habe ich auch nochmal ein bischen nachgelesen, es findet sich folgendes:

Zamoyski verneint Versorgungsprobleme in Spanien - er behauptet, leider nicht belegt, dass die Versorgung aus dem Lande auch in Spanien funktioniert hat, trotz geringerer Bevølkerungsdichte und længeren Abstænden zwischen Dørfern und Stædten.

2. Napoleon war sich im klaren darueber, dass die Versorgung aus dem Lande in Russland nicht funktionieren wuerde. (Zitat aus der Korrespondenz, hier an Davout: "Wir kønnen nicht erwarten, dass wir etwas aus dem Lande erhalten, wir muessen alles mit uns nehmen."
Oder an Eugène: "Der polnische Krieg ist ueberhaupt nicht zu vergleichen mit dem Krieg in Østerreich. Ohne Transport wird alles sinnlos.")

Massnahmen:
- Bildung von Depots, und zwar nicht nur Verpflegung, sondern auch Waffen, Munition, Bekleidung, Schuhe, usw. usw.
- Vergrøsserung des Trains, den es seit 1807 gab, auf 26 Bataillone mit 9336 Wagen, die von 32500 Pferden gezogen wurden, sowie 6000 zusætzliche Pferde.
Der Train war verantwortlich fuer den Transport.
- Einsatz der bereits erwæhnten Ochsen-Karren fuer den Transport von 1,5 Tonnen Mehl/Karre
- Bildung von 8 Bataillonen mit leichten Wagen aufgrund der Gewichtsproblematik. Nachteil: Erhøhter Bedarf an Pferden.
- Voraussehende Marschælle wie Davout haben Handwerker ausgesucht und auf Ihre Truppen verteilt, wie z.B. Leute, die Backøfen bauen konnten, etc.
(Dies fuehrte spæter zu den Bahauptungen, Napoleon hætte geplant, Kolonien zu errichten)

Das in Deutschland und wohl auch in Spanien funktionierende System wird ganz anschaulich beschrieben:
- Zum einen die regulære Versorgung und Einquartierung der Truppen beim Aufmarsch, also durch die Lænder der Verbuendeten mittels Requirierung (gegen Bezahlung), dazu gab es Kriegskommissare und ein buerokratisches System.
- Zum anderen die tolerierte Versorgung durch eine Anzahl an (auch bewaffneten und berittenen) Zivilisten (manche sprachen von Ræuberbanden) und Marketenderen, die auf eigene Verantwortung benøtigte Waren/Verpflegung "beschafften" und an die Truppe weiterhandelten.
Diese "Ræuberbanden" waren auch eine Art Fruehwarnsystem / Flankenschutz fuer die Truppen auf dem Vormarsch in Feindesland.

Das gesamte Logistiksystem steht und fællt mit der Existenz einer ausreichenden Zahl von Pferden. Diese mussten ebenfalls versorgt werden. Da man nicht noch zusætzlich ausreichend Pferdefutter (Hafer und Heu) zu den sonst benøtigten Waren/Verpflegung mitnehmen konnte, ergibt sich ein enges Zeitfenster fuer den Feldzug, da Hafer nicht vor Ende Juni reif und Heu erst im Herbst fertig war.

Der Aufmarsch musste im Winter davor und im Fruehling von statten gehen, um dann den Feldzug im Sommer beginnen und vor dem Winter beenden zu kønnen.

Zusammengefasst wird erneut klar, dass nur ein kurzer, grenznaher Krieg geplant war und geplant werden konnte.
Jetzt muessten wir noch nach Statistiken und Berechnungen schauen, ob die Massnahmen fuer den Krieg ausreichend gewesen wæren, wenn er nach Plan verlaufen wære.
Ich glaube, das schon mehrfach erwæhnte wetterbedingte Pferdesterben in den Anfængen des Feldzuges machte bereits diese Planung zunichte, ohne das daraus die richtigen Konsequenzen gezogen wurden.

Gruss, muheijo
 
Ich nehme an, das Korps MacDonald mit den preußischen Verbänden ist in der Zahl nicht enthalten?

Diese Zahlen stammen von Minard und beziehen sich auf die Hauptarmee. Zu der stoßen laut seiner Graphik im Dezember 1812 Teile des Korps McDonald, offensichtlich die Nichtpreußen. Man muss zu den Zahlen der genannten Überlebenden somit mindestens 15.000 Preußen hinzurechnen. Ebenfalls nicht enthalten in der Graphik von Minard sind die südlichen Truppen, das heißt die Österreicher und das VII. Korps unter Reynier, also die Sachsen. Die erhielten Verstärkungen aus dem XI. Korps, die ebenfalls nicht in den genannten Zahlen enthalten sind. Umstritten ist die Ausgangssstärke der Truppen Napoleons, die in Russland einmarschiert sind. Die Zahlen reichen von 395.000 bis 650.000 Mann. Die wahrscheinlichste Zahl ist 395.000 Mann zu Kriegsbeginn, zuzüglich Preußen und Österreicher, die ja den Status von Hilfskorps besaßen und offiziell nicht zur Grande Armee gehörten. Das IX. und XI. Korps sind erst später einmarschiert, werden aber in der Truppenstärke im Juni 1812 oft mitgerechnet, was ja auch nicht verkehrt ist. Hinzu kamen Verstärkungen der Rheinbundtruppen, von denen aber einige, aufgrund der großen Marschentfernungen, nie in Russland gewesen sind, aber bei manchen Autoren mitgerechnet werden. So stellten etwa die Bayern 30.000 Soldaten für Napoleon, verloren 30.000 Soldaten und hatten im Januar 1813 bereits wieder eine Stärke von etwa 4.200 Mann.
 
Zuletzt bearbeitet:
Nach Tarlé war der sofortige Rückzug nicht geplant:

Mitte Mai 1811 sagte Alexander beim Abschiedsbesuch Caulaincourts unter anderem:
"Falls Kaiser Napoleon einen Krieg beginnen sollte, so sind Niederlagen unsererseits möglich undsagar wahrscheinlich; doch das wird ihm keinen Frieden bringen. Auch die Spanier wurden schon oft geschlagen, sind deshalb jedoch weder besiegt noch unterworfen. Von Paris bis zu uns ist der Weg aber weiter als bis zu ihnen, und sie haben weder unser Klima noch unsere Abwehrmöglichkeiten. Bei der Unermesslichkeit unseres Hinterlandes und mit unserer gut organisierten Armee werden wir uns keine Blöße geben. In unserer Lage wird man mit uns niemals zu einem Friedensschluss zwingen können, was für Niederlagen wir auch erleiden mögen. Dagegen kann man den Sieger zum Frieden zwingen." [1]

Zu dieser Zeit große Worte, die aber zeigen, dass der Zar sich der räumlichen Größe seines Reiches sehr wohl bewußt war.

Strategisch verbesserte sich die Situation Rußlands, da es gelang, vor dem Krieg mit Frankreich Friedensschlüsse mit Schweden und der Türkei zu schließen und damit die Flanken zu sichern.

Das halbherzigen diplomatische Geplänkel im Vorfeld können wir vernachlässigen.

"Wie versichert wird, hatte Barclay de Tolly anfangs an eine Schlacht gedacht, musste jedoch diesen Gedanken bald aufgeben; denn die in Rußland einmarschierende napoleonische Armee erwies sich als bedeutend größer, als man im russischen Generalstab und bei Hofe vermutet hatte." [2]

"Wie General Graf Toll berichtet, sah der anfängliche Plan einen Angriff vor; doch die unermessliche Überlegenheit seiner (Napoleons) Streitkräfte, die sich zwischen Königsberg und Warschau an der Weichsel gesammelt hatten, ... zwangen zur Abänderung dieses Planes. Man entschloß sich zum Defensivkrieg." [3]

"Man entschloß also den Rückzug. "Zwar musste man bei diesem Vorhaben einige von unseren Provinzen opfern. Doch hatte man sich für das kleinere von zwei Übeln zu entscheiden, in diesem Falle für den vorübergehenden Verlust eines Teilgebietes gegenüber dem unwiederbringlichen Verlust des Ganzen."" (Graf Toll) [4]

Und damit schließt sich der Kreis zu den Worten des Zaren.

Grüße
excideuil

[1] Eugen W. Tarlé: 1812 Rußland und das Schicksal Europas, Berlin 1951, Seite 23
[2] ebenda, Seite 81
[3] ebenda, Seite 81
[4] ebenda, Seite 82

Können wir mal Tarle abhaken? Wie jede sowjetische Geschichtsliteratur die unter Stalin entstand? Tarle war ein fähiger Historiker, deshalb wurde er unter Stalin ins Gefängnis gesteckt, verbannt und hat danach das geschrieben, was man von ihm verlangt hat. Dagegen wurde ein wenig erfolgreicher Feldherr wie Bagration zum Helden gemacht. Der war ebenso wie Barclay de Tolly kein echter Russe, aber er kam aus Georgien, wie Stalin.
 
Können wir mal Tarle abhaken? Wie jede sowjetische Geschichtsliteratur die unter Stalin entstand? Tarle war ein fähiger Historiker, deshalb wurde er unter Stalin ins Gefängnis gesteckt, verbannt und hat danach das geschrieben, was man von ihm verlangt hat. Dagegen wurde ein wenig erfolgreicher Feldherr wie Bagration zum Helden gemacht. Der war ebenso wie Barclay de Tolly kein echter Russe, aber er kam aus Georgien, wie Stalin.

Nun ja, ich bin schon ein wenig erstaunt, dass du dieses Urteil fällst.
1. Tarlés Bücher (1812; Napoleon; Talleyrand) beziehen immer russische Quellen ein, etwas, was sie von anderen Büchern dieser Zeit unterscheidet, da russische Quellen für westliche Historiker und Biografen lange Jahre kaum erreichbar waren.
2. Ist m.A.n. der Verweis auf Stalin rein rhetorisch zu werten. Um dies zu belegen, solltest du wohl Belege vorlegen können, die 1. belegen, dass das, was Tarlé schreibt falsch (von wissentlich will gar nicht reden) ist und 2. dass dies angewiesen wurde.
3. In meinen Ausführungen war nie der Name Bagration zu finden - wobei die Fürstin schon ein paar Zeilen wert wäre. Zudem du deiner Behauptung, dass der Fürst zum Helden gemacht wurde, weil er Georgier war, bisher jeden Beleg schuldig geblieben bist.

Grüße
excideuil
 
1. Tarlés Bücher (1812; Napoleon; Talleyrand) beziehen immer russische Quellen ein, etwas, was sie von anderen Büchern dieser Zeit unterscheidet, da russische Quellen für westliche Historiker und Biografen lange Jahre kaum erreichbar waren.
2. Ist m.A.n. der Verweis auf Stalin rein rhetorisch zu werten. Um dies zu belegen, solltest du wohl Belege vorlegen können, die 1. belegen, dass das, was Tarlé schreibt falsch (von wissentlich will gar nicht reden) ist und 2. dass dies angewiesen wurde.
3. In meinen Ausführungen war nie der Name Bagration zu finden - wobei die Fürstin schon ein paar Zeilen wert wäre. Zudem du deiner Behauptung, dass der Fürst zum Helden gemacht wurde, weil er Georgier war, bisher jeden Beleg schuldig geblieben bist.

zu 1. Zustimmung. Es gibt kein Grund, Quellen auszuschließen. Bestenfalls sie genauso kritisch zu hinterfragen wie französiche Sichtweisen und Darstellungen. Beiden wird man eine gewisse Subjektivität unterstellen dürfen:pfeif:

zu 2. Ebenfalls Zustimmung. Ein pauschales Zurückweisen von Beiträgen aus jener Zeit aufgrund ideologischer Befangenheit schneidet einen von der Sichtweise dieser Seite ab.

OT und Exkurs: In einem anderen Fall, der Autobiographie von Schukow habe ich es selber mal versucht nachzuvollziehen und man kommt zu einem differenzierten Urteil. Ähnliches gilt für die Autobiographien von Merezkow, dessen Aussagen über Mitte 1941 sogar in den 90er Jahren nachträglich durch eidestattliche Erklärungen gestützt wurden (Shukman: Stalins Generals) In diesem Sinne sind präzise Darstellungen und Verfälschung beide vorhanden (verglichen mit Darstellungen bei Glantz etc.) Die ideologischen "Anpassungen" und somit Verzerrungen kommen dabei am ehesten durch Nichtdarstellung von Ereignisse zustande, so meine persönliche Schlussfolgerung. Allerdings, bei zentralen Aspekten wird auch aktiv "ideologisch" motiviert verfälscht, wie beispielsweise bei dem Vergleich der Truppenstärke für 1941.

zu 3. Noch mehr Zustimmung. Ob Bagration ein Held war mag dahingestellt sein. Dass er ein Soldat war, der sein Handwerk durchaus verstand, darf durchaus angenommen werden, wie beispielsweise sein Agieren bei Austerlitz.
 
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