Ravenik
Aktives Mitglied
Gerade weil die Cherusker untereinander alles andere als einig waren, ist durchaus naheliegend, dass Teile von ihnen Rückhalt bei Rom suchten, um so gegen ihre inneren Gegner gestärkt zu werden.So kann man natürlich immer argumentieren. Es wird auch schon irgendwo einen Afghanen gegeben haben, der die Russen zu Hilfe rief.
Falsch ist das nie.
Ich ziehe mal einen Vergleich mit den Verhältnissen in Griechenland in der ersten Hälfte des 2. Jhdts. v. Chr: Damals gab es in praktisch jeder griechischen Stadt im Rahmen der inneren Konflikte eine "makedonische" und eine "römische" Partei. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Parteigänger tatsächlich überzeugte Fans ihrer Schutzmacht gewesen sein müssen, aber sie nutzten sie, um die Macht in der Stadt zu erlangen bzw. zu halten.
Ähnlich wird es wohl auch bei den Cheruskern gelaufen sein: Wer (aus welchen Gründen immer) gegen Arminius und dessen Anhang war, für den war es vermutlich naheliegend, sich auf Rom (und römisches Gold) zu stützen. Und wer sich einmal dafür entschieden hatte, die Unterstützung Roms zu suchen, für den war es vermutlich auch naheliegend, einen Stammesführer mit guten Kontakten zu Rom zu wünschen, schon um nach Möglichkeit zu verhindern, dass die Gegenpartei das Übergewicht erlangt.
Ganz so einfach kann das nicht gewesen sein. Die Cherusker waren schließlich keine Untertanen, denen die Römer einfach ungefragt einen Statthalter oder Klientelkönig verpassen konnten. Ganz ohne Rückhalt zumindest bei Teilen des Stammes kann das nicht praktikabel gewesen sein. Das bestätigt auch die weitere Entwicklung: Als es zum Bürgerkrieg zwischen Italicus und seinen Gegnern kam, behielt er zunächst die Oberhand. Er muss also sehr wohl über einen nicht unbedeutenden Anhang im Stamm verfügt haben. Erst später wurde er dann doch vertrieben und konnte die Herrschaft nur mit langobardischer Hilfe zurückgewinnen.Der Realität näher kommt allerdings, dass die Römer hier ihnen genehme Strukturen durchsetzten, wie sie sie auch von den von dir selbst genannten Klientelkönigen im Osten kannten, und dazu fragten sie nicht lange.
Manche waren anscheinend sehr wohl bereit, den Italicus zu akzeptieren - aber natürlich nicht alle.Interessant finde ich allerdings, dass man von diesem Klientelkönigtum in Germanien in der Folge nichts mehr hört. Offensichtlich fiel die Idee nicht gerade auf fruchtbaren Boden, sprich die Cherusker hielten in Wirklichkeit gar nichts davon, sich einem römischen Marionettenkönig zu unterwerfen.
Das Problem war wohl eher, dass es bei den germanischen Stämmen keine staatlichen Strukturen gab, auf die die römische Klientelpolitik aufbauen konnte. Im Osten fanden die Römer historisch gewachsene, monarchisch regierte Staaten vor, in denen sie im Bedarfsfall einfach den einen Herrscher absetzen und einen neuen einsetzen konnten. Bei den den Römern benachbarten germanischen Stämmen hingegen gab es noch keine vergleichbaren staatlichen Strukturen und monarchischen Traditionen. Ein Klientelkönig hatte in einem germanischen Stamm daher eine recht wacklige Position und musste sich erst einmal im Stamm durchsetzen. Wenn er eine genügend große Anhängerschaft (oder genügend römisches Gold) hatte, konnte das zumindest für eine Weile klappen, aber stabile Verhältnisse, wie die Römer sie für ihre Nachbarschaft wünschten, ließen sich so nicht herstellen.