was hilft uns eine solche Wertung?
Das ist weniger eine Wertung als vielmehr eine Beschreibung, die sich auf Erkenntnisse über unsere Gesellschaftsentwicklung stützt. Die von mir beschriebene Situation war eine "Station" der Entwicklung von einer Stammesgesellschaft zur heutigen modernen Gesellschaft. Wobei die Entwicklung hier keineswegs einen "naturgegebenen" Verlauf genommen hat. Sie hätte auch anders laufen können.
und dass die "Kriegerkaste" mächtig wurde, lässt sich nicht wegdiskutieren - fraglich ist hier ja nur, ab wann (ich halte für wahrscheinlicher, dass das schon vor der Varuszeit einsetzte, die Gründe oder besser Indizien dafür hatte ich ja beschrieben)
Dazu finden sich in der verlinkten Abhandlung über das Gefolgschaftswesen überzeugende Hypothesen, die sich sogar archäologisch untermauern lassen. Wenn wir als gegeben voraussetzen, dass sich Adel und die damit zusammenhängende hierarchische Schichtung der Gesellschaft aus dem Gefolgschaftswesen (wichtige Vorstufe der sogenannten "militärischen Demokratie") entwickelt haben, dann müssen wir davon ausgehen, dass es in der Stammesgesellschaft keine "Kriegerkaste" gab. Auch diese Gesellschaftsform diente nämlich nicht in erster Linie der Kriegführung sondern in erster Linie zivilen Zwecken. Selbst in so ausgeprägt kriegerischen Gemeinschaften ist Krieg eine Ausnahmeerscheinung. Die Bildung von Gefolgschaften - oder einer Kriegerkaste - ist dann eigentlich nur denkbar, wenn es einen besonderen Anlass oder einen speziellen äußeren Grund gibt. In der Gesellschaftsstruktur selbst gibt es keine Antriebskräfte, die es sinnvoll erscheinen lassen, eine abgegrenzte Gruppe mit Macht auszustatten und sie überdies noch von der Güterproduktion freizustellen. In Friedenszeiten hatten Gefolgschaften keine Funktion, da - wenn man Tacitus glaubt - ohnehin jeder Germane ständig Waffen mit sich rumtrug.
Wenn dies richtig ist, dann existierten "Gefolgschaften" innerhalb der Stammesstruktur mit hoher Wahrscheinlichkeit nur "auf Zeit". Sie bildeten sich dann, wenn sie benötigt wurden, und sie existierten nur so lange, wie sie benötigt wurden. Daneben entwickelten sich jedoch Gefolgschaften, die dauerhaft bestehen blieben. Diese dauerhafte Existenz stellte die Beteiligten vor das Problem, dass dauerhaft die Versorgung sichergestellt werden musste, obwohl die Gefolgschaft selbst nicht produktiv war. Daraus folgt: Die einzig mögliche Einnahmequelle für solche Krieger-Gefolgschaften war der Krieg. Beute, Sold oder Tribut. Daraus wiederum folgt: Diese dauerhaft existierenden Gefolgschaften konnten nur außerhalb der Stammesgesellschaft existieren. Wozu das führte, sehen wir im Phänomen der Herausbildung eines Heerkönigtums. Da waren auch noch keine "Könige" beteiligt, die ihre Krone vererbt hätten. Es waren militärische Anführer von Kriegergemeinschaften, die kein kein eigenes Territorium hatten, nicht an ein Wohngebiet oder einen Stamm gebunden waren. Gruppen, die auf eigene Rechnung durch die Welt zogen. Möglich war sowas eigentlich nur, weil sich diese germanischen Gefolgschaften in der Nachbarschaft des ökonomisch sehr viel stärkeren römischen Reichs entwickelten. Der Reichtum Roms sicherte den Gefolgschaften ihren Lebensunterhalt. Anfangs. Im Laufe der Zeit wurden diese Gruppen so dominierend, dass sie das Gefüge der Stammesgesellschaften, von denen sie selbst sich gelöst hatten, vollends zerrissen.
Es folgte die Bildung großer Stammesverbände, die zum Zweck der Landnahme ausschwärmten. Und erst in dieser Phase waren die Gefolgschaften ein Mittel zur "Herrschaftsaubildung und Herrschaftsausübung" (Zitat Steuer).
Auch die hier mehrfach zitierten Fürstengräber belegen das. Erste (Körper-)Gräber dieser Art treten erst im 1. Jahrhundert auf, im 2. und 3. Jh. wuchs dann die Zahl solcher Bestattungen. Die Gräber belegen, dass die Bestatteten sich im Leben wie im Tod von ihren Stämmen abgrenzten. Parallel dazu gab es nämlich immer auch reicher ausgestattete Gräber, die ganz nach Stammessitte (Brandbestattungen) angelegt waren. Steuer interpretiert die in den "Fürstengräber" bestatteten Menschen als Angehörige einer sich neu herausbildenden Elite, die von den Stämmen abgegrenzt war. Und er schreibt: "
Die gleichartige Zurüstung der Gräber, auch das vergleichbare Beigabenensemble, sprechen für einen europaweiten Kontakt dieser Gruppen untereinander."
Grundlos wird das nicht geschehen sein, vgl. Mikhail Bulgakow, Meister und Margarita: "aus dem Nichts fällt niemandem ein Ziegelstein auf den Kopf."
Stimmt. Aus dem Nichts bildeten sich auch keine dauerhaft bestehenden Gefolgschaften.
Was aber die Gründe für einen angenommenen gravierenden Wandel der Gesellschaftsstrukturen bei den "Germanen" betrifft, so habe ich etwas Zweifel daran, dass solche zweifelhaften "Errungenschaften" wie
Königsheil, Herzöge, Heerkönige, Legitimationen aus primordialen Taten usw usf ausgerechnet römische Erfindungen seien, denn sie sind der römischen Gesellschaft der Kaiserzeit doch etwas zu unähnlich
Es hat auch niemand gesagt, dass die Römer den germanischen Adel erfunden hätten oder auch nur erfinden wollten. Sie brauchten aber in den Stämmen Leute, mit denen sie Verträge schließen konnten. Und Leute, die innerhalb der Stämme die Herrschaftsansprüche Roms durchsetzten. Rom selbst hatte nämlich keine "Verwaltungsbeamten". Rom erfand also nicht den Adel, sondern die Verwaltung in den Stämmen. Ob die dann die "Keimzelle" des Adels war, ist eine andere Frage. Ich bezweifele es.
Kein Wunder, dass es später den Spagat gab, der darin bestand, dass german. Heerkönige zugleich Karriere als römische Generäle machen wollten.
Spagat? Der Reichtum Roms hat ihnen überhaupt erst ermöglicht, zu Heerkönigen zu werden. Indem sie plündernd durch römisches Gebiet zogen oder indem sie in römischem Sold das Gebiet der Feinde Roms ausplünderten. Dass sich diese Germanen irgendwann als Römer empfanden und selbst nach der Macht im Reich griffen, ist nur ein weiterer Beweis, dass sie sich von der Stammesgesellschaft längst abgelöst hatten.
...was spricht eigentlich gegen eine möglichst gut ausgebildete Berufsarmee, wenn man als Gegner eine hochgerüstete Profiarmee (Legionen) hat?
Nichts. Es ist ein mögliches militärisches Konzept, genauso wie die gut ausgebildete Freiwilligenarmee. Für welches Konzept eine Gesellschaft sich entscheidet, hängt von den Umständen ab. Für eine Gesellschaft, die vorwiegend Subsistenzwirtschaft betreibt und wenig Überschüsse erzeugt, kann es zum Beispiel sinnvoll sein, ein Militär nur dann versorgen zu müssen, wenn es auch wirklich gebraucht wird. Also nur in den relativ kurzen Zeiten des Krieges und nicht auch noch in den relativ langen Zeiten des Friedens. Ob die gewählte Organisationsform - Berufs- oder Freiwilligenarmee - dann militärisch sinnvoll ist, hängt wiederum von den Umständen ab. Zum Beispiel hatten die Gesellschaften der keltischen Oppida-Kultur einen harten Kern von Berufskriegern, die sie zudem mit hochwertigen Waffen ausrüsten konnten. Trotzdem wurden die keltischen Gesellschaften von Rom besiegt und die primitiven germanischen Hobby-Krieger konnten bestehen.
Und eine "Kriegerkaste" muss unterhalten werden, ganz egal ob man diese Form der "Arbeitsteiligkeit" nun für hehr oder verdammenswürdig hält :winke:
Auch hier gilt: Es hat nichts mit moralischer Wertung zu tun, wenn man sich auf der Basis von archäologischen Funden oder aufgrund von Erkenntnissen über die Gesellschaftsentwicklung fragt, ob die Existenz einer Kriegerkaste in einer Stammesgesellschaft wahrscheinlich ist.
ein rührender Blick in diese ferne Vergangenheit, und das meine ich weder ironisch noch satirisch - dennoch befürchte ich, dass bei solchen Depots oder Verstecken ungleich häufiger Wertgegenstände (Schmuck, Silberzeugs, Münzen) vergraben wurden und nur sehr selten Werkzeuge.
Zweifellos haben sie beim Rauben so ziemlich alles gegriffen, was sich greifen ließ. Zweifellos werden sie eine goldene Halskette nicht liegengelassen haben, bloß weil man mit ihr keinen Nagel in die Wand schlagen konnte. Aber das ist genau der Punkt: Eine goldene Kette kann man sich umhängen und damit vortrefflich den Nachbarn beeindrucken. Mit einer Säge und einem Hammer kann man hingegen ein Haus bauen. Was hatte für die Germanen im täglichen Leben, das es neben dem fröhlichen Plündern zweifellos gegeben hat, wohl den größeren Nutzen?
MfG