Wie waren die Germanen des Arminius gesellschaftlich organisiert?

So kann man natürlich immer argumentieren. Es wird auch schon irgendwo einen Afghanen gegeben haben, der die Russen zu Hilfe rief.
Falsch ist das nie.
Gerade weil die Cherusker untereinander alles andere als einig waren, ist durchaus naheliegend, dass Teile von ihnen Rückhalt bei Rom suchten, um so gegen ihre inneren Gegner gestärkt zu werden.
Ich ziehe mal einen Vergleich mit den Verhältnissen in Griechenland in der ersten Hälfte des 2. Jhdts. v. Chr: Damals gab es in praktisch jeder griechischen Stadt im Rahmen der inneren Konflikte eine "makedonische" und eine "römische" Partei. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Parteigänger tatsächlich überzeugte Fans ihrer Schutzmacht gewesen sein müssen, aber sie nutzten sie, um die Macht in der Stadt zu erlangen bzw. zu halten.
Ähnlich wird es wohl auch bei den Cheruskern gelaufen sein: Wer (aus welchen Gründen immer) gegen Arminius und dessen Anhang war, für den war es vermutlich naheliegend, sich auf Rom (und römisches Gold) zu stützen. Und wer sich einmal dafür entschieden hatte, die Unterstützung Roms zu suchen, für den war es vermutlich auch naheliegend, einen Stammesführer mit guten Kontakten zu Rom zu wünschen, schon um nach Möglichkeit zu verhindern, dass die Gegenpartei das Übergewicht erlangt.

Der Realität näher kommt allerdings, dass die Römer hier ihnen genehme Strukturen durchsetzten, wie sie sie auch von den von dir selbst genannten Klientelkönigen im Osten kannten, und dazu fragten sie nicht lange.
Ganz so einfach kann das nicht gewesen sein. Die Cherusker waren schließlich keine Untertanen, denen die Römer einfach ungefragt einen Statthalter oder Klientelkönig verpassen konnten. Ganz ohne Rückhalt zumindest bei Teilen des Stammes kann das nicht praktikabel gewesen sein. Das bestätigt auch die weitere Entwicklung: Als es zum Bürgerkrieg zwischen Italicus und seinen Gegnern kam, behielt er zunächst die Oberhand. Er muss also sehr wohl über einen nicht unbedeutenden Anhang im Stamm verfügt haben. Erst später wurde er dann doch vertrieben und konnte die Herrschaft nur mit langobardischer Hilfe zurückgewinnen.

Interessant finde ich allerdings, dass man von diesem Klientelkönigtum in Germanien in der Folge nichts mehr hört. Offensichtlich fiel die Idee nicht gerade auf fruchtbaren Boden, sprich die Cherusker hielten in Wirklichkeit gar nichts davon, sich einem römischen Marionettenkönig zu unterwerfen.
Manche waren anscheinend sehr wohl bereit, den Italicus zu akzeptieren - aber natürlich nicht alle.
Das Problem war wohl eher, dass es bei den germanischen Stämmen keine staatlichen Strukturen gab, auf die die römische Klientelpolitik aufbauen konnte. Im Osten fanden die Römer historisch gewachsene, monarchisch regierte Staaten vor, in denen sie im Bedarfsfall einfach den einen Herrscher absetzen und einen neuen einsetzen konnten. Bei den den Römern benachbarten germanischen Stämmen hingegen gab es noch keine vergleichbaren staatlichen Strukturen und monarchischen Traditionen. Ein Klientelkönig hatte in einem germanischen Stamm daher eine recht wacklige Position und musste sich erst einmal im Stamm durchsetzen. Wenn er eine genügend große Anhängerschaft (oder genügend römisches Gold) hatte, konnte das zumindest für eine Weile klappen, aber stabile Verhältnisse, wie die Römer sie für ihre Nachbarschaft wünschten, ließen sich so nicht herstellen.
 
ar.

Die Behauptung, dass es in den germanischen Stämmen der Kommandogewalt eines Adels bedurft hätte, um militärisch effektives Vorgehen zu ermöglichen, ist abstrus.

Hier wird Ursache und Wirkung verwechselt. Der Stammesadel entstand nicht aus der Notwendigkeit heraus, dass man ihn brauchte. Vielmehr entwickelte sich ein solcher Adel, weil er Besitztümer anhäufte und Unfreie sammelte, und somit ein bedeutender ökonomischer Faktor wurde. Wer große Gefolgschaften ins Feld führen konnte, zeichnete sich - vielleicht auch durch persönliche Tapferkeit - im Krieg gegen benachbarte Stämme aus. So entstand automatisch eine führende Schicht, die die Geschicke des Stammes lenkte und bestinnte. Solche Eliten werden als Adel bezeichnet, tragen bei anderen Völkern andere Namen, doch ist der Inhalt des Begriffs identisch.

Die politische Führung eines Stammes hatte der Gentiladel (nobiles, principes, reges, duces, proceres, praepositi) inne, aus dem der Stammesführer als Repräsentant der Gemeinschaft und der Kriegsführer (dux) gewählt wurden. Aus dem Gentiladel kamen sicher auch die Priester (sacerdotes); z.B. war der Sohn des Segestes, Segimund, römischer Priester (Tacitus, Ann. 1, 57). Damit versuchten die Römer, den germanischen Adel über den Kult an sich zu binden. In der Struktur des Gentiladels und seiner Macht bestanden sicher Unterschiede zwischen den Stämmen. Tacitus betont jedoch nachdrücklich, dass die "reges" keine unbegrenzte willkürliche Macht besaßen und dass die "duces" nur duirch ihr Vorbild wirken mussten.

Die adlige Schicht erweiterte in den letzten Jahrzehnten vor der Zeitenwende ihre Macht zunächst bei kriegerischen Ereignissen. Raub und Tributerhebung führten über eine ungleichmäßige Verteilung zu ihrer Bereicherung. Auf den Bestattungsplätzen im Elbe-Oder-Gebiet sind diese Krieger (Waffen, Tracht) in gesonderter Lage beigesetzt worden.

Die wirtschaftliche Kraft des Gentiladels und ähnlicher Schichten gründete sich u.a. auf Abgaben der eigenen und fremden Stammesbevölkerung (Tribute, Ehrengeschenke), auf Ausbeutung Unfreier in Verbindung mit einer ungleichen Bodenverteilung und auf die mögliche Bindung eines Teils der handwerklichen Produktion an seinen Hof. Dass bedingte, dass diese sich immer mehr von ihrer manuellen Tätigkeit lösen konnten und in Raub, Krieg und Verwaltung ihre Aufgaben sahen (dazu auch Tacitus, Germ. 14-15).

Vermutlich besaß der Stammesadel eigene abgesonderte Höfe, die durch Palisaden und Gräben befestigt sein konnten. Ahnliches lässt sich aus dem Bericht des Tacitus schließen, wonach der Cherusker Segestes eine Zeitlang von den Kriegern des Arminius belagert und erst durch die Römer befreit wurde (Ann. 1, 57). Da er Verwandte und Gefolgsleute aufgenommen hatte, muss sein Gehöft auch entsprechend groß gewesen sein.

Rom sah in dieser Schicht bereits eine herrschend Elite und versuchte, direkt oder indirekt seine eigenen Interessen durchzusetzen und die Stammesführung zu schwächen. Die Verleihung römischer Bürger- und Ritterwürden unterstützte den Prozess der Absonderung des Stammesadels von der Masse der Stammesbevölkerung.

Unter anderem wird auch im Elbe-Oder-Gebiet für den Beginn unserer Zeitrechnung ein Stammesadel nachgewiesen. Erwähnt sind bei den Hermunduren zwischen 21 (Tacitus, Ann. 2, 63) und 49 n. Chr. Vibilius (Hermundurorum rex: Ann. 12, 29) und bei den Semnonen Masyos (rex). Für die Rugier, Goten und Lemovier erwähnt Tacitus sogar einen stärkeren Einfluss des Adels.

Eine solche Stammesaristokratie ist vor allem in den so genannten Fürstengräbern vom Lübsow-Typ zu erkennen. Ihre Grabplätze sind durch eine isolierte Lage von den übrigen Friedhöfen gekennzeichnet. Aufwendige Grabkammern aus Steinen und ein Erdhügel bedeckten den Toten. Auffallend ist die reiche Ausstattung der Gräber mit römioschem Geschirr, Gerät und Edelmetallschgmuck. Verschiedentlich bestatteten die adligen Familien ihre Toten seit Generationen immer an derselben Stelle (z.B. Lubieszewo und Hagenow). Prunkgräber von Lübsow ? Wikipedia
 
Der Stammesadel entstand nicht aus der Notwendigkeit heraus, dass man ihn brauchte. Vielmehr entwickelte sich ein solcher Adel, weil er Besitztümer anhäufte und Unfreie sammelte, und somit ein bedeutender ökonomischer Faktor wurde. Wer große Gefolgschaften ins Feld führen konnte, zeichnete sich - vielleicht auch durch persönliche Tapferkeit - im Krieg gegen benachbarte Stämme aus. So entstand automatisch eine führende Schicht, die die Geschicke des Stammes lenkte und bestinnte. Solche Eliten werden als Adel bezeichnet, tragen bei anderen Völkern andere Namen, doch ist der Inhalt des Begriffs identisch.

Überraschend marxistisch wirkende Auffassung.
 
Für die Rugier, Goten und Lemovier erwähnt Tacitus sogar einen stärkeren Einfluss des Adels.

Interessante Interpretation.
Bei Tacitus stehen diese zwei Sätze:

Unmittelbar hierauf folgen vom Ocean her die Rugier und Lemovier. All dieser Völker Kennzeichen sind runde Schilde, kleine Schwerter, und Gehorsam gegen Könige


Hieraus das Vorhandensein eines Adels, oder gar eine Charakteristik der Beziehungen zu diesem ernsthaft herauslesen zu wollen, ist schon gewagt.

Unter anderem wird auch im Elbe-Oder-Gebiet für den Beginn unserer Zeitrechnung ein Stammesadel nachgewiesen. Erwähnt sind bei den Hermunduren zwischen 21 (Tacitus, Ann. 2, 63) und 49 n. Chr. Vibilius (Hermundurorum rex: Ann. 12, 29) und bei den Semnonen Masyos (rex).


In Ann.2,63 ist Vibilius noch ein "dux". Überhaupt ist sehr fraglich, ob eine bloße Nennung durch Tacitus wirklich mit dem Wort "nachgewiesen" zusammenpasst.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier wird Ursache und Wirkung verwechselt. Der Stammesadel entstand nicht aus der Notwendigkeit heraus, dass man ihn brauchte.
Dein Beitrag ist eine echte Herausforderung. Wie soll ich darauf antworten, ohne das böse Wort zu benutzen? Na, es wird schon gehen. Die langen Jahre meines Lebens am üppigen Busen von alma mater waren zwar mehr von Genuss als von Arbeit geprägt und endeten zudem jäh und ohne den Lohn eines inzwischen karrieregefährdenden Titels, aber wenn man als Soziologe eines lernt, dann ist es das Labern. Agedum:

Eine Sache, die mir aus dem Beisammensein mit staubigen Büchern noch in Erinnerung ist, ist die Erkenntnis, dass sich keine gesellschaftliche Institution entwickelt, ohne irgendeinen Zweck zu haben. Erkennbar ist natürlich auch, dass nachträglicher "Missbrauch" gelegentlich so dominierend werden kann, dass man eine Menge Hirnschmalz aufwenden muss, um die ursprüngliche Funktion noch erkennen zu können. Das war aber jetzt nur wieder Soziologengelaber. Auf den ... youknowwho ... trifft das nicht zu. Dessen ursprüngliche Funktion lässt sich heute noch sehr genau bestimmen. In solchen posthumen Analysen ist die Soziologie richtig gut. Jedenfalls gilt: Am Anfang ist das Wort ... ähhhh ... die Funktion. Dann folgt die Institutionalisierung, danach unter Umständen die Pervertierung.

Oder, volkstümlicher ausgedrückt: Es festigt sich nichts, was nie jemand gebraucht hat.

Vielmehr entwickelte sich ein solcher Adel, weil er Besitztümer anhäufte und Unfreie sammelte, und somit ein bedeutender ökonomischer Faktor wurde. Wer große Gefolgschaften ins Feld führen konnte, zeichnete sich - vielleicht auch durch persönliche Tapferkeit - im Krieg gegen benachbarte Stämme aus.
Da kann es sich dann aber nur um die Anhäufung beweglicher Besitztümer gehandelt haben. Ich hoffe, ich mache jetzt keine neue Diskussionsfront auf, aber wir können ja wohl davon ausgehen, dass es in den germanischen Stämmen keine Vorstellung von "Grundeigentum" (Immobilien) gab, die unseren heutigen Konzepten ähneln würde. Damit würde sich die Frage stellen, welche Form von Eigentum es damals gab, die eine "Verzinsung" möglich gemacht hätte. So eine "Verzinsung" wäre aber eine wichtige Voraussetzung, um aus Eigentum noch mehr Eigentum zu machen. Soziolaberer nennen das Akkumulation. Der Mann, als dessen geistiger Sohn Du gerade enttarnt worden bist, sprach von "ursprünglicher Akkumulation", als er in seinem Werk "Das Kapital" das Verhältnis zwischen den Kapitalbesitzenden und den "nur mit ihrer Arbeitskraft Ausgestatteten" beschreiben wollte.

Mir ist nicht klar, welche Art von Kapital unter den Germanen eine Akkumulation von Kapital ermöglicht hätte. Persönliches Ansehen vielleicht. Aber persönliches Ansehen ist nicht vererbbar. Vererbbarkeit wäre aber eine unerlässliche Voraussetzung für die Ausbildung eines ... youknowwho.

Fehlt die Möglichkeit der Vererbung, ist die Chance zur Erreichung einer gesellschaftlich herausgehobenen Stellung nur an die persönliche Leistung gebunden. Einem Inhaber einer solchen herausgehobenen Stellung wäre es zwar möglich, seinen eigenen Nachkommen bessere Voraussetzungen für das Erlangen einer ähnlichen Stellung zu verschaffen. Aber die Möglichkeiten sind doch eher begrenzt. Eine Million Euro kann man sehr viel leichter vererben als Ruhm.

Aus dem Gentiladel kamen sicher auch die Priester (sacerdotes); z.B. war der Sohn des Segestes, Segimund, römischer Priester (Tacitus, Ann. 1, 57). Damit versuchten die Römer, den germanischen Adel über den Kult an sich zu binden.
Treffend formuliert. Die RÖMER verliehen den Titel. Es war IHRE Erfindung. Welchen Sinn hätte es auch gehabt, wenn die Germanen ihn hätten verleihen wollen? Vermutlich hätte alle Welt nur über die seltsamen Gewänder gelacht.

Vermutlich besaß der Stammesadel eigene abgesonderte Höfe, die durch Palisaden und Gräben befestigt sein konnten.
Wenn es in jedem Stamm sowas gegeben hat, warum hat man dann bis heute nicht einen einzigen dieser Höfe finden können? Bei den Kelten ist es doch auch gelungen.

Ahnliches lässt sich aus dem Bericht des Tacitus schließen, wonach der Cherusker Segestes eine Zeitlang von den Kriegern des Arminius belagert und erst durch die Römer befreit wurde (Ann. 1, 57). Da er Verwandte und Gefolgsleute aufgenommen hatte, muss sein Gehöft auch entsprechend groß gewesen sein.
Tacitus schreibt nichts davon, dass das "Gehöft" von Segestes belagert worden wäre. Er schreibt, dass Segestes belagert wurde. Wo Segestes sich zu dem Zeitpunkt befand, steht nirgendwo. Vielleicht in einer der zahlreichen "Teutburgen", von deren Existenz wir aufgrund der Buddelwütigkeit von Archäologen wissen?

Rom sah in dieser Schicht bereits eine herrschend Elite und versuchte, direkt oder indirekt seine eigenen Interessen durchzusetzen und die Stammesführung zu schwächen. Die Verleihung römischer Bürger- und Ritterwürden unterstützte den Prozess der Absonderung des Stammesadels von der Masse der Stammesbevölkerung.
Dass Rom ein Interesse daran hatte, eine solche Elite zu fördern, und dass Rom solche Eliten nach Kräften gefördert hat, ist zwischen uns nicht umstritten. Umstritten ist: Gab es die Elite von vornherein oder musste Rom eine Elite erst schaffen und in ihrer Existenz erhalten (sie "institutionalisieren")?

Das Problem beim Vorgehen Roms gegen die "Barbaren" lag darin, dass Rom den Germanen eine Vorstellung von Eigentum und Rechtsdurchsetzung vermitteln musste, die den "Barbaren" völlig fremd war. VÖLLIG fremd! Erst mit der Ankunft römischer Legionen wurde der Grund und Boden, auf dem die Stämme lebten, zu "Eigentum". Zu RÖMISCHEM Eigentum. Erst mit der Ankunft der Römer wurde es für die germanischen Ziegenbesitzer unmöglich, zum Nachbarn zu gehen, die zuvor geklaute Ziege zurückzuholen und im Vorbeigehen dem Ziegendieb eine aufs Maul zu hauen. Plötzlich brauchten die wütenden, bewaffneten und durchaus kräftigen Ziegenbesitzer für die Rückholung ihrer Ziegen die Erlaubnis von einem fetten Typ in weißem Kleid, der auf einem Sofa rumlag und kandierte Schweinsohrspitzen in Aspik fraß, während der Ziegenbesitzer in gerechter Empörung seinen Verlust beklagte.

Plötzlich musste der Ziegenbesitzer eine fremde Sprache verstehen, um zu begreifen, dass der fette, betrunkene Transvestit, der sich gerade mit kandierten Schweinsohrspitzen vollstopfte, die Rückholung der geklauten Ziege verbot.

Und wenn es dem halbbetrunkenen Schweinsohr-Genießer in den Kram passte, dann konnte er auch noch direkt vor dem Wohnhaus des Ziegenbesitzers eine "römische Kolonie" gründen und damit kundtun: Weder die Ziegen noch das Gras, das sie fressen, gehören länger Dir. Die gehören jetzt ROM! Genau das haben die Römer jedesmal gemacht, wenn sie irgendwo ein Volk unterworfen haben.

Nur damit das jetzt nicht so klingt, als würde ich hier die "nationalistische Karte" spielen: Die geforderte Unterordnung unter römisches Recht wurde auch durch Vorteile vergütet. Es gab durchaus Gründe, das Vorgehen gutzuheißen. Für Menschen, die so ÜBERHAUPT NICHT an derartige Gepflogenheiten gewöhnt waren, war es nur sehr schwer, sowas einfach hinzunehmen. Besonders nicht angesichts der Tatsache, dass das Ansehen dieser Menschen in ihrer Gesellschaft in hohem Maße von der Bereitschaft abhing, mit der Waffe in der Hand ihr Recht zu verteidigen. Beim Aufeinandertreffen zwischen Germanen und Römern war dieser Konflikt vorprogrammiert. Und damit der ausbrach, musste kein ... youknowwho ... aufstehen und "Attackkkeeee!!!!!!!!!!!" schreien! Da reichte es völlig, dass irgendein Germane beim Ackern zu seinem Nachbarn sagte: "Du, mein Römer hat neulich "Augustus" gesagt..."

Liebe Forengemeinde, verzeiht mir des Vergleiches kühnen Bogen.

Unter anderem wird auch im Elbe-Oder-Gebiet für den Beginn unserer Zeitrechnung ein Stammesadel nachgewiesen.
....
Aufwendige Grabkammern aus Steinen und ein Erdhügel bedeckten den Toten. Auffallend ist die reiche Ausstattung der Gräber mit römioschem Geschirr, Gerät und Edelmetallschgmuck. Verschiedentlich bestatteten die adligen Familien ihre Toten seit Generationen immer an derselben Stelle (z.B. Lubieszewo und Hagenow). Prunkgräber von Lübsow ? Wikipedia
In dem von Dir geposteten Link wird auch angemerkt, dass die Sitte der Körperbestattungen für Germanen ungewöhnlich ist und dass sie vermutlich "an keltische Traditionen anknüpft bzw. auf römische Einflüsse zurückzuführen ist". Jedenfalls gibt es Belege solcher außergewöhnlichen Körperbestattungen erst aus der Zeit nach der Zeitenwende.

MfG
 
Wie soll ich darauf antworten, ohne das böse Wort zu benutzen?

Marxist issa doch schon, der Dieter; jibts noch schlimmeres uffa Welt?
:S ;)

ME prallen gerade zwei unterschiedliche Betrachtungsweise aufeinander. Die soziologische, die gesellschaftliche Strukturen wie "Adel" auf ihre Dunktion untersucht (und daher voraussetzen muss, dass es eine solche gibt), und die hostorische, die Prozesse betrachtet, in denen sich Begriffe und gesellschaftliche Funktionen verändern. Ich sehe wenig konkrete Widersprüche, allerdings...


Da kann es sich dann aber nur um die Anhäufung beweglicher Besitztümer gehandelt haben.
(...)
Damit würde sich die Frage stellen, welche Form von Eigentum es damals gab, die eine "Verzinsung" möglich gemacht hätte. So eine "Verzinsung" wäre aber eine wichtige Voraussetzung, um aus Eigentum noch mehr Eigentum zu machen.

Vieh. Saatgut. Werkzeug, Eisen, Schmiedetechnik. Menschen.

Die Bedeutung von Land und die daraus abgeleiteten Eigentumsvorstellungen hängen immer mit a) der Verfügbarkeit und b) der in das Land investierte Arbeit zusammen. Für Germanien bzw die betrachtete Region kann man davon ausgehen, dass a) eigentlich kein Problem war (das Land war nur dünn besiedelt, es gab große Wildnisgebiete). Allerdings steckten auch Germanen einiges an Arbeit in die Rodung von Feldern. Wenn das allerdings Felder waren, die ohnehin nur wenige Jahre bewirtschaftet waren, ehe sie ausgelaugt waren und neue angelegt werden mussten, relativiert sich der Wert sehr stark. Ein Feld, was man in zwei, drei Jahren eh aufgeben wird, verteidigt man nicht wie eines, dass man an seine Nachfahren zu vererben gedenkt.

Insofern: Die Germanen werden eine Vorstellung von Eigentum, auch an Grund und Boden gekannt haben; neben der Allmende, die den Rest des kontrollierten Territoriums bildete (also nicht von Feldern, Häusern, Gärten etc in Beschlag genommen wurde), und die Allgemeintgut war.

Gerade die mobilen Wertgegenstände dürfen aber nicht vernachlässigt werden. Die Germanen waren eben keine egalitäre steinzeitliche Gesellschaft, in denen dinglicher Besitz nur eine untergeordnete Rolle spielte. Zuerst wäre da wie gesagt der Viehbesitz, seien es Rinder, seien es Schweine, Schafe, Ziege, oder die militärisch wichtigen Pferde, auf die ich schon eingegangen bin. Vieh wird eine wichtige Rolle in der alltäglichen Wirtschaft gespielt haben, wie auch bei vielen keltischen Völkern. Und Vieh ist mobil, was auf der einen Seite heisst, dass der Besitz daran einem Wohnortwechsel nicht im Wege steht und im Notfall evakuiert und versteckt werden kann; auf der anderen Seite macht es aber extrem angreifbar, da Vieh gestohlen werden kann (im Gegensatz zu Ackerland, das man nur besetzen oder erobern kann). Die Konsequenzen in Verbindung mit dem fehlenden Justizsystem, und das dies zu blutigen Fressen bei Ziegendieben führen kann, wurde ja schon thematisiert. ;)

Zweitens wäre Saatgut zu nennen, dass sich ganz real "akkumuliert", also mehr wird, wenn man es in den Bden steckt. Gut, wenn ich den Boden erst mal vom Urwald befreien muss, bevor ich säen kann, mag das ein vergleichsweise geringes Problem sein, aber wenn ich schlicht kein Korn habe, kann ich mir auch das roden sparen. Auch dies eine Sache, an der Eigentum ausgesprochen wichtig sein kann, inkl Kreditverträgen, Zinsen, Wucher etc.

Drittens die große Rolle, die auch und gerade die Metallverarbeitung bei den Germanen spielte. MWn war das germanische Eisen allgemein eher rar, und qualitativ eher miserabel. Es war aber ein wichtiges Instrument, um in den germanischen Wäldern überhaupt Landwirtschaft betreiben zu können, Häuser zu bauen, und die militärische Komponente liegt auch auf der Hand. Der Besitz von eisernen Gegenständen (zumindest in größerer Menge), und besonder die Kontrolle über die Produktion waren etwas, was Reichtum darstellte und Macht über andere verlieh, und sei es Verhandlungsmacht. Dazu sehr interessant die Rolle des Schmiedes in der germanischen Mythologie: Wieland war kein unbedeutender Handwerker. ;)

Viertens spielen reine Zahlen eine umso größere Rolle, eh geringere die sozialen Differenzen bzw je größer die Egalität ist. Da Familien und Sippen in Gesellschaften ohne zentrale Institutionen meist eine sehr große Rolle spielen: Eine größere Familie kann mehr Land bebauen, größere Viehherden hüten und bewachen, und stellt in Auseinandersetzungen eine größere Gefahr dar; zumindest, wenn diese Familie sich einig ist und geschlossen auftritt. Kann eine Familie die Zahl ihrer Arbeitskräfte bspw durch Unfrei/Sklaven noch vergrößern, wird dieser Faktor noch bedeutender.

Die Germanen zZt des Arminius stellen mE ein Stadium dar, in dem es noch keinen "institutionalisierten Adel" gab, aber schon deutliche Differenzen zwischen Individuen, die auch auf wirtschaftlichen bzw institutionalisierten Gegebenheiten beruhten (Eigentum), und nicht nur auf persönlichen (Charisma, Wissen). Es wird große und wohlhabende Familien gegeben haben, und deren Oberhäutper (patriarchal waren sie ja, die Germanen) hatten eine größere Macht als die Oberhäupter kleiner und/oder armer Familien. Solange diese Familien sich nicht spalteten und ihren Besitz beisammen hielten, tradierte sich diese Rolle auch durch die Generationen, aber eine Vererbung von Titeln gab es noch nicht.

Noch ein Wort zur Rolle des Arminius: Die anti-römische Simmung gab es mE auch ohne ihn. Interessant dürfte va gewesen sein, dass sich hier ein Mann gegen die Römer stellte, der a) aus einer solchen großen, wohlhabenden Familie stammte, b) mehr über große militärische Operationen wusste als irgendein Germane ohne römische Ausbildung, und c) den Feind, eben die Römer, bestens kannte. Germanen, die in der römischen Armee gedient hatten, muss es viele gegeben haben. Interessant wäre, wie viele mit Arminius Hintergrund es gab; also Germanen mit einem gewissen familiären Einfluss auf germanischer Seite, die gleichzeitig nicht nur als Söldner, sondern als Kommandeure gedient hatten und Erfahrung in der Planung und Organisation hatten, und nicht nur taktische.
 
Marxist issa doch schon, der Dieter; jibts noch schlimmeres uffa Welt?
:S ;)
Ja. Bayern-Fans. :pfeif:

Vielleicht reden wir in vieler Hinsicht tatsächlich mit verschiedenen Worten über die gleiche Sache. Aber ich zweifle noch. Was die Frage nach beweglicher und unbeweglicher Habe betraf, wollte ich darauf hinaus, dass die Entwicklung von hierarchisch gegliederten Gesellschaftsformen in der Regel eng mit der Verfügungsgewalt über Grundbesitz zusammenhing. Das ist deshalb so, weil der verfügbare Grundbesitz in einer Gesellschaft endlich ist. Je mehr sich eine gesellschaftliche Gruppe davon sichern kann, desto weniger steht der anderen zur Verfügung. Daraus resultiert gesellschaftliche Ungleichheit, in der Folge auch das Ausmaß der Fähigkeit, aus dem Grundbesitz (selbst oder durch Sklaveneinsatz) Gewinn zu ziehen. Das festigt und verstärkt die Ungleichheit weiter. Der Zusammenhang zwischen Grundbesitz und institutionalisierter Macht ist so eng, dass es die Theorie gibt, Grundbesitz sei eine Bedingung für die Entwicklung eines ... youknowwho. Ist aber umstritten. Jedenfalls kann das für die germanischen Stämme eigentlich kein Faktor gewesen sein, da es bei denen offenbar keinen persönlich zugeordneten Grundbesitz gab. Jedenfalls nicht vor Ankunft der Römer. Dazu waren die Stämme noch zu "mobil".

Viehbestand und spezielle Kenntnis über Technologie könnten Faktoren gewesen sein. Zugriff auf Bodenschätze auch. Erz und Salzquellen wurden ja schon angesprochen. Vielleicht erklären solche Faktoren aber eher die Bedeutung einzelner Stämme und weniger innere soziale Differenzierungen. Bewegliche Güter (Schmuck, Werkzeug etc) werden eher keine Rolle spielen. Aus denen kann man eigentlich nur "Prestige" ziehen, nur selten ökonomischen Gewinn. Das ist auch heute noch so. Mein Auto, mein Haus, mein Boot. Aber Prestige ist natürlich auch schon was wert. Wenn dann noch Reichtum dazukommt... Dann müsste man aber Spuren davon finden (konnte ich mir jetzt nicht verkneifen :still:).

In diesem Sinne:

Glückauf und gute Nacht, Genossen.
 
Mir ist nicht klar, welche Art von Kapital unter den Germanen eine Akkumulation von Kapital ermöglicht hätte. Persönliches Ansehen vielleicht. Aber persönliches Ansehen ist nicht vererbbar. Vererbbarkeit wäre aber eine unerlässliche Voraussetzung für die Ausbildung eines ... youknowwho.
was könnte die dummen Goten bewogen haben, nach Herrn Theoderichs Tod auf Amalaswintha, Athalarich und sogar den laut Prokop recht nachbarschaftsfeindlichen Theodahad zu setzen, ehe sie die Nichtamaler Witichis und Totilas zu Königen erhoben? ;)
Sippenehre, Königsheil usw usf


Tacitus schreibt nichts davon, dass das "Gehöft" von Segestes belagert worden wäre.
belagern setzt halt irgendeine wehrhafte Behausung/Zuflucht voraus, sonst macht das Verb belagern keinen Sinn --- wenn es wehrhafte, also zu belagernde Zuflüchte gab: wofür? wer baute die? wer finanzierte und unterhielt die?


Umstritten ist: Gab es die Elite von vornherein oder musste Rom eine Elite erst schaffen und in ihrer Existenz erhalten (sie "institutionalisieren")?
das ist unsere Fragestellung (abseits der ursprünglichen Frage, wie die Germanen ihren Widerstand gegen Rom finanzierten und organisierten)

wie wahrscheinlich ist, dass die Römer den Germanen einen Adel mit Sippenstolz, Blutfehde, Königsheil etc einimpften, also wie wahrscheinlich ist, dass diese gemeinhin als typisch germanisch (!) bezeichnete Vorform des Adels ausgerechnet von Rom und seinem Senatorenadel erfunden und weitergereicht wurde???


Das Problem beim Vorgehen Roms gegen die "Barbaren" lag darin, dass Rom den Germanen eine Vorstellung von Eigentum und Rechtsdurchsetzung vermitteln musste, die den "Barbaren" völlig fremd war. VÖLLIG fremd! Erst mit der Ankunft römischer Legionen wurde der Grund und Boden, auf dem die Stämme lebten, zu "Eigentum". Zu RÖMISCHEM Eigentum. Erst mit der Ankunft der Römer wurde es für die germanischen Ziegenbesitzer unmöglich, zum Nachbarn zu gehen, die zuvor geklaute Ziege zurückzuholen und im Vorbeigehen dem Ziegendieb eine aufs Maul zu hauen. Plötzlich brauchten die wütenden, bewaffneten und durchaus kräftigen Ziegenbesitzer für die Rückholung ihrer Ziegen die Erlaubnis von einem fetten Typ in weißem Kleid, der auf einem Sofa rumlag und kandierte Schweinsohrspitzen in Aspik fraß, während der Ziegenbesitzer in gerechter Empörung seinen Verlust beklagte.

Plötzlich musste der Ziegenbesitzer eine fremde Sprache verstehen, um zu begreifen, dass der fette, betrunkene Transvestit, der sich gerade mit kandierten Schweinsohrspitzen vollstopfte, die Rückholung der geklauten Ziege verbot.

Und wenn es dem halbbetrunkenen Schweinsohr-Genießer in den Kram passte, dann konnte er auch noch direkt vor dem Wohnhaus des Ziegenbesitzers eine "römische Kolonie" gründen und damit kundtun: Weder die Ziegen noch das Gras, das sie fressen, gehören länger Dir. Die gehören jetzt ROM! Genau das haben die Römer jedesmal gemacht, wenn sie irgendwo ein Volk unterworfen haben.
das ist so herrlich und humoristisch geschrieben, dass ich fast zustimmen würde :yes::friends:=)=) ... aber wenn ich mir überlege, wie so ein Germanenkrieger reagiert hätte, wenn man ihm Schwert und Torques oder ähnliches hätte wegnehmen wollen... ... nee nee, Besitz, auch an Land, wird den Germanen vor ihren Querelen mit Varus nicht unbekannt gewesen sein ;)
 
wie wahrscheinlich ist, dass die Römer den Germanen einen Adel mit Sippenstolz, Blutfehde, Königsheil etc einimpften, also wie wahrscheinlich ist, dass diese gemeinhin als typisch germanisch (!) bezeichnete Vorform des Adels ausgerechnet von Rom und seinem Senatorenadel erfunden und weitergereicht wurde???

Hier geht aber doch einiges durcheinander.

Also Sippenstolz gibt es immer, überall, zu allen Zeiten, in allen Gesellschaften. In den modernen weniger, aber immer noch. Besonders ausgeprägt in der klassischen römischen.

Blutfehde/Blutrache ist nun auch nicht gerade eine germanische Erfindung, und ihnen auch nicht gerade exklusiv.

Vom Königsheil sind wir bei Arminius aber noch ein ganzes Stück weg. Hier sind wir eben bei einem Punkt, der den Adel von den "gewöhnlichen" Reichen und Mächtigen trennt, der sakaralen Determination. Die ist auch keine mitteldeutsche Erfindung, heilige und göttliche Herrscher kennen wir vor allem aus anderen Gesellschaften, speziell germanisch sind die nicht.

Überhaupt stört mich schon das Attribut "typisch germanisch(!)", denn wir sollten doch etwas weg kommen von "den Germanen", die zwar eine sprachwissenschaftliches Konstrukt bilden, in der Realität aber meist mit Kelten, Thrakern, Illyrern, Sarmaten und anderen Nachbarn verschmolzen bzw. nicht mehr unterscheidbar waren. Eine gemeinsame Kultur von Krimgoten und Friesen gibt es nicht.
 
Besitz, auch an Land, wird den Germanen vor ihren Querelen mit Varus nicht unbekannt gewesen sein

Wenn man sich anschaut, welche Probleme man hierzulande noch jahrhundertelang mit Grundbesitz hatte, spricht das eher für Maelonns Anschauung. Grundeigentum blieb doch ein heikles Thema. Der Boden wurde veliehen, vergeben, verpachtet, versprochen und was nicht alles, verblieb aber irgendwie immer Eigentum des Herrschers oder noch höherer Instanzen.
 
Nun, "Sippenheil" ist jetzt durchaus was sehr irdisches. Und ein falscher Ausdruck obendrein. "Heil" bedeutet ja das, was für heute "Glück" nennen und mit "Sippe " sind ja hier die Blutsverwandten gemeint. Also wäre "Familienglück" gemeint. Eben das Quentchen Glück, das einer braucht um dauerhaft erfolgreich zu sein.
Das "göttliche" kommt ja erst mit Pippin auf, der eben das nichtvorhandene "Königsheil" seiner Familie durch päpstlichen Segen erfolgreich ersetzt.

Vorher ist das eher die Annahme, das Mitglieder einer Familie , in der schon die Vorfahren ein "glückliches Händchen " für etwas hatten, dieses auch haben. Also Großvater war ein guter Anführer , Vater auch,naja, da kann einer der Söhne das eher als einer aus einer unbekannten Familie. Es gibt ja viele Betriebe heute noch, die damit werben "Familienbetrieb seit 17 xx" oder so. In dem Sinne kann man auch bei der Familie des Arminius von der Annahme des "Sippenheils" ausgehen.

Wenn hier verkürzt von "Germanen" gesprochen wird, sollten eigentlich die an diesem Kampf mit den Römern beteiligten Germanen gemeint sein, also Cherusker und andere.

Denn welche Stämme jetzt an diesem Kampf beteiligt waren????? Und davon sind ja wohl auch nicht alle für diesen Krieg gewesen
 
Plötzlich musste der Ziegenbesitzer eine fremde Sprache verstehen, um zu begreifen, dass der fette, betrunkene Transvestit, der sich gerade mit kandierten Schweinsohrspitzen vollstopfte, die Rückholung der geklauten Ziege verbot.

Ja, das ist sehr schön formuliert.

Ich bin allerdings immer sehr skeptisch, wenn ich lese, daß die Germanen wegen des römischen Rechtssystems auf die Barrikaden gingen. Beim Steuersystem hatte ich oben schon angemerkt, daß es verwunderlich ist, daß die Römer Keines der ihnen bekannten, angewandten und passenderen Steuersysteme eingesetzt haben.

Beim Rechtssystem kommen noch mehr Fragen auf. Ein römische Statthalter war nicht zuständig für lokales Zivilrecht. Dies überließ man in allen Provinzen den lokalen Behörden und ihren traditionellen Richtern und Rechtssystemen mit eigenen Gesetzen. Ein Statthalter wurde üblicherweise nur tätig, wenn:
- ein Römer involviert war und Klage erhob
- ein Streit zwischen Civitates oder Stämmen geklärt werden musste
- bei Kapitalverbrechen, wobei sie den Begriff etwas enger fassten als heute und teilweise auch lokalen Behörden übertrugen.

Ich wundere mich daher immer wieder wenn etwa gerade jüngstens wieder in einer BBC-Dokumentation, das Bild vom römischen Statthalter gezeichnet wird, der die Gerichtsbarkeit an sich riss. Dazu war ein Statthalter üblicherweise weder bevollmächtigt, noch hätte er die personelle Ausstattung gehabt.

Die Ziege wie auch die Masse aller Rechtsfälle durfte gar nicht erst als Klage angenommen worden sein.

Man könnte es natürlich als Hinweis nehmen, auf die Nicht-Existenz einer germanischen Oberschicht. Wenn die Germanen keine funktionierende Gerichtsbarkeit hatten, dann hätte sich ein Statthalter vielleicht aufgerufen gefühlt, dies so gut er konnte, zu übernehmen. Aber war es nicht so, daß die Germanen ganz gut selbst Recht sprechen konnten?

Woher kommt die Mär eigentlich, Tacitus?
 
Zuletzt bearbeitet:
Überhaupt stört mich schon das Attribut "typisch germanisch(!)", denn wir sollten doch etwas weg kommen von "den Germanen", die zwar eine sprachwissenschaftliches Konstrukt bilden, in der Realität aber meist mit Kelten, Thrakern, Illyrern, Sarmaten und anderen Nachbarn verschmolzen bzw. nicht mehr unterscheidbar waren. Eine gemeinsame Kultur von Krimgoten und Friesen gibt es nicht.
betrachte das doch un peu humoristisch: wo es "die Römer" als fette betrunkene Transvestiten gab, da darf es die "typischen Germanen" (gerne mit Hörnerhelm) geben :):)

Natürlich sind Gefolgschaften, Königsheil (hierzu interessant die heidnische Komponente von hail, hailag, welche z.B. dazu führte, dass in christlichem Kontext lieber das Wort wih (geweiht) für heilig verwendet wurde) und einige andere überwiegend mit "den Germanen" (als Schlagwort, nicht als geschlossene Ethnie!) verbundene Charakteristika erst einige Zeit nach den Erfolgen des Arminius aufgeschrieben worden - allerdings bedeutet der Zeitpunkt der ersten schriftlichen Fixierung nicht automatisch, dass erst in diesem Moment der schriftlich fixierte Umstand geboren worden sei. Mithin können diese Charakteristika durchaus als älter bezeichnet werden.
 
...allerdings bedeutet der Zeitpunkt der ersten schriftlichen Fixierung nicht automatisch, dass erst in diesem Moment der schriftlich fixierte Umstand geboren worden sei. Mithin können diese Charakteristika durchaus als älter bezeichnet werden.

Ja klar, könnte, hätte, wäre usw. - wir wissen es nicht wirklich.

Allerdings betonen diverse Autoren, vor allem Heather, Kulikowski u.a. die radikalen Änderungen der Gesellschaftsformen an der römischen Peripherie im Vorfeld der Völkerwanderungszeit.
Rom schuf sich seine Nachbarn erst, mit ihren Strukturen und allem drum und dran. Daher entstehen dort erst die neuen "Völker", die wir als Franken, Allemannen, Goten usw. kennen, als Produkt der römischen Grenz- und Handelspolitik.
Eine Kontinuität zu den vorrömischen Gesellschaften zwischen Rhein und Elbe zu postulieren erscheint da äußerst gewagt.
 
belagern setzt halt irgendeine wehrhafte Behausung/Zuflucht voraus, sonst macht das Verb belagern keinen Sinn --- wenn es wehrhafte, also zu belagernde Zuflüchte gab: wofür? wer baute die? wer finanzierte und unterhielt die?
Sicher muss es eine wehrhafte Behausung gegeben haben, damit eine Belagerung möglich ist. Ich bezweifele nur, dass es ein Bauernhaus war. Eher käme eine der überall im Land nachgewiesenen Ringwallanlagen in Frage, die offenkundig von größeren Gemeinschaften als Rückzugsmöglichkeiten für Zeiten des Krieges angelegt worden sind. Das dürfte mindestens von Siedlungsgemeinschaften, vielleicht sogar von Sub-Stämmen erledigt worden sein. Zu dem Zeitpunkt, als Segestes belagert wurde, waren alle beteiligten Stämme schon so hochgradig mobilisiert, dass ein Gebäude, Gehöft, Dorf schnell überrannt worden wäre.

... aber wenn ich mir überlege, wie so ein Germanenkrieger reagiert hätte, wenn man ihm Schwert und Torques oder ähnliches hätte wegnehmen wollen... ... nee nee, Besitz, auch an Land, wird den Germanen vor ihren Querelen mit Varus nicht unbekannt gewesen sein ;)
Nur aus dumpfer Erinnerung heraus und ohne das jetzt nachprüfen zu können, meine ich, dass bei den Treverern nach dem Bataveraufstand der Waffenbesitz irgendwie beschränkt worden sein könnte. Jedenfalls reißen zu der Zeit offenbar Bestattungen mit Waffenbeigaben ab. Wie gesagt: Dumpfe Erinnerung. Vielleicht täusche ich mich.

Grundbesitz: Ja, den dürfte es in gewisser Weise gegeben haben. Man kann sicher sein, dass die Stämme das Land, auf dem sie lebten irgendwie als ihr Eigentum angesehen haben. Es gab aber offenbar keinen individuell zugerechneten Grundbesitz (richtiger: Grundeigentum). Das kann man jedenfalls daraus schließen, dass die Germanen laut Tacitus eine Art "Wechselfeldbau" betrieben und dass sie zudem wenig Mühe hatten, kurzfristig ihre Wohnsitze zu verlagern. Das wirkt eher so, als hätten sie Land jeweils spontan in Besitz genommen und als hätten sie dieses Land dann nicht als Eigentum einzelner Personen sondern als Eigentum der Gemeinschaft betrachtet. Eine Form von Grundbesitz, die sich auch in späteren Zeiten noch nachweisen lässt.

Ich bin allerdings immer sehr skeptisch, wenn ich lese, daß die Germanen wegen des römischen Rechtssystems auf die Barrikaden gingen. Beim Steuersystem hatte ich oben schon angemerkt, daß es verwunderlich ist, daß die Römer Keines der ihnen bekannten, angewandten und passenderen Steuersysteme eingesetzt haben.
Die Quellen (Velleius, Dio) berichten, dass Varus im Cheruskergebiet mit Rechtsprechung beschäftigt gewesen sei. Laut Tacitus beklagte Arminius, dass im Cheruskerland nun Toga und Beile (Symbol römischer Rechtsprechung) zu sehen seien. Ein bei Hedemünden gefundenes römisches Halseisen belegt die durch eine Obrigkeit durchgesetzte Anwendung von Ehren- und Körperstrafen, die den Germanen völlig fremd war (bei ihnen musste Recht wie geschrieben persönlich durchgesetzt werden). Zudem sah die Unterwerfung eines Stamms durch Rom (gleichgültig ob sie freiwillig oder mit Gewalt erfolgte) meines Wissens nach grundsätzlich so aus, dass alle festen und beweglichen Gegenstände von Wert, sämtliches Vieh und sämtliche Menschen demonstrativ von den Römern in Besitz genommen wurden. Es war allein der Entscheidung der Römer überlassen, ob sie die Menschen niedermachen, als Sklaven verkaufen oder ihnen die Freiheit schenken wollten. Für alle drei Optionen gibt es historische Beispiele. Selbst wenn die Menschen die Freiheit und ihr Land zurückbekamen, blieben Menschen und Land in römischem Besitz und Rom konnte seine Entscheidung jederzeit revidieren - zum Beispiel indem in dem Gebiet eine Kolonie gegründet wurde und die ursprünglichen Bewohner verschwinden mussten, damit Veteranen das beste Land in Besitz nehmen konnten. War es nicht so, dass nur römische Bürger im Reichsgebiet Eigentum erwerben konnten? Römisches Rechte hatte sehr tiefgreifende Auswirkungen.

Dies alles dürfte für die Germanen sehr viel schwerer zu akzeptieren gewesen sein als die Pflicht, den Römern hin und wieder Rinderhäute zu liefern. Wobei das Beispiel der Friesen zeigt, dass auch die Sache mit den Rinderhäuten zu blutigen Wutausbrüchen führen konnte, wenn sie als Willkür empfunden wurde.

MfG
 
Es ist richtig, daß das eroberte Land im Grundsatz römisches Eigentum war. Allerdings haben auch die Römer unterschieden zwischen Land von Verbündeten und Bekämpften Civitates / Stämmen. Es gibt da verschiedene Modelle, von freien Städten / Stämmen mit (quasi) Eigentum und Steuerbefreiung, Städten mit einer Erpacht, bis hin zu totaler Enteignung als ager publicus und römischen Großpächtern mit diversen Abarten. Letzteres blühte vorwiegend den Stämmen, die gegen Rom kämpften. Oft war das Land danach ohnehin herrenlos, da man die Bevölkerung versklavt hatte.

Es ist leider nicht genau bekannt, welche Eigentums- und Steuerverhältnisse für welchen Stamm in der Germania Magna galten. Einheitlich war es sicher nicht. Und mich wundert, daß man ausgerechnet die Cherusker als einen der wertvollsten Verbündeten so hart besteuert haben sollte. Das Gegenteil wäre gängige Praxis gewesen. Varus hatte also Möglichkeiten, sein Vorgehen an die lokalen Gegebenheiten anzupassen.

Der Aufstand der Friesen soll durch einen Centurio ausgelöst worden sein, der römische Ochsenfelle, also doppelte Größe bzw. Menge forderte. Entweder der Mann war selten dämlich oder vielleicht korrupt, zu gierig und wollte in die eigene Tasche wirtschaften. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, daß es bei den Friesen nicht zu einer Enteignung kam, sondern zu pauschalen Regelungen in Verantwortung der lokalen Civitas. Gleiches gilt für die Bataver. Auch wenn oft Enteignung vielleicht juristisch gegeben war (Cicero, Ulpian, ...). Der Ton macht die Musik.

Im Falle von Koloniegründungen kam es sicher zu Konflikten. Allerdings nahm man oft den ohnehin bereits unter römischer Kontrolle stehenden ager publicus. Und es sind Entschädigungen und Landtausch mit existierenden Gemeinden bekannt. Ganz so willkürlich haben die Römer also nicht immer agiert.

Den Germanen mag aber auch schon die Vorstellung, daß sie unabhängig vom Grad der jeweiligen Umsetzung de iure nur noch Erbpächter waren, sehr widerstrebt haben. Irgendwann wurde ihnen das sicher klar.
 
Zuletzt bearbeitet:
In dem von Dir geposteten Link wird auch angemerkt, dass die Sitte der Körperbestattungen für Germanen ungewöhnlich ist und dass sie vermutlich "an keltische Traditionen anknüpft bzw. auf römische Einflüsse zurückzuführen ist". Jedenfalls gibt es Belege solcher außergewöhnlichen Körperbestattungen erst aus der Zeit nach der Zeitenwende.

Die Fürstengräber sind lediglich eines von mehreren Indizien, die eine sozial abgehobene Schicht bei den Germanen - also eine adlige Elite - wahrscheinlich machen. Der Historiker Peter Heather sagt dazu:

Auch wenn die materiellen Relikte der germanischen Welt aus den letzten vorchristlichen Jahrhunderten keinen Hinweis auf Statusunterschiede geben, heißt das noch lange nicht, dass keine vorhanden waren ...

Fest steht, dass sich die soziale Ungleichheit in der Phase der Kontakte mit dem Römischen Reich dramatisch verschärfte. Archäologisch bestätigen lässt sich der Aufstieg der Militärkönige und ihrer Gefolgschaften durch Bestattungsriten und durch Siedlungsreste ... Opulent ausgestattete Gräber, so genannte Fürstengräber, häufen sich am Ende des 1. Jh. (die so genannte Lübsow-Gruppe) sowie im späten 3. Jh. (Leuna-Haßleben-Gruppe). Da es unwahrscheinlich ist, dass es nur zu dieser Zeit eine soziale Elite gab, wurde die These aufgestellt, die Fürstengräber kennzeichneten Perioden sozialer Spannungen, in denen neue Ansprüche auf einen höheren sozialen Status erhoben wurden ...

Auch die Siedlungsarchäologie bestätigt diesen Wandel. Besonders genau erforscht wurden die Höhensiedlungen der alemannischen Könige und Fürsten. Eine der bekanntesten Höhensiedlungen ist der Runde Berg bei Bad Urach, wo sich Ende des 3. Jh. ein 70 x 50 Meter großes Areal befand, umgeben von einem aus Holz und Erde errichteten Wall. Innerhalb der Umfriedung standen etliche Holzgebäude, darunter wahrscheinlich ein Festsaal zur Bewirtung von Gefolgsleuten und/oder befreundeten Königen. An den Hängen lagen weitere Häuser, u.a. mit Werkstätten für Handwerker und möglicherweise Unterkünften für Bedienstete. Auf dem Runden Berg befanden sich deutlich mehr importierte römische Keramik und andere Objekte, die der Elite vorbehalten waren.

Das alles fügt sich zu einem klaren Bild: Siedlungen und Grabbeigaben belegen eine zunehmende soziale Ungleichheit, und man kann sich leicht vorstellen, dass militärische Macht den Königen und damit auch ihren Gefolgsleuten privilegierten Zugang zu dem neuen Wohlstand ermöglichte.

(Peter Heather, Invasion der Barbaren, 2011 Stuttgart, S. 65 ff.)

Auch Heather geht wie anderen Historiker davon aus, dass es bei den Germanen nach der Zeitenwende - und vermutlich auch zuvor - eine soziale Elite gab, die sich durch Privilegien vom Rest der Stammesbevölkerung abhob. Und so etwas wird in der Regel als "Adel" bezeichnet
 
Der Zusammenhang zwischen Grundbesitz und institutionalisierter Macht ist so eng, dass es die Theorie gibt, Grundbesitz sei eine Bedingung für die Entwicklung eines ... youknowwho. Ist aber umstritten. Jedenfalls kann das für die germanischen Stämme eigentlich kein Faktor gewesen sein, da es bei denen offenbar keinen persönlich zugeordneten Grundbesitz gab. Jedenfalls nicht vor Ankunft der Römer. Dazu waren die Stämme noch zu "mobil".

Auch bei keltischen Völker, die definitv weiter auf diesem Prozess waren, spielte der Viehbesitz eine sehr große Rolle. Das eisenzeitliche Irland kannte sowohl einen Kriegerstand mit einem Stammesadel an der Spitze, eine spezielle Gelehrtenschaft, die ganze Insel umfassende Institutionen. Dennoch war das wichtigste Eigentum nicht Land, sondern Vieh, es wurden beständig Kleinkriege geführt (meist um Rinder...), und Instrumente wie Rache und der entsprechende Gewaltkreislauf spielten eine große Rolle, wenn es auch Mechanismen gab, diese Streitigkeiten zu schlichten; klappte halt nicht immer.

Viehbestand und spezielle Kenntnis über Technologie könnten Faktoren gewesen sein. Zugriff auf Bodenschätze auch. Erz und Salzquellen wurden ja schon angesprochen. Vielleicht erklären solche Faktoren aber eher die Bedeutung einzelner Stämme und weniger innere soziale Differenzierungen.

Das eine hängt mE mit dem anderen zusammen. Auch innerhalb eines Stammes oder Kleinstammes, ja selbst innerhalb größerer Sippen bleibt die Frage, wer die Kontrolle über Ressourcen und Produkte ausübt. Auch in anderen Gesellschaften, in denen sich familiäre bzw Sippenbande zu Gunsten von eher "römischen" Vorstellungen auflösten, verlief die Hauptkonflikt quer durch die Sippen, Clans, wasauchimmer.

Bewegliche Güter (Schmuck, Werkzeug etc) werden eher keine Rolle spielen. Aus denen kann man eigentlich nur "Prestige" ziehen, nur selten ökonomischen Gewinn. Das ist auch heute noch so. Mein Auto, mein Haus, mein Boot. Aber Prestige ist natürlich auch schon was wert.

Abgesehen vom Prestige haben Wertgegenstände auch die Funktion einer Vermögenssicherung. Mein Haus kann ich beleihen, wenn etwas benötige, es kann also als Sicherheit verwendet werden. Mein Auto, meine Jacht oder noch besser meinen Schmuck kann ich verkaufen. Das klappt natürlich nur, wenn es via Handel möglich ist, die benötigten Güter von anderen zu bekommen, aber das war ja möglich.

Insbesonders in Notsituationen ist dies nicht zu unterschätzen. Wenn durch Krankheit, Naturkatastrophe, Überfälle eine Familie oder ein regionaler Kleinstamm in Schwierigkeiten war, konnten materieller Besitz dazu genutzt werden, um dringend benötigtes Saatgut zu kaufen oder das verlorene Vieh zu ersetzen; oder schlicht Nahrungsmittel zu beschaffen, wenn es ans Hungern geht.

Konzentriert sich dieser Reichtum bei wenigen (zumindest in der entsprechenden Größenordnung), kann dies natürlich auch ein Machtfaktor sein.

Wenn dann noch Reichtum dazukommt... Dann müsste man aber Spuren davon finden (konnte ich mir jetzt nicht verkneifen :still:).

Wieso? Die beste Möglichkeit sind doch meist Gräber. Wenn die Germanen in dieser Zeit aus irgend einem Grund keinen Wert auf Grabbeigaben legten, fällt das einfach aus. KA, ob der warum, aber heute findet man "Mein Auto, mein Haus, meine Yacht" ja auch nicht in meinem Grab. ;)
 
Die Fürstengräber sind lediglich eines von mehreren Indizien, die eine sozial abgehobene Schicht bei den Germanen - also eine adlige Elite - wahrscheinlich machen. Der Historiker Peter Heather sagt dazu:....
Zunächst mal kommt bei den Germanen diese Methode der Bestattung erst im ersten Jahrhundert auf, also nach der hier diskutierten spätaugusteischen oder tiberischen Zeit. Dann ist die Interpretation als "Fürstengräber" durchaus diskussionswürdig. Heiko Steuer hat in seiner hier schon zitierten (und sehr lesenswerten) Abhandlung über diese "Fürstengräber" die Ansicht vertreten, dass es sich bei den so Bestatteten um "Grenzgänger" zwischen germanischer und römischer Welt handelte, die sich im Leben wie im Tod bewusst von der Stammesgesellschaft abheben wollten. Ich verlinke den Beitrag nochmal:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/...Fuerstengraeber_der_roemischen_Kaiserzeit.pdf

Auch Heather geht wie anderen Historiker davon aus, dass es bei den Germanen nach der Zeitenwende - und vermutlich auch zuvor - eine soziale Elite gab, die sich durch Privilegien vom Rest der Stammesbevölkerung abhob. Und so etwas wird in der Regel als "Adel" bezeichnet
Dem gegenüber steht die "herrschende Meinung" von Historikern und Sozialwissenschaftlern, dass das Gefolgschaftswesen die Keimzelle jener elitären gesellschaftlichen Gruppe war, deren Privilegien unsere französischen Nachbarn in der Zeit nach 1789 auf ihre Weise "beschnitten" haben. Ich bitte um Nachsicht für diese etwas gehässige Umschreibung des bösen Wortes...

Wie auch immer: Zum Thema Gefolgschaftswesen habe ich eine Abhandlung gefunden, die ebenfalls von Heuko Steuer stammt, dessen Arbeiten ich zunehmend zu schätzen lerne. Auch die verlinke ich mal:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/...nsmoeglichkeiten_archaeologischer_Quellen.pdf

Steuer vertritt da, grob zusammengefasst, die Meinung, dass die Entwicklung des Gefolgschaftswesens durch das Kulturgefälle zwischen Rom und Germanien stark gefördert wurde, dass die Gefolgschaften sich nach und nach zu einer Parallelstruktur zu den Stammesgesellschaften entwickelten und dass sie letztlich den Anstoß zur Auflösung der alten Stämme und schließlich zur Bildung der neuen Stammesverbände gaben.

Ich persönlich finde diese Sicht der Dinge überzeugend.

Auch bei keltischen Völker, die definitv weiter auf diesem Prozess waren, spielte der Viehbesitz eine sehr große Rolle. Das eisenzeitliche Irland kannte sowohl einen Kriegerstand mit einem Stammesadel an der Spitze, eine spezielle Gelehrtenschaft, die ganze Insel umfassende Institutionen. Dennoch war das wichtigste Eigentum nicht Land, sondern Vieh, es wurden beständig Kleinkriege geführt (meist um Rinder...)
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Abgesehen vom Prestige haben Wertgegenstände auch die Funktion einer Vermögenssicherung. Mein Haus kann ich beleihen, wenn etwas benötige, es kann also als Sicherheit verwendet werden. Mein Auto, meine Jacht oder noch besser meinen Schmuck kann ich verkaufen.
Wertgegenstände kann ich beleihen oder verkaufen, wenn es reiche Geldgeber/Kunden gibt. Ob das in Germanien der Fall war? Oder ob man auf die Weise eine herausragende gesellschaftliche Position auf Dauer hätte festigen können? Ich gehe eher davon aus, dass ein Krieger, der im Sold der Römer viel Beute gemacht hatte, sein zusammengeraubtes Tafelsilber nicht als "Geldanlage" betrachtet hat, sondern dass er es zum "Protzen" verwenden wollte.

Wir sind uns aber durchaus einig. Auch wenn ich mich jetzt ebenfalls als Marxisten oute: Der olle Kalle hat dargelegt, dass es um die Erlangung der Verfügungsgewalt über "Kapital" im Sinne von Produktionsmitteln geht. Also um Wertsachen, die sich vermehren lassen. Rinder bekommen Kälber, auf Ackerland lässt sich Getreide vervielfältigen oder Vieh fettfüttern - aber nur in der Sage tropft von Odins goldenem Ring jeden Mittwoch ein neuer Ring herunter. Eine Kuh ist also für die Entwicklung einer gesellschaftlichen Elite bedeutsamer als ein Goldring, selbst wenn der den gleichen "Buchwert" hat wie eine Kuh, aber an niemanden verkauft werden kann.

Wieso? Die beste Möglichkeit sind doch meist Gräber. Wenn die Germanen in dieser Zeit aus irgend einem Grund keinen Wert auf Grabbeigaben legten, fällt das einfach aus. KA, ob der warum, aber heute findet man "Mein Auto, mein Haus, meine Yacht" ja auch nicht in meinem Grab. ;)
Na, das würde ich sehr bedauern, wenn man Dein Auto heute in Deinem Grab finden könnte. Und nicht wegen Deines Autos.

Aber zum Thema: Die Gräber sind gar nicht so entscheidend. Wichtiger sind Siedlungsspuren. Wenn es in einem Stamm einen hochrangigen Mann mit einer stehenden Gefolgschaft gibt, dann muss man am Wohnsitz des Herren eigentlich die Unterkünfte seiner Gefolgsleute finden können. Idealerweise gäbe es dann eine große Halle mit Hochsitz (möglichst ohne abfladelnde Rindviecher) und eine Reihe von kleineren Räumen oder Gebäuden mit Feuerstellen. Das Hallenhaus von Westick ist ein Beispiel für sowas. Reste von manchen Wohnsitzen im Gebiet der Merowinger entsprechen dieser Schilderung. Aber nichts, was man auf augusteische oder tiberische Zeit datieren könnte. Vorläufer von "Burgen" könnten ein Indiz sein.

Auch dazu hat Steuer im zweiten verlinkten Text interessante Sachen geschrieben. Es kann natürlich sein, dass es die von mir geforderten Spuren gibt und dass wir sie bloß noch nicht gefunden haben. Oder dass es sie gibt und wir sie bislang nur falsch interpretieren. Oder dass ich sie einfach nicht kenne. Jedenfalls müsste es sie geben. Bei den Kelten gab es sie ja auch, und bei denen haben sie ja auch Spuren hinterlassen.

MfG
 
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