Wie waren die Germanen des Arminius gesellschaftlich organisiert?

Gerade vor diesem Hintergrund müssen die eindeutigen, schriftlichen Hinweise auf herausgehobene Familien bei „Germanenstämmen“ wie den Cheruskern ernst genommen werden.
Meine Formulierung mit dem „Postulat“ war insofern unglücklich gewählt, weil ich nicht herausgehobene Familien bei den „Germanen“ postulieren will (die literarisch gesichert sind!), sondern weil ich diese Familien/Personen als einen Adel postuliere!
ich darf daran erinnern, dass wir im Verlauf dieser hochinteressanten und ergiebigen Diskussion schon mal so weit waren, solche Familien als Vorform des Adels zu bezeichnen.

das Deutungsmodell durch den direkten Einfluß des römischen Imperiums seien diese Strukturen erst herausgebildet worden, und das in den ersten 2-3 nachchristlichen Jahrhunderten ist meiner Ansicht nach ein Erklärungsversuch, aber nicht zwingend ein Tatsachenbericht. Das Problem mit den lateinischen Quellen ist hierbei verzwickt: wer gegen die Vorform des Adels bei den Cheruskern des Arminius und Segestes ist, der weist gerne darauf hin, dass die entsprechenden Quellen zu oft nur literarisch oder nicht vertrauenswürdig seien, wer das Gegenteil vertritt, der traut den Quellen mehr Realitätsnähe zu -- irgendwie eine Art Dilemma. Nicht anders ist es mit der Fundarmut, die man, wie Tejason demonstriert hat, nicht zwingend als Beweis für das fehlen besagter Vorformen des Adel deuten muss.
 
ich darf daran erinnern, dass wir im Verlauf dieser hochinteressanten und ergiebigen Diskussion schon mal so weit waren, solche Familien als Vorform des Adels zu bezeichnen.
Dann muss ich daran erinnern, dass wir in dem Zusammenhang auch festgestellt haben, dass diese Definition als "Vorform des Adels" nur dann trägt, wenn man den Begriff "Adel" sehr, sehr weit auslegt.

das Deutungsmodell durch den direkten Einfluß des römischen Imperiums seien diese Strukturen erst herausgebildet worden, und das in den ersten 2-3 nachchristlichen Jahrhunderten ist meiner Ansicht nach ein Erklärungsversuch, aber nicht zwingend ein Tatsachenbericht.
Selbstverständlich. Tatsachenberichte würden eine sehr viel breitere Datenbasis erfordern. Es ist ein Erklärungsversuch. Allerdings einer, der durch zahlreiche Theorien und Indizien gut begründbar ist. Und das unterscheidet ihn vom Paradigma, dass es zu Arminius Zeiten einen Adel gegeben haben muss, weil es später auch sowas gab.

Das Problem mit den lateinischen Quellen ist hierbei verzwickt: wer gegen die Vorform des Adels bei den Cheruskern des Arminius und Segestes ist, der weist gerne darauf hin, dass die entsprechenden Quellen zu oft nur literarisch oder nicht vertrauenswürdig seien, wer das Gegenteil vertritt, der traut den Quellen mehr Realitätsnähe zu -- irgendwie eine Art Dilemma.
Das muss ich zurückweisen. Ich habe klar formuliert, dass Tacitus keine Fabel schreiben wollte, sondern vielmehr Dinge geschrieben hat, die er für wahr hielt. Nebenbei: Er kannte das alles vermutlich nicht aus eigener Anschauung, sondern hat die Informationen aus zweiter Hand gehabt. Wie zuverlässig solche Informationen sind, erleben wir immer wieder. Viel wichtiger ist aber der Punkt, den ich ebenfalls erwähnt habe: Tacitus INTERPRETIERT diese Informationen. Und er tut es aus römischer Sicht. Die Verhältnisse in Germanien (oder in Gallien) waren aber nicht so wie in Rom. Wie musste Tacitus es also bewerten, wenn ihm versichert wurde, dass römische Unterhändler mit Vertretern germanischer Stämme verhandelt haben? Er musste davon ausgehen, dass diese germanischen "Wortführer" eine gesellschaftlich herausgehobene Stellung hatten. Das musste er, weil es in der RÖMISCHEN GESELLSCHAFT gar nicht anders denkbar war. Ihm wäre nie in den Sinn gekommen, dass es sich um irgendeinen einfachen "Bauern" gehandelt haben könnte, der - vielleicht wegen seiner in früheren Schlachten nachgewiesenen militärischen Fähigkeiten - eigens für diese Begegnung mit den Römern zum Sprecher gewählt wurde. Es ist sogar denkbar, dass die Germanen bei aufeinanderfolgenden Begegnungen solcher Art immer wieder den gleichen Sprecher vorgeschickt haben. Schließlich kannte der die Gesprächspartner ja schon. Schließlich hatte er ja schon bewiesen, dass er mit den Römern umgehen kann. So kann es dazu kommen, dass Tacitus die "Wortführer" auf germanischer (oder auch keltischer) Seite mal als Könige, mal als Anführer und mal sogar als "Senatoren" bezeichnete, obwohl nachweislich weder in germanischen Stämmen noch in keltischen Völkern ein "Senat" existierte".

Ich hatte auch darauf hingewiesen, dass Tacitus kein Problem damit hatte, bestimmte Germanen als "Könige" zu bezeichnen, und gleichzeitig zu erläutern, dass sie keinerlei Macht hatten. Sie konnten nicht befehlen, sie konnten nicht strafen, sie konnten nur "mit gutem Beispiel vorangehen" und zogen daraus ihr Ansehen.

Nun kann man diese Leute gern als "Adelige" bezeichnen. Fragwürdig wird diese Definition allerdings, wenn man infolge dieser Definition dann "zwanglos" annimmt, dass diese "Adeligen" ihre Macht und ihre Befugnisse sogar vererben konnten, weil Adel seine Macht ja immer vererbt hat... Deshalb ist die Definition so schräg.

Es geht also nicht darum, willkürlich ausgewählte Stellen in den Tacitus-Texten als Lügen zu bezeichnen. Es geht vielmehr darum, sich zu fragen, wie zuverlässig seine AUSLEGUNG dessen war, was er über die Germanen wusste.

Nicht anders ist es mit der Fundarmut, die man, wie Tejason demonstriert hat, nicht zwingend als Beweis für das fehlen besagter Vorformen des Adel deuten muss.
Auch hier widerspreche ich. Ich stütze meine Meinung nicht nur darauf, dass archäologisch nichts gefunden wurde. Ich stütze sie ganz bewusst auch darauf, dass es in den gleichen Gebieten aus früheren und späteren Epochen sehr wohl Funde gibt. Nur eben nicht aus dieser Epoche. Natürlich kann das daran liegen, dass wir nicht genau genug gesucht haben. Es kann auch daran liegen, dass die Menschen gerade dieser Epoche die Spuren ihres Reichtums effizienter versteckt haben. Das ist nur eben wenig wahrscheinlich.

MfG
 
Die Germanen betrieben einen deutlich reduzierten Totenkult verglichen mit jenem bei den Kelten im Bezug auf die Beigaben.
Schon diese Aussage ist diskussionswürdig. Wie wir wissen, pflegten die Rhein-Weser-Germanen einen anderen Totenkult als die elbgermanischen Stämme. Sozial werden sich diese beiden Gruppen aber nur wenig unterschieden haben. Der Totenkult allein ist also kein Anhaltspunkt dafür, wie die Gesellschaften beschaffen waren, denn Totenkult beruht auf Konvention. Beispiel: Unsere heutige Gesellschaft ist mit Sicherheit sehr viel reicher als jede germanische, keltische oder römische. Ein hypothetischer Alien-Archäologe, der in 2000 Jahren einen unserer Friedhöfe untersucht, wird unsere Gesellschaft aber vielleicht für bettelarm halten, weil wir unseren Toten praktisch gar keine Grabbeigaben mitgeben. Deshalb ist die Betrachtung der Bestattungssitten allein belanglos. Aussagekraft kann sie nur gewinnen, wenn sie mit anderen Bestattungen und darüber hinaus auch mit anderen Hinterlassenschaften der Kultur in Beziehung gesetzt wird.

Ich habe auch kein Postulat für einen „ewigen, germanischen Frühadel“ abgegeben, sondern einen Adel bereits für die Zeiten eines Arminius vorausgesetzt, gestützt auf römische Literatur und nicht auf interpretierbare, archäologische „Nichtfunde“ – Die gibt es auch für einen keltischen „Adel“ (?) in der späten „Früh-Latenè“ und dem „Mittel-Latenè“ !
Genauso sehe ich es ja auch. Deshalb verwies ich darauf, dass es für die keltischen Gesellschaften Funde gibt, die es erlauben, einen Zusammenhang zwischen Grabritus und gesellschaftlichem Leben herzustellen und auf diese Weise dann Aussagen darüber zu treffen, wie eine durchschnittliche Bestattung bei einer Durchschnittsfamilie zur fraglichen Zeit in der fraglichen Gegend aussah. Übrigens habe ich nie von Frühlatène geredet, sondern von der Oppida-Kultur. Die gehört zum Spätlatène, ist aber immer noch älter als die hier diskutierte germanische.

Ein Topf ist ein Topf, das kann die Archäologie leisten, bei ethnischen Zuordnungen ist es schwieriger.
Genau. Ein Topf ist ein Topf. Was man hineinwirft, macht den entscheidenden Unterschied aus.

Was die ethnische Zuordnung betrifft, sprichst Du ein besonderes Problem an. Tatsache ist zweifellos, dass solche Zuordnungen immer schwieriger werden, je weiter wir der Zeitachse Richtung Gegenwart folgen. Es ist ein Verdienst von Tacitus, dass er die Germanen nicht als "homogene Masse" dargestellt hat, sondern dass er als erster Autor zwischen "Germania" (Rhein-Weser-Germanen) und "Suebia" (Elbgermanen) unterschieden und auch schon eine zunehmende Vermischung von germanischen und keltischen Strömungen in der "Kontaktzone" (Rheingebiet und Mittelgebirge) konstatiert hat. Auch deshalb kann man nicht nur anhand einzelner Grabfunde Rückschlüsse auf soziale Strukturen ziehen. Auch Bestattungssitten unterlagen einem Wandel.

Auffällig ist zum Beispiel, dass etwa 20 Prozent der Männergräber aus augusteischer Zeit durch Waffenbeigaben geprägt sind. Im 3. Jahrhundert stieg der Anteil der Waffengräber dann auf über 50 Prozent. Daraus kann man eine Militarisierung der Gesellschaft ableiten. Das passt zu der These von der wachsenden Bedeutung militärischer Gefolgschaften.

Tacitus schreibt direkt von rivalisierenden Adelsgruppen, warum sollte ich dies bezweifeln sollen? War es nicht erst Caesar, der die komplexen keltischen Strukturen mit seinen Adelsgruppierungen, die um Macht innerhalb der Stämme rangen den Römern erstmals geschildert hat?
Dass es rivalisierende Gruppen in den germanischen Stämmen gab, will ja niemand bezweifeln. Nur: Waren es ADELS-Gruppen? Es könnten auch die Sippenoberhäupter der unterschiedlichen Kleinstämme gewesen sein, die dort rivalisiert haben. Was die von Caesar beschriebenen keltischen Stämme betrifft, sieht die Sache anders aus. Hier können wir archäologisch nachweisen, dass die keltischen Gesellschaften sehr viel "strukturierter" waren als die germanischen. Sie hatten "Städte" (Oppida), die untereinander vernetzt waren (Handelsbeziehungen und Geldsystem). Und sie haben Siedlungsspuren hinterlassen, die hierarchische Gesellschaftsstrukturen erkennen lassen.

Seien nicht die in Italien einfallenden Kelten durch den Geschmack von Wein nach Italien gelockt worden?! Und das, wo der Genuss von Wein und rege Handelsbeziehungen in die Oberschicht der Hallstattkultur nach Italien für Jahrhunderte hinweg nachweisbar sind?
Ganz genau! Die Existenz einer Oberschicht, die Handelsbeziehungen unterhielt, ist über Jahrhunderte nachweisbar. Für die Kelten. Für die Germanen erst ab dem 2. Jahrhundert. Übrigens verweist der mehrfach zitierte Heiko Steuer darauf, dass die Kelten im Kontakt zu Rom die gleiche Entwicklung durchgemacht haben wie später die Germanen. Das "Kulturgefälle" führte dazu, dass Kelten zunächst Gefolgschaften für Raubzüge, dann für Söldnerdienste und dann für Landnahme bildeten. Um letztlich von Rom besiegt zu werden.

Die Ausführungen zum Gefolgschaftswesen sind ein lobenswerter Überblick, doch sind die Schlussfolgerungen m.E. teils falsch. Sicherlich sind Gefolgschaften Konsumenten und keine Erzeuger, aber sehr wohl in der Lage sich Güter dauerhaft anzueignen. Aber ist nicht auch ein Adel immer zuerst einmal ein Konsument, oder wenigstens jemand, der vom Ertrag seiner Besitzungen lebt? Nun kommt es darauf an wie er diese Erträge nutzt.
....
Mir fehlt völlig der wichtigste Typ von Gefolgschaft, wie er sich auch im Umfeld selbst römischer Aristokraten regelmäßig findet: Die Gemeinschaft mit Männern, die sich den Zielen des führenden Adeligen verschrieben haben und hierzu häufig zusammen sind und ihr Auskommen wenigstens Teilweise von ihrem Herren erhalten.
Du machst hier den zweiten Schritt vor dem ersten: Es kommt nicht darauf an, wie Erträge genutzt werden oder wie der Gefolgsherr die Erträge verteilt. Ehe diese Fragen gestellt werden können, muss es erstmal Erträge geben, die genutzt oder verteilt werden können. Ehe man aus einem Zug aussteigen kann, muss man überhaupt erstmal eingestiegen sein. Deshalb lautet die Gretchenfrage: Woher hatte der mächtige Mann all die guten Dinge, die er seinen Gefolgsleuten geben konnte? Reichtum entsteht durch menschliche Arbeit, nicht durch Raub, Sold oder Tribut. Zumindest in dieser Hinsicht hatte Marx vollkommen Recht.

Jeder antiker Staatsführer mit reichlich Mitteln und Bedarf an Söldnern, hätte kaum jemand in eine Germanenversammlung gesandt und gefragt, ob nicht jemand bei seinem Krieg aushelfen könne – wer mitwill, möge sich melden… Das ist eine sehr romantische Vorstellung!
Jetzt vermischen wir weitere Begriffe. "Staatsführer" passt für diese Zeit nicht. Zuerst waren da die Stämme, dann die germanischen Reiche (die immer noch Personengesellschaften waren) und erst sehr viel später Staaten, die an Territorien gebunden waren. Aber zu Deiner Aussage:

Man muss davon ausgehen, dass sich Gefolgschaften, die über Stammesterritorium hinausgreifen wollten, genauso gebildet wurden: Man verständigte sich irgendwie (vielleicht in einer Volksversammlung?), dass es lohnend sein könnte, aus dem eigenen kalten und nassen Land abzuziehen und neue Wohnsitze in Gallien zu nehmen. Natürlich mit Gewalt, wenn es nötig würde. Dazu wählte man Anführer. Dann zogen Leute durch das Land, verkündeten den Plan und sammelten "Gefolgsleute". Freiwillige, die durch die Aussicht auf ein besseres Leben und Beute gelockt wurden. Unabhängig von ihrer Stammeszugehörigkeit. So bildeten sich - im Erfolgsfall - neue Stämme. So wanderten Kimbern und Teutonen, so trieben sich stammesübergreifende Kriegergruppen, die sich selbst "Franken" nannten, gern in der römischen Provinz herum. Es ließen sich noch zahlreiche andere Fälle nennen. Die Wikinger zum Beispiel.

MfG
 
Sozial werden sich diese beiden Gruppen aber nur wenig unterschieden haben. Der Totenkult allein ist also kein Anhaltspunkt dafür, wie die Gesellschaften beschaffen waren, denn Totenkult beruht auf Konvention. Beispiel: Unsere heutige Gesellschaft ist mit Sicherheit sehr viel reicher als jede germanische, keltische oder römische. Ein hypothetischer Alien-Archäologe, der in 2000 Jahren einen unserer Friedhöfe untersucht, wird unsere Gesellschaft aber vielleicht für bettelarm halten, weil wir unseren Toten praktisch gar keine Grabbeigaben mitgeben.
der hypothetische Alienarchäologe könnte eine Bestattungsrechnung, also eine schriftliche Quelle finden, und schon erscheinen Grabstein, Beerdigungsfeier und Friedhofsgebühr der rechtsrheinischen "Germanen" des frühen 21. Jhs. gar nicht mehr so ärmlich; auch könnte sein Alien-Historikerkollege schriftliche Quellen über Sterbe/Beerdigungsversicherungen in einem Archiv finden usw :):)

Deshalb ist die Betrachtung der Bestattungssitten allein belanglos. Aussagekraft kann sie nur gewinnen, wenn sie mit anderen Bestattungen und darüber hinaus auch mit anderen Hinterlassenschaften der Kultur in Beziehung gesetzt wird.
lästigerweise fanden sich aber nur wenige Bestattungen, die eindeutig z.B. der cheruskischen Unter- und Mittelschicht hätten eindeutig zugeordnet werden können, jedenfalls zu wenige, um aus den komplett vorgefundenen Bestattungen ein prozentual aussagekräftiges Gesellschaftsmodell hochrechnen zu können.

Auffällig ist zum Beispiel, dass etwa 20 Prozent der Männergräber aus augusteischer Zeit durch Waffenbeigaben geprägt sind. Im 3. Jahrhundert stieg der Anteil der Waffengräber dann auf über 50 Prozent. Daraus kann man eine Militarisierung der Gesellschaft ableiten. Das passt zu der These von der wachsenden Bedeutung militärischer Gefolgschaften.
auch hier wird die Auswertung der Zahlen schwierig: die gotischen Gruppen, die sicher keine marginale Erscheinung waren, pflegten waffenlose Bestattungen, später sogar per Dekret beigabenlose. Und dieses Problem der waffenlosen Bestattungen hat schon der Archäologe Bierbrauer als Schwierigkeit beschrieben.

Dass es rivalisierende Gruppen in den germanischen Stämmen gab, will ja niemand bezweifeln. Nur: Waren es ADELS-Gruppen? Es könnten auch die Sippenoberhäupter der unterschiedlichen Kleinstämme gewesen sein, die dort rivalisiert haben.
diese Sippenoberhäupter sowie ihre "genealogischen" Gewohnheiten (Familie, Erbrecht, Namensalliteration usw) - was hindert uns daran, in ihnen eine Vorform des Kriegeradels zu sehen??? das verstehe ich immer noch nicht, und warum die u.a. von Tejason angesprochenen Quellen von dir entweder ausgeblendet oder belächet werden, kann ich auch noch nicht verstehen.
 
diese Sippenoberhäupter sowie ihre "genealogischen" Gewohnheiten (Familie, Erbrecht, Namensalliteration usw) - was hindert uns daran, in ihnen eine Vorform des Kriegeradels zu sehen???

Stop! Das ist mir wirklich ein zu leichtfertiger Umgang mit dem Begriff Adel. Zu sehr aus der heutigen Sicht geprägt, wo wir uns solche Gesellschaftsformen nicht mehr wirklich vorstellen können.

Entscheidendes Merkmal eines Adels ist das Geblütsrecht, also nicht etwa nur mal eben etwas mehr Macht oder Geld, sondern die Vorbestimmung, die unveränderbare Zugehörigkeit zu einer völlig anderen Kaste.
Reichere und ärmere, mehr oder weniger Mächtige gab es immer und überall. Aber niemand ordnet sich selbst freiwillig einer Gesellschaftsschicht zu, die bereits per Definition haushoch unter einer anderen steht, wo an ein miteinander noch nicht einmal gedacht werden darf, der Adel im Vergleich zum Nichtadel über ALLE Rechte verfügt.
Das ist eine Form von Gewalt, die nicht ohne extreme physische Gewalt durchgesetzt werden kann, und die nicht mal eben so aus einer leichten Vormachtstellung entsteht.
Auch wenn wir heutzutage mächtige Menschen kennen, und von "Geldadel" sprechen, so ist das ein hinkender Vergleich, denn diese totale Ohnmacht und totale Wertlosigkeit dem Adel gegenüber ist uns heute unbekannt und unvorstellbar.
Und da diese Form einer Gesellschaft extreme Gewalt voraussetzt, ist es naheliegend, ihre Entstehung in den Kriegergefolgschaften der Spätantike zu suchen, und nicht etwa in früheren Bauerngesellschaften.
 
der hypothetische Alienarchäologe könnte eine Bestattungsrechnung,
...
lästigerweise fanden sich aber nur wenige Bestattungen, die eindeutig...
Volle Zustimmung. Genau das meinte ich. Bestattungssitten spiegeln Jenseitsvorstellungen, nicht Gesellschaftsstrukturen.

auch hier wird die Auswertung der Zahlen schwierig: die gotischen Gruppen, die sicher keine marginale Erscheinung waren, pflegten waffenlose Bestattungen, später sogar per Dekret beigabenlose.
Hier ignorierst Du wieder, dass die Goten in dem Zeitraum zwischen ihrem ersten Auftreten (3. Jahrhundert) und ihrem "Untergang" 300 bzw. fast 400 Jahre später sich gesellschaftlich stark gewandelt haben. So wie die Franken, die irgendwann ganz Mitteleuropa beherrscht haben, nichts mit den fränkischen KriegerGEFOLGSCHAFTEN zu tun hatten, die sich ab Mitte des 3. Jahrhunderts angewöhnten, den Rhein zu überqueren und in der römischen Provinz Wertsachen zusammenzurauben. Diese "fränkischen" Kriegergemeinschaften setzten sich aus Angehörigen aller rheinwesergermanischen Stämme zusammen. Einen "König" legten sie sich allerdings erst 200 Jahre später zu.

Übrigens hat Gregor von Tours sich mit der Frage befasst, seit wann die Franken "Könige" hatten. Er folgte dabei dem Muster, das auch in unserer Diskussion in Gebrauch ist: Der römische Geschichtsschreiber Sulpicius Alexander habe berichtet, dass es Mitte des 3. Jahrhunderts fränkische Unterkönige gegeben habe. Deshalb müsse es damals auch schon einen Oberkönig gegeben haben...

diese Sippenoberhäupter sowie ihre "genealogischen" Gewohnheiten (Familie, Erbrecht, Namensalliteration usw) - was hindert uns daran, in ihnen eine Vorform des Kriegeradels zu sehen??? das verstehe ich immer noch nicht, und warum die u.a. von Tejason angesprochenen Quellen von dir entweder ausgeblendet oder belächet werden, kann ich auch noch nicht verstehen.
Zu den Sippenoberhäuptern als Begründer des Adels hat @Stilicho schon kluge Sachen geschrieben. Ich füge noch als Antwort hinzu: Sippen gibt es bis zum heutigen Tag. Wir nennen sie "Familien". Und jede einzelne davon hat irgendeine Art von Oberhaupt. Trotzdem müssen wir uns keine Sorgen machen, dass daraus eine neue Art von Adel erwächst.

Am Rande: Wo ich zur Diskussion gestellte Quellen ignoriert oder gar belächelt haben soll, weiß ich nicht.

MfG
 
Am Rande: Wo ich zur Diskussion gestellte Quellen ignoriert oder gar belächelt haben soll, weiß ich nicht.
Ich könnte jetzt darauf hinweisen, dass Tacitus nicht nur von Reges und Optimates schrieb, sondern zum Beispiel auch von Tieren mit gelenklosen Beinen, die sich zu Schlafen an Bäume lehnen mussten. Aber das wäre billig. Im Grunde wollte ich nur andeuten, dass keiner der römischen Geschichtsschreiber die Absicht hatte, die Germanen in einer Weise zu beschrieben, die irgendwelchen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würde. Keiner von ihnen hat sich tiefgreifend für die inneren Verhältnisse bei den beschriebenen Völkern interessiert. Es ging immer nur um das Verhältnis zu Rom. Auch Tacitus wollte mit der Germania keine ethnologische Abhandlung schreiben, mit der die Germanen zutreffend beschrieben werden sollten. Er wollte vielmehr der römischen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Tacitus hat deshalb gar nicht versucht, die tatsächlichen Hintergründe für das herauszufinden, was er über die Germanen wusste oder zu wissen glaubte. Es genügte ihm, die vermeintlichen Eigentümlichkeiten der Germanen aus römischer Sicht zu deuten. Ob er da immer richtig lag, muss bezweifelt werden. Das heißt natürlich trotzdem nicht, dass Tacitus sich das alles zusammenfantasiert hätte. Nur, dass er gar nicht wissen wollte, ob die Dinge tatsächlich so waren, wie sie auf den ersten Blick zu sein schienen.
:winke::winke:

Zu den Sippenoberhäuptern als Begründer des Adels hat @Stilicho schon kluge Sachen geschrieben. Ich füge noch als Antwort hinzu: Sippen gibt es bis zum heutigen Tag. Wir nennen sie "Familien". Und jede einzelne davon hat irgendeine Art von Oberhaupt. Trotzdem müssen wir uns keine Sorgen machen, dass daraus eine neue Art von Adel erwächst.
:):) scharfsinnig beobachtet - nur sag: hat die "cheruskische Familie Arminius" oder "Segestes" ebensoviel oder ebensowenig zu sagen wie eine "cheruskische Familie Subsistenzbauer"? Wenn sie alle einander so gleichen, war es dann purer Zufall, dass die grimmen Römer ausgerechnet mit Familie Segestes und Arminius zu tun hatten, wo sie doch ebenso mit Familie Subistenzbauer hätten Verträge abschließen können? :):)

irgendwie drehen wir uns im Kreis
 
Stop! Das ist mir wirklich ein zu leichtfertiger Umgang mit dem Begriff Adel.
was ist leichtfertig daran, offensichtlich mächtige Sippenoberhäupter - was akzeptierte mächtige Sippen voraussetzt - die von den Römern als Verhandlungspartner und Vertragspartner behandelt wurden, als Vorform des Kriegeradels zu bezeichnen? Mir scheint da beinahe leichtfertiger, zu behaupten dass erst im 3. oder 4. Jh. derartige plötzlich da gewesen seien.

wieso und aus welchem Anlaß soll die Akzeptanz wenn nicht gar der gleichsam religiöse Glaube an mit einem ominösen "Heil" gesegnete Familien speziell nach einer drei- bis vierhundertjährigen problematischen Nachbarschaft mit dem römischen Imperium entstanden sein?
 

Die beiden Winke-Smileys verstehe ich nicht. Sollen die unterstrichenen Passagen belegen, dass ich Tacitus belächelt oder lächerlich gemacht habe? Ich dachte, wir können hier unstreitig stellen, dass die "Germania" des Tacitus in keiner Weise heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen genügte oder auch nur genügen wollte - dass Tacitus kein perfektes Bild der gemanischen Gesellschaftsstruktur gezeichnet sondern von römischer Kultur geprägte "Vorurteile" über Germanien niedergeschrieben hat.

:):) scharfsinnig beobachtet - nur sag: hat die "cheruskische Familie Arminius" oder "Segestes" ebensoviel oder ebensowenig zu sagen wie eine "cheruskische Familie Subsistenzbauer"? Wenn sie alle einander so gleichen, war es dann purer Zufall, dass die grimmen Römer ausgerechnet mit Familie Segestes und Arminius zu tun hatten, wo sie doch ebenso mit Familie Subistenzbauer hätten Verträge abschließen können? :):)

irgendwie drehen wir uns im Kreis
Ja, wir drehen uns im Kreis. Adel ist hier als gesellschaftlich herausragende Schicht definiert worden, die über mehr (ökonomische und militärische) Macht und Einfluss verfügt als die Masse. Innerhalb einer Sippe (Familie) hat das Sippenoberhaupt damit keine Adelsfunktion, denn Familien/Sippen bewirtschaften gemeinsames Eigentum. Und wenn postuliert wird, dass ein Sippenoberhaupt Macht und Einfluss auf andere Sippen oder deren Oberhäupter ausweiten konnte, dann muss dargelegt werden, auf welcher Basis das geschehen sollte. Oder einfacher: Die Sippenoberhäupter der Cherusker mussten sich darauf verständigen, einen aus ihrer Mitte zu wählen, der mit den Römern sprechen sollte. Alle gleichzeitig konnten nicht reden. Da ist es nur normal, dass das arme Subsistenzsippen-Oberhaupt den reicheren, weltgewandten und im letzten Krieg zu Ehren gekommenen Segestes oder auch Arminius für geeigneter hielt als sich selbst. Aber: Warum hätte das Subsistenzsippen-Oberhaupt dem Arminius oder dem Segestes das Recht zubilligen sollen, ihm außerhalb der Gespräche mit den Römern - also quasi im täglichen Leben - vorzuschreiben was er zu tun und zu lassen hat? Warum hätter er ihm gar Steuern zahlen sollen?


wieso und aus welchem Anlaß soll die Akzeptanz wenn nicht gar der gleichsam religiöse Glaube an mit einem ominösen "Heil" gesegnete Familien speziell nach einer drei- bis vierhundertjährigen problematischen Nachbarschaft mit dem römischen Imperium entstanden sein?
Niemand hat gesagt, dass das plötzlich geschehen sei. Wie die römischen Schriftquellen belegen, hat der Prozess drei- bis vierhundert Jahre gedauert. So lange dauerten die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Rom und den Germanen. Anfangs wurde der Krieg auf germanischer Seite von den Stämmen getragen. Tacitus schildert, dass dabei die Sippen eine wichtige Rolle spielten, weil die Germanen - anders als die Römer - gemeinsam mit ihren Sippenangehörigen zu kämpfen pflegten. Immer wieder gab es aber auch germanische Übergriffe auf römisches Territorium. Diese Übergriffe wurden von Gefolgschaften getragen: Da fanden sich Leute aus verschiedenen Sippen, gar Leute aus verschiedenen Stämmen zu Heerhaufen zusammen. Und die Gefolgschaft hat eine völlig andere Struktur als die Sippe. Sie hat eine Kommandostruktur. Es gibt einen Boss, ein paar Unterführer und eine Menge Fußvolk. Und die Anführer sind den Untergebenen nicht durch familiäre Bande verpflichtet. Gegenseitig Verpflichtung entsteht nur aus der Waffenbrüderschaft, die Wertschätzung für den Gefolgsherren hängt davon ab, dass er seine Leute durch kluge Entscheidungen am Leben hält und mit Beute versorgt. Wer siegreich ist und viel Beute ranschafft, gilt als glücklicher Mann, dem die Götter gewogen sind und dem man gern weiterhin folgt. Beute wird dann üblicherweise entsprechend der Kommandostruktur verteilt. Der Boss kriegt viel, das Fußvolk weniger. Bleiben Gefolgschaften lange beieinander, festigt sich die Kommandostruktur und es bilden sich Reichtumsunterschiede heraus. Finden sich viele Gefolgschaften zu großen Heeren zusammen, kommt eine Hierarchie unter den einzelnen Gefolgsherren hinzu. Nimmt so ein großes Heer Land, wird dieses Land nach dem Rang der Gefolgsherren verteilt. Mit der Kontrolle über viel Land werden die mächtigsten Gefolgsherren noch reicher, die Fußsoldaten hingegen ärmer. Wird das Gefolgschaftswesen zu einem "die Gesellschaft prägenden Phänomen", übertragen sich die hierarchischen Strukturen der Gefolgschaften auf die Gesellschaft (das ist mit Überlagerung und letztlicher Auflösung der alten Stammesstrukturen gemeint). So entsteht eine Vorform von Adel. Im Interesse der Mächtigen liegt es dann, wenn sich beim einfachen Fußvolk der Glaube festigt, dass dieses neue System "gottgewollt" ist. Ist das gelungen, hat man die Endform des Adels. Der prägt dann nach und nach Begriffe wie "Königsheil".

MfG
 
im Kontext der Diskussion war dein Hinweis auf die Tiere bei Tacitus sicher nicht so gemeint, dass diese nachweisen, wie hochgradig glaubwürdig der lat. Autor ist... darüber müssen wir nun wohl hoffentlich nicht diskutieren ;)

Ja, wir drehen uns im Kreis. Adel ist hier als gesellschaftlich herausragende Schicht definiert worden, die über mehr (ökonomische und militärische) Macht und Einfluss verfügt als die Masse. Innerhalb einer Sippe (Familie) hat das Sippenoberhaupt damit keine Adelsfunktion, denn Familien/Sippen bewirtschaften gemeinsames Eigentum. Und wenn postuliert wird, dass ein Sippenoberhaupt Macht und Einfluss auf andere Sippen oder deren Oberhäupter ausweiten konnte, dann muss dargelegt werden, auf welcher Basis das geschehen sollte. Oder einfacher: Die Sippenoberhäupter der Cherusker mussten sich darauf verständigen, einen aus ihrer Mitte zu wählen, der mit den Römern sprechen sollte. Alle gleichzeitig konnten nicht reden. Da ist es nur normal, dass das arme Subsistenzsippen-Oberhaupt den reicheren, weltgewandten und im letzten Krieg zu Ehren gekommenen Segestes oder auch Arminius für geeigneter hielt als sich selbst. Aber: Warum hätte das Subsistenzsippen-Oberhaupt dem Arminius oder dem Segestes das Recht zubilligen sollen, ihm außerhalb der Gespräche mit den Römern - also quasi im täglichen Leben - vorzuschreiben was er zu tun und zu lassen hat? Warum hätter er ihm gar Steuern zahlen sollen?
ist dieses (rührend freiheitlich-rustikale) Szenario nicht ebenso spekulativ wie die gegenteilige Meinung, dass z.B. Arminius- oder Segestessippe(n) Vorformen des Kriegeradels seien?

So entsteht eine Vorform von Adel. Im Interesse der Mächtigen liegt es dann, wenn sich beim einfachen Fußvolk der Glaube festigt, dass dieses neue System "gottgewollt" ist. Ist das gelungen, hat man die Endform des Adels. Der prägt dann nach und nach Begriffe wie "Königsheil".
(ist das ganz leicht marxistisch-historisch angehaucht? und welche Götter sind da mit gottgewollt gemeint??)
Ich weiß nicht, was älter ist, lat. stirps regia oder german. hail (Königsheil) - aber ich habe Zweifel, dass das später (!) offensichtliche "Königsheil" eine römisch inspirierte religiöse Vorstellung ist. Und ich habe Zweifel, dass die german. Verhandlungspartner der Römer im 1. Jh. quasi basisdemokratisch gewählte (merkwürdigerweise reiche und einflußreiche) temporäre "Chefs" waren, denn gegen den temporären Aspekt spricht die Sippenstruktur mit ihrer innerfamiliären Erblichkeit: es ist unwahrscheinlich, dass die Römer mit einer für kurze Zeit gewählten "Eintagsfliege" bindende Verträge eingehen, so naiv waren die Politiker und Generäle dieser damaligen Weltmacht wohl nicht. Freilich waren sie, die Römer, mit sich permanent wandelnden Mächten seitens der Germanen konfrontiert: bekannt ist ja die Klage darüber, dass gelegentlich die Nachfolger eines Vertragspartners den vorher geschlossenen Vertrag nicht mehr als bindend ansahen (was allerdings die Römer auch gelegentlich praktizierten)
 
Lieber Dekumatland, Du machst es mir schwer. Ich fühle mich falsch verstanden, wenn nicht gar falsch zitiert. Deshalb antworte ich mal mit unhistorischen Nebenbemerkungen.

im Kontext der Diskussion war dein Hinweis auf die Tiere bei Tacitus sicher nicht so gemeint, dass diese nachweisen, wie hochgradig glaubwürdig der lat. Autor ist... darüber müssen wir nun wohl hoffentlich nicht diskutieren

Sozialwissenschaftliche Arbeitsweise läuft so ab, dass aus Beobachtungen Theorien abgeleitet werden und dass diese Theorien danach durch weitere Beobachtungen und Befragungen/Experimente/Test auf ihre Plausibilität geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Solche Theorien existieren immer nur auf Zeit, denn neue Beobachtungen (auch neue Beobachtungsmöglichkeiten) führen immer zu neuen Daten, die eine neue Anpassung von Theorien erfordern. So entstehen neue theoretische Grundlagen, die dann oft auch zu neuen Deutungen führen. Deshalb muss man ohne jede Beleidigungsabsicht gegenüber Tacitus sagen, dass der Mann gar nicht in der Lage war, die ihm damals bekannten Informationen über die Germanen in einer Weise zu deuten, die heutigen Ansprüchen genügen würde. Deshalb darf man die in der „Germania“ getroffenen Aussagen nicht als unumstößliche Wahrheit betrachten, sondern muss sie hinterfragen.

Im Falle von Tacitus kommt noch hinzu, dass schon die ersten „Beobachtungen“, die ihm für seine Theoriebildung zur Verfügung standen, fragwürdig sind. Erstens hat er Germanien vermutlich nie betreten. Seine Informationen stammten also aus zweiter Hand. Zweitens hatte er keine Chance, zu unterscheiden, welche der ihm übermittelten Informationen zuverlässig waren und welche eher nicht. Es konnte sie nur ganz subjektiv auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen und hat deshalb diese oder jene Behauptung über Germanien als vermutlich fabelhaft abgetan, sie aber trotzdem zitiert. Genau dafür ist die „Information“ von den Tieren mit den gelenklosen Beinen ein Beleg. Wie ich bereits betont habe, habe ich Tacitus nicht nachgesagt, bewusst die Unwahrheit geschrieben zu haben. Ich zweifele nur an der Zuverlässigkeit seiner Quellen und an der Plausibilität seiner Deutungen.

Was ich über Tacitus geschrieben habe, gilt in noch weit schärferem Maße für die anderen römischen Geschichtsschreiber, die sich nichtmal die Mühe gemacht haben, vor ihrer Theoriebildung in größerem Umfang Daten zu sammeln. Das sollte man sich einfach klarmachen, ehe man die Aussagen aus den römischen Quellen als reine Wahrheit einstuft. Wenn Du diese BE-Wertung trotzdem weiterhin als AB-Wertung einstufen willst, kann ich es nicht ändern. Ende des Ausflugs zu den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens.

ist dieses (rührend freiheitlich-rustikale) Szenario nicht ebenso spekulativ wie die gegenteilige Meinung, dass z.B. Arminius- oder Segestessippe(n) Vorformen des Kriegeradels seien?
Willst Du mir nachsagen, dass ich hier „romantische“, vielleicht gar nationalistische Thesen über die edlen freien germanischen Wilden verbreiten will? Wenn jemand sowas versucht hat, dann allenfalls Tacitus! Und wie ich dessen Aussagen einschätze, weißt Du ja. Warum die Anerkennung als Vorstufe des Adels spekulativer ist als die gegenteilige Einschätzung, habe ich nun mehrfach dargelegt. Ich kann darauf immer nur wieder die gleichen Antworten geben.

ist das ganz leicht marxistisch-historisch angehaucht?
Mehr als nur "ganz leicht". Damit ist aber keine politische Aussage verbunden. Vielmehr ist es ein Verdienst der marxistischen Gesellschaftstheorie, dass sie Gesellschaft nicht nur empirisch beschreiben, sondern sie als Gesamtheit aus Wirtschaftsweise, Machtverhältnissen, Lebensweisen, Schichtungen etc. begreifen wollte, und dass sie darüber hinaus versucht hat, die Ursachen für die Entwicklung zu begreifen, die zum status quo geführt hat. Das ist nicht immer überzeugend gelungen. Dieser über die Beschreibung hinausgehende „kritische“ Ansatz hat sich aber in „moderneren“ Formen der Gesellschaftstheorie durchgesetzt, zum Beispiel in der Systemtheorie (unter anderem Luhmann und Parsons), die ebenfalls der Ökonomie und der „Evolution“ von Gesellschaft große Aufmerksamkeit widmet. Gerade die Systemtheorie geht darüber hinaus davon aus, dass gesellschaftliche "Institute" (wie zum Beispiel Adelsstrukturen) nur dann existieren, wenn sie nicht nur irgendwie eingeführt, sondern in der Folgezeit dann auch kontinuierlich aufrecht erhalten werden. Luhmann nennt das "Autopoiesis des Systems". Das schließt die Existenz funktionsloser Strukturen theoretisch aus. Ende des Ausflugs in die Soziologie.

und welche Götter sind da mit gottgewollt gemeint??)
Keine Ahnung. Willst Du darauf hinaus, dass die Germanen vielleicht gar nicht an Götter glaubten?


Wenn Du mir nicht glaubst, dann vielleicht dem alten Tacitus? Der schrieb über Götter und die Macht des "Adels" folgendes:


"
Auch die Könige haben keine schrankenlose und willkürliche Gewalt, und die Heerführer gewinnen ihre ausgezeichnete Stellung mehr durch ihr Vorbild als durch Befehlsgewalt, durch die Bewunderung, die sie einflößen, wenn sie entschlossen sind, wenn sie sich hervortun, wenn sie Vorkämpfer sind. Übrigens hat weder zum Strafen, noch zum Binden, noch auch zum Züchtigen irgend jemand die Befugnis außer den Priestern, und auch diese nicht wie zur Strafe oder auf des Anführers Geheiß, sondern gleichsam auf Befehl des Gottes, von dem sie glauben, dass er den Kämpfenden zur Seite steht, wie sie denn gewisse Bilder und Abzeichen, die sie aus den Hainen holen, mit sich in die Schlacht nehmen;. und ein ganz besonderer Antrieb zur Tapferkeit ist der Umstand, dass nicht Zufall oder beliebiges Zusammenscharen das Geschwader oder den Keil bildet , sondern Familienbande und Verwandtschaften..."

Ein Adel also, der weder befehlen noch Befehlsverweigerung bestrafen kann. Beeindruckend, diese Machtfülle! Kern des Heeres also nicht Gefolgschaften, sondern Sippenaufgebote. Wem werden die Kämpfer wohl Gehorsam geleistet haben?


Und ich habe Zweifel, dass die german. Verhandlungspartner der Römer im 1. Jh. quasi basisdemokratisch gewählte (merkwürdigerweise reiche und einflußreiche) temporäre "Chefs" waren, denn gegen den temporären Aspekt spricht die Sippenstruktur mit ihrer innerfamiliären Erblichkeit
Auch hier überzeugt Tacitus Dich vielleicht mehr als meine Argumente. Er schrieb: "
Über weniger wichtige Angelegenheiten halten die Häuptlinge Rat, über wichtigere alle, doch in der Weise, dass auch diejenigen Gegenstände, worüber das Volk die Entscheidung hat, von den Häuptlingen vorbehandelt werden. (...) Sofort hört man den König oder den Häuptling an, je nach dem Einfluss, den jedem seine Jahre verliehen haben oder sein Adel oder seine Auszeichnung im Krieg oder seine Beredsamkeit, wobei jene eigentlich nur einen gewichtigen Rat geben können, aber keine Befehlsgewalt haben."


es ist unwahrscheinlich, dass die Römer mit einer für kurze Zeit gewählten "Eintagsfliege" bindende Verträge eingehen, so naiv waren die Politiker und Generäle dieser damaligen Weltmacht wohl nicht.
Was blieb ihnen anderes übrig? Außer natürlich, in den von ihnen unterworfenen Stämmen den ihnen genehmen Wortführern zu dauerhafter Macht zu verhelfen. Aber diese Möglichkeit schließt Du ja aus....


Freilich waren sie, die Römer, mit sich permanent wandelnden Mächten seitens der Germanen konfrontiert: bekannt ist ja die Klage darüber, dass gelegentlich die Nachfolger eines Vertragspartners den vorher geschlossenen Vertrag nicht mehr als bindend ansahen (was allerdings die Römer auch gelegentlich praktizierten)
Es ist schon mehr als zweifelhaft, ob sich alle anderen Substämme auch nur an die Unterwerfung gebunden fühlten, die einer dieser Substämme "unterzeichnet" und mit Geisel besiegelt hatte. Wie mag das wohl auf die Kriegsparteien gewirkt haben? Ein "König" eines Substamms unterwirft sich nach einer militärischen Niederlage und gibt seine Kinder in die Hände der Römer. Im Jahr darauf greifen Krieger des benachbarten Substamms eine römische Kohorte an. Die Römer fühlen sich hintergangen und metzeln zur Strafe die Geiseln nieder. Der "König", der sich unterworfen hatte, fühlt sich hintergangen, weil er doch Frieden gehalten hatte und für den Angriff der Nachbarn gar nichts konnte. Er greift wieder zu den Waffen...


Das war ein großes Problem für die römische Expanision: Man fand in Germanien niemanden, mit dem man bindende Verträge schließen konnte.


MfG
 
Lieber Dekumatland, Du machst es mir schwer.
(...)
Auch hier überzeugt Tacitus Dich vielleicht mehr als meine Argumente. Er schrieb: "
Über weniger wichtige Angelegenheiten halten die Häuptlinge Rat, über wichtigere alle, doch in der Weise, dass auch diejenigen Gegenstände, worüber das Volk die Entscheidung hat, von den Häuptlingen vorbehandelt werden. (...) Sofort hört man den König oder den Häuptling an, je nach dem Einfluss, den jedem seine Jahre verliehen haben oder sein Adel oder seine Auszeichnung im Krieg oder seine Beredsamkeit, wobei jene eigentlich nur einen gewichtigen Rat geben können, aber keine Befehlsgewalt haben."
ja, das tut mir leid - ich bin halt nicht so leicht zu überzeugen ;) -- aber schönen Dank für das Tacituszitat (die Annalen und Germania nebst sogar etwas Sekundärliteratur stehen in meinem Bücherregal, du musst mir den Tacitus also nicht ab ovo erklären) welches meiner Ansicht nach in Richtung Vorform von Adel verstanden werden kann.

Jedenfalls schreibt Tacitus nirgendwo etwas wie "sie organisieren sich in Sippen, deren Oberhäupter manchmal Entscheidungen treffen, aber vom uns geläufigen Senatorenadel, vom uns bekannten Adel mit Königen etc. sind sie Lichtjahre entfernt und damit für uns völlig fremdartig und unverständlich" (ein sehr fiktives Tacituszitat)
 
Wenn du jede Form von Hierarchie als Vorform von Adel siehst, dann hast du sicher recht.
tu ich das denn?
attestiere ich irgendwo den Cheruskern, dass ihre Chefs sowas wie Grafen aus dem 14. Jh. seien?

zumindest mir ist aus der Diskussion hier klar geworden, dass beide Positionen - die Varussieger hatten eine Vorform des Adels oder sie keine - als wahrscheinlich dargestellt werden können, d.h. es finden sich Argumente für beide Positionen, und dass wir natürlich nicht zweifelsfrei wissen, wie das wirklich damals war.

für mich ist jetzt die Frage interessant, ob die oft erwähnten Sippenoberhäupter als Vorform, als Station auf dem Weg zum Kriegeradel der Völkerwanderungszeit betrachtet werden können. Unstrittig dürfte sein (ganz allgemein formuliert) :
1. es gab mächtige und reiche Sippenoberhäupter
2. solche Sippen mit mächtigem Oberhaupt wird es nicht nur eine Generation lang gegeben haben, d.h. da gabs ein Erbrecht welches sippengebunden (familienintern) war

Das zusammengenommen scheint mir eher eine Station auf dem genannten Weg als etwas total davon verschiedenes zu sein - in diesem Sinn (!) sehe ich kein Problem, die cheruskischen Oberhäupter als Vorform des späteren Kriegeradels zu bezeichnen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Da kann ich echt nicht mehr folgen. Wenn du jede Form von Hierarchie als Vorform von Adel siehst, dann hast du sicher recht. Dann gibt es aber auch hier heute um mich herum schon ganz schön viele Adlige.

Es ist sicher auch eine Ermessensfrage, ab wann man eine bestimmte soziale Schicht als "Adel" oder "Aristokratie" bezeichnet. Die Definitionen der Römer und Griechen greifen bei barbarischen Stämmen nur bedingt.

In jedem Fall gibt es bei den germanischen Stämmen eine Oberschicht, die Herrschaft ausübt. Dieser Herrschaftsanspruch beruht auf größerem Besitz und erstreckt sich sowohl über Unfreie wie Freie geringerer ökonomischer Stärke. Somit bedeutet Herrschaft zunächst "Hausherrschaft", d.h. Befehlsgewalt über die Familie und abhängige Menschen. Ferner stützt sich die Herrschaft auf Gefolgschaften: auf eine Gruppe von Personen, die vom täglichen Broterwerb freigestellt ist, und die als trainierte Krieger jederzeit nach innen und außen einsetzbar sind.

Caesar und Tacitus sprechen systematisch über die germanische Gefolgschaft und diese Berichte sind keine abstrakten Gebilde, sondern verkörpern eine Realität im Leben der Stämme - natürlich innerhalb einer archaischen Gesellschaft. Tacitus sagt (Germ. 14,1): "Die Gefolgsherren kämpfen für den Sieg, die Gefolgsleute aber für ihren Gefolgsherrn." Der Gefolgsherr geht im Kampf voran, aber die Gefolgsleute sollen ihn nicht überleben.

Wiki definiert Adel so:

Der Adel (althochdeutsch adal oder edili „Edles Geschlecht“, „die Edelsten“, lateinisch nobilitas) ist eine „sozial exklusive Gruppe mit gesellschaftlichem Vorrang“, die Herrschaft ausübt und diese in der Regel innerfamiliär tradiert.[1] Der Herrschaftsanspruch gründet sich unter anderem auf Leistung, Abstammung sowie unterstellte göttliche Absicht. Adel ist „ein universalgeschichtliches Phänomen, das sich bereits in den frühen Hochkulturen findet.
Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass es bei den Germanen eine Adelsschicht gab, die selbstverständlich noch nicht die lehns- und verfassungsrechtlich oder institutionell abgesicherte Stufe erreicht hat, wie sie uns in den europäischen Staaten des Mittelalters entgegentritt.
 
Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass es bei den Germanen eine Adelsschicht gab, die selbstverständlich noch nicht die lehns- und verfassungsrechtlich oder institutionell abgesicherte Stufe erreicht hat, wie sie uns in den europäischen Staaten des Mittelalters entgegentritt.
sehe ich genauso :)
 
Caesar und Tacitus sprechen systematisch über die germanische Gefolgschaft und diese Berichte sind keine abstrakten Gebilde, sondern verkörpern eine Realität im Leben der Stämme - natürlich innerhalb einer archaischen Gesellschaft.
...
Es kann also kein Zweifel daran bestehen, dass es bei den Germanen eine Adelsschicht gab, die selbstverständlich noch nicht die lehns- und verfassungsrechtlich oder institutionell abgesicherte Stufe erreicht hat, wie sie uns in den europäischen Staaten des Mittelalters entgegentritt.
In Deinem Wiki-Zitat wird Adel als institutionalisierte Schicht bezeichne, die "Herrschaft ausübt". Tacitus schreibt aber, dass die Leute, die er als "Könige" oder "Adelige" bezeichnet, keine Herrschaft ausüben konnten. In dem Wiki-Zitat heißt es überdies, dass der Herrschaftsanspruch innerfamiliär tradiert wird. Das besagt nicht, dass Adelsstrukturen aus den Familienstrukturen hervorgehen, sondern dieser Herrschaftsanspruch innerhalb der Adelsfamilie weitervererbt wird. Auch davon ist bei den Germanen nichts zu sehen. Schließlich heißt es im weiteren Verlauf des Wiki-Artikels, dass Grundbesitz in der Regel die Grundlage für die Herrschaft über andere Menschen bildet. Laut Tacitus gab es bei den Germanen aber keinen individuell zurechenbaren Grundbesitz. Der Wikiartikel verweist zudem auf eine Stelle in den Annalen, an der Tacitus schreibt, dass ursprünglich alle Menschen gleich waren und vererbte Herrschaft erst entstand, als die Freiheit verlorenging. Die Germanen schildert er aber an vielen Stellen explizit als noch frei. Zudem sind hier nun mehrfach ernstzunehmende Wissenschaftler zitiert worden, die dargelegt haben, dass Adelsstrukturen sich erst ab dem 1. Jahrhundert aus dem sich festigenden und von den Stämmen ablösenden Gefolgschaften entwickelt haben. Dass Gefolgschaften existierten, hat übrigens niemand bestritten.

Das alles muss niemanden überzeugen. Jeder darf natürlich weiterhin glauben, was er will. Das alles ist aber der Beweis, dass Deine Aussage "Es kann kein Zweifel bestehen..." schlicht falsch ist. Du hast keine erwiesene Wahrheit zitiert, sondern nur Deine schwer begründbare persönliche Meinung geäußert.

MfG
 
Das alles muss niemanden überzeugen. Jeder darf natürlich weiterhin glauben, was er will. Das alles ist aber der Beweis, dass Deine Aussage "Es kann kein Zweifel bestehen..." schlicht falsch ist. Du hast keine erwiesene Wahrheit zitiert, sondern nur Deine schwer begründbare persönliche Meinung geäußert.

Nein, das überzeugt auch nicht.

Zweifellos verfügte die germanische Oberschicht über Grundbesitz, denn es ist schwer vorstellbar, dass die Felder eines Gefolgsherrn, die von seinen Unfreien bebaut wurden, nicht auch ihm zuzurechnen waren. Ein Grundbuch war allerdings noch nicht vorhanden.

Somit gab es eine Elite, die in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende aus dem Stamm herausgewachsen war. Diese Elite verfügte über Gefolgschaften und besaß somit einen durchsetzbaren Herrschaftsanspruch gegenüber den in ihren Diensten stehenden Freien, Unfreien und Gefolgsleuten.

Das kann man durchaus als eine adlige Schicht bezeichnen, die dann seit der Völkerwanderung auch urkundlich zu belegen ist.
 
ja, das tut mir leid - ich bin halt nicht so leicht zu überzeugen ;)
Ist doch schön. Nur dadurch, dass Menschen verschiedene Meinungen haben, ist eine Diskussion möglich.

-- aber schönen Dank für das Tacituszitat (die Annalen und Germania nebst sogar etwas Sekundärliteratur stehen in meinem Bücherregal, du musst mir den Tacitus also nicht ab ovo erklären) welches meiner Ansicht nach in Richtung Vorform von Adel verstanden werden kann.
Ich weiß ja, dass Du das so siehst. Kannst denn auch erklären, wie es dieser "Vor-Adel" in der Folgezeit geschafft haben soll, sich auch die Eigenschaften zuzulegen, die Adel definieren? Gemeint ist das Recht, Herrschaft über andere Menschen auszuüben. Deine Theorie bietet dafür keine Erklärung, meine hingegen schon.

Jedenfalls schreibt Tacitus nirgendwo etwas wie "sie organisieren sich in Sippen, deren Oberhäupter manchmal Entscheidungen treffen, aber vom uns geläufigen Senatorenadel, vom uns bekannten Adel mit Königen etc. sind sie Lichtjahre entfernt und damit für uns völlig fremdartig und unverständlich" (ein sehr fiktives Tacituszitat)
Würdest Du das nur glauben, wenn Tacitus es expressis verbis genau so geschrieben hätte? Dann ist es unmöglich, Dich zu überzeugen, denn Tacitus wird sein Werk nicht mehr umschreiben. Aber vielleicht können Dich ja auch Indizien überzeugen (Zitate erspare ich mir, da Du den Tacitus ja in Deinem Regal stehen hast :scheinheilig:):

In 7,3 und 7,4 (gemeint ist die Germania) schreibt er, dass es die Familien sind, die ihre Krieger in der Schlacht anfeuern und versorgen und dass es die Frauen sind, zu denen die Kämpfer zurückkehren und mit ihren Wunden ihre Tapferkeit bezeugen. Im gleichen Abschnitt steht, dass die Krieger sippenweise zum Kampf antreten. In 13,1 schreibt er, dass die Gemeinde/Sippe einen jungen Mann für waffentauglich erklären muss, nicht etwa ein Adeliger. In 20,5 schreibt er, dass das Ansehen eines Menschen mit der Zahl seiner Blutsverwandten und Verschägerten steigt. In 21,1 schreibt er, dass jeder Mensch die Freundschaften und Feindschaften seiner Blutsverwandten bedingungslos übernimmt. Er schreibt dort weiter, dass Feindschaften aber nicht endlos dauern, weil sogar Mord durch Rinder gesühnt werden kann. Und dass die gesamte Sippe diese Genugtuung als bindend anerkennen muss. Wenn man genau liest, findet man sicher noch mehr Belege. Zum Beispiel die Tatsache, dass "Wirtschaftsgemeinschaften" bei Bedarf gemeinsam Land in Besitz nehmen und untereinander zur Nutzung verteilen (26,1).

Ich persönlich sehe die Theorie von der Priorität der Sippe also auch durch Tacitus bestätigt, hätte dessen posthume Fürsprache allerdings gar nicht gebraucht. Mir genügt schon, dass in den Gesellschaftswissenschaften unumstritten ist, dass der Sippenverband die Keinzelle der Stammesgesellschaft ist. Und dass es keine dokumentierte Stammesgesellschaft gibt oder gab, in der das erwiesenermaßen anders war.

MfG
 
Nein, das überzeugt auch nicht.
Es war auch gar nicht meine Absicht, Dich überzeugen zu wollen. Ich habe lediglich eine von Deiner abweichende Meinung geäußert.

Zweifellos verfügte die germanische Oberschicht über Grundbesitz, denn es ist schwer vorstellbar, dass die Felder eines Gefolgsherrn, die von seinen Unfreien bebaut wurden, nicht auch ihm zuzurechnen waren. Ein Grundbuch war allerdings noch nicht vorhanden.
"Zweifellos"? Nur weil Du es "schwer vorstellbar" findest? Lies bitte Kapitel 26 der Germania, in der Tacitus sich zu dieser Frage äußert. Dann kannst Du bei Wikipedia mal nach "Allmende" suchen.

Somit gab es eine Elite, die in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende aus dem Stamm herausgewachsen war. Diese Elite verfügte über Gefolgschaften und besaß somit einen durchsetzbaren Herrschaftsanspruch gegenüber den in ihren Diensten stehenden Freien, Unfreien und Gefolgsleuten.
Und warum behauptet Tacitus dann, dass es anders war?

Das kann man durchaus als eine adlige Schicht bezeichnen, die dann seit der Völkerwanderung auch urkundlich zu belegen ist.
Wenn Du Recht hast und Tacitus lügt, kann man die Leute tatsächlich als Adelige bezeichnen.

MfG
 
Zurück
Oben