Die Germanen betrieben einen deutlich reduzierten Totenkult verglichen mit jenem bei den Kelten im Bezug auf die Beigaben.
Schon diese Aussage ist diskussionswürdig. Wie wir wissen, pflegten die Rhein-Weser-Germanen einen anderen Totenkult als die elbgermanischen Stämme. Sozial werden sich diese beiden Gruppen aber nur wenig unterschieden haben. Der Totenkult allein ist also kein Anhaltspunkt dafür, wie die Gesellschaften beschaffen waren, denn Totenkult beruht auf Konvention. Beispiel: Unsere heutige Gesellschaft ist mit Sicherheit sehr viel reicher als jede germanische, keltische oder römische. Ein hypothetischer Alien-Archäologe, der in 2000 Jahren einen unserer Friedhöfe untersucht, wird unsere Gesellschaft aber vielleicht für bettelarm halten, weil wir unseren Toten praktisch gar keine Grabbeigaben mitgeben. Deshalb ist die Betrachtung der Bestattungssitten allein belanglos. Aussagekraft kann sie nur gewinnen, wenn sie mit anderen Bestattungen und darüber hinaus auch mit anderen Hinterlassenschaften der Kultur in Beziehung gesetzt wird.
Ich habe auch kein Postulat für einen „ewigen, germanischen Frühadel“ abgegeben, sondern einen Adel bereits für die Zeiten eines Arminius vorausgesetzt, gestützt auf römische Literatur und nicht auf interpretierbare, archäologische „Nichtfunde“ – Die gibt es auch für einen keltischen „Adel“ (?) in der späten „Früh-Latenè“ und dem „Mittel-Latenè“ !
Genauso sehe ich es ja auch. Deshalb verwies ich darauf, dass es für die keltischen Gesellschaften Funde gibt, die es erlauben, einen Zusammenhang zwischen Grabritus und gesellschaftlichem Leben herzustellen und auf diese Weise dann Aussagen darüber zu treffen, wie eine durchschnittliche Bestattung bei einer Durchschnittsfamilie zur fraglichen Zeit in der fraglichen Gegend aussah. Übrigens habe ich nie von Frühlatène geredet, sondern von der Oppida-Kultur. Die gehört zum Spätlatène, ist aber immer noch älter als die hier diskutierte germanische.
Ein Topf ist ein Topf, das kann die Archäologie leisten, bei ethnischen Zuordnungen ist es schwieriger.
Genau. Ein Topf ist ein Topf. Was man hineinwirft, macht den entscheidenden Unterschied aus.
Was die ethnische Zuordnung betrifft, sprichst Du ein besonderes Problem an. Tatsache ist zweifellos, dass solche Zuordnungen immer schwieriger werden, je weiter wir der Zeitachse Richtung Gegenwart folgen. Es ist ein Verdienst von Tacitus, dass er die Germanen nicht als "homogene Masse" dargestellt hat, sondern dass er als erster Autor zwischen "Germania" (Rhein-Weser-Germanen) und "Suebia" (Elbgermanen) unterschieden und auch schon eine zunehmende Vermischung von germanischen und keltischen Strömungen in der "Kontaktzone" (Rheingebiet und Mittelgebirge) konstatiert hat. Auch deshalb kann man nicht nur anhand einzelner Grabfunde Rückschlüsse auf soziale Strukturen ziehen. Auch Bestattungssitten unterlagen einem Wandel.
Auffällig ist zum Beispiel, dass etwa 20 Prozent der Männergräber aus augusteischer Zeit durch Waffenbeigaben geprägt sind. Im 3. Jahrhundert stieg der Anteil der Waffengräber dann auf über 50 Prozent. Daraus kann man eine Militarisierung der Gesellschaft ableiten. Das passt zu der These von der wachsenden Bedeutung militärischer Gefolgschaften.
Tacitus schreibt direkt von rivalisierenden Adelsgruppen, warum sollte ich dies bezweifeln sollen? War es nicht erst Caesar, der die komplexen keltischen Strukturen mit seinen Adelsgruppierungen, die um Macht innerhalb der Stämme rangen den Römern erstmals geschildert hat?
Dass es rivalisierende Gruppen in den germanischen Stämmen gab, will ja niemand bezweifeln. Nur: Waren es ADELS-Gruppen? Es könnten auch die Sippenoberhäupter der unterschiedlichen Kleinstämme gewesen sein, die dort rivalisiert haben. Was die von Caesar beschriebenen keltischen Stämme betrifft, sieht die Sache anders aus. Hier können wir archäologisch nachweisen, dass die keltischen Gesellschaften sehr viel "strukturierter" waren als die germanischen. Sie hatten "Städte" (Oppida), die untereinander vernetzt waren (Handelsbeziehungen und Geldsystem). Und sie haben Siedlungsspuren hinterlassen, die hierarchische Gesellschaftsstrukturen erkennen lassen.
Seien nicht die in Italien einfallenden Kelten durch den Geschmack von Wein nach Italien gelockt worden?! Und das, wo der Genuss von Wein und rege Handelsbeziehungen in die Oberschicht der Hallstattkultur nach Italien für Jahrhunderte hinweg nachweisbar sind?
Ganz genau! Die Existenz einer Oberschicht, die Handelsbeziehungen unterhielt, ist über Jahrhunderte nachweisbar. Für die Kelten. Für die Germanen erst ab dem 2. Jahrhundert. Übrigens verweist der mehrfach zitierte Heiko Steuer darauf, dass die Kelten im Kontakt zu Rom die gleiche Entwicklung durchgemacht haben wie später die Germanen. Das "Kulturgefälle" führte dazu, dass Kelten zunächst Gefolgschaften für Raubzüge, dann für Söldnerdienste und dann für Landnahme bildeten. Um letztlich von Rom besiegt zu werden.
Die Ausführungen zum Gefolgschaftswesen sind ein lobenswerter Überblick, doch sind die Schlussfolgerungen m.E. teils falsch. Sicherlich sind Gefolgschaften Konsumenten und keine Erzeuger, aber sehr wohl in der Lage sich Güter dauerhaft anzueignen. Aber ist nicht auch ein Adel immer zuerst einmal ein Konsument, oder wenigstens jemand, der vom Ertrag seiner Besitzungen lebt? Nun kommt es darauf an wie er diese Erträge nutzt.
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Mir fehlt völlig der wichtigste Typ von Gefolgschaft, wie er sich auch im Umfeld selbst römischer Aristokraten regelmäßig findet: Die Gemeinschaft mit Männern, die sich den Zielen des führenden Adeligen verschrieben haben und hierzu häufig zusammen sind und ihr Auskommen wenigstens Teilweise von ihrem Herren erhalten.
Du machst hier den zweiten Schritt vor dem ersten: Es kommt nicht darauf an, wie Erträge genutzt werden oder wie der Gefolgsherr die Erträge verteilt. Ehe diese Fragen gestellt werden können, muss es erstmal Erträge geben, die genutzt oder verteilt werden können. Ehe man aus einem Zug aussteigen kann, muss man überhaupt erstmal eingestiegen sein. Deshalb lautet die Gretchenfrage: Woher hatte der mächtige Mann all die guten Dinge, die er seinen Gefolgsleuten geben konnte? Reichtum entsteht durch menschliche Arbeit, nicht durch Raub, Sold oder Tribut. Zumindest in dieser Hinsicht hatte Marx vollkommen Recht.
Jeder antiker Staatsführer mit reichlich Mitteln und Bedarf an Söldnern, hätte kaum jemand in eine Germanenversammlung gesandt und gefragt, ob nicht jemand bei seinem Krieg aushelfen könne – wer mitwill, möge sich melden… Das ist eine sehr romantische Vorstellung!
Jetzt vermischen wir weitere Begriffe. "Staatsführer" passt für diese Zeit nicht. Zuerst waren da die Stämme, dann die germanischen Reiche (die immer noch Personengesellschaften waren) und erst sehr viel später Staaten, die an Territorien gebunden waren. Aber zu Deiner Aussage:
Man muss davon ausgehen, dass sich Gefolgschaften, die über Stammesterritorium hinausgreifen wollten, genauso gebildet wurden: Man verständigte sich irgendwie (vielleicht in einer Volksversammlung?), dass es lohnend sein könnte, aus dem eigenen kalten und nassen Land abzuziehen und neue Wohnsitze in Gallien zu nehmen. Natürlich mit Gewalt, wenn es nötig würde. Dazu wählte man Anführer. Dann zogen Leute durch das Land, verkündeten den Plan und sammelten "Gefolgsleute". Freiwillige, die durch die Aussicht auf ein besseres Leben und Beute gelockt wurden. Unabhängig von ihrer Stammeszugehörigkeit. So bildeten sich - im Erfolgsfall - neue Stämme. So wanderten Kimbern und Teutonen, so trieben sich stammesübergreifende Kriegergruppen, die sich selbst "Franken" nannten, gern in der römischen Provinz herum. Es ließen sich noch zahlreiche andere Fälle nennen. Die Wikinger zum Beispiel.
MfG