Kulturelle Entwicklung während der letzten 100 Jahre

[FONT=Times New Roman, serif]In der Online-Zeitung für Gesellschaft und Kultur, „Tabula Rasa“, habe ich eine kritische Rezension zu Burckhardts Buch „Weltgeschichtliche Betrachtungen“ geschrieben (Ein Beispiel für den Rassismus in der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts - und die bis heute andauernde Vergötterung des Lehrenden. - Tabula Rasa). [/FONT]
in deiner Rezension findet sich:
Rezension schrieb:
Hätten besonders Burckhardt und andere Intellektuelle zu seiner Zeit die Gesetzmäßigkeiten und die Systematik der Geschichte und damit auch den Verlauf der weiteren kulturellen Entwicklung richtig gelesen, interpretiert und dann auch gelehrt, so wären die beiden Katastrophen des letzten Jahrhunderts sehr wohl zu vermeiden gewesen.
...das halte ich für eine etwas unglückliche Formulierung, die auch inhaltlich wohl kaum haltbar ist.
 
eines der Probleme bei solchen Betrachtungen ist die Frage der Angemessenheit der Maßstäbe: es dreht sich ja um einen Autor des 19. Jhs., und dieser konnte einiges, was wir heute wissen, eben noch nicht wissen - wenn Burckhardt heute dasselbe schreiben würde, falls er heute leben würde, so müsste die Kritik in diesen Bereichen (Rassismustendenzen etc.) recht deutlich ausfallen; aber bezogen auf den Kenntnisstand des 19 Jh. sollte vorab dieses zeitbedingte Umfeld berücksichtigt werden.

Zitat:
<table border="0" cellpadding="6" cellspacing="0" width="100%"> <tbody><tr> <td class="alt2" style="border:1px inset"> Rezension
Hätten besonders Burckhardt und andere Intellektuelle zu seiner Zeit die Gesetzmäßigkeiten und die Systematik der Geschichte und damit auch den Verlauf der weiteren kulturellen Entwicklung richtig gelesen, interpretiert und dann auch gelehrt, so wären die beiden Katastrophen des letzten Jahrhunderts sehr wohl zu vermeiden gewesen.
</td> </tr> </tbody></table>
...das halte ich für eine etwas unglückliche Formulierung, die auch inhaltlich wohl kaum haltbar ist.

Zunächst einmal ist eines zweifellos richtig: Die Menschen leben stets mit einem bestimmten Zeitgeist oder Paradigma und werden davon natürlich beeinflusst. Das heißt aber nicht, dass sie stets dem Zeitgeist verfallen müssen.

Nehmen wir als Beispiel Heidegger. Hat er, und auch viele andere Intellektuelle, grundsätzlich nicht erkennen können, wohin der Nationalsozialismus führen wird?

Oder nehmen wir den heutigen Zeitgeist des, so würde ich es benennen, Kapitalismus oder des Profitstrebens. Auch das ist in der radikalen Form gerade angesichts einer überbevölkerten Erde und der Technologie der Massenvernichtungswaffen mit bestimmten Risiken verbunden, etwa Atomkrieg oder Klimawandel. Wenn es hier zu Katastrophen kommen sollte, dann könnten unsere Enkel sagen, dass das damals, also heute, eben der Zeitgeist war, da hat niemand etwas dran machen können.

Ich finde jedoch, dass das nicht der Natur des Menschen entspricht, denn die Fähigkeit des menschlichen Geistes besteht gerade darin, im Gang der Welt Gesetzmäßigkeiten oder Muster zu erkennen, um so schon im Vorweg wahrzunehmen, wohin eine Entwicklung laufen kann und was in eine Katastrophe führt.
Wie ich in der Rezension bemerkt habe, haben etwa Kant und Schiller ca. 100 Jahre vor Burckhardt die zu dieser Zeit gerade beginnenden Umbrüche ganz anders interpretiert als Burckhardt, und zwar, aus der heutigen, rückblickenden Perspektive gesehen, richtig interpretiert.

Warum ist daher meine Aussage inhaltlich falsch? Können Ideen nicht den Zeitgeist bestimmen und damit auch den Verlauf der Geschichte, wie etwa in der Französischen Revolution? Es gab ja die Widerstände gegen die Weltkriege, das Problem war nur, dass diese "Geister" bzw. die öffentliche Meinung, zu schwach waren. Was spricht konnkret dagegen, dass, wenn sie nur stark genug gewesen wären, die Weltkriege dann auch hätten verhindern können?
 
Warum ist daher meine Aussage inhaltlich falsch? Können Ideen nicht den Zeitgeist bestimmen und damit auch den Verlauf der Geschichte, wie etwa in der Französischen Revolution? Es gab ja die Widerstände gegen die Weltkriege, das Problem war nur, dass diese "Geister" bzw. die öffentliche Meinung, zu schwach waren. Was spricht konnkret dagegen, dass, wenn sie nur stark genug gewesen wären, die Weltkriege dann auch hätten verhindern können?
welche geglückten Beispiele gibt es denn, wo der Verlauf der Geschichte nachhaltig von schöngeistigen Denkern um kriegerische Katastrophen weltweiten Ausmaßes herumgelenkt wurde, sodass die Katastrophen gar nicht erst stattfanden? *)
keine.
insofern ist deine nachträgliche Forderung an Burckhardt & Co. inhaltlich nicht so ganz korrekt, denn in dieser Weise kann man das von denen nicht fordern :winke:

__________
*) wobei noch zu fragen ist, wie man nicht stattgefundene Katastrophen überhaupt ermittelt ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
....Was an Burckhardt interessant ist: Er besaß ein völlig anderes Geschichtsverständnis und Weltbild als es heute der Fall ist. Das führt er in seinem Buch "Weltgeschichtliche Betrachtungen" bzw. seiner Vorlesungsreihe "Über das Studium der Geschichte" aus. Er besaß ein zyklisches Weltbild, hielt überhaupt nichts von Geschichtsphilosophie (ganz im Gegensatz zu Schiller) und vor allem, er sah die Entwicklungen seiner Zeit (Demokratie, "Erwerb und Verkehr") als Irrweg und Krise und verklärte stattdessen Werte, die wir heute als Irrweg sehen (Rassismus, Nationalismus, Kriegsverherrlichung).
...
Ist ein zyklisches Weltbild nicht auch eine Geschichtsphilosophie?
 
welche geglückten Beispiele gibt es denn, wo der Verlauf der Geschichte nachhaltig von schöngeistigen Denkern um kriegerische Katastrophen weltweiten Ausmaßes herumgelenkt wurde, sodass die Katastrophen gar nicht erst stattfanden? *)
keine.

Daß es keinen Atomkrieg gab, würde ich als vielleicht wichtigstes Beispiel bezeichnen. Es gab genügend Ansatzpunkte und Vorschläge von Militärs, Atomkriege zu führen und zu gewinnen.

Allerdings gibt es in der Tat auch sehr viele Gegenbeispiele.

Und dieser Sicht haben, die häufig gescholteten, Politiker in Ost und West nicht zugestimmt. Ob die nun dabei "schöngeistigen" Überlegungen gefolgt sind, weiss ich nicht, wohl eher einem "gesunden Menschenverstand".

Systematisch hat dieses Problem Ulrich Beck mit seinem Begriff der Risikogesellschaft auf den Punkt gebracht.

http://books.google.de/books?id=3Ey...a=X&ei=T3CCUbb9IPKu4QT9o4G4AQ&ved=0CDkQ6AEwAQ

http://de.wikipedia.org/wiki/Risikogesellschaft
 
Zuletzt bearbeitet:
Nehmen wir als Beispiel Heidegger. Hat er, und auch viele andere Intellektuelle, grundsätzlich nicht erkennen können, wohin der Nationalsozialismus führen wird?

Wohin der Nationalsozialismus führen würde, war nicht abzusehen - trotz der klar definierten Ziele in "Mein Kampf". Darüber hat sich eine ganze Generation von Politikern und Bürgern getäuscht.

Oder nehmen wir den heutigen Zeitgeist des, so würde ich es benennen, Kapitalismus oder des Profitstrebens.

Von Auswüchsen einer dünnen Schicht sollte man nicht auf die mentale Befindlichkeit ganzer Völker oder gar der Menschheit schließen. Neben den Stichwörtern "Kapitalismus" und "Proftstreben" gibt es bei vielen Menschen andere und humanere Werte, die allerdings weniger weniger diskutiert werden, weil sie unspektulär sind.

Ich finde jedoch, dass das nicht der Natur des Menschen entspricht, denn die Fähigkeit des menschlichen Geistes besteht gerade darin, im Gang der Welt Gesetzmäßigkeiten oder Muster zu erkennen, um so schon im Vorweg wahrzunehmen, wohin eine Entwicklung laufen kann und was in eine Katastrophe führt.

Leider gibt es beim Lauf der Geschichte keinerlei "Gesetzmäßigkei", was dazu geführt hat, dass historische Prozesse und Ereignisse immer wieder die unwahrscheinlichsten Wendungen nahmen. Gesetzmäßigkeiten, wie sie z.B. Spengler in seinem "Untergang des Abendlandes" nachweisen wollte, sind eine Fiktion.

Wie ich in der Rezension bemerkt habe, haben etwa Kant und Schiller ca. 100 Jahre vor Burckhardt die zu dieser Zeit gerade beginnenden Umbrüche ganz anders interpretiert als Burckhardt, und zwar, aus der heutigen, rückblickenden Perspektive gesehen, richtig interpretiert.

Solche Interpretationen sind Zufallsprodukte wie das Würfelspiel.
 
insofern ist deine nachträgliche Forderung an Burckhardt & Co. inhaltlich nicht so ganz korrekt, denn in dieser Weise kann man das von denen nicht fordern

Ich stelle keine Forderungen an Burckhardt, denn das könnte ich nur, wenn ich ein bestimmtes, erhöhtes Bild von ihm habe, was ich beibehalten will. Ich stelle das, was er gesagt hat, dem gegenüber, was dann geschehen ist.

Das "Schöngeistige" ist hier bei Schiller wegzulassen. In seiner Eigenschaft als Historiker geht es um Vernunft.

Die Aussage, dass Kriege durch die Vernunft oder das Geistige verhindert werden können, ist natürlich auch vor dem Verlauf der Geschichte oder Entwicklung zu sehen. Früher entschied eine einzelne Person oder ein kleiner Kreis von Personen über Krieg und Frieden. Heute haben wir demokratische Verhältnisse und die öffentliche Meinung spielt bei diesen Entscheidungen eine sehr viel größere Rolle. doch zweifellos spielte die öffentliche Meinung gerade auch in der deutschen Revolutionszeit und der Vorkriegszeit eine Rolle.
 
Heute haben wir demokratische Verhältnisse und die öffentliche Meinung spielt bei diesen Entscheidungen eine sehr viel größere Rolle.

Das gilt allerdings nur für einen sehr kleinen Teil der Staatenwelt. Global betrachtet fällen immer noch viele Regierungen einsame und zuweilen irrationale Entschlüsse.
 
Ich stelle keine Forderungen an Burckhardt, denn das könnte ich nur, wenn ich ein bestimmtes, erhöhtes Bild von ihm habe, was ich beibehalten will. Ich stelle das, was er gesagt hat, dem gegenüber, was dann geschehen ist.
ich darf das dem Zitat aus deiner Rezension gegenüber stellen:
Hätten besonders Burckhardt und andere Intellektuelle zu seiner Zeit die Gesetzmäßigkeiten und die Systematik der Geschichte und damit auch den Verlauf der weiteren kulturellen Entwicklung richtig gelesen, interpretiert und dann auch gelehrt, so wären die beiden Katastrophen des letzten Jahrhunderts sehr wohl zu vermeiden gewesen.

zudem habe ich mir erlaubt, ein Wort fett zu markieren: "dann" ist hier wohl im Sinne von "später, danach" verwendet -- und dazu meine Frage: war Burckhardt ein Prophet und gilt es, seine prophetischen Gaben zu testen? ...der große Schiller (sic), dessen Hauptverdienste in der Literatur lagen, dichtete einst "alle Menschen werden Brüder" - na, das ist ja wohl auch noch lange nicht der Fall... ist er nun ein schlechter Dichter, ein schlechter Prophet? :winke:;)
 
Wenn du die Denkweise von Menschen im 19. Jahrhundert genauer überprüfen möchtest, dann solltest du dies immer im Kontext der damaligen Zeit tun.
sehr richtig!!!

aber mir stellt sich bzgl. des Titels in diesem Faden die Frage, was der seit nunmehr 116 Jahren verstorbene Burckhardt, ja überhaupt das 19. Jh. zu suchen haben?

es gab im 19. Jh. Gelehrte, die sich nicht rassistisch und antisemitsch äußerten, es gab welche, die das taten - bei den kulturhistorisch und/oder wissenschaftlich relevanten Gelehrten dieser Zeit allerdings sind Antisemitismus und Rassismus nicht das Zentrum ihrer Publikationen.
 
und dazu meine Frage: war Burckhardt ein Prophet und gilt es, seine prophetischen Gaben zu testen? ...der große Schiller (sic), dessen Hauptverdienste in der Literatur lagen, dichtete einst "alle Menschen werden Brüder" - na, das ist ja wohl auch noch lange nicht der Fall... ist er nun ein schlechter Dichter, ein schlechter Prophet? :winke:;)

Burckhardt wird, wie ich es in der Rezension mit einem Zitat beschrieben habe, als Prophet gesehen, der die beiden Weltkriege vorausgesagt hat. Der Kontext der beiden vagen Aussagen dazu ergibt aber einen anderen Sinn, der eher mit den Untergangsszenarien seines zyklischen Weltbildes zusammenhängt. Für mich ist Burckhardt kein Prophet.

Schiller ist für mich ebenfalls kein Prophet. Er hat vielmehr glasklar den kulturellen Fortschritt zu seiner Zeit erkannt, etwa die Einführung "weiser Gesetze", bei denen die Menschen nicht mehr mit dem Recht des Stärkeren tagtäglich um ihr Dasein kämpfen müssen. Heute haben wir uns daran gewöhnt und sehen es als selbstverständlich an, dass Polizei und Justiz dafür sorgen, dass wir (relativ) sicher durch zumindest unser Land gehen können, ohne permanent Angst zu haben, ausgeraubt oder getötet zu werden, ohne dass das jemanden interessiert. Wie er es in seiner Antrittsvorlesung als Historiker ausdrückte: "Aus der Geschichte erst werden Sie lernen, einen Werth auf die Güter legen, denen Gewohnheit und unangefochtener Besitz so gern unsre Dankbarkeit rauben."

Was mich an Schiller und Kant fasziniert ist, dass sie ohne etwas von der Evolutionstheorie zu wissen, trotzdem die in heutiger Sicht der Evolutionstheorie grundlegende Problematik des Menschen erkannt haben. So ist der eigentliche Eintritt in die zivilisierte Gesellschaft für Schiller an "weise Gesetze" und die "sanftere Herrschaft der Verträge" gebunden. Hierin hatte der Mensch nach Schiller "die Freiheit des Raubthiers hingegeben, um die edlere Freiheit des Menschen zu retten". "Das Gesetz wacht über sein Eigenthum", so dass sich der Mensch findet "in seines Erwerbs friedlichen Besitz sicher unter einer Million, ihn, den sonst ein einziger Nachbar den Schlummer raubte".
Auch Kant sah das "Raubthier" im Menschen, wenn er in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" feststellte: "Bey der Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freyen Verhältnis der Völker unverholen blicken läßt (indess daß sie im bürgerlich-gesetzlichen Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleyert)".

Kant und Schiller forderten ein Weltbürgertum und die Einführung desjenigen zivilisatorischen Fortschritts, der sich auf nationaler Ebene so bewährt hat, auch für die globale Ebene. Kant tat das ganz konkret mit den Worten in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden":
"Für Staaten im Verhältnisse unter einander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie eben so wie einzelne Menschen ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat ( civitas gentium ), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden."


Diese Forderung ist bis heute aktuell, angesichts der Massenvernichtungswaffen so aktuell wie nie. Der Zivilisationsprozess, den Kant und Schiller erkannt haben, ist bis heute noch lange nicht abgeschlossen und der nächste hier stattfindende Krieg wird uns schmerzhaft daran erinnern.


Den Worten von Morris nach verläuft die Geschichte nach zwingenden Mustern, "und mit den richtigen Instrumenten wird es Historikern gelingen, diese zu erkennen und sogar zu erklären".

Ob Schiller ein schlechter Prophet war? Er war, im Gegensatz zu Burckhardt, der diese kulturelle Entwicklung des Menschen überhaupt nicht im Blick hatte, ein exzellenter Philosoph und ein exzellenter Historiker (und daneben natürlich auch noch Dichter). Er hat die Muster, von denen Morris spricht, erkannt und seine Erkenntnisse sind, wie die von Kant, daher bis heute aktuell.
 

Diesem Argument, Burckhardt nur im Kontext seiner Zeit zu sehen, bin ich immer wieder in völlig voneinander unabhängigen Diskussionen begegnet. Es scheint das gelehrte Standardargument zu sein, dem alle folgen. Der Zweck dabei ist klar, denn Burckhardts Aussagen werden dadurch scheinbar entschuldigt und das nach Hirschi aufgebaute "Heiligenbild" von Burckhardt wird so aufrechterhalten. Doch dagegen richtet sich gerade meine Kritik (und die von Hirschi und Mattioli).

Burckhardt muss im Kontext gesehen werden, ja, und zwar im Kontext der Zeit seit der Französischen Revolution bzw. der Aufklärung. Das habe ich in etwa, zusammen mit Kant und Schiller, in meiner vorhergehenden Antwort getan.
 
Diesem Argument, Burckhardt nur im Kontext seiner Zeit zu sehen, bin ich immer wieder in völlig voneinander unabhängigen Diskussionen begegnet. Es scheint das gelehrte Standardargument zu sein, dem alle folgen. Der Zweck dabei ist klar, denn Burckhardts Aussagen werden dadurch scheinbar entschuldigt und das nach Hirschi aufgebaute "Heiligenbild" von Burckhardt wird so aufrechterhalten. Doch dagegen richtet sich gerade meine Kritik (und die von Hirschi und Mattioli).
...und dazu verwendest du eine Kompilation, die gegen den Willen des Autors lange nach seinem Tod von seinem Neffen aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde...
Nach seinem Tod hinterliess Burckhardt vier unveröffentlichte, druckreife Werke, darunter Erinnerungen aus Rubens. Des Weiteren wurden aus seinem Nachlass die Griechische Kulturgeschichte und die vielgelesenen Weltgeschichtlichen Betrachtungen veröffentlicht. Burckhardt hatte nie vor, sein Kolleg Über Studium der Geschichte, das er von 1868 bis 1872 dreimal abhielt, zu publizieren. Noch auf dem Sterbebett gab er seinem Neffen Jacob Oeri (1844–1908) den Auftrag, alle handschriftlichen Hinterlassenschaften einstampfen zu lassen, aber die Erlaubnis zur Einsichtnahme konnte ihm Oeri doch noch abringen. Dass diese Einsicht etliche Jahre dauern und mit einer Veröffentlichung enden sollte, war sicher nicht Burckhardts Absicht. Wie bei mehrfach gehaltenen Vorlesungen nicht ungewöhnlich, liegen die Skripte in mehreren Fassungen vor, durchsetzt mit Einschüben und Aktualisierungen. Das erhaltene handschriftliche Material – die Mitschriften von Studenten nicht mitgerechnet – ist etwa doppelt so umfangreich wie der Text, den Oeri dann für die Buchausgabe von 1905 herausgab. Die kühnste Neuerung Oeris war wohl die Veränderung des Titels zu Weltgeschichtliche Betrachtungen, die Burckhardts einführende Vorlesung vielleicht in die Nähe von Nietzsches Unzeitgemäßen Betrachtungen rücken sollte.
Jacob Burckhardt ? Wikipedia

methodisch ist das meiner Ansicht nach so, als wolle man dem Komponisten Chopin einen Strick drehen, indem man seine Balladen und Sonaten beiseite schiebt, und nur das tiviale Fantasie-Impromptu, das er nicht veröffentlichen sondern verbrennen wollte, zu diesem Unterfangen heranzieht.

Burckhardt muss im Kontext gesehen werden, ja, und zwar im Kontext der Zeit seit der Französischen Revolution bzw. der Aufklärung. Das habe ich in etwa, zusammen mit Kant und Schiller, in meiner vorhergehenden Antwort getan.
...du zusammen mit Kant und Schiller... ist wohl gelinde gesagt ein wenig sehr übertrieben (und das nicht nur stilistisch), oder? ;);)
 
...und dazu verwendest du eine Kompilation, die gegen den Willen des Autors lange nach seinem Tod von seinem Neffen aus dem Nachlaß veröffentlicht wurde...
Das rezensierte Buch gilt als Schlüssel zum Verständnis von Burckhardts Werk und in diesem Buch sind Burckhardts Stellungsnahmen zu den Umbrüchen seiner Zeit vorhanden.

...du zusammen mit Kant und Schiller... ist wohl gelinde gesagt ein wenig sehr übertrieben (und das nicht nur stilistisch), oder? ;);)
Wie beim Verweis auf die Rezension beschrieben geht es mir um sachliche Argumente.
[FONT=Times New Roman, serif]An Gegenargumenten dazu bin ich sehr interessiert, aber bitte sachlich und auf das rezensierte Buch bezogen, denn wie ich bisher ähnlich wie Morris feststellen musste, ist die Reaktion auf Kritik an Burckhardt teilweise sehr emotional geprägt. Es soll nicht um eine weitergehende „Hagiographie“ oder umgekehrt die totale Verunglimpfung von Burckhardt gehen, sondern um eine möglichst objektive und sachliche Bewertung seiner Aussagen, seines Weltbildes und des Geistes, der bei ihm als wissenschaftlicher Zeitzeuge des 19. Jahrhunderts vorzufinden ist. [/FONT]
Für eine Diskussion auf der Ebene mit den oberen beiden "Argumenten" habe ich leider keine Zeit.
 
Das rezensierte Buch gilt als Schlüssel zum Verständnis von Burckhardts Werk und in diesem Buch sind Burckhardts Stellungsnahmen zu den Umbrüchen seiner Zeit vorhanden.
es ist zwar keine quellenkritisch historische Frage, sondern primär eine philologische, aber sie sollte dennoch vorab geklärt sein: wie kann eine vom Autor nicht zur Publikation vorgesehene, sondern zu vernichtende Sammlung, die obendrein von einem Dritten redigiert und zusammengestellt wurde, der Schlüssel zum Verständnis des Werks des besagten Autoren sein?
In der zuständigen Literaturwissenschaft verwendet niemand das "Tagebuch eines Schriftstellers"*) von Dostojewski oder "Hanswursts Hochzeit"**) von Goethe, um die großen Gesellschaftsromane***) oder die berühmten Dramen****) sowie insgesamt den Stellenwert dieser Autoren zu erklären und moralisch zu bewerten!

...sachliche Argumente einfordern, wenn man sich zugleich auf eine Stufe mit Kant und Schiller stellt, wirkt doch ein wenig prätentiös...

Burckhardt ist vornehmlich wegen seiner Publikationen zur Renaissance von Gewicht, und diese haben nicht die Intention, antisemitische und rassistische Haltungen in den Mittelpunkt der Aussage zu stellen. Sie sind im 19. Jh. entstanden und natürlich nicht frei von den Zeitumständen der Entstehungszeit. Ein moralischer Zeigefinger auf diese Zeit, der die Wertungen und den Kenntnisstand einer anderen späteren Zeit, der heutigen, dort voraussetzt, agiert philologisch nicht korrekt.

Nichts gegen eine Untersuchung, die bei diversen Gelehrten, Literaten, Künstlern des 19. Jh. zeitbedingte Ressentiments im Zeitkontext aufzeigt - aber eine moralisierende Strafpredigt schießt weit übers Ziel hinaus.

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*) dieses Tagebuch enthält eine Fülle privater Ressentiments des Menschen Dostojewski, die man allerdings in dieser krassen Weise nirgendwo im Erzählerkommentar seiner Romane findet (bestenfalls in der Figurenrede)
**) eine vulgär-ordinäre Posse, die Goethe nicht veröffentlicht hatte
***) Idiot, Dämonen, Brüder Karamasow, Jüngling, Schuld und Sühne
****) die sind gewiß bekannt genug
 
Nichts gegen eine Untersuchung, die bei diversen Gelehrten, Literaten, Künstlern des 19. Jh. zeitbedingte Ressentiments im Zeitkontext aufzeigt - aber eine moralisierende Strafpredigt schießt weit übers Ziel hinaus.

Richtig. Wenn wir nämlich damit beginnen, dann können wir auch Voltaire, Kant, Hume oder Hegel anprangern. Denn diese haben sich, zwar jetzt nicht antisemitisch, sondern rassitisch geäussert. Wenn wir nun den Ansatz von Bernino nehmen, dann waren dies ja fast die "Schuldigen" des Rassismus.

Die Werke kann man kritisch anschauen, das ist keine Frage und soll man auch. Nur moralisieren sollten wir nicht.

Zur Diskussion um Burckhardt habe ich mich ja schon in diesen Beirägen geäussert, dem füge ich nichts mehr hinzu:

http://www.geschichtsforum.de/660941-post5.html

http://www.geschichtsforum.de/661018-post9.html

http://www.geschichtsforum.de/661049-post13.html
 
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