und dazu meine Frage: war Burckhardt ein Prophet und gilt es, seine prophetischen Gaben zu testen? ...der große Schiller (sic), dessen Hauptverdienste in der Literatur lagen, dichtete einst "alle Menschen werden Brüder" - na, das ist ja wohl auch noch lange nicht der Fall... ist er nun ein schlechter Dichter, ein schlechter Prophet? :winke:
Burckhardt wird, wie ich es in der Rezension mit einem Zitat beschrieben habe, als Prophet gesehen, der die beiden Weltkriege vorausgesagt hat. Der Kontext der beiden vagen Aussagen dazu ergibt aber einen anderen Sinn, der eher mit den Untergangsszenarien seines zyklischen Weltbildes zusammenhängt. Für mich ist Burckhardt kein Prophet.
Schiller ist für mich ebenfalls kein Prophet. Er hat vielmehr glasklar den kulturellen Fortschritt zu seiner Zeit erkannt, etwa die Einführung "weiser Gesetze", bei denen die Menschen nicht mehr mit dem Recht des Stärkeren tagtäglich um ihr Dasein kämpfen müssen. Heute haben wir uns daran gewöhnt und sehen es als selbstverständlich an, dass Polizei und Justiz dafür sorgen, dass wir (relativ) sicher durch zumindest unser Land gehen können, ohne permanent Angst zu haben, ausgeraubt oder getötet zu werden, ohne dass das jemanden interessiert. Wie er es in seiner Antrittsvorlesung als Historiker ausdrückte: "Aus der Geschichte erst werden Sie lernen, einen Werth auf die Güter legen, denen Gewohnheit und unangefochtener Besitz so gern unsre Dankbarkeit rauben."
Was mich an Schiller und Kant fasziniert ist, dass sie ohne etwas von der Evolutionstheorie zu wissen, trotzdem die in heutiger Sicht der Evolutionstheorie grundlegende Problematik des Menschen erkannt haben. So ist der eigentliche Eintritt in die zivilisierte Gesellschaft für Schiller an "weise Gesetze" und die "sanftere Herrschaft der Verträge" gebunden. Hierin hatte der Mensch nach Schiller "die Freiheit des Raubthiers hingegeben, um die edlere Freiheit des Menschen zu retten". "Das Gesetz wacht über sein Eigenthum", so dass sich der Mensch findet "in seines Erwerbs friedlichen Besitz sicher unter einer Million, ihn, den sonst ein einziger Nachbar den Schlummer raubte".
Auch Kant sah das "Raubthier" im Menschen, wenn er in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" feststellte: "Bey der Bösartigkeit der menschlichen Natur, die sich im freyen Verhältnis der Völker unverholen blicken läßt (indess daß sie im bürgerlich-gesetzlichen Zustande durch den Zwang der Regierung sich sehr verschleyert)".
Kant und Schiller forderten ein Weltbürgertum und die Einführung desjenigen zivilisatorischen Fortschritts, der sich auf nationaler Ebene so bewährt hat, auch für die globale Ebene. Kant tat das ganz konkret mit den Worten in seiner Schrift "Zum ewigen Frieden":
"Für Staaten im Verhältnisse unter einander kann es nach der Vernunft keine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der lauter Krieg enthält, herauszukommen, als daß sie eben so wie einzelne Menschen ihre wilde (gesetzlose) Freiheit aufgeben, sich zu öffentlichen Zwangsgesetzen bequemen und so einen (freilich immer wachsenden) Völkerstaat (
civitas gentium ), der zuletzt alle Völker der Erde befassen würde, bilden."
Diese Forderung ist bis heute aktuell, angesichts der Massenvernichtungswaffen so aktuell wie nie. Der Zivilisationsprozess, den Kant und Schiller erkannt haben, ist bis heute noch lange nicht abgeschlossen und der nächste hier stattfindende Krieg wird uns schmerzhaft daran erinnern.
Den Worten von Morris nach verläuft die Geschichte nach zwingenden Mustern, "und mit den richtigen Instrumenten wird es Historikern gelingen, diese zu erkennen und sogar zu erklären".
Ob Schiller ein schlechter Prophet war? Er war, im Gegensatz zu Burckhardt, der diese kulturelle Entwicklung des Menschen überhaupt nicht im Blick hatte, ein exzellenter Philosoph und ein exzellenter Historiker (und daneben natürlich auch noch Dichter). Er hat die Muster, von denen Morris spricht, erkannt und seine Erkenntnisse sind, wie die von Kant, daher bis heute aktuell.