Also halten wir fest:
"Turo(s)" als Personnename ist keltisch und venetisch belegt.
"Turo(s) als Personenname ist
nicht kontinentalkeltisch (gallisch, lepontisch) belegt, lediglich keltiberisch. Du hast mit Recht gerade festgestellt, dass man bei den verschiedenen keltischen Sprachen sauber unterscheiden sollte.
Personennamen auf -iko- sind keltisch und venetisch belegt.
Habe ich da was bei Untermann und Aföldy überlesen? Beiden zufolge sind Gentilnamen auf -iko typisch venetisch bzw. dem "nordadriatischen Namensgebungsgebiet" zuzuordnen. Die keltischen Belege müsstest Du schon dokumentieren - und zwar für die Zeit vor Gründung Turicums. Ableitungen von keltisch
rix (König) sollten aussen vor bleiben, aber da erzähle ich Dir vermutlich nichts Neues.
Ortsnamen auf -icum sind keltisch belegt, aber nicht venetisch.
Es gibt vier relativ zweifelsfrei keltisch zuordbare Ortsnamen auf -icum, alles
hydronymische Bildungen [vgl. hier Schürr, a.a.O., zu Mediomatricum, der elsässischen Moder und der zugehörigen keltischen Flussgöttin
Matrae], Da Turicum offensichtlich keine hydronymische Bildung ist, sind diese vier Belege irrelevant.
Wir haben weiterhin 3-4
ethnonymische Bildungen, die vermutlich alle römisch sind, wobei in mindestens zwei Fällen das zugrundeliegende Ethnonym (Vindelicum, Carnicum) venetisch gebildet sein mag. Den dritten Fall, Venicon auf Korsika, wollen wir - glaube ich - beide hier nicht wirklich vertiefen (dürfte andernfalls so etwa 20 OT Posts nach sich führen). Sofern die Wurzel keltischen Ursprungs ist, wäre Santicum auch ethnonymisch, gebildet wahlweise durch Veneter oder Römer (Griechen lasse ich hier mal aussen vor). Da für Turicum ethnonymische Bildung nicht erwogen wird, sind diese Fälle hier ebenfalls irrelevant.
Drei weitere Fälle (Mastiacum, Bedaium, Geminiacum) haben wir bereits als römische Bildung bzw. aufgrund unpassender Endung ausgeschlossen. Für Caracoticum (Harfleur) ist die -icum-Endung unsicher (im Itinerarium Antonini tauch es als Caracoti
ni auf) es sollte daher ebenfalls aus der Betrachtung bleiben. Arbatilicum (erst mittelalterlich dokumentiert) scheidet eh aus. Larice ist aufgrund der untypischen Endung ein Sonderfall; da keine Bildung aus Personenname vorliegt, ist es ebenfalls irrelevant.
Damit bleiben noch genau zwei Fälle übrig, nämlich Belicum und Bremtonicum. Beide sind von zweifelhafter Keltizität (lt. Dictionary "obscure"). Mit mindestens gleichem, eigentlich sogar besserem Recht (zugrundeliegender Personenname venetisch belegt) können sie auch venetisch gedeutet werden. Der Lautwandel Brentonico-Frenten ist aus Latein oder Keltisch heraus nicht erklärbar, jedoch aus Ostalpenindogermanisch Typ A.
Zusammengefasst: Es gibt keine auch nur halbwegs belegte keltische Ortsnamensbildung PN & -iko . Wenn Du mit dem Argument "keltisch belegt" noch mal, dann zum vierten Mal, kommen willst, bitte ich um eindeutige Nennung der (dann wohl neuen) Belege samt aussagekräftiger Begründung. Ansonsten müsste ich hier Stellungnahmen wiederholen, die mir möglicherweise moderatorenseitige Ermahnung eintragen, und das wollen wir doch bestimmt beide nicht :winke:.
In Turicum ist keltische Besiedlung nachgewiesen, aber keine venetische.
Wann wurde das Einwohnerregister ausgegraben - habe ich da was überlesen? In Turicum ist vorrömische Besiedlung nachgewiesen, alles andere ist
hochspekulativ. Dass norische Münzen mit venetischer Beschriftung geprägt wurden, beweist nicht, dass im Noricum keine Kelten wohnten. Funde keltischer Münzen im Zürichsee bedeuten genausowenig, dass im vorrömischen Turicum nur, oder überhaupt Kelten wohnten.
[Wissen wir überhaupt, zu welcher römischen Provinz Turicum gehörte? Da sich dort eine Zollstation befand, lag es offenbar an der Grenze zwischen
Raetia und
Gallia Belgica bzw.
Germania Superior. Aber auf welcher Seite der Grenze? M.a.W.: War Turicum ursprünglich vindelikisch oder helvetisch?
Epigraphik Datenbank ]
Fassen wir also die beiden aufgrund der Beleglage denkbaren Szenarien zusammen:
- Keltiberer kommen in die Nordschweiz, knapp 800 km von ihrem Siedlungsgebiet entfernt (ich nehme mal Agde als belegte Ostgrenze). Sie entdecken die sprachliche Schönheit des ihnen bislang unbekannten herkunftanzeigenden Suffixes -iko, und nutzen es begeistert zur Bennennung der von ihnen neugegründeten Siedlung. [Stellt sich noch die Frage, von wem sie die Endung -iko hatten - Römern, Venetern oder Griechen? Werden wohl die Griechen gewesen sein, dann ging die Route über Marseille. Die 100 km Umweg machen den Kohl auch nicht fett.]
- Veneter kommen in die Nordschweiz, knapp 300 km von ihrem Siedlungsgebiet entfernt (Inschriftenfund in Hall/ Tirol). Sie benennen ihre neue Siedlung mittels des in ihrer Heimat üblichen, und bis ins Mittelalter für Ortsnamen (in Masse, nicht in Klasse) noch produktiven herkunftsanzeigenden Suffixes -iko.
Ist wirklich schwer, zu entscheiden, welches der beiden Szenarien plausibler ist.
Da hast Du etwas nicht richtig verstanden. Der gallische (festlandskeltische) Charakter der Inschrift ergibt sich ja nicht aus der Grundform des Worts, sondern aus der grammatischen Endung [Dativ Plural -bo]:.
Oh, ich habe schon richtig verstanden, wollte aber diesbezüglich nicht ohne Not ins Detail gehen:
http://digilib.phil.muni.cz/bitstream/handle/11222.digilib/114125/N_GraecoLatina_13-2008-1_4.pdf
- Nach Volltextsuche in obigem Test scheint Gallisch "atrebo" genau ein mal belegt - rate mal von welcher Inschrift. Dazu noch einmal "matrebo", das wars dann mit Gallisch Dativ Plural.
- Auf Alt-Irisch (7.-9. Jhd.nach Chr.) heisst "den Vätern" (Dat. Pl.) athr(a)ib. Frühere Schreibungen sind nicht belegt, somit auch nicht der genaue Weg der Synkopierung/ Verkürzung aus PIE *-obis / *obos.
- Ein Ogham-Beleg (archaisch-irisches Schriftsystem) enthält einen Dativ Plural auf -bo (obiger Link, S. 55). Dativ Plural auf -bos findet sich in Lepontisch, Venetisch (louderobos - "den Kindern"), und in Keltiberisch.
Ogham ? Wikipedia
Eine eindeutige Abgrenzung zu Archaisch-Irisch, selbst zu Venetisch, scheint mir bei der spärlichen Belegdichte und unter Berücksichtigung der zeitlichen Differenz im Falle von "atrebo" kaum möglich. Das "aganntobo" aus dem Alt-Irischen abgeleitet wurde, hatte ich ja schon gesagt.
Die Inschrift [von Vercelli] ist gallisch, nicht lepontisch.
Ich hatte "lepontisch" als Illustration des von Hitz gebrauchten Begriffs "gallo-etruskisch" gemeint. Spielt eh keine Rolle: Nach Blazék (a.a.0., S.62), "
Lepontic seems to belong to the same dialect zone as Gaulish". Dass der p-keltische Charakter der Gallischen wohl der etruskischen Überformung im Lepontischen entspringt, hatten wir ja schon. Die geographische Position von Vercelli ist diesbezüglich sowieso eindeutig.