Karl Marx und das Proletariat

Auch schon in der Alt- und Mittelsteinzeit verhielten wir uns egoistisch und aggressiv gegenüber Nachbarn wie heute noch unsere nächsten Verwandten Schimpansen. Auch sie führen Kriege gegen andere Gruppen, wenn sie meinen, sie würden in ihr Gebiet eindringen. Dabei töten sie nicht selten alle, auch Weibchen und Kinder. Das ist auch den Menschen nicht fremd.gibt.

Ja, Gemeine Schimpansen können sehr aggressiv sein. Die eng verwandten Bonobos (Zwergschimpansen) regeln Konflikte dagegen mit Sex. Jede Menschenaffenart verhält sich anders. Die Analogiebildung des Menschen mit einer bestimmten Menschenaffenart ist daher eher populistisch als tatsächlich treffend.
 
Er hat, um sich unabhängig zu machen von Jagd- und Sammelglück, Tiere und Pflanzen selektiert und sich damit Arbeit aufgehalst, die er vorher nicht hatte. Die Uhr zurückdrehen geht nicht.
Eben – weil diejenigen, die Vorsorge getrieben haben oder, wie du sagst, sich unabhängig von Jagd- und Sammelglück machten, sich wohl mehr vermehrt haben als jene, die nach wie vor Hungern mussten, wenn Jagd- und Sammelglück ausblieb.

Vorräte anzulegen war eindeutig ein Vorteil, dass man diesen nicht abgeschafft hat, d.h. Uhr zurückgedreht hat, spricht für die Intelligenz unserer Vorfahren.

Ja, Gemeine Schimpansen können sehr aggressiv sein. Die eng verwandten Bonobos (Zwergschimpansen) regeln Konflikte dagegen mit Sex.
Auch die Tatsache, dass wir Menschen in unserem Verhalten mehr Schimpansen ähneln als Bonobos, spricht für sich. Mehr noch: Ein Verhalten wie das von Bonobos, Konflikte mit Sex in aller Öffentlichkeit zu lösen, wird von uns ausdrücklich abgelehnt. Deswegen war die schöne Parole „Make love, not war“ nicht wirklich erfolgreich.

Um jetzt nicht missverstanden zu werden: Was ich bisher schrieb, beruhte keinesfalls auf einem Sozialdarwinismus, wie es bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verstanden wurde, sondern meint die Weitergabe von Kulturtechniken, die sich als erfolgreich erwiesen haben. Die Träger dieser Techniken waren und sind anderen überlegen und können das für sich ausnutzten.

Das mag ethisch zweifelhaft sein, aber die Geschichte zeigt, genauso lief es bisher ab, und es gibt wenig Hoffnung, dass sich das mal ändern wird.
 
Um jetzt nicht missverstanden zu werden: Was ich bisher schrieb, beruhte keinesfalls auf einem Sozialdarwinismus, wie es bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verstanden wurde, sondern meint die Weitergabe von Kulturtechniken, die sich als erfolgreich erwiesen haben. Die Träger dieser Techniken waren und sind anderen überlegen und können das für sich ausnutzten.

Soso, die Träger dieser Techniken waren anderen also überlegen und diese Annahme hat nichts mit Sozialdarvinismus zu tun. Interessant.

Warum noch gleich, sagtest du, waren die nomadisierenden Stämme Zentral- und Nordsaiens dann in der Lage verschiedentliche Großreiche zu bilden und die im Hinblick auf Kulturtechniken "entwickelteren", Zivilisationen, es sie in China, im persischen Raum oder in Osteuropa, mitunter über Jahrhunderte zu beherrschen?

Man sollte ja meinen, die Yuan-Dynastie, das Timuridenreich und die 200 Jahre währenden "Rus Mongolica", sollten derlei Annahmen deutlichst wiederlegen.

Das mag ethisch zweifelhaft sein, aber die Geschichte zeigt, genauso lief es bisher ab, und es gibt wenig Hoffnung, dass sich das mal ändern wird.

Wie gesagt, viel Spaß bei dem Versuch diverse, durchaus mal längerfristige Schöhnheitsfehler dieser Theorie, in Form mehrerer hundert Jahre bestehender Reiche, die es unter dieser Prämisse eigentlich nicht hätte geben dürfen, aus der Geschichte zu tilgen.

Bis zu einem gewissen Grad lässt sich in der Geschichte das genaue Gegenteil beobachten, nämlich, dass bei einem Zusammentreffen von sesshaften, entwickelten, Landwirtschaft betreibenden Bevölkerungen mit weniger entwickelten, nomadisierenden Zivilisationen, recht oft den Kürzeren zogen.
 
Auch die Tatsache, dass wir Menschen in unserem Verhalten mehr Schimpansen ähneln als Bonobos, spricht für sich. Mehr noch: Ein Verhalten wie das von Bonobos, Konflikte mit Sex in aller Öffentlichkeit zu lösen, wird von uns ausdrücklich abgelehnt. Deswegen war die schöne Parole „Make love, not war“ nicht wirklich erfolgreich.
Nein, du hast deine These, dass der Mensch mehrheitlich grausam und gewalttätig sei damit begründet, dass Schimpansen brutal sein können und z.T. Auseinandersetzungen pflegen, die manchmal populär als 'Kriege' bezeichnet werden. Du wolltest damit die Gültigkeit deiner These belegen, dass die Evolution den Menschen zu einem grausamen Leistungstier gemacht habe.
Das mag man auf den ersten Blick als These akzeptieren. Diese These war allerdings schon widerlegt, als du sie geäußert hast. Ich erinnere noch einmal an die Rolle der Ausschüttung gewisser Neurotransmitter, wenn wir uns altruistisch verhalten. Glück hängt mit sozialem Verhalten zusammen. Soziale Menschen sind glücklicher als reiche Menschen. Das ist das Ergebnis der Evolution und unterscheidet einen Menschen aus 2021 nicht von einem aus 200.000 v. Chr.
Mein Hinweis auf die Bonobos diente vor allem dazu, dass die Übertragung des Verhaltens von Menschenaffen auf den Menschen 1:1 eben nicht möglich ist, weil zwischen eng verwandten Menschenaffen - eben dem Gemeinen Schimpansen und dem Zwergschimpansen - grundlegende Verhaltensweisen sich total unterscheiden können.
Zudem muss man zwischen angeborenem Verhalten und erlerntem Verhalten unterscheiden. Das gibt es auch im Tierreich, sowohl bei Affen, als auch bei Walen.

Die impizit von die aufgeworfene Frage war: Kann der Mensch im Kommunismus leben. Also eigentlich war die Frage des Threads die nach dem Verhältnis von Marx zum Proletariat, aber letztendlich hattest du "evolutionsbiologisch" begründet, dass der Kommunismus nicht funktionieren könne. Darum dreht sich unsere Diskussion, die über die Evolutionsbiologie zu den Menschenaffen abgedrifetet ist.

Meine Antithese zu deiner These

"im Kommunismus kann der Mensch nicht glücklich sein, weil er auf Leistung getrimmt ist"

lautet:

"Für das Glück des Menschen ist es unerheblich, ob er im Kommunismus oder im Kapitalismus lebt, wenn er sich frei entfalten kann und ein sozial erfolgreiches Leben führt".
 
"Für das Glück des Menschen ist es unerheblich, ob er im Kommunismus oder im Kapitalismus lebt, wenn er sich frei entfalten kann und ein sozial erfolgreiches Leben führt".

Das ist ja genau der Ansatz der Kritik. Die "Entfremdung" des Menschen im Kapitalismus und im "kruden Kommnismus", wie Marx es formuliert, ist diese Entfremdung nicht aufgehoben. Marx stellt die Freiheit der Entscheidung zur täglichen "Arbeit" in das Zentrum seiner Aufhebung von Entfremdung. Ausgedrückt wird sie in dem Bild, dass ein nicht entfremdeter Mensch Morgens fischt, Mittags sein Haus baut und Abends ein Buch schreibt.

Anzumerken ist, dass es eigentlich ziemlich egal für die heutige Situation ist, was Marx gesagt hat, da die Prämisse des historischen Materialismus ist, dass Analysen entsprechend den vorhandenen Bedingungen zu leisten sind. Der Verweis auf Marx führt zwar in eine "theoretische Rüstkammer", aber ins praktische Nirvana.

In diesem Sinne wird versucht, anhand der Marx`schen Konstrukte - ähnlich beispielsweise Honneth in Bezug auf Hegel - eine kritische Überprüfung vorzunehmen (vgl. z.B. Beitrge in Jaeggiund Loick). Und seine Konstrukte an die veränderten Rahmenbedingungen der Wirtschaft und Gesellschaft anzupassen.

Fromm, Erich; Marx, Karl (2013): Marx's concept of man. 1. Aufl. London, New York: Bloomsbury Academic (Bloomsbury Revelations).
Jaeggi, Rahel; Loick, Daniel (Hg.) (2013): Nach Marx. Philosophie, Kritik, Praxis. 2. Auflage. Berlin: Suhrkamp
 
Meine Antithese zu deiner These

"im Kommunismus kann der Mensch nicht glücklich sein, weil er auf Leistung getrimmt ist"

lautet:

"Für das Glück des Menschen ist es unerheblich, ob er im Kommunismus oder im Kapitalismus lebt, wenn er sich frei entfalten kann und ein sozial erfolgreiches Leben führt".
Vom Glück der Menschen habe ich nicht gesprochen, dass ist allein deine Interpretation.

Natürlich kann der Mensch auch im Kommunismus glücklich sein: Selbst in der Ex-DDR, die ja noch kein kommunistischer Staat war, waren Menschen glücklich. Das waren sie vielleicht sogar mehrheitlich, wenn man den Nostalgikern glauben darf, die jetzt, 30 Jahre nach dem Untergang der DDR, sagen, dass die DDR gar nicht so schlecht war.

Das hängt wohl auch mit der Erinnerungsmechanismus des Menschen zusammen, der sich vor allem an positiven Seiten von etwas erinnert, die schlechten aber verdrängt. Damit will ich nicht sagen, dass die DDR keine guten Seiten hätte. Doch die waren teuer erkauft durch die Ignoranz gegenüber den tatsächlichen Kosten, durch die Fremdkredite, durch verschleudern von Ressourcen und der Arbeitskraft der eigenen Bevölkerung, sowie der Umwelt; allein, wenn man jetzt die Schäden in Bitterfeld-Leuna beseitigen wollte, kostete dies an die 500 Milliarden Euro.

Auch während der Nazizeit war die Mehrheit der Bevölkerung glücklich und zufrieden, denn das Regime erkaufte sich dies mit Plündern von Ressourcen der Juden und der überfallenen Länder.

Anzumerken ist, dass es eigentlich ziemlich egal für die heutige Situation ist, was Marx gesagt hat, da die Prämisse des historischen Materialismus ist, dass Analysen entsprechend den vorhandenen Bedingungen zu leisten sind. Der Verweis auf Marx führt zwar in eine "theoretische Rüstkammer", aber ins praktische Nirvana.
Auch Lenin und Konsorten haben die Lehren von Marx & Engels nicht rein angewandt. Und ich glaube nicht, dass es je gelingen wird, alle Prämissen der jeweiligen Zeit zu berücksichtigen, um aus dieser Ideologie ein befriedigendes Ergebnis zu bekommen.

Ideologien sind meistens Modellentwürfe für eine bessere Welt, doch sie alle sind bisher an den Menschen gescheitert, für die sie gedacht waren.
 
Auch Lenin und Konsorten haben die Lehren von Marx & Engels nicht rein angewandt. Und ich glaube nicht, dass es je gelingen wird, alle Prämissen der jeweiligen Zeit zu berücksichtigen, um aus dieser Ideologie ein befriedigendes Ergebnis zu bekommen.

Ideologien sind meistens Modellentwürfe für eine bessere Welt, doch sie alle sind bisher an den Menschen gescheitert, für die sie gedacht waren.

Marx und Engels haben irgendwas entworfen, was man,wie auch immer, anwenden könnte?
Erzähl mal.

Was ich von Marx und Engels so kenne, sind allenfalls vage Versatzsstücke, wie eine kommunistische Gesellschaft denn nun genau aussehen könnte, aber kein kongruentes, irgendwie befolgbares System.

Was sie geliefert haben, ist eine historisierende Betrachtungsweise der Gesellschaft und eine Definition der kapitalistischen Produktionsweise.
Deren Überwindung liegt naturgemäß in der Aufhebung ihrer Prämissen, in diesem Fall dem Privatbesitz an Produktionsmitteln und dem Vorherrschen eines sich auf Lohnarbeit gründenden Systems.

Wie genau, beides aufzuheben und in was exakt sie zu überführen sind, darüber haben sich Marx und Engels meines Wissens nach in keiner Weise erschöpfend ausgelassen.

Also welche Lehren sollte man konkret wie anwenden können?
 
Also welche Lehren sollte man konkret wie anwenden können?
Eigentlich will ich nicht mit dir diskutieren, Shinigami, aber in diesem Fall reicht ein Hinweis auf Wikipedia – Zitat: „Marxismus ist der Name einer von Karl Marx und Friedrich Engels im 19. Jahrhundert begründeten Gesellschaftslehre. Ihr Ziel besteht darin, durch revolutionäre Umgestaltung anstelle der bestehenden Klassengesellschaft eine klassenlose Gesellschaft zu schaffen.“
 
@Shinigami. So ist es. Die wenigen halbwegs brauchbaren, zustimmenden Äußerungen zur Entwicklung eines politischen System kommen von Marx in Richtung Pariser Commune.

Marx, Karl; Bakunin, Michail A.; Kropotkin, Petr N. (2008): Writings on the Paris Commune. St. Petersburg, Fla.: Red and Black Publ.

Auch Lenin und Konsorten haben die Lehren von Marx & Engels nicht rein angewandt.

Und wie schon Shinigami schrieb, es gab wenig, was man praktisch und konkret hätte nutzen können. Und genau das ist ja der Ansatzpunkt, warum ein Lenin, ein Trotzki und ein Bukharin ein politisches System hervorgebracht haben, das zunächst einen chaotischen "Kriegskommunismus", dann eine mehr oder minder "normale" sozialistische Kriegswirtschaft - die eine Reihe von "utopischen" Elementen nicht mehr enthalten hatte- dann das semi-sozialistisch-marktwirtschaftliche NEP und in der Folge durch Stalin eingeführt die "sozialistische", zentralistische brachiale Kriegskommando-Planwirtschaft.

Und auf diesem begrenzt erfolgreichen Modell verweilte man, weil Projekte wie "Magnitogorsk" (vgl. Schlögel: Das sowjetische Jahrhundert) der Maßstab für den "Fortschritt" waren und an ihm der Grad an nachzuholender Industriealisierung gemessen wurde, die eigentlich notwendig gewesen wäre, um ein revolutionäres Proletariat hervorzubringen.

Die zentralen "Genossen" der KPdSU waren in der "historischen Rechtfertigungspflicht" für eine Revolution, die laut Marx eigentlich hätte gar nicht stattfinden dürfen. Weil man keine Revolution, im Sinne von Marx, machen kann, sondern sie wird zwangsläufig durch die dynamische Zunahme der Bedeutung des Proletariats in hochindustriealisierten kapitalistischen Ländern.

In dieser Phase des Übergangs - in den zwanziger Jahren - war allerdings völlig unklar, wie sich die Gesellschaft und die Wirtschaft entwickeln sollte. Und es war auch auf der theoretischen Ebene beispielsweise unklar, wie das städtische Proletariat - als "Klasse" für sich - im Vergleich zur Bauerschaft zu bewerten sei. Und führte zu einem weitgehend gestörten theoretischen und praktischen Verhältnis der KP zur ländlichen Bevölkerung.

Diese Diskussion führte vor allem Bukharin - als "Chefideologe" der KP - mit anderen Teilen der Partei und konnte sich mit seiner integrativen Sicht zwischen Land und Stadt nicht durchsetzen.

Warum erwähne ich das? Weil Marx zu diesem zentralen Thema nichts gesagt hatte, was halbwegs verwertbar gewesen wäre.

Bukharin, Nikolaĭ (2015): The politics and economics of the transition period. London: Routledge.

Ich möchte mit einer Vermutung schließen. Viele Kritiker an Marx/Engels machen es sich einfach. Es ist absolut legitim das theoretische Gebäude von Marx in Grund und Boden zu kritisieren (vgl. z.B. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd.2 oder Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie).

Diese Kritik wird selten fundiert vorgetragen, da die Beschäftigung mit dem Theoriegebäude von Marx sehr zeitintensiv ist und m.E. letztlich wenig fruchtbar.

Die Kritiker schenken sich häufig diesen mühsamen weg und nehmen die Abkürzung über die Kritik an der schlechten "Anwendung" des Marxismus im praktischen Realsozialismus. Und schlussfolgern, wenn die Realität so mittelmäßig war, dann kann eigentlich das theoretische Gebäude von Marx auch nicht viel getaugt haben.

Und das ist m.E. eine nicht akzeptable Kritik, da sie nicht auf dem kompetenten Verständnis des Marxismus aufbaut, wie bei Popper, sondern mit oberflächlichen Urteilen daher kommt.
 
Zuletzt bearbeitet:
In dieser Phase des Übergangs - in den zwanziger Jahren - war allerdings völlig unklar, wie sich die Gesellschaft und die Wirtschaft entwickeln sollte.
Das ist eine Erklärung im Nachhinein, die Zeitgenossen dachten eben anders.

In dem Moment, in dem etwas Geschriebenes in der Welt ist, verliert der Autor die Gewalt über es. Deswegen ist es egal, mit welcher Absicht etwas geschrieben wurde, wichtig ist allein, was und wie die Leser es verstehen.

Im Übrigen waren und sind Prognosen immer unklar, weil niemand weiß, was morgen kommt. Deswegen schrieb ich ja, dass ich nicht glaube, „dass es je gelingen wird, alle Prämissen der jeweiligen Zeit zu berücksichtigen, um aus dieser Ideologie ein befriedigendes Ergebnis zu bekommen. Das gilt eigentlich für alle Ideologien.
 
Eigentlich will ich nicht mit dir diskutieren, Shinigami
Nun, das ist sehr bedauerlich, denn warum, wenn nicht um zu diskutieren, sind wir denn hier?

Auch weiß ich nicht, was ich dir persönlich getan habe, dass du eine derartige persönliche Aversion gegen mich hast, dass du dich mit mir nicht unterhalten willst. Oder geht es eher darum, einen wohlfeilen Vorwand zu finden, nicht inhaltlich auf die Rückfragen eingehen zu müssen?

aber in diesem Fall reicht ein Hinweis auf Wikipedia

Nö, der reicht mir nicht.
Du hast implizit behauptet, Marx und Engels hätten eine politische Gebrauchsanweisung abgefasst, wie man Kommunismus richtig zu gestalten habe und ich würde die gerne ganz konkret nachlesen.
Also, nenn mir mal die Stellen, wo genau in der MEGA ich diese Gebrauchsanweisung finden kann, ich würde mich gerne weiterbilden.
Muss die ja anscheinend bis dato überlesen haben.
 
Das ist eine Erklärung im Nachhinein, die Zeitgenossen dachten eben anders.
Entschuldigung, aber der Richtungsstreit, wie es denn wirtschaftspolitisch weitergehen sollte, war zu beginn der 1920er Jahre eine durchaus kontroverse Frage, die nicht wenig dazu beitrug, die bolschewistische Partei in ein "rechtes" Lager um Bucharin und Konsorten und ein "linkes" um Trotzki, Sinowjew und Konsorten zu spalten und trug auf diesem Weg auch im nicht geringen Umfang dazu bei Stalin, der beide Lager infolge trefflich gegeneinander ausspielen konnte, den Weg zur uneingeschränkten Macht zu ebnen.

Das ist mal Tatsache und keine Zuschreibung späterer Generationen. Wirf bei Gelegeheit mal einen Blick in Hildermeiers "Geschichte der Sowjetunion" oder diverse andere Werke, die das Thema angehen.


In dem Moment, in dem etwas Geschriebenes in der Welt ist, verliert der Autor die Gewalt über es. Deswegen ist es egal, mit welcher Absicht etwas geschrieben wurde, wichtig ist allein, was und wie die Leser es verstehen.

Ja, was ist denn geschrieben worden?
Wo ist die die Marx/Engels'sche Gebrauchsanweisung zur Konstruktion einer kommunistischen Gesellschaft, von der du gesprochen hattest?
Ich sehe Nebelkerzen und themenfremde Binsenweißheiten, sonst sehe ich hier nichts.


Im Übrigen waren und sind Prognosen immer unklar, weil niemand weiß, was morgen kommt. Deswegen schrieb ich ja, dass ich nicht glaube, „dass es je gelingen wird, alle Prämissen der jeweiligen Zeit zu berücksichtigen, um aus dieser Ideologie ein befriedigendes Ergebnis zu bekommen. Das gilt eigentlich für alle Ideologien.

Ja, der Meinung kannst du ja durchaus sein.
Wenn du dieser Meinung aber bist, kann es ja auch keine gemeingültige Lesart geben, wie Marx und Engels sich den Kommunismus vorstellten, denn wenn es nicht möglich ist, die Prämissen der Zeit zu erfassen und zeitnah in konkretes politisches Handeln umzusetzen, ist das der Beweis dafür, das der historische Materialismus in keiner Weise als politisch verwendbares System taugt, da sich das ja in sich wiedersprechen würde.
Wenn die materiellen Grundlagen der Gesellschaftsordnung und die Tendenzen, zu denen sie führen nicht hinreichend präzise analysiert werden können, kann man daraus auch keine Handlungsweisen ableiten, die man in diesem Kontext für sinnvoll hält.
Ergo könnten Marx/Engels dann auch gar keine Anleitung hinterlassen haben, wie man Kommunismus richtig macht, weil sie dann ihrer eigenen Prämisse der Notwendigkeit der konkreten Analyse der materiellen Grundlagen wiedersprochen hätten.

Insofern wiederlegst du dich hier sehr schön selbst.
 
Interessanter Streit, danach sind meine ersten beiden Gedanken eher nur Petitessen. Lieber El Quijote - das Thema der Marxschen Dissertation waren doch nicht die Dioskuren, sondern ein Vergleich zwischen Demokrit und Epikur?
Und wenn man nach Karl Marx und seinen Begegnungen mit "echten Proletariern" fragt, kann man ja mal die Wohn- und Lebenssituation des Mannes heranziehen, der ja nun nicht in einer abgeschiedenen Villa residiert hat.
 
Lieber El Quijote - das Thema der Marxschen Dissertation waren doch nicht die Dioskuren, sondern ein Vergleich zwischen Demokrit und Epikur?
Es war im Wintersemester 03/04 dass ich in der Geschichtsdidaktik das Thema Karl Marx und die Antike belegt habe, ich habe damals über Wirtschaftspolitik bei Xenophon und Marx' Rezeption davon (zwei Kurzzitate im Kapital) referiert. Ich bin also far away davon ein Experte für Kalles Diss. zu sein.
 
Das ist eine Erklärung im Nachhinein, die Zeitgenossen dachten eben anders.

In dem Moment, in dem etwas Geschriebenes in der Welt ist, verliert der Autor die Gewalt über es. Deswegen ist es egal, mit welcher Absicht etwas geschrieben wurde, wichtig ist allein, was und wie die Leser es verstehen.

Im Übrigen waren und sind Prognosen immer unklar, weil niemand weiß, was morgen kommt. Deswegen schrieb ich ja, dass ich nicht glaube, „dass es je gelingen wird, alle Prämissen der jeweiligen Zeit zu berücksichtigen, um aus dieser Ideologie ein befriedigendes Ergebnis zu bekommen. Das gilt eigentlich für alle Ideologien.

Also nocheinmal: An dieser Sicht wird deutlich wie gering Dein Verständnis des Historischen Materialismus ist. Auch und erneut wies Shinigami darauf hin, wie wenig konkrete Hinweise bzw. Gebrauchsanweisungen Marx für die Gestaltung von Gesellschaften hinterliess.

Das war kein Zufall oder Inkompetenz, sondern resultiert aus der Notwendigkeit, die konkreten Bedingungen - zeitlich, regional, kulturell etc. - zu prüfen und auf dieser Grundlage zunächst eine Analyse anzustellen und dann entsprechende Vorschläge für eine politische Praxis vorzunehmen.

Die wenigen Hinweise zur praktischen Realisierung von Übergangsgesellschaften machte Marx im Kontext der Pariser Commune.

Es wird auch gerne übersehen wie hoch der Aufwand war, den Marx und Engels via "technologische Exzerpte" betrieben haben, um den technischen Wandel im Rahmen der Industriegesellschaften zu verstehen. Und das hat "lediglich" dazu geführt, dass sie agrarisch geprägte Gesellschaften, wie das zaristische Russland, als wenig vorbereitet angesehen haben, um sich auf den hochtenologisierten Entwicklungspfad sozialistischer Gesellschaften zu begeben.

Insofern ist es nachvollziehbar, dass die revolutionäre Situation in der agrarisch gepägten Sowjetunion durchaus nicht in EIN Modell münden konnte, sondern eine Vielzahl von alternativen Strategien möglich war. Stites beschriebt einen Teil dieser Entwicklung. Nicht zuletzt, weil noch nicht einmal ansatzweise eine "Theorie" eines "ländlichen Proletariats" vorhanden war. Ein Defizit, das vor allem Bucharin erkannte und versuchte zu beheben.

Und es sind schnell aufeinanderfolgende Phasen nach 1917 in der Sowjetunion zunächst während der Bürgerkriegs zu erkennen, die sehr deutlich machten, dass zu einfache Antworten - Abschaffung von Geld etc. - zu katastrophalen Ergebnissen führen. Und es ist bezeichnend, dass ausgerechnet ein gemischtes Modell wie "NEP" zur entscheidenden Stabilisierung beitrug. Trotz ideologischer Bedenken und trotz der Befürwortung vor allem durch Bucharin.

Und manche Autoren (Cohen u.a.) in der Fortführung des NEP sogar das Potenttial sahen, dass sich die Sowjetunion in Richtung eines "skandinavischen Modells" eines sozialen Wohlfahrtsstaates entwickeln hätte können.

Stites, Richard (1991): Revolutionary dreams. Utopian vision and experimental life in the Russian revolution. 1. issued as an pbk., 1. print. New York : Oxford Univ. Press.
 
Zuletzt bearbeitet:
@thanepower
Aber natürlich ist es wichtig zu wissen ob Jemand, der ausufernde Ideengebäude über etwas erbaut, sich den Gegenstand seiner Überlegungen genauer angesehen hat.
Bei der Philosophie und der Welt ist es aber zeitweise so dass es sich damit wie mit der Kirche und der Sexualität verhält, man redet zwar viel darüber, hat aber wenig praktische Erfahrung.:D

Genau dieser Einwand illustriert die implizite Botschaft des Threads. Die nicht bewiesene Unterstellung, dass Marx über etwas Aussagen gemacht hätte, das er nicht gekannt hätte.

Es ist unwahrscheinlich, dass diese Unterstellung in Kenntnis des Buches von Engels "Die Lage der arbeitenden Klasse in England", das immerhin aus dem Jahr 1845 stammt, formuliert worden wäre.

Die Arbeiten von Marx waren in der Tat philosophische Betrachtungen, die aus seiner Sicht von "Praxis" allerdings auf eine Umsetzung abzielten. In diesem Sinne war er der Mentor der Entwicklung eines Gedankengebäudes, das über seinen wichtigsten Diskussionpartner , Engels, an die Funktionäre der Sozialdemokratie weiter gegeben wurde (vgl. Hunt zu Engels)

Die eigentliche Transformation, die praktische Seite der Philosophie von Marx & Engels, leistete weder Marx noch Engels. Die Ursachen lagen eher im mangelnden Organisationsgrad des sozialistischen Bewegungen in Europa. Sondern es war die nächste Generation an Sozialisten, die den philosphischen Teil in politische Arbeit übersetzten.

"Gerade die Verbindung von Theorie und Praxis, von Denken und Handeln, die Marx postulierte, sprach in ihnen eine wohl nur aus der individuellen Psxchologie und primären Sozialisation erklärbare Überzeugung an, mit dem eigenen Kopf und der eigenen Hand in die Geschichte eingreifen zu konnen." (vgl. Morina, Kap1)

Diese Sicht von Theorie und Praxis geht auf die Frage von Hobsbawn zurück, der nach den Gründen fragte, warum jemand Revolutionär wird. Und die Antwort liegt darin, dass diese Personen glaubten, dass sie durch indiviuduelles Handeln die Welt fundamental verändern können (vgl. die Rolle von "Kontrollüberzeugungen aus der Sozialpsychologie)

Und der Aufstieg des Marxismus ist auch zu erklären aus der Suche von engagierten Personen, wie Kautsky, Bernstein, Luxemburg, Adler, Jaures, Guesdee, Plechanow, Lenin oder Struve die sich gegen als ungerecht empfundene Strukturen zur Wehr setzen wollten. Dabei zeigt Morina, dass es in der Sozialisation dieser Personen ähnliche Familienstrukturen und Motivationsprozesse gab.

Und an diesem Punkt wird der Marxismus erst zu einem politischen Faktor und beeinflusst durch eine zunehmende inhaltliche getriebene Politisierung zunächst der Funktionäre und dann auch top-down der Bildungsleite innerhalb der Facharbeiterschaft diese Gruppe.

Erstunlicherweise bleiben die sozialen und kurlturellen Hintergründe auch zum Beispiel im revolutionären Russland und danach eine zentrale Größe für die "Freundschaftswahlen". Und lösen durchaus nicht soziale und kulturelle Unterschiede auf.

Hunt, Tristram (2010): Marx's general. The revolutionary life of Friedrich Engels. New York: Holt and Company
Morina, Christina (2018): Die Erfindung des Marxismus. Wie eine Idee die Welt eroberte. München: Siedler.
 
Der Mensch ist für den Kommunismus nicht gemacht. Das hat dieser Nobelpreisträger und Kommunist früh erkannt. Sein Lösungsansatz kann nicht überzeugen.

German addresses are blocked - www.gutenberg.org
The Revolutionist's Handbook and Pocket Companion

by

George Bernard Shaw

(1856-1950)

"And so we arrive at the end of the Socialist's dream of "the
socialization of the means of production and exchange," of the
Positivist's dream of moralizing the capitalist, and of the ethical
professor's, legislator's, educator's dream of putting commandments and
codes and lessons and examination marks on a man as harness is put on a
horse, ermine on a judge, pipeclay on a soldier, or a wig on an actor,
and pretending that his nature has been changed. The only fundamental
and possible Socialism is the socialization of the selective breeding of
Man: in other terms, of human evolution. We must eliminate the Yahoo,
or his vote will wreck the commonwealth."

"THE METHOD

As to the method, what can be said as yet except that where there is a
will, there is a way? If there be no will, we are lost. That is a
possibility for our crazy little empire, if not for the universe; and as
such possibilities are not to be entertained without despair, we must,
whilst we survive, proceed on the assumption that we have still energy
enough to not only will to live, but to will to live better. That may
mean that we must establish a State Department of Evolution, with a seat
in the Cabinet for its chief, and a revenue to defray the cost of direct
State experiments, and provide inducements to private persons to achieve
successful results. It may mean a private society or a chartered
company for the improvement of human live stock."

Ist das wirklich ernst gemeint ?
Dieser verzweifelte Kommunist hält es tatsächlich für den einzigen Ausweg und gibt damit zu dass Kommunismus nicht verwirklicht werden kann.
 
Nichts. Das Problem ist, dass manche offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen haben, nicht wollten oder sonstwie nicht konnten, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit Marx sich komplett von irgendwelchen politischen Bewertungen oder politischen Instrumentalisierungen gelöst hat.

Die wissenschafltiche Diskussion um Marx hat sich längst von einer platten politischen Instrumentalisierung gelöst. Glücklicherweise. Und viele Überlegungen, die Marx und / oder Engels angestoßen haben, sind bereits selbstverständliche Konstrukte in der Diskussion innerhalb der Sozialwissenschaften. Wie beispielsweise eine Formel, "Das Sein bestimmt das Bewußtsein" einen manifesten Einfluss auf die Entwicklung der Theorie und Empirie in der Sozialisationsforschung hatte, usw. Mit entsprechenden Rückwirkungen für die Bedeutung der "Aufwärtsmobilität" für die Realisierung der Chancengleichheit in einer Gesellschaft. Und das berührt die Relevanz der Bedeutung einer sozialstaatlichen Organisation.

Und so bleibt Manchen als einzige Möglichkeit, weiterhin ihre subjektive politische Meinung zur Diskussion des Marxismus von sich zu geben, wie er in den siebziger Jahren des letzten Jahrtausends diskutiert wurde.

Der Mensch ist für den Kommunismus nicht gemacht. Das hat dieser Nobelpreisträger und Kommunist früh erkannt. Sein Lösungsansatz kann nicht überzeugen.
 
Also eine Checkliste wie man denn einen >real existierenden Sozialismus< aufbaut, den wird man bei K.M. und F.E. nicht finden.
Da ist Lenin schon eher eine Adresse.
Aber da sollte man wissen/berücksichtigen, Russland war nun 1917 nicht gerade eine Industrienation.
Viele seiner Werke waren den Gegebenheiten Russland geschuldet.
Siehe da auch u.a. „Aprilthesen 1917“ in Werke Bd. 3. Dies könnte man fast für eine Art Checkliste halten, aber eben unter russischen Verhältnissen.
War immer interessant wie zu DDR Zeiten so mancher LehrerLektor sich einen abkrampfte, um dessen Allgemeingültig nach zu weisen.
Und GOELRO war nun 100 % eine russische Sache im Verhältbis zu den Industrieländern.
 
Zurück
Oben