Verluste an antiker Literatur

Was und ob überhaupt noch etwas in der Villa dei Papiri gefunden werden wird, ist natürlich spekulativ. Am Anfang des Threads wurde es schon erwähnt:

http://www.geschichtsforum.de/f28/verluste-antiker-literatur-33683/#post504762

Der Spiegel hat es folgendermaßen ausgedrückt:

Die neu entzifferten Texte stammen allesamt aus der Feder jenes Mannes, der den Herculaneum-Forschern längst zum Halse raushängt: Es ist der veritable Vielschreiber Philodemos (etwa 110 bis 40 vor Christus).
=)

SCHRIFTKUNDE: Tuff und Tinte - DER SPIEGEL 12/2001


Allerdings sind immer noch 2.800 qm der Villa unerforscht, so dass die ein oder andere literarische Überraschung noch da sein könnte. Aber Archäologie ist kein Wunschkonzert. Was man findet, findet man, und auch das muß erst entziffert werden. Ob dann noch mehr philosophische Werke oder was-auch-immer, bleibt abzuwarten.
 
Ich habe mich soeben durch diesen Thread hindurchgelesen weil mir kürzlich aufgefallen ist, dass innerhab der Epoche des sogeannten "Bücherverlust der Spätantike", dessen Ursachen nicht wirklich geklärt sind, auch der Gebrauch des vorherrschenden Beschreibstoffs (vom Papyrus zum Pergament) und der vorherrschenden Buchform (von der Schriftrolle zum Codex) stattgefunden hat.

Es scheint, als ob hier ein ursächlicher Zusammenhang zu finden sein müsste.

Es ist ja nun nicht so, dass es sich beim Pergament oder dem Codex um eine neue Innovation gehandelt hätte. Beschreibares Pergament wurde schon vor Chr. hergestellt und Codicies gab es in der Form von mit Leder zusammen gehaltenen Wachstafeln auch schon lange.

Man könnte den Bücherverlust zur Not damit erklären, dass die Kapazitäten beim Umschreiben von Papyrus auf Pergament nicht vorhanden gewesen wären oder dass die Christen viele Schriften gar nicht übernehmen wollten. Wirklich befriedigend ist diese Erklärung allerdings nicht - mir scheint eher, dass sich schon die frühmittelalterlichen Mönche auf alles Antike/Pagane gestürzt hatten, dem sie irgenwie habhaft werden konnten.
Genauso unklar ist mir die Umstellung von Papyrus auf Pergament. Es ist zwar offenbar tatsächlich so, dass im diskutierten Zeitraum kaum mehr Papyrus zur Verfügung stand und erst nicht mehr, als die Araber Ägpyten erobert haben. Aber wieso eigentlich ? Die Araber haben schliesslich auch nach der Eroberung von Ägypten nicht aufgehört, Handel zu treiben (eher das Gegenteil). Und so viel geeigneter und haltbarer (aber teurer) ist das Pergament auch nicht, sonst hätte man den Papyrus schon viel früher ersetzt.

Gibt es schlüssige Thesen eines Zusammenhangs zwischen spätantikem Bücherverlust, Änderung von Papyrus zum Pergament und Änderung von der Schriftrolle zum Codex ?
 
Ich bezweifele, dass die Umstellung von Schriftrollen auf Kodizes einen entscheidenden Einfluß auf die Erhaltung bzw. Nichterhaltung der antiken Literatur hatte. Im Gegensatz z. B. zur Ablösung der Schallplatte oder Kassette durch die CD, brauchte man keine alte Hardware vorhalten, um die alten Rollen zu lesen.

Die Überlieferung der antiken Texte durch die Kirche im frühen MA ist sicherlich wichtig gewesen, aber ein Großteil der Verluste scheint ja bereits in der Spätantike eingetreten zu sein. Irgendwo weiter oben wurde auf die frühen Bibliotheken des frühen MA hingewiesen, die in ihrem Bestand auch nicht wesentlich mehr hatten als wir heute kennen. Auf den ersten Seiten habe ich ja schon Rolf Bergmeier genannt, der in der spätantiken Kirche, die ab dem Ende des 4. Jhdts. Staatskirche wurde, den Hauptfaktor für den Verlust der antiken Literatur sieht. Das kann zeitweilig auch ein Faktor gewesen sein.

Ägypten, der Hauptlieferant von Papyrus, wurde erst im frühen 7. Jhdt. von den Arabern erobert. Zu dem Zeitpunkt war wohl schon ein Großteil der Literatur verloren. Von daher würde ich nicht davon ausgehen, dass der Verlust Ägyptens als Hauptlieferant von Papyrus entscheidend für die Literaturverluste war. Eine andere Frage wäre, ob bereits in der Spätantike wesentlich weniger Papyrus von Ägypten nach Europa geliefert wurde.
 
Und hier noch etwas zu den Entzifferungsversuchen aus Herculaneum:
Epikureertexte entschlüsseln: Verkohlte Wörter

Aber nicht nur bisher unbekannte Schriften werden erforscht, sondern auch ältere Herculaneische Texte wie der für die Geschichte der Philosophie bedeutende Index academicorum, der schon ca. 1880 gefunden wurde und wovon es eine Transkription von 1902 gibt. Nun werden mittels MRT die schon geborgenen Schriftrollen noch einmal untersucht und ca. 20-30% mehr Text entziffert, hoffentlich Bedeutendes:

DFG - Index Academicorum - Institut für klassische Philologie
 
Am Beispiel philosophischer Texte will ich deren Überlieferung im Römischen Reich nachzeichnen. Wichtigstes Resultat ist: dass wir heute nur noch so wenige Texte aus der Antike haben, hat u.a. damit zu tun, dass zu dieser Zeit selbst viele Titel verloren gegangen sind. Das wurde hier schon angedeutet. Ich nehme die 4 relevanten Philosophieschulen heraus.

Am besten erhalten haben sich die Platonischen Dialoge. Das hängt damit zusammen, dass es eine Akademie gab, die die Texte des Gründers ständig reproduzierten.

Die Texte des Aristoteles sind zu etwa 1/4 erhalten. (Berühmtestes Beispiel der mittels eines Papyrus gewonnenen Textes ist die Athenaion politeia um 1900.) Aristoteles' Werk hat eine spannende Geschichte hinter sich, in die Neleus, Schüler des Theophrast, verwickelt ist, der das Korpus angeblich in Kleinasien versteckt hielt. Erst im 1. Jh. konnte Apellikon die Manuskripte bergen, brachte sie nach Athen, von dort aus nahm sie Sulla nach Rom mit, und mit diesen Manuskripten konnte Andronikus von Rhodos das heute noch gültige Corpus zusammenstellen. Allerdings handelte es sich hier um die sog. "esoterischen" (für das Lyceum geschriebenen) Werke. Diese Ereignisse waren Schuld daran, dass die Werke des Aristoteles bis zum späten 1. Jh. nahezu unbekannt waren. Das gilt für die Werke des Theophrast in noch höherem Maß.

Nach Diogenes Laertius hatte Epikur 41 Traktate geschrieben, allein sein Hauptwerk "Über die Natur" hatte den doppelten Umfang des gesamten Platonischen Schriftgutes! Nur Fragmente haben sich erhalten. (Ich habe ein solches Fragment gelesen und muss sagen: es war kein Unglück, dass sich diese Schriften nicht erhalten haben.) Dafür hat sich Lukretius' Schrift De natura vollständig erhalten. Epikurs Schriften waren schon im 4. Jh. verschollen. Das hat - wie bei allen athenischen Philosophie-Schulen - wohl mit der Einnahme Athens durch Sulla 86 vChr. im 1. Mithridatischen Krieg zu tun (Athen hatte auf die falsche Seite gesetzt) und damit die Kontinuität unterbrach.

Auch die stoischen Schriften sind durch diese Eroberung bis auf Seneca, Epiktet und Marc Aurel (also den lateinischen Schriften) so gut wie verschollen.

Was wir heute als antike (phil.) Texte kennen, ist das Korpus, das man auch am Ende der Antike kannte. Auch die letzten antiken Philosophen hatten keine Texte von Parmenides, Pythagoras, Heraklit etc. Nach dem 3. Jh. kamen die hellenistischen und präsokratischen Autoren außer Mode und wurden nicht mehr kopiert. So auch die stoischen Texte. Themistius (neuplat. Philosoph) spricht davon, dass Kaiser Constantius II. eine Rettung der Texte in der Bibliothek von Konstantinopel initiiert hat (4. Jh), aber im 6. Jh. war davon kaum noch etwas übrig: es gab keine Schulen und damit keine Kopisten. Dafür Fälschungen. Von den Analytiken des Aristoteles soll es 40 verschiedene Bücher gegeben haben, doch nur 4 davon waren authentisch. In jeder Schule gab es daher "Purgations"-Prozesse, denen allerdings auch authentische Werke zum Opfer fielen. Von diesen "kanonischen" Textexditionen ist insbesondere das Platonische Opus, von Thrasyllos, Berater des Kaisers Tiberius, bekannt: er sammelte 35 Dialoge und 13 Briefe, von denen heute nicht mehr alle als authentisch gelten.

Entscheidend bei der Verbreitung und dem Erhalt der Werke war, dass die Philosphen sich selbst Kopien der Altvorderen anlegten, sofern sie außerhalb einer Schule lebten. Dabei wurden die besten Kopien unter den Gelehrten ausgetauscht und immer wieder kopiert; hierzu berichtet Cicero einiges, ebenso Kaiser Julian im 4. Jh. Öffentliche Bibliotheken waren eine weitere Sammel- und Kopierstätte, die sich oft auf private Sammlungen stützten (Bsp. Pamphilius als Leiter der Bibliothek von Caesarea auf die Sammlung von Origines). Vieles, was wir heute an antiken phil. Texten haben, hat wohl in den Bibliotheken der plat. Akademien in Athen / Alexandria (eventuell auch in Carrhae) überlebt und ist von da aus kopiert worden, später auch von den Arabern. Aber schon damals waren viele Texte bereits verschwunden, d.h. sie sind nicht im Verlauf des Mittelalters untergegangen, was man bspw. von den Epikureischen Texten vermuten könnte, sondern schon in der Antike selbst.

Meine Quelle im Wesentlichen:
G. Betegh, The Transmission of ancient Wisdom, in: L. Gerson, The Cambridge History of Philosophy in Late Antiquity, Vol. I
 
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Am besten erhalten haben sich die Platonischen Dialoge. Das hängt damit zusammen, dass es eine Akademie gab, die die Texte des Gründers ständig reproduzierten.

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Platon ist nicht gerade ein Musterbeispiel für (Nicht-)Überlieferung antiker Literatur. Seine Leib- und Sexualfeindlichkeit traf sich gut mit der des einflussreichen "Kirchenvaters" Augustinus. Für sinnen- und lebensfrohes und weniger "jenseitsorientiertes", waren die "Überlebenschancen" in der christlichen Welt sehr viel schlechter.[/QUOTE]
 
Platon ist nicht gerade ein Musterbeispiel für (Nicht-)Überlieferung antiker Literatur. Seine Leib- und Sexualfeindlichkeit traf sich gut mit der des einflussreichen "Kirchenvaters" Augustinus. Für sinnen- und lebensfrohes und weniger "jenseitsorientiertes", waren die "Überlebenschancen" in der christlichen Welt sehr viel schlechter.
Was die Sinnenfreude bei Platon betrifft, ist das mehrdeutig. Sowohl das Gastmahl wie der Phaidros behandeln die Liebe, gehen zwar beide am Ende in eine religiöse Richtung, sind aber ungeachtet dessen auch randvoll mit handgreiflicher Sexualität. Im Phaidros geht es um einen orgiastischen Rausch, den man religiös deuten kann (wie etwa Pieper, Begeisterung und göttlicher Wahnsinn), der aber vom Eros ausgelöst wird und der trotz dieser enthusiastischen Tendenz der körperlichen Liebe nicht abschwört (vgl. 256a-d). Wenn etwa Sokrates im Charmides unter die Chlamys des Charmides linst und es ihm ganz heiß wird (155d), dann kann man von Leib- (oder auch Lieb-)Feindlichkeit Platons eigentlich nicht sprechen. Schon die Selbstverständlichkeit, in der in sämtlichen Dialogen die Päderastie als Muster aller Liebe vorgeführt wird (und die etwa Plutarch in seinem Erotikos ablehnt), dürfte den mittelalterlichen Kopisten arges Bauchweh verursacht haben. (Zumindest nach den Novellen 77 und 149 von Justinian 538 resp. 559.) Und was das Geschlechtsleben von Mann und Frau betrifft, da hat sich Platon im Staat für promiske Verhältnisse ausgesprochen.

Für Augustinis etwa sind solche Angelegenheiten einfach nur Sünde, für Plato sind sie Anknüpfungspunkte weiterführender Überlegungen.

Wenn Autoren wie Epikur nicht tradiert wurden, dann hängt das eben damit zusammen, dass sie in der Antike nicht mehr gelesen wurden, wie ich schrieb (auch für mich überraschend). Dafür hat sich Lukretius erhalten, der dem Christentum ebenfalls ein Dorn im Auge war. Auch mein Avatar, der Eumolpius, wäre ohne die Kopierarbeit der vornehmlich französischen Mönche unbekannt geblieben, wobei das Satyricon nun wirklich nicht unter die christlichen Texte einzureihen ist.

Ich wäre also vorsichtig mit solchen plakativen Äußerungen.
 
Warum sind Aristoteles Schriften im Abendland verschollen gewesen ?
Er behauptete, die Welt hätte schon immer bestanden was dem Schöpfungsglauben widerspricht. Das alleine ist als Begründung ziemlich mager.
I
 
Warum sind Aristoteles Schriften im Abendland verschollen gewesen ?
Er behauptete, die Welt hätte schon immer bestanden was dem Schöpfungsglauben widerspricht. Das alleine ist als Begründung ziemlich mager.
Zumal auch Platon das behauptet hat (wobei man es ihm aber im Mund umgedreht hat, Timaios-Dialog). Über die Frage der Ewigkeit der Welt wurde auch heftig bis zum bitteren Ende diskutiert, etwa der (damals) berühmte Streit zwischen dem Neuplat. Proklos und dem Christen Johan Philoponus.

Ja, warum Aristoteles nicht? Ich habe schon darauf hingewiesen, dass man nach Andronikus von Rhodos einen völlig anderen Aristoles gelesen hat: waren vorher die exoterischen Schriften in Umlauf, so später die esoterischen. Die exoterischen (etwa der Protreptikos) sind bis heute verschollen.

Nun gab es zwar keine peripatetische Schule in der Spätantike mehr, aber durch das Bemühen der Neuplatoniker, Aristoteles und Plato zu "harmonisieren", wurden auch die Arist. Schriften heftig kopiert. Der so gut wie letzte neuplatonische Philosoph, der vermutlich in Carrhae gelehrt hat, Simplikios im 6. Jh, hat uns ausschließlich Kommentare zu Aristoteles hinterlassen.

Was geschah danach?

Hier muss man zwischen Ost- und Westrom unterscheiden. Griechischkenntnisse in Westrom waren schon lange untergegangen, z.B. verstand selbst einer wie Augustinus kein Griechisch mehr. Boethius (frühes 6.Jh) war neben Cassiodor mehr oder weniger der letzte antik gebildete Mensch im Westen, er hat viele logische Schriften zu Aristoteles geschrieben, aber auch zu dessen Kommentator Porphyrios. Danach ist die Schriftlichkeit im Westen untergegangen, das erste philosophische Werk im Westen ist das von Eriugena (9. Jh), das weitgehend auf Proklos beruht. So auch das sog. Liber de causis, das man dem Aristoteles zugeordnet hatte, tatsächlich aber Exzerpte aus Proklos' Elemente der Theologie enthält.

A propos Proklos (5. Jh): ganz sicher ein echt antiker Philosoph, der mit dem Christentum nichts am Hut hatte. Doch von ihm sind fast alle Schriften erhalten, obwohl sie von gr. Götterwelt geradezu überquellen.

In Byzanz gab es noch Aristotelische Werke, die meisten aber sind wohl mit der islamischen Eroberung von Alexandria und Carrhae untergegangen, sofern in diesem Ort die letzte Philosophenschule existiert hat; immerhin spricht der arabische Philosoph Al-Masudi im 10. Jh. von einer Gelehrtenschule. Von dort aus müssen die Schriften ins Arabische bzw. Syrische kopiert worden sein, um dann später, via Spanien, nach Europa zu gelangen.
 
Die Überlieferung der antiken Texte durch die Kirche im frühen MA ist sicherlich wichtig gewesen, aber ein Großteil der Verluste scheint ja bereits in der Spätantike eingetreten zu sein. Irgendwo weiter oben wurde auf die frühen Bibliotheken des frühen MA hingewiesen, die in ihrem Bestand auch nicht wesentlich mehr hatten als wir heute kennen. Auf den ersten Seiten habe ich ja schon Rolf Bergmeier genannt, der in der spätantiken Kirche, die ab dem Ende des 4. Jhdts. Staatskirche wurde, den Hauptfaktor für den Verlust der antiken Literatur sieht. Das kann zeitweilig auch ein Faktor gewesen sein.

Mir fällt auf, dass auch ein beträchtlicher Teil der (orthodoxen) frühchristlichen Literatur, die im 4. Jahrhundert noch vorhanden war (und z. B. von Eusebius von Caesarea in seiner Kirchengeschichte aufgelistet und zitiert wird), verschollen ist, darunter zahlreiche Schriften hochverehrter Kirchenväter.

Von den Werken des Irenäus von Lyon ("der erste Autor der altchristlichen Literatur, den man als einen 'Klassiker' bezeichnen kann") ist im griechischen Originalwortlaut keines erhalten geblieben. Von Adversus haereses hat eine lateinische Übersetzung überlebt, und von der verschollen geglaubten Epideixis wurde 1904 eine armenische Übersetzung entdeckt.
Eine ‘verschollene Bibliothek’? Das Schicksal frühchristlicher Schriften (2.-3. Jh.) – am Beispiel des Irenäus von Lyon

An Werken Justins des Märtyrers listet Eusebius acht Titel auf, es soll "noch zahlreiche andere Schriften von seiner Hand" gegeben haben, davon sind drei erhalten:
https://bkv.unifr.ch/de/works/cpg-3495/versions/kirchengeschichte-bkv-2/divisions/102

Von Papias' Fünf Bücher der Darstellung der Herrnworte sind nur Fragmente in Form von Zitaten erhalten.

Hier kann ich mir nicht vorstellen, dass die Staatskirche als Hauptfaktor für den Verlust in Frage kommt.
 
Welche Beispiele für Schriften, die von den "Lateinern" gezielt vernichtet wurden, aber in arabischen Übersetzungen erhalten geblieben sind, kannst Du aufzählen?

Antwort bitte in einem passenden Thread, z. B.

Verluste an antiker Literatur
Ich kann keine einzelne Schriften nennen, aber vielleicht reicht es, Anderes zu zitieren – Zitat aus Wikipedia:

Während islamische Gelehrte schon kurz nach der Islamischen Expansion begonnen hatten, griechische und lateinische Autoren der Spätantike zu übersetzen und durch eigene Ideen zu erweitern, standen christliche Autoren wie Hieronymus der „heidnischen“ Philosophie beispielsweise des Aristoteles ablehnend gegenüber.[2] Diese Haltung war einer der Gründe für Bücherverluste.

Antikes naturwissenschaftliches Wissen war im Westen größtenteils nicht mehr vorhanden – siehe Zitat aus dem Spiegel:

Da hatte Plato von Tivoli, ein Experte für Mathematik und Himmelskunde, anfangs mit großem Recht gewettert, auf Latein gebe es kein einziges gescheites Kompendium für Astronomie, "nur Narrheiten, Träume und Altweibergeschichten". Jetzt standen die lang vermissten Grundlagenbücher bereit: Das Œuvre des Erd- und Himmelskundlers Ptolemaios, die Standardwerke der Mathematik-Gründerväter Euklid und Archimedes, auch große Portionen aus dem reichen Werkkatalog Galens. All diese antiken Schätze waren in arabischer Fassung erhalten.

"Barbaren", Desinteresse des zunehmend ungebildeten Publikums und christliche Eiferer haben altes Wissen in Vergessenheit geraten lassen oder gezielt zerstört. Es ist z.B. unbestritten, dass der Patriarch von Alexandria, Theophilos, 391 die Zerstörung des Serapeions in Alexandria angeordnet hatte, einem Zentrum der „paganen“ Kulte und Wissenschaft, das u.a. eine umfangreiche Bibliothek enthielt – vermutlich mehr als 42.000 Schriftrollen.

Zitat aus Wikipedia:

Etwas später, um 415, besuchte der christliche Gelehrte Orosius Alexandria. Er beschreibt, er habe dort selbst in einigen Tempeln leere Bücherregale gesehen. Diese seien „durch unsere eigenen Leute zu unserer Zeit ausgeplündert worden – diese Aussage ist sicher wahr.“

Und selbst als die Übersetzungen aus dem Arabischen da waren, dürfte man die antiken Autoren wie Aristoteles nicht lesen – Zitat aus dem Spiegel:

1210 beschloss die Synode von Paris, Europas wichtigster und regster Universitätsstadt, dass weder die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles noch Kommentare dazu gelesen werden dürften, sowohl vom Hörsaalkatheder als auch privat. Wer es dennoch tue, werde exkommuniziert - keine leere Drohung zu einer Zeit, da man überall Ketzer witterte.

Klar, dieses Verbot ließ sich nicht lange durchhalten, aber es dokumentiert, wie die Kirche versucht hatte, heidnisches Wissen zu unterdrücken. Dass es diese Unterdrückung auch schon vorher gab, liegt auf der Hand, schließlich befand sie sich früher noch im Kampf mit dem Heidentum, dessen herausragender Vertreter wohl Aristoteles war. Obwohl dieser Kampf seit Jahrhunderten entschieden war, fürchtete die Kirche immer noch um ihre Oberhoheit in Sachen Welterklärung, und das vor Autoren, die schon seit mehr als tausend Jahren tot waren!
 
Ich kann keine einzelne Schriften nennen, aber vielleicht reicht es, Anderes zu zitieren – Zitat aus Wikipedia:

Während islamische Gelehrte schon kurz nach der Islamischen Expansion begonnen hatten, griechische und lateinische Autoren der Spätantike zu übersetzen und durch eigene Ideen zu erweitern, standen christliche Autoren wie Hieronymus der „heidnischen“ Philosophie beispielsweise des Aristoteles ablehnend gegenüber.[2] Diese Haltung war einer der Gründe für Bücherverluste.

Die behauptung, dass nun diese Haltung ein bedeutender Grund für die Bücherverluste oder auch nur eine Kollektive gewesen wäre, ist hier nichts anderes, als eine unbelegte Behauptung.

Tatsache ist einfach mal, dass es die Gelehrten innerhlab des islamischen Machtbereichs (jedenfalls was das östliche Mittelmeer betrifft) einfach mal wesentlich einfacher hatte an größere Mengen bezahlbaren, beschreibbarenn Materials zu kommen.
Während man dort weiterhin mit Papyrus arbeiten konnte, der in größeren Mengen zur Verfügung stand, musste sich der lateinische Raum erstmal weitgehend auf Pergament verlegen, was wesentlich teurer ist.
Ensprechend lag da eine andere Notwendigkeit von Selektionsprozessen vor.

Antikes naturwissenschaftliches Wissen war im Westen größtenteils nicht mehr vorhanden – siehe Zitat aus dem Spiegel:

Das ist dem Zitat durchaus nicht zu entnehmen. Dem Zitat ist zu entnehmen, dass Plato von Tivoli sich darüber beschwerte, dass aus seiner Sicht kein brauchbares Kompendium auf Latein vorlag.
Damit ist nicht behauptet, dass die Schriften selbst nicht auf Latein vorgelegen hätten und auch nicht, dass sie überhaupt nicht vorhanden gesesen wären und als Kompendium oder vereinzelt etwa auf griechisch voranden gewesen wären.

Du erfindest einmal mehr Dinge die so nicht behauptet wurden.

"Barbaren", Desinteresse des zunehmend ungebildeten Publikums und christliche Eiferer haben altes Wissen in Vergessenheit geraten lassen oder gezielt zerstört. Es ist z.B. unbestritten, dass der Patriarch von Alexandria, Theophilos, 391 die Zerstörung des Serapeions in Alexandria angeordnet hatte, einem Zentrum der „paganen“ Kulte und Wissenschaft, das u.a. eine umfangreiche Bibliothek enthielt – vermutlich mehr als 42.000 Schriftrollen.

Und es ist gleichzeitig völlig unbewiesen, dass die dortigen Schriftrollen unterschiedslos vernichtet worden wären, was du natürlich mal wieder vergessen hast anzubringen.

Davon einmal ab, unbestritten ist überhaupt nichts. Es mag Quellen geben, die das behaupten, deswegen allein muss es nicht der Richtigkeit entsprechen.

Etwas später, um 415, besuchte der christliche Gelehrte Orosius Alexandria. Er beschreibt, er habe dort selbst in einigen Tempeln leere Bücherregale gesehen. Diese seien „durch unsere eigenen Leute zu unserer Zeit ausgeplündert worden – diese Aussage ist sicher wahr.“

Ah und auf welcher Basis lässt sich annehmen, dass "diese Aussage sicher wahr" sei? Das ist doch nun wirklich pure Spekulation.
Mal davon abgesehen, dass eine Plünderung von Schriftgut nicht gleichbedeutend mit seiner Vernichtung wäre, wenn sie denn stattgefeunden hätte.

1210 beschloss die Synode von Paris, Europas wichtigster und regster Universitätsstadt, dass weder die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles noch Kommentare dazu gelesen werden dürften, sowohl vom Hörsaalkatheder als auch privat. Wer es dennoch tue, werde exkommuniziert - keine leere Drohung zu einer Zeit, da man überall Ketzer witterte.

Ah und episodische Pariser Verirrungen (sofern das in dieser Form überhaupt stattgefunden hat), sind noch gleich inwiefern bindende und tatsächlich exekutierte Regelungen für das gesamte lateinische Europa gewesen?

Mal davon abgesehen wäre hier die Frage zu stellen, was genau das nun mit dem Thema von Bücherverlusten zu tun hat, denn ein Verbot es zu lesen, selbst wenn das in dieser Form existiert hätte, wäre ja nicht zwingend ein Verbot gewesen es oder bereits bestehende Übersetzungen davon abzuschreiben.

Im Übrigen, wenn das, wie im Text behauptet keine leere drohung war, müsste es ja entsprechende Exkummunikationen, und Prozesse etc. darum gegeben haben.
Darf ich fragen, wo man die Prozessakten einsehen kann? Würde mich dringend interessieren?
Oder haben wir keine und befinden uns mal wieder vollkommen auf dem Gebiet spekulativer Behauptungen?

Klar, dieses Verbot ließ sich nicht lange durchhalten, aber es dokumentiert, wie die Kirche versucht hatte, heidnisches Wissen zu unterdrücken.

Äh nö. Weder sind irgendwo in Paris gefasste lokale Beschlüsse Ausdruck dessen, was "die Kirche" tat und versuchte, noch sind Teile des aristotelischen Werkes mal eben pars pro toto für "heidnisches Wissen" oder überhaupt für Wissen, dass aus anderen Quellen nicht zugänglich war zu betrachten.

Dass es diese Unterdrückung auch schon vorher gab, liegt auf der Hand, schließlich befand sie sich früher noch im Kampf mit dem Heidentum, dessen herausragender Vertreter wohl Aristoteles war. Obwohl dieser Kampf seit Jahrhunderten entschieden war, fürchtete die Kirche immer noch um ihre Oberhoheit in Sachen Welterklärung, und das vor Autoren, die schon seit mehr als tausend Jahren tot waren!

Ah, also der kampf gegen "das Heidentum" war 1210 seit Jahrhunderten entschieden. Man lernt nie aus. Ich hatte die Durchsetzung des Christentums in Litauen immer deutlich später vermutet und dass die Missionare im Zuge der europäischen Expansion in den Amerikas, den Philippinen und sonstwo bereits bibelfeste Christen vorfanden und daher "kampf gegen Heidentum" vollkommen unnötig war, wäre mir auch neu.
Komisch allerdings, dass die Kirche(n) trotz andauerndem Kampf mit "dem Heidentum" in späteren Perioden kein Problem damit hatten.
Widerspricht so ein Bisschen deinen Auffassungen.

Wie genau sah eigentlich "das Heidentum" aus, dass Aristoteles so vertreten hat und was waren seine Verdienste darum ihn als herausragenden Vertreter dessen zu sehen?
 
Ah und auf welcher Basis lässt sich annehmen, dass "diese Aussage sicher wahr" sei? Das ist doch nun wirklich pure Spekulation.
Bzgl. dieser Frage ist Dion in Schutz zu nehmen. Das ist Orosius: quod quidem uerum est. Orosius bedauert den Verlust eines Großteils der Bibliothek von Alexandria im Zuge des römischen Bürgerkrieges, 48 v. Chr.:

Praeterea Achillas dux regius, imbutus semel Pompei sanguine, Caesaris quoque necem meditabatur. nam iussus exercitum dimittere, cui praeerat, uiginti milium armatorum, non modo spreuit imperium, uerum et aciem direxit. In ipso proelio regia classis forte subducta iubetur incendi. ea flamma cum partem quoque urbis inuasisset, quadringenta milia librorum proximis forte aedibus condita exussit, singulare profecto monumentum studii curaeque maiorum, qui tot tantaque inlustrium ingeniorum opera congesserant. Unde quamlibet hodieque in templis extent, quae et nos uidimus, armaria librorum, quibus direptis exinanita ea a nostris hominibus nostris temporibus memorent - quod quidem uerum est -, tamen honestius creditur alios libros fuisse quaesitos, qui pristinas studiorum curas aemularentur, quam aliam ullam tunc fuisse bibliothecam, quae extra quadringenta milia librorum fuisse ac per hoc euasisse credatur.
In diesem Zuge bedauert er auch die von christlichen Brüdern geplünderten Bücher.
 
Ich kann keine einzelne Schriften nennen

Es wundert mich nicht, dass Du keine einzige Schrift nennen kannst.

Zensur und Bücherverbote sind in der Antike haufenweise nachweisbar, auch schon vor Konstantin. Insbesondere Bücher magischen oder astrologischen Inhalts standen seit jeher auf dem Index:
Wann wurde das Römische Reich unmöglich?
https://www.geschichtsforum.de/thema/war-das-mittelalter-ein-rueckschritt.52440/page-8#post-857176
https://www.geschichtsforum.de/thema/war-das-mittelalter-ein-rueckschritt.52440/page-8#post-857178

Darüber hinaus gab es immer auch Maßnahmen gegen sonstige Bücher "gefährlichen" religiösen Inhalts:
"Im Rom der freien Republik wurden Schriften vor allem aus religiösen und religiös-politischen Gründen vernichtet. Der Senat als die den Staat leitende Körperschaft sah immer dann die Grundlagen der ungeschriebenen Verfassung und damit des allgemeinen Wohlergehens bedroht, wenn eine Gruppe oder ein einzelner an der Religion der Vorfahren tiefgreifende Veränderungen vornehmen wollte." (Wolfgang Speyer, Büchervernichtung und Zensur des Geistes bei Heiden, Juden und Christen, Stuttgart 1981, S. 51)

Das setzt sich in der Kaiserzeit fort, wobei nun persönliche Aversionen einzelner Kaiser oft eine maßgebliche Rolle spielten.
Kaiser Augustus ließ z. B. "alles, was an Weissagungsbüchern, sowohl griechischen als lateinischen, von entweder völlig unbekannten oder unglaubwürdigen Verfassern, im Umlauf war, über zweitausend Bände, zusammenbringen und verbrennen. Nur die Sibyllinischen behielt er, und auch diese nur in Auswahl, zurück und bewahrte sie in zwei vergoldeten Schränkchen unter dem Fußgestell des Palatinischen Apollo auf." Kaiserbiographien
Diokletian ergriff spezielle Maßnahmen gegen die Manichäer und Christen, bei letzteren waren namentlich Bibeln und liturgische Bücher betroffen.

Die Maßnahmen der christlichen Kaiser der Spätantike liegen auf derselben Linie - was das Christentum betrifft, natürlich mit umgekehrten Vorzeichen: Verboten wurden Bücher magischen oder astrologischen Inhalts, nichtchristliche Ritualbücher, Schriften, in denen der christliche Glaube dezidiert angegriffen wurde und christliche Schriften mit häretischem Inhalt.

Von systematischen Maßnahmen, die auf die Vernichtung wissenschaftlicher oder philosophischer Literatur zielten, kann keine Rede sein.
Auch gegen schöngeistige Literatur wurde nicht systematisch vorgegangen, nicht einmal gegen Werke "lasziven Inhalts": "Wäre ein derartiger Grundsatz von den Klerikern und Mönchen befolgt worden, so wären weder viele Komödien der Griechen und Römer, noch große Teile ihrer Liebesdichtung erhalten geblieben. [...] In einzelnen Handschriften wurden obszöne Verse gestrichen, nicht mehr abgeschrieben oder geglättet." (Speyer, S. 138f)

Das Fazit am Ende des Buches lautet:
"Hingegen sind die Verluste der heidnischen Literatur, sofern sie nicht ausgesprochen christenfeindlich war, zu einem ganz geringen Teil durch gezieltes Vorgehen der Christen entstanden. Aus sittlichen Bedenken werden einzelne Komödien, Elegien oder Epigramme beseitigt oder nicht mehr abgeschrieben worden sein; aber hier muß das meiste Vermutung bleiben. Die in der Forschung bisher abgegebenen allgemeinen Urteile entbehren der gesicherten Grundlage."

Dass Urteile, die ohne Faktenbasis abgegeben werden, vielfach ungeprüft abgeschrieben werden und irgendwann bei Wiki oder in journalistischen Artikeln landen, wundert mich natürlich auch nicht.
 
Zuletzt bearbeitet:
Bzgl. dieser Frage ist Dion in Schutz zu nehmen. Das ist Orosius: quod quidem uerum est. Orosius bedauert den Verlust eines Großteils der Bibliothek von Alexandria im Zuge des römischen Bürgerkrieges, 48 v. Chr.:

Naja, aber dass der Ausspruch von Orosius überliefert ist, ändert doch nichts an der Grundsätzlichen Gegenfrage.

Woraus leitete Orosius ab, dass diese "Aussage sicher wahr" sei? Bestenfalls Hörensagen, er selbst wusste es demnach nicht, schlimmerenfalls reine Immagination.
Kaum etwas was sich sinnvoll als Nachweis auführen ließe, würde ich meinen.
 
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