Er hatte beruflich mit dem Fall nichts zu tun. Er hat es in sein Blog geschrieben.
Also... ein angeblich "linker" aber für uns anonymer Anwalt hat angeblich in seinem Blog Gröning aufgrund seiner mündlich behaupteten Versetzungsanträge "freigesprochen" (hier in Anführungszeichen, weil freisprechen nur der Richter kann).
Darin steckt die Behauptung: "Wenn
sogar ein Linker einen SS-Mann 'freispricht', dann MUSS der ja unschuldig sein."
So etwas nennt man ein
Argumentum ad verecundiam. Nicht der Inhalt ist das Argument, sondern die Person - eben ein für uns anonymer, angeblich "linker" Anwalt.
Dass es naiv ist, eine Schutzbehauptung einfach so zu glauben, sollte wohl offensichtlich sein.
Nun gut, unsere Rechtssystem will, dass im Zweifelsfall, der Angeklagte Recht bekommt. Und das ist auch gut so.
Also muss der Zweifel ausgeräumt werden. Entweder zu Gunsten des Angeklagten, damit beim Freispruch kein bitterer Nachgeschmack bleibt oder zu Ungunsten des Angeklagten, damit man ihn verurteilen kann.
Dafür zieht man Sachverständige heran, in diesem Fall den Historiker Bajohr, die sich z.B. mit der Aktenführung der Personalkartei der SS (im Lager-Komplex Auschwitz) auskennen. Und wenn die wissen, dass Versetzungsgesuche normalerweise in den Akten zu finden sind, bei Gröning dies aber trotz erhaltener Personalakte nicht der Fall war - und wenn dieser Überlieferungsmangel gleich drei Mal auftritt, das schon ein sehr merkwürdiger Zufall wäre.
Stattdessen haben wir aber Egozeugnisse, wie z.B. folgendes:
Bereits am ersten Abend [in Auschwitz] kamen Speck, Ölsardinen und „Wodka, Wodka, Wodka“ auf den Tisch, alles Dinge, die der Angeklagten „seit Monaten nicht gesehen hatte“. Diese Dinge stammten aus dem geplünderten Gepäck der Deportierten, was den Angeklagten indes nicht störte, weil diese sie „ja nicht mehr brauchten“.
Oder das Eingeständnis, dass er für einen reibungslosen Ablauf der Vernichtung mitverantwortlich war:
Mit den Worten des Angeklagten ausgedrückt ging es darum, alles zu verhindern, „was Panik auslöst und denen die Augen öffnet, alles sollte so ruhig wie möglich ablaufen.“ [...]
Durch seine Tätigkeit beim „Rampendienst“ half der Angeklagte wissentlich und willentlich dabei, durch die Bewachung des Gepäcks die Arglosigkeit der Deportierten aufrechtzuerhalten und gleichzeitig durch seine uniformierte und bewaffnete Anwesenheit auf der Rampe etwaige Widerstände oder Fluchtgedanken gar nicht erst aufkommen zu lassen und somit die schnelle und reibungslose Durchführung des eigentlichen Tötungsvorgangs in den Gaskammern zu ermöglichen.
[...]
Dem Angeklagten war bewusst, dass er die SS und die von ihr in Auschwitz betriebene Tötungsmaschinerie unterstützte, indem er ihr das von ihm verwaltete Geld zur Verfügung stellte.
Bezgl. seiner angeblichen Versetzungsgesuche hat er sich zudem nicht ganz widerspruchsfrei geäußert:
Binnen weniger Wochen erfuhr der Angeklagte, teils aus Gesprächen mit anderen SS-Angehörigen, überwiegend aus eigener Wahrnehmung, immer mehr Einzelheiten über die Abläufe und den Umfang der massenhaften Tötung von Menschen. Er versah eine nicht näher aufklärbare Zahl von Rampendiensten, sah die Berge von Gepäck, die auf der Rampe lagen und zählte Geld in allen möglichen Währungen. Er beteiligte sich an der Suche nach Flüchtigen, hörte die Menschen in der Gaskammer schreien, sah tagsüber den Rauch aus den Schornsteinen der Krematorien aufsteigen und nachts die Flammen aus den Verbrennungsgruben schlagen. Er beobachtete, wie ein SS-Wachmann ein an der Rampe zurückgelassenes Baby an den Füßen packte und an einem LKW totschlug. Obwohl er weiterhin der Überzeugung war, dass die „Entsorgung“ nicht arbeitsfähiger Juden notwendig war („Das Töten hielt ich grundsätzlich für o.k.!“), wandte er sich wegen der aus seiner Sicht überflüssigen Brutalität der Tötung des Babys an seinen Vorgesetzten. Dieser äußerte Verständnis, wies ihn aber gleichzeitig nachdrücklich darauf hin, dass er - der Angeklagte - als SS-Angehöriger seine Pflicht zu tun habe. Dabei ließ es der Angeklagte bewenden. Obwohl in ihm der Gedanke aufkam, „im falschen Boot zu sitzen“, fügte er sich, wie er es ausdrückte, „in die Bequemlichkeit des Gehorsams“, weil er wusste, dass die einzige Möglichkeit, Auschwitz zu verlassen, für ihn darin bestand, sich zu den kämpfenden SS-Einheiten („Feldeinheiten“) an die Front versetzen zu lassen. Weil er als „kriegsverwendungsfähig“ („k.v.“) und „abkömmlich“ galt, wäre ihm dies auch ohne weiteres - insbesondere ohne dienstliche Nachteile befürchten zu müssen - möglich gewesen. Für ihn war dies indes keine ernsthafte Option („Ich hatte Angst vor der Front, ich war ja kein doofer Vierzehnjähriger mehr!“). Spätestens als er Ende 1942 erfuhr er, dass sein Bruder G. vor Stalingrad gefallen war, kam eine freiwillige Meldung zur Front für ihn nicht mehr in Betracht, zumal er sich wenig später mit der Frau verlobte, mit der zuvor sein Bruder verlobt gewesen war. Der Angeklagte sah sich in der Pflicht, nunmehr anstelle seines Bruders mit ihr „die Blutlinie aufrechtzuerhalten“, was einen Fronteinsatz aus seiner Sicht ausschloss. In seinem „Verlobungs- und Heiratsgesuch“, das er 1943 an das „Rasse- und Siedlungshauptamt-SS“ richtete, bat er um „bevorzugte Bearbeitung“ seines Antrags und begründete dies wie folgt: „Ich bin letzter Sohn, da mein Bruder 1942 vor Stalingrad fiel. Da ich k.v. bin und mit einer Versetzung zu einer Feldeinheit in Kürze rechnen muss, bitte ich mein Gesuch bevorzugt zu bearbeiten und mir die Heiratsgenehmigung bis zum XX 1943 zu erteilen.“ Der Angeklagte erhielt die beantragte Genehmigung, heiratete und arrangierte sich mit den Verhältnissen in Auschwitz. Er vertrieb sich die Zeit nach Dienstschluss mit Leichtathletik und war froh, als Angehöriger der Häftlingsgeldverwaltung „unmittelbar mit diesen Morden nichts zu tun zu haben“, wenngleich ihm klar war, dass er durch seine Tätigkeit dazu beitrug, dass „das Lager Auschwitz funktionierte“ und er dies um seiner eigenen Sicherheit willen auch zumindest billigend in Kauf nahm.
Ein Versetzungsgesuch erfolgte aus anderen Gründen:
Nach dem Ende der „Ungarn-Aktion“ - zu diesem Zeitpunkt waren die Alliierten bereits in Frankreich gelandet und die Rote Armee weit nach Westen vorgestoßen - erkannte der Angeklagte, dass Auschwitz für ihn kein sicherer Ort mehr war. Er wusste, dass die russischen Truppen Auschwitz früher oder später erreichen würden und hatte nicht die Absicht, ausgerechnet dort als SS-Angehöriger in Kriegsgefangenschaft zu gehen. Entgegen seiner ursprünglichen Hoffnung, den Krieg dort überdauern zu können, sah er sich gezwungen, sich nunmehr doch zu einer SS-Feldeinheit an die Front versetzen zu lassen, zumal ohnehin vorgesehen war, alle abkömmlichen und kriegsverwendungsfähigen („k.v.-fähigen“) SS-Männer aus Auschwitz abzuziehen und an die Front zu schicken, und stellte ein entsprechendes Gesuch. Im Rahmen einer „k.v.-Austauschaktion“ wurde er im Oktober 1944 gemeinsam mit 500 anderen SS-Männern aus Auschwitz abgezogen. Er wurde in der Folge bei der sog. „Ardennenoffensive“ eingesetzt und verwundet.
Quelle: Urteilsbegründung vom 15.7.2015