Die entzerrte Karte des Claudios Ptolemaios

(Und wir haben auch keinen Hinweis darauf, dass das Varussschlachtfeld in der Nähe des für Drusus errichteten Altars gelegen haben soll, um den es hier überhaupt nicht geht.)
Darauf läuft es wohl hinaus, die geraffte Darstellung, dass die Barbaren Varusgrabhügel und Drususaltar zerstört haben, wird gerne mal so interpretiert, als habe das alles beieinander (und ganz in der Nähe von Aliso) gelegen. Bei dem Altar wäre das sogar plausibel, dass er bei Aliso lag. Aber, wie du schon richtig sagst, und nur dass es nicht untergeht:

tropea ≠ Altar​
 
Darauf läuft es wohl hinaus, die geraffte Darstellung, dass die Barbaren Varusgrabhügel und Drususaltar zerstört haben, wird gerne mal so interpretiert, als habe das alles beieinander (und ganz in der Nähe von Aliso) gelegen. Bei dem Altar wäre das sogar plausibel, dass er bei Aliso lag. Aber, wie du schon richtig sagst, und nur dass es nicht untergeht:

tropea ≠ Altar​
Richtig. Die Position des alten Altars würde uns nicht weiter helfen. Gemeinsam haben Altar und Schlachtfeld nur, dass sie beim Marsch berührt und aufgesucht wurden. Die Tropaia dürften nicht am Wege gelegen zu haben, sonst hätte man sie wegen ihrer höheren Bekanntheit wahrscheinlich erwähnt. Über Nähe oder Ferne bei diesem Marsch wurde in der haud procul Diskussion schon hinreichend diskutiert. Wir kommen also in der Entzerrungsfrage keinen Schritt weiter.
 
Gemeinsam haben Altar und Schlachtfeld nur, dass sie beim Marsch berührt und aufgesucht wurden.

Nicht einmal das. Von einem Marsch, bei dem beide Stätten berührt wurden, ist nichts überliefert.

Das Schlachtfeld wurde 15 n. Chr. aufgesucht, der Altar wurde 16 n. Chr. wiederhergestellt.

Ob die Tropaia 15/16 n. Chr. noch existierten, ist nicht bekannt.

Falls Dios Lokalisierung (an der Elbe) stimmt, lagen sie nicht am Wege.
Falls Ptolemaios' Lokalisierung (in der Nähe der Werraquelle) stimmt, auch nicht.
 
Ob die Tropaia 15/16 n. Chr. noch existierten, ist nicht bekannt.
Welchen Grund sollte Ptolemaios 100 Jahre später gehabt haben, sie als Ort aufzunehmen? Entweder gab es sie noch körperlich oder sie waren so bedeutend, dass ihm immer noch darüber berichtet wurde. Und dies ginge über reine Monumente hinaus, mehr in Richtung Ansiedlung.
 
Welchen Grund sollte Ptolemaios 100 Jahre später gehabt haben, sie als Ort aufzunehmen? Entweder gab es sie noch körperlich oder sie waren so bedeutend, dass ihm immer noch darüber berichtet wurde.
Oder Ptolemaios hatte wie in den meisten anderen Fällen gar keinen brandneuen Bericht vor sich, sondern eine Nachricht aus x-ter Hand, die sein Vorgänger Marinus von jemand abgeschrieben hat (der sie wiederum von jemand anderem abgeschrieben haben mag usw.).
Hast Du gelesen, was ich oben über den Phantomort "Siatutanda" geschrieben habe? Der entstammt einem Bericht, der sich auf das Jahr 28 n. Chr. bezieht.

Wie stellst Du Dir eigentlich Ptolemaios' Arbeitsweise vor? Glaubst Du wirklich, er hat zu jedem der Toponyme eigens recherchiert, ob es dazu Nachrichten aus den letzten paar Jahrzehnten gibt? Und dass er alles wieder rausgeworfen hat, wozu er keine aktuelleren Nachrichten auftreiben konnte?
 
Es sind ja zwei Arbeitsweisen: die sphärische Abbildung der Erde, also Bestimmung der Breite und der Länge. Das andere sind die Itinerare. Erstere fussten auf Vermessungen durch Navigatoren, letztere auf den Angaben von Kaufleuten und Militärs. Dennoch lassen sich auch über Itinerare anhand der Knotenpunkte sehr gute Karten erstellen.

Das Problem war dass Ptolemaios z.T. veraltete und durch Kopierfehler entstellte Quellen hatte.
 
Es sind ja zwei Arbeitsweisen: die sphärische Abbildung der Erde, also Bestimmung der Breite und der Länge. Das andere sind die Itinerare. Erstere fussten auf Vermessungen durch Navigatoren, letztere auf den Angaben von Kaufleuten und Militärs.

Mit welchen Mitteln hätten damalige Navigatoren die Länge bestimmen können?

Die erhaltenen Straßenitinerare enthalten genaue Angaben nach Meilen, Leugen oder sonstigen Maßeinheiten. Diese beruhen auf Streckenmessungen; die Straßenbauer mussten ja wissen, wo sie ihre Meilensteine aufstellen sollten.

Wenn man im Barbaricum oder auf dem Meer unterwegs war, fehlen solche genauen Entfernungsangaben, da finden wir grob geschätzte und gerundete Zahlen ("ungefähr 400 Stadien", "ungefähr 800 Stadien") oder Angaben nach Tagen ("zwei Tagesreisen").

Hier mal ein Beispiel:
Der Periplus des erythräischen Meeres von einem Unbekannten. Griechisch und deutsch mit kritischen und erklärenden Anmerkungen nebst vollständigem Wörterverzeichnisse von B. Fabricius : Dietrich, Heinrich Theodor : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive

Nach solchen Periploi hat Ptolemaios (bzw. seine Vorgänger) versucht, die Küstenlinien zu erfassen. Anhand der ungenauen Angaben zu den Küsten wurde die Lage der Küstenstädte ermitteilt, dann wurde versucht, die Lage der in den Straßenitineraren verzeichneten Orte zu erraten:

"Ferner kann man bei der Eintragung der Städte zwar die an der Küste gelegenen leichter einzeichnen, da bei ihnen durch den Küstenverlauf eine gewisse Anordnung gewahrt wird. Bei den binnenländischen Städten ist dies aber nicht mehr der Fall, da bei ihnen nirgends Angaben über ihre Lage untereinander oder gegenüber den Küstenstädten gemacht werden, ausser in wenigen Ausnahmefällen, bei welchen zufällig einmal die Länge, einmal die Breite zusätzlich bestimmt ist."
 
Die erhaltenen Straßenitinerare enthalten genaue Angaben nach Meilen, Leugen oder sonstigen Maßeinheiten. Diese beruhen auf Streckenmessungen; die Straßenbauer mussten ja wissen, wo sie ihre Meilensteine aufstellen sollten.
Sind die erhaltenen Straßenitinerare mit Angaben zu den Himmelsrichtungen versehen? Ich vermute, dass dem nicht so ist oder nur ganz ungefähr.
(Straßen müssen sich dem Gelände anpassen, wenn nicht gerade eine trockene Ebene vorliegt - kurzum Straßen müssen in bergigem Gelände gewunden sein. Das "verzerrt" die Wegstrecke von A nach B)
 
Wir wissen ja z.B. von der Tabula Peutingeriana oder vom itinerarium Antonini oder dem Itinerarium Gaditanum, dass die Meilenangaben mitnichten immer stimmen.
 
Sind die erhaltenen Straßenitinerare mit Angaben zu den Himmelsrichtungen versehen?
Nein, das Muster ist: "Von A nach Z", und dann werden die Zwischenstationen mit Entfernungen aufgezählt.
Im Itinerarium Burdigalense werden die Stationen klassifiziert, nach civitas, mansio, mutatio etc:
The Latin text
Sehr umfangreich ist das Itinerarium Antonini:
TABVLA PEVTINGERIANA - several informations about roman roads

Wir wissen ja z.B. von der Tabula Peutingeriana oder vom itinerarium Antonini oder dem Itinerarium Gaditanum, dass die Meilenangaben mitnichten immer stimmen.
Die Dinger wurden ja nicht gedruckt, da hat immer einer vom anderen abgeschrieben. Mit jeder weiteren Abschrift kamen neue Fehler dazu. Eine falsche Meilenzahl fällt beim Durchlesen ja niemals auf, anders als bei Rechtschreib- oder Grammatikfehlern.
 
Die fehlerhaften Strecken beim Itinerar sind nicht das Problem, es sind die fehlenden oder uneinheitlich definierten oder überlieferten Knotenpunkte.

In einem Alpental wie dem römisch verwalteten und strukturierten, topographisch und verkehrstechnisch definierten Vinschgau ist es einfach, bei einem Fernhandelsweg ab Mainz oder Neuss ins freie Germanien fast unmöglich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die fehlerhaften Strecken beim Itinerar sind nicht das Problem, es sind die fehlenden oder uneinheitlich definierten oder überlieferten Knotenpunkte.

Mit dem Itinerarium Antonini bekommt man eigentlich eine große Anzahl an Knotenpunkten zusammen. Es gibt z. B. eine Route Augsburg - Kempten - Bregenz, eine zweite Route Salzburg - Regensburg - Augsburg - Günzburg - Kempten - Bregenz, eine weitere Route Salzburg - Seebruck - Schöngeising - Augsburg - Kempten - Bregenz (die meisten Zwischenstationen lasse ich jeweils weg), damit haben wir schon mal die Knotenpunkte Salzburg, Augsburg und Kempten, mit denen sich folgender "Verkehrslinienplan" konstruieren ließe:

upload_2021-10-18_22-42-56.png


Auf diese Weise dürfte auch die Tabula Peutingeriana konstruiert worden sein.

Welches davon die direktesten Routen und welches die Umwege sind, erfährt man freilich nur dann, wenn auch die Entfernungsangaben einigermaßen stimmen.
Im vorliegenden Beispiel hätten wir schon Pech gehabt, denn die Route Augsburg-Kempten wird mit 57 Meilen angegeben, die Alternativroute über Günzburg fälschlicherweise nur mit 52 Meilen.
 
Mitunter können leichte Verschreibungen (oder Schreibvarianten) auch gravierende Folgen haben. Die Doppelung Abodiacum/Avodiacum wurde ja schon in anderem Zusammenhang mal genannt:

Datierungsprobleme der Tabula Peutingeriana

Tatsächlich war Abodiacum der Kreuzungspunkt der Nord-Süd-Route Augsburg-Innsbruck mit der Ost-West-Route Salzburg-Kempten; in der Version der Tab. Peut. ist die Kreuzung verschwunden und Kempten liegt irgendwo zwischen Augsburg und Salzburg:

upload_2021-10-18_23-13-0.png



In einem Alpental wie dem römisch verwalteten und strukturierten, topographisch und verkehrstechnisch definierten Vinschgau ist es einfach

Dem Zeichner der Tab. Peut. ist ein solcher Fehler auch in einem römisch verwalteten Alpental unterlaufen. Hier ist der Ortsname "Curia" verdoppelt; ein leicht krakelig geschriebenes C hat den Phantomort "Luria" produziert, und die Straße vom Bodensee nach Chur hat sich damit ebenfalls verdoppelt:

upload_2021-10-18_23-28-30.png
 
Wie stellst Du Dir eigentlich Ptolemaios' Arbeitsweise vor? Glaubst Du wirklich, er hat zu jedem der Toponyme eigens recherchiert, ob es dazu Nachrichten aus den letzten paar Jahrzehnten gibt? Und dass er alles wieder rausgeworfen hat, wozu er keine aktuelleren Nachrichten auftreiben konnte?
Unabhängig vom Alter und der Herkunft der Quelle: wie viele Orte mit dem Namen tropaia gibt es denn? Es muss doch einen Grund gegeben haben, daraus einen Ort zu machen. Reisende Händler hatten kein wirtschaftliches Interesse an Denkmalen.
 
Es muss doch einen Grund gegeben haben, daraus einen Ort zu machen. Reisende Händler hatten kein wirtschaftliches Interesse an Denkmalen.
Ein Denkmal aus Stein, an einem landschaftlich markanten und verkehrstechnisch bedeutendem Ort. Also beispielsweise an einer Anhöhe, einem Felsen über einem Flussübergang (im Idealfall mit Furt) oder einer Wegkreuzung.
Ich denke an Orte wie Hedemünden.
 
Cäsar erschien Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus in Gallien und eroberte es. Um 150 unserer Zeit existierten links der Rheins Städte, ausgebaute Handelswege und Schiffsverkehr. Es gab sogar eine 95 km lange Wasserleitung aus der Eifel nach Köln (1. Jahrhundert).
Auf der anderen Seite des Rheins gab es das bestimmt nicht. Man weiß hier noch nicht einmal, aus welcher Zeit und von wem diese Daten stammen. Es könnte sogar sein, dass bestimmte Orte, die Ptolemäus eingezeichnet hat zu seiner Zeit nicht mehr existierten.
Wie fand dieser Handel in Nord-Süd Richtung statt? Straßen gab es nicht, nach denen er sich richten konnte. Hat er sich dann etwa von Oppidum zu Oppidum im Süden und von Furt zu Furt im Norden bewegt?
 
Vor einigen Jahren fand sich bei Auskiesungsarbeiten in Großseelheim eine aufwendig konstruierte Brücke über den Fluss Ohm, aus keltischer Zeit.
Solche Infrastruktur setzte eine intensive Nutzung voraus, und solch markante Punkte waren überregional bekannt.

Wir dürfen davon ausgehen dass die Römer eine gute Vorstellung von der landschaftlichen, wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gliederung bis nach Mähren, Polen, an die Ostsee und das Baltikum hatten.
 
Es muss doch einen Grund gegeben haben, daraus einen Ort zu machen.
Den Grund habe ich nun schon öfter geschrieben: Ptolemaios hat alles, was er für einen Ortsnamen gehalten hat und irgendwie lokalisieren konnte, in sein Verzeichnis aufgenommen.
- Darunter sogar einen Phantomort wie "Siatutanda", den es nicht einmal dem Namen nach gegeben hat, von dem er aber "wusste", dass er in der Nachbarschaft von Flevum zu suchen war.
- Auch der Personenname Marbod ist bei ihm offensichtlich zu einem Ortsnamen geworden; möglicherweise gab es eine Quelle, in der von einer Gesandtschaft o. ä. zu Marbod berichtet wurde. Eine irgendwo aufgeschnappte Formulierung wie "legati ad Maroboduum pervenerunt" lässt als "Gesandte kamen bis nach Maroboduum" missverstehen.
- Ferner finden wir den Ort Alison bei Ptolemaios; hier ist mit ziemlicher Sicherheit das bei Tacitus erwähnte Kastell an der Lippe gemeint. Die Lippekastelle wurden von den Römern samt und sonders aufgegeben; das Kastell Aliso existierte zu Ptolemaios' Zeiten schon lange nicht mehr.
Dasselbe ist auch für die Tropaea Drusi anzunehmen.

Die Kenntnis all dieser Orte verdanken wir den Historikern, die die Feldzugsberichte ausgewertet haben: Tacitus, Dio, Florus. Es gibt nicht den geringsten Grund, sie reisenden Händlern in die Schuhe zu schieben. Mit Sicherheit hat auch Ptolemaios mindestens eine Quelle verwendet, die in irgendeiner Weise auf diese Feldzugsberichte zurückgeht.
 
Wir dürfen davon ausgehen dass die Römer eine gute Vorstellung von der landschaftlichen, wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Gliederung bis nach Mähren, Polen, an die Ostsee und das Baltikum hatten.
Dass jenseits der Rheingrenze, jenseits des Limes für die Römer keine totale terra incognita vorlag, ist plausibel - aber wie weit reichte die genaue, gar verkehrstechnische Kenntnis? 100km? 200km? Und dahinter?

Natürlich waren Elbe und Weichsel bekannt - aber zur Elbe schreibt schon Tacitus, dass sie früher wohlbekannt, heute nur dem Namen nach (oder vom hörensagen) bekannt sei in seiner Germania (die freilich kein Atlas ist)

Gelsum /Bernstein, "Bernsteinstraße" von der Danziger Bucht bis Carnuntum: da funktionierte wohl der Handel, aber eine durchgehende Straße an die Ostsee war das nicht (Plinius) - je weiter von der Grenze, umso unschärfer dürfte die Kenntnis gewesen sein. Kein Wunder, ist doch die Rede von unerschlossenem Land, keine Vermessungen, keine Karten - nur ungefähre Angaben (Wieviele Tagesreisen von A nach B etc)
 
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