Konfession, Antisemitismus und NS

mit mindestens soviel Berechtigung auf Luther und dessen Schriften berufen wie die Nazis, die eigentlich nur auf Versatzstücke und Kurzzitate aus Luthers Pamphlet von 1543 zurückgriffen.
Ich würde nicht einmal sagen, dass sich die Naziideologie auf Luther berief. Den Luther gibt es in dieser Vorstellungswelt allenfalls homöopathisch.
Aber als Zeuge der Richtigkeit der antisemitischen Grausamkeiten des Regimes dient er schon.
Etwa wenn der Thüringer Landesbischof Martin Sasse im Dezember 1938 in einem Pamphlet frohlockt, dass das Novemberpogrom (Reichskristallnacht) an Luthers Geburtstag, und ganz in dessen Sinne stattgefunden habe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es hat aber Luther doch immerhin so einiges angeregt. Er hat auch angeregt, Juden freundlich zu behandeln.
Ja, aber zuletzt war er ein Eiferer, wollte Juden eigenhändig umbringen, hat es aber wegen des 5. Gebots immerhin nicht getan.

Ich kann es nur wiederholen: Die Nazis habe seine antijüdischen Schriften bzw. Sprüche nachgedruckt und zitiert, um mit ihnen die Bevölkerung, die damals zu 2 Drittel evangelisch war, davon zu überzeugen, dass Juden keine Berechtigung haben, in Deutschland zu leben - so nach dem Motto, seht her, Luther hat über die Juden das gleiche gesagt wie wir. Dass sie ab 1941 alle Juden, also auch getaufte, in den Vernichtungslagern ermordeten, steht auf einem anderen Blatt, denn da war die Sache schon gelaufen, weil die organisierten Christen schon zuvor gegen die unwürdige, ja unmenschliche Behandlung von Juden nicht protestierten. Die Proteste kamen, wenn überhaupt, nur von einzelnen Gläubigen, die nach dem Krieg gleichwohl von den Kirchen als Beispiele des christlichen Widerstands hingestellt wurden, der aber in Wirklichkeit so gut wie nicht vorhanden war.
 
Bohnhoefer gehört in die Kategorie Einzelkämpfer. Auch die Angehörigen der Weißen Rose waren Einzelkämpfer. Die beiden Kirchen hielten sich zurück – auch die Bekennende Kirche hat sich politisch nicht aus der Deckung gewagt, war keine Widerstandsbewegung, obwohl einige in diesem Forum das anders sehen – Zitat (Fettschreibung durch mich):

Ende 1935 verteilte Elisabeth Schmitz ihre Denkschrift Zur Lage der deutschen Nichtarier über die alltägliche Verfolgung der Juden im NS-Staat an 200 Mitglieder der Bekennenden Kirche, darunter Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und Helmut Gollwitzer. Sie appellierte, aus Sicherheitsgründen anonym, ohne Erfolg an die verantwortlichen Kräfte der Bekennenden Kirche, den Verfolgten Beistand zu leisten.
(…)
Eine geheime Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler vom Mai 1936 bezeichnete die Existenz der Konzentrationslager zwar als härteste Belastung des evangelischen Gewissens,[9] wurde aber von der Bekennenden Kirche nie veröffentlicht. Nach Bekanntwerden der Denkschrift im Ausland kam es zu vereinzelten Verhaftungen von Geistlichen, die Mehrheit der Bekennenden Kirche rückte aber sofort von der Denkschrift ab, und selbst die folgende Abkündigung auf einigen Kanzeln durch entschiedenere Vertreter der Bekennenden Kirche ließ die entscheidenden politischen Passagen aus der Denkschrift, die sich nicht nur mit Christen befassten, weg. Auch mit dem Büro Grüber unterstützte die Kirche Menschen, die als Juden verfolgt wurden, nur soweit sie zum Christentum konvertiert waren oder von Konvertiten abstammten.[10]
Nach anfänglichen Erfolgen wurde die Bekennende Kirche etwa ab 1937 zunehmend verfolgt, hielt aber an ihrer eigenen Organisation fest. Wie der Historiker Hans-Rainer Sandvoß feststellte, war die Bekennende Kirche keine Widerstandsbewegung.
 
Ja, aber zuletzt war er ein Eiferer, wollte Juden eigenhändig umbringen, hat es aber wegen des 5. Gebots immerhin nicht getan.

Ich kann es nur wiederholen: Die Nazis habe seine antijüdischen Schriften bzw. Sprüche nachgedruckt und zitiert, um mit ihnen die Bevölkerung, die damals zu 2 Drittel evangelisch war, davon zu überzeugen, dass Juden keine Berechtigung haben, in Deutschland zu leben - so nach dem Motto, seht her, Luther hat über die Juden das gleiche gesagt wie wir. Dass sie ab 1941 alle Juden, also auch getaufte, in den Vernichtungslagern ermordeten, steht auf einem anderen Blatt, denn da war die Sache schon gelaufen, weil die organisierten Christen schon zuvor gegen die unwürdige, ja unmenschliche Behandlung von Juden nicht protestierten. Die Proteste kamen, wenn überhaupt, nur von einzelnen Gläubigen, die nach dem Krieg gleichwohl von den Kirchen als Beispiele des christlichen Widerstands hingestellt wurden, der aber in Wirklichkeit so gut wie nicht vorhanden war.


Anscheinend waren es die Nazis und nur die Nazis, die Luther richtig verstanden haben. Die haben nicht nur mit traumwandlerischer Sicherheit Luthers Pamphlet von 1543 als das eigentliche Hauptwerk Luthers erkannt.

Sie haben nicht nur dieses Hauptwerk erkannt, sondern daraus auch die alles entscheidenden 3-4 Zitate rezipiert, und sie haben auch erkannt, dass damit alles andere, was Luther je geschrieben hat, ungültig und hinfällig und völlig zu ignorieren war.

Die Nazis haben Luther anscheinend auch so gut verstanden, dass sie auch zwischen den Zeilen die wahre Botschaft lesen konnten, auch wenn Luther sich hin und wieder widersprach. Die wussten, wenn Luther theologisch argumentierte, war es in Wirklichkeit rassistisch und biologistisch gemeint.



Pogrome hatte es in Mitteleuropa seit dem frühen 17. Jahrhundert nicht mehr gegeben, und es waren Pogrome zu allen Zeiten ein enormer Tabubruch. In der Regel geschahen sie gegen Willen der Obrigkeit. Im Zuge der Französischen Revolution hatten Juden in vielen deutschen Staaten die Gleichberechtigung erhalten, und seit der Reichsgründung waren Juden endgültig gleichberechtigte Bürger geworden, sie nahmen vielerorts am öffentlichen Leben teil, und etliche jüdische Familien lebten seit mehreren Hundert Jahren in Deutschland.

Es gab in Mitteleuropa seit über 1000 Jahren die Zehn Gebote, die Goldene Regel, und dass sie von 1933-45 ziemlich radikal von Staats wegen mit Füßen getreten wurden,, setzte sie nicht außer Kraft, und ich wage mal die Prognose, dass es nirgendwo in Deutschland gelang, die Mehrheit davon zu überzeugen, dass es gut und richtig war, Synagogen niederzubrennen, Juden zu misshandeln und öffentlich zu demütigen, und bei den Novemberpogromen auch die ersten Juden umzubringen. So moralisch heruntergekommen war das deutsche Volk trotz allem nicht. Es wurde viel geklaut und geplündert, es gab Morde und Vergewaltigungen, aber Jubel und Zustimmung der Bevölkerung das blieb doch aus. Die Bevölkerung war verstört, peinlich berührt und schockiert.

Manche missbilligten es nicht mal aus Mitgefühl mit den Juden, sondern weil man keine Fensterscheiben einschlägt, Wehrlose misshandelt, raubt oder stiehlt und natürlich auch keine Frauen vergewaltigt oder Leute umbringt.

Es ließ sich so etwas auch nicht rechtfertigen mit der Berufung auf Martin Luther. Eigentlich haben die Nazis sich gar nicht oder kaum für Luther interessiert, all die theologischen Argumente waren denen völlig gleichgültig. Es gibt überhaupt keine Indizien dafür, dass Luthers Pamphlet von 1543 irgend eine Rolle spielte bei der ideologischen Schulung im Reichssicherheitshauptamt oder im Rasse- und Siedlungsamt. Es war keine Pflichtlektüre, die etwa Mitgliedern von Einsatzgruppen oder SS-Offizieren empfohlen wurde.

Eigentlich beschränkte sich die Luther-Rezeption von Nazi-Größen wie Julius Streicher auf 3.4 Zitate aus dem Pamphlet von 1543 und einige Versatzstücke und angebliche Luther-Zitate. Die theologischen Argumente, die Vorwürfe, die Luther den Juden machte, waren Streicher völlig gleichgültig, und seine Berufung auf Luther vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Nürnberg war nichts, als ein Whataboutismus und eine erbärmliche Rechtfertigungs-Taktik, um jahrelange Hetze und Aufruf zum Massenmord damit entschuldigen zu wollen, dass man ja nur Luther beim Wort genommen habe.

Worauf sich Nazis beriefen bei Luther das waren lediglich Versatzstücke: 3-4 Zitate aus dem Pamphlet von 1543 und angebliche Zitate Luthers, die sich aber gar nicht so wie zitiert nachweisen lassen. Heinrich von Treitschke oder auch Luther waren anerkannte Persönlichkeiten, sie verfügten über hohes Ansehen, waren zitierfähig, und beide haben sich sehr negativ über Juden geäußert.

Luther wurde von den Nazis vereinnahmt, wie auch Treitschke, Richard Wagner und Friedrich Nietzsche als Brüder im Geiste von den Nazis vereinnahmt wurden. Als Apologeten der Endlösung lässt sich aber sowohl Martin Luther wie auch Heinrich von Treitschke nur vereinnahmen, wenn man ihre umfangreichen Publikationen auf einige Auszüge, im Falle Luthers 3-4 Zitate reduziert und alles, was sie geschrieben haben, das sich nicht im Sinne der NS-Ideologie vereinnahmen lässt oder dem sogar fundamental widerspricht geflissentlich ausblendet.
 
Ich kann es nur wiederholen: Die Nazis habe seine antijüdischen Schriften bzw. Sprüche nachgedruckt und zitiert, um mit ihnen die Bevölkerung, die damals zu 2 Drittel evangelisch war, davon zu überzeugen, dass Juden keine Berechtigung haben, in Deutschland zu leben - so nach dem Motto, seht her, Luther hat über die Juden das gleiche gesagt wie wir.

Mir erscheint dieser Argumentationsweg vor dem Hintergrund der von Dir geäußerten Grundthese nicht sehr plausibel. Wenn Luther ganz allgemein als glühender Antisemit angesehen worden wäre und die meisten evangelischen Gläubigen dem so sehr gefolgt wären, dass sie die NSDAP unter anderem deshalb in besonders hohem Maße gewählt hätten, wieso wäre es dann nötig gewesen, diese Schriften eigens nachzudrucken und zu zitieren? Man wäre sich doch dann gerade bei diesem Thema ohnehin einig gewesen?
 
zu einem Zitat oben (Stürmer, Luther, „regelmäßig“), um das in die richtigen Verhältnisse bzw. in die Riege von Persönlichkeiten zu rücken:

„ wurden zudem ab 1934 regelmäßig kürzere und längere Zitate antisemitischen Inhalts von historischen Persönlichkeiten wie Martin Luther, Napoleon, Goethe, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Schopenhauer oder Bismarck sowie von Antisemiten wie Paul de Lagarde abgedruckt, später dann vorwiegend Textstellen aus Hitlers »Mein Kampf«.“
Der Stürmer im Dritten Reich 1933-1945, in: Julius Streicher und »Der Stürmer« 1923-1945, S. 237


Frage:
Welche Zitate zu Luther sind überhaupt und konkret (mit welchem Inhalt) bei Hitler (als Stichwortgeber) zu finden?
 
Wenn Luther ganz allgemein als glühender Antisemit angesehen worden wäre und die meisten evangelischen Gläubigen dem so sehr gefolgt wären, dass sie die NSDAP unter anderem deshalb in besonders hohem Maße gewählt hätten, wieso wäre es dann nötig gewesen, diese Schriften eigens nachzudrucken und zu zitieren?

Die Vorstellung, die NSDAP sei vor allem wegen des Antisemitismus gewählt worden scheitert ja bereits an dem Umstand, dass politisch motivierter Antisemitismus nicht bei den Nazis monopolisiert war, sondern den vertrat ja auch bereits die DNVP als traditionelle rechtsaußen-Partei der Weimarer Republik.

Hier wäre, also wenn man den Antisemitismus für die Wahlerfolge Hitlers verantwortlich machen wollte, zunächst einmal zu erklären, warum in dieser Hinsicht die NSDAP dann für die Wähler auf einmal attraktiver wurde, als die DNVP, die im gleichen Zeitraum (seit etwa 1928) massiv an Bedeutung verlor, obwohl sie sich unter Hugenberg zunehmend (erneut) radikalisierte.
Wollte man dabei bleiben, dass hier der Antisemitismus die treibende Kraft war, müsste man belegen, dass die Bevölkerung nicht nur in weiten Teilen antisemitisch eingstellt war, sondern man müsste darüber hinaus auch belegen, dass sie für den Radau-Antisemitismus der Nazis empfänglicher war, als für die traditionellen Formen den Antisemitismus in der DNVP, was schwierig werden dürfte, wenn man sich auf Luther berufen möchte, dessen judenfeindliche Ansichten sicherlich dem traditionellen Antisemitismus der DNVP näher war, als dem, was von den Nazis kam.
 
Die Vorstellung, die NSDAP sei vor allem wegen des Antisemitismus gewählt worden scheitert ja bereits an dem Umstand, dass politisch motivierter Antisemitismus nicht bei den Nazis monopolisiert war, sondern den vertrat ja auch bereits die DNVP als traditionelle rechtsaußen-Partei der Weimarer Republik.

Hier wäre, also wenn man den Antisemitismus für die Wahlerfolge Hitlers verantwortlich machen wollte, zunächst einmal zu erklären, warum in dieser Hinsicht die NSDAP dann für die Wähler auf einmal attraktiver wurde, als die DNVP, die im gleichen Zeitraum (seit etwa 1928) massiv an Bedeutung verlor, obwohl sie sich unter Hugenberg zunehmend (erneut) radikalisierte.

Heute benutzt man ja gerne das Wort Markenkern, von dem sich eine Partei, ein Unternehmen, ein Verein oder eine Region von anderen unterscheidet, bzw. was diese stärker unterstreichen, als andere.
Die CDU betont das christliche Element ihrer Politik, die SPD das soziale Element, der Markenkern der FDP ist der Liberalismus, das der Grünen das ökologische etc. Man kann das im Einzelnen für Fassade halten oder meinen, dass die jeweilige Partei ihrem Markenkern näher oder ferner steht, aber das sind nun mal die (freilich stark auf ein Schlagwort reduzierten) Markenkerne der Parteien
Antisemitismus und auch Antijudaismus mag es in mehreren Parteien gegeben haben (ich meine jetzt nicht antijudiatische oder antisemitische Einstellungen einzelner Mitglieder, sondern als Teil des Parteiprogramms). Aber bei den Nazis gehörte das antisemitische wie auch das antimoderne* schon sehr stark zum Markenkern. Das mag bei der DNVP, deren Markenkern doch eher im Fernziel der Wiederherstellung der Monarchie lag.

*Gleichzeitig war die NSDAP in der Weimarer Zeit die Partei, die erfolgreich Technik im Wahlkampf einsetzte.
 
Antisemitismus und auch Antijudaismus mag es in mehreren Parteien gegeben haben (ich meine jetzt nicht antijudiatische oder antisemitische Einstellungen einzelner Mitglieder, sondern als Teil des Parteiprogramms). Aber bei den Nazis gehörte das antisemitische wie auch das antimoderne* schon sehr stark zum Markenkern. Das mag bei der DNVP, deren Markenkern doch eher im Fernziel der Wiederherstellung der Monarchie lag.

Sicherlich war der Antisemitismus bei den Nazis ein zentraleres Anliegen, als bei den Konservativen/Reaktionären aus den Reihen der DNVP und sicherlich war die NSDAP in ihrer Aufstellung die Partei, die durch moderneren Wahlkampf die Massen anders und erfolgreicher ansprach.
Nur wenn wir über Wahlkampfmethoden reden erkennen wir doch im Prinzip bereits an, dass der Kern des Erfolgs der NSDAP nicht allein im Antisemitismus liegt, sondern der Antisemitismus allenfalls eine Teilursache des Erfolges war, was sich daran zeigt, dass die ebenfalls antisemitisch eingestellte DNVP (deren Antisemitismus aus dem protestantischen Millieu kam und wesentlich eher Traditionslinien in Richtung Luther aufwies, als dass was die Nazis propagierten) mit ihren veralteten sonstigen Inhalten, antiquierten Wahlkampftchniken und ihren Wilhelminischen Honoratioren seit dem Ende der 1920er Jahre massiv an Zustimmung verlor.
Wäre der Antisemitismus Kernanliegen der Wählerschaft und alles andere nicht so wichtig gewesen, wäre zu erwarten gewesen, dass es der DNVP gelungen wäre ihre Stammwählerschaft weitgehend zu halten.

Entgegen dem war die DNVP aber die erste der größeren etablierten Weimarer Parteien in deren Wählermillieu die Nazis einbrachen und deren Wähler zu den Nazis übergingen.
 
Heute benutzt man ja gerne das Wort Markenkern, von dem sich eine Partei, ein Unternehmen, ein Verein oder eine Region von anderen unterscheidet, bzw. was diese stärker unterstreichen, als andere.
Die CDU betont das christliche Element ihrer Politik, die SPD das soziale Element, der Markenkern der FDP ist der Liberalismus, das der Grünen das ökologische etc. Man kann das im Einzelnen für Fassade halten oder meinen, dass die jeweilige Partei ihrem Markenkern näher oder ferner steht, aber das sind nun mal die (freilich stark auf ein Schlagwort reduzierten) Markenkerne der Parteien
Antisemitismus und auch Antijudaismus mag es in mehreren Parteien gegeben haben (ich meine jetzt nicht antijudiatische oder antisemitische Einstellungen einzelner Mitglieder, sondern als Teil des Parteiprogramms). Aber bei den Nazis gehörte das antisemitische wie auch das antimoderne* schon sehr stark zum Markenkern. Das mag bei der DNVP, deren Markenkern doch eher im Fernziel der Wiederherstellung der Monarchie lag.

*Gleichzeitig war die NSDAP in der Weimarer Zeit die Partei, die erfolgreich Technik im Wahlkampf einsetzte.

Könnte man vielleicht auch argumentieren, dass die Parteien mehrere "Markenkerne" zugleich haben können? Zur Zeit Adenauers wären das bei der Union dann beispielsweise der christliche Glaube, die Marktwirtschaft und die Westbindung gewesen. Bei der NSDAP könnte man neben dem Antisemitismus auch noch die Ablehnung der Republik und die Idee einer völkisch geprägten nationalen Gemeinschaft nennen. Die DNVP blieb hingegen trotz ihrer hier im Faden schon genannten Radikalisierung eher monarchistisch geprägt und den Interessen der Großagrarier und der Großindustriellen verpflichtet, was möglicherweise Teile des Kleinbürgertums und der Arbeiterschaft - erst recht wohl auch der Arbeitslosen - weniger ansprach. Das wäre zumindest eine mögliche Erklärung abseits des Antisemitismus.
 
dass der Kern des Erfolgs der NSDAP nicht allein im Antisemitismus liegt, sondern der Antisemitismus allenfalls eine Teilursache des Erfolges war,
Ja.

Wäre der Antisemitismus Kernanliegen der Wählerschaft und alles andere nicht so wichtig gewesen, wäre zu erwarten gewesen, dass es der DNVP gelungen wäre ihre Stammwählerschaft weitgehend zu halten.
Ohne so verstanden werden zu wollen, dass die Wahlerfolge der NSDAP (gar ausschließlich) in ihrem Antisemitismus begründet lägen, meine ich schon, dass es nicht reicht, dass eine Partei etwas in ihrem Parteiprogramm vertritt (sei es offiziell und schriftlich niedergelegt (bei der DNVP seit 1920) oder inoffiziell), sondern - und das ist eben mit Markenkern gemeint - dass die Partei bei den Wählern auch das entsprechende Image hat.


Könnte man vielleicht auch argumentieren, dass die Parteien mehrere "Markenkerne" zugleich haben können?
Selbstredend. Ich wollte das bloß nicht auswalzen, um das Thema nicht unnötig zu sprengen.
 
Wäre der Antisemitismus Kernanliegen der Wählerschaft und alles andere nicht so wichtig gewesen, wäre zu erwarten gewesen, dass es der DNVP gelungen wäre ihre Stammwählerschaft weitgehend zu halten.

Entgegen dem war die DNVP aber die erste der größeren etablierten Weimarer Parteien in deren Wählermillieu die Nazis einbrachen und deren Wähler zu den Nazis übergingen.

War das denn tatsächlich so? Anhand der Wahlergebnisse der Reichstagswahlen kann ich das nicht nachvollziehen.

Bei der Wahl der Nationalversammlung 1919 bekam die DNVP 10,3% der Stimmen, bei der letzten wirklich freien Wahl im November 1932 bekam sie 8,3%. Das spricht aus meiner Sicht dafür, dass die DNVP ihre Stammwählerschaft einigermaßen halten konnte. Zwischenzeitlich bekam sie auch mal deutlich mehr, vor allem bei den Wahlen 1924, aber da ging sie wohl über die ihre Stammwählerschaft hinaus. Bei den Wahlen im Juni 1932 erhielt sie nur 5,9%, aber hielt sich damit immer noch wesentlich besser als die DVP und die DStP (vormals DDP), die mit 1,2 bzw. 1,0% nur noch Splitterparteien waren, während diese bei 1919 noch 4,4 bzw. 18,5% der Stimmen erhielten.

Von den nicht-sozialistischen und nicht-katholischen Parteien war die DNVP jedenfalls die einzige, die von der NSDAP nicht völlig marginalisiert wurde.

Wobei ich nicht glaube, dass das am Antisemitismus lag. Die Stammwähler der DNVP trauerten vermutlich vor allem dem Kaiserreich hinterher. Der antibürgerliche Habitus der NSDAP und die SA wirkten auf diese wahrscheinlich eher abschreckend.

Deutschnationale Volkspartei – Wikipedia
Wahl zur Deutschen Nationalversammlung – Wikipedia
Reichstagswahl Juli 1932 – Wikipedia
Reichstagswahl November 1932 – Wikipedia
 
Zuletzt bearbeitet:
„ wurden zudem ab 1934 regelmäßig kürzere und längere Zitate antisemitischen Inhalts von historischen Persönlichkeiten wie Martin Luther, Napoleon, Goethe, Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Schopenhauer oder Bismarck sowie von Antisemiten wie Paul de Lagarde abgedruckt, später dann vorwiegend Textstellen aus Hitlers »Mein Kampf«.“
Der Stürmer im Dritten Reich 1933-1945, in: Julius Streicher und »Der Stürmer« 1923-1945, S. 237
Amüsant wie auch decouvrierend ist die - oft genug aus dem Zusammenhang gerissene - Zitateselektion des Stürmers, denn antijudaische und antisemitische Textstellen unliebsamer historischer Persönlichkeiten tauchen nicht auf. So ließ dieses "Printorgan" das nationalsozialistischen Arbeiterpartei sich etliche Zitate von Karl Marx und Friedrich Engels entgehen, denn gerade diese beiden waren aus Naziperspektive ganz besonders Pfui. Theodor Fontane war den Nazis wohl zu schwierig, sie ließen ihn aus, auch Frederic Chopin zitierten sie nicht, ein Pole in Paris - es lassen sich mehr als genug prominente "Auslassungen" finden.
 
Wobei ich nicht glaube, dass am Antisemitismus lag. Die Stammwähler der DNVP trauerten vermutlich vor allem dem Kaiserreich hinterher.
hierzu interessant:
https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1968_4_5_phelps.pdf
in dieser Rede Hitlers vom 13.08.1920 geht es um die Frage "warum wir Antisemiten sind" und darüber verbreitet sich da der spätere Gröfaz - ich habe die Rede nur überflogen, Luther taucht auf den ersten oberflächlichen Blick nicht auf.
 
Und das Damoklesschwert des Pogroms hing an dünner Schnur über den Häuptern der jüdischen Gemeinschaft.
Vor diesem Hintergrund ist der Wüterich Luther ein ähnlich gefährlicher Mann, wie später ein rassistischer Antisemit mit ebenfalls großer Jüngerschar.
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Nein! Pogrome waren doch sehr selten in Mitteleuropa. Es gab ganze Generationen von Juden in ganz Europa, die niemals ein Pogrom erlebt hatten. Das Damoklesschwert, das über Juden schwebte, war die Vertreibung. Dieses Damoklesschwert hing nicht nur, es schlug auch immer wieder zu!

Pogrome waren furchtbar, und gemessen an der Zahl der jüdischen Bevölkerung gab es auch furchtbare Opferzahlen. In Worms und Speyer gingen ganze Judengemeinden zugrunde. In der heutigen Ukraine kam es während eines Kosakenaufstands zu grauenhaften Pogromen. Da reden wir von Opferzahlen um mindestens 50.000 Menschen, andere Publikationen gehen von 100.000 aus. Das hatte Auswirkungen auf jüdische Gemeinden in ganz Europa, die nun Flüchtlinge aufnehmen mussten.

So furchtbar das alles sein mochte- Pogrome waren doch selten, während Vertreibungen dagegen recht häufig waren. Starb ein Fürst, wurden Schutzbriefe ungültig. Mussten neu erworben werden, Schutzbriefe galten nur für eine begrenzte Zahl von Familienmitgliedern. Wurden Ausweisungsdekrete rückgängig gemacht, wurden meist deutlich höhere Schutzgelder erhoben. Zahlreiche Reichsfürsten hielten sich Juden wie Milchvieh, und ein Großteil der Juden konnte sich Schutzbriefe gar nicht leisten und musste umherziehen, bis sie irgendwo vielleicht Glück hatten und eine Stelle fanden. Vertreibungen und die drohende Gefahr von Vertreibungen brachte eine erhebliche Unsicherheit der Lebensplanung mit sich.

Vertreibung, das hieß in jedem Fall es geht ans Geld. Ausweisungsdekrete konnten indirekt aber auch zur Folge haben, dass Alte, Kranke, Gebrechliche auf der Landstraße den Winter nicht überlebten und erfroren

Maria Theresia hat einmal gnadenlos ein Ausweisungsdekret gegen Juden im tiefsten Winter angeordnet. Diesen Juden blieb nur die Landstraße, nicht einmal Ställe und Scheunen, in denen Luther sie wie Zigeuner hausen lassen wollte. Es kam durchaus häufig vor, dass Vaganten, Betteljuden erfroren.

Ausweisungsdekrete und Vertreibungen hatten weitreichendere Folgen, als selbst Pogrome, die immerhin selten waren. Durch die obrigkeitlichen Mandate verloren die Juden vielfach ihren urbanen Wohnraum. Städte die Juden duldeten, beschränkten ihre Zahl, wiesen ihnen bestimmte Viertel zu. In vielen Städten gab es aber auch gar keine Juden mehr. Bis ins 19. Jahrhundert lebten die meisten Juden auf dem Land.
 

Och nööö, nicht auch noch Goethe. Ich mag Goethe.

Aber das ganze ist dann wohl doch etwas komplexer, als die Nazis es gespiegelt habe. Ein Freund der Juden war Goethe wohl nie, bestenfalls gleichgültig ihrem Schicksal gegenüber.
Goethe und das Judentum - Ein wenig spektakuläres Verhältnis : literaturkritik.de

Da gibt es schon einiges online. Hier noch zu seiner Rezeption in völkischen Kreisen:
Goethe, das Judentum und die antisemitisch-völkische Bewegung

Goethes Verhältnis zum Judentum wäre vielleicht auch einen eigenen Faden wert.
 
Anscheinend waren es die Nazis und nur die Nazis, die Luther richtig verstanden haben. Die haben nicht nur mit traumwandlerischer Sicherheit Luthers Pamphlet von 1543 als das eigentliche Hauptwerk Luthers erkannt.
Nein, die haben nur bei Luther gesucht, und was ihnen in den Kram passte, haben sie immer wieder publiziert. Und weil sie, wie auch @El Quijote meint, als erste verstanden haben, wie man Medien einsetzt, haben sie damit auch Erfolg gehabt. Hitler hat in seinem Mein Kampf ganz klar gesagt, was er unter Propaganda versteht – Zitat aus „Mein Kampf“, XVI. Auflage, 1932, Seite 198:

Es ist falsch, der Propaganda die Vielseitigkeit etwa des wissenschaftlichen Unterrichts geben zu wollen.
Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwenden, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.


Daran haben sich die Nazis nicht nur orientiert, sondern auch durchgezogen – Zitat:

Hitler bekennt sich deutlich zum manipulativen Umgang von Propaganda mit Objektivität und Wahrheit. Propaganda habe „nicht objektiv auch die Wahrheit, soweit sie den anderen günstig ist, zu erforschen, um sie dann der Masse in doktrinärer Aufrichtigkeit vorzusetzen, sondern ununterbrochen der eigenen zu dienen“.[7]

Als Apologeten der Endlösung lässt sich aber sowohl Martin Luther wie auch Heinrich von Treitschke nur vereinnahmen, wenn man ihre umfangreichen Publikationen auf einige Auszüge, im Falle Luthers 3-4 Zitate reduziert und alles, was sie geschrieben haben, das sich nicht im Sinne der NS-Ideologie vereinnahmen lässt oder dem sogar fundamental widerspricht geflissentlich ausblendet.
Ja, natürlich haben Nazis all das ausgeblendet, was sich nicht mit der NS-Ideologie vereinbaren ließ. Ich verstehe dein Bestreben, die Rolle Luthers klein zu machen, aber die Nazis haben schon mehr als 3-4 Zitate Luthers gebracht, schließlich hat er in den letzten 3 Jahren seines Lebens nur noch auf die Juden gedroschen, wo er nur konnte – allein Wikipedia führt 7 auf:

Damit appellierte Luther an den Sozialneid der Bevölkerung und verkehrte demagogisch die reale Lage der damaligen „Kammerknechte“, um deren Duldung für Schutzgeldzahlungen an die Fürsten zu beenden.[57] Dazu forderte er von diesen sieben Schritte, die er zynisch als „scharfe Barmherzigkeit“, später offen als „Unbarmherzigkeit“ bezeichnete:
  • ihre Synagogen niederzubrennen,
  • ihre Häuser zu zerstören und sie wie Zigeuner in Ställen und Scheunen wohnen zu lassen,
  • ihnen ihre Gebetbücher und Talmudim wegzunehmen, die ohnehin nur Abgötterei lehrten,
  • ihren Rabbinern das Lehren bei Androhung der Todesstrafe zu verbieten,
  • ihren Händlern das freie Geleit und Wegerecht zu entziehen,
  • ihnen das „Wuchern“ (Geldgeschäft) zu verbieten, all ihr Bargeld und ihren Schmuck einzuziehen und zu verwahren,
  • den jungen kräftigen Juden Werkzeuge für körperliche Arbeit zu geben und sie ihr Brot verdienen zu lassen.
Wenn Luther ganz allgemein als glühender Antisemit angesehen worden wäre und die meisten evangelischen Gläubigen dem so sehr gefolgt wären, dass sie die NSDAP unter anderem deshalb in besonders hohem Maße gewählt hätten, wieso wäre es dann nötig gewesen, diese Schriften eigens nachzudrucken und zu zitieren?
Weiter oben in diesem Thread haben manche behauptet, dass Luthers 1543-ff- Schriften in Deutschland nahezu unbekannt waren. Dann haben sie behauptet, dass diese Schriften in den 1920-30er Jahren nicht nachgedruckt worden sind, und wenn doch, dann in kleiner Auflage, so dass praktisch niemand sie zu Gesicht bekäme, usw. – ich habe das schon oben in #40 thematisiert.

Aber bei den Nazis gehörte das antisemitische wie auch das antimoderne* schon sehr stark zum Markenkern. Das mag bei der DNVP, deren Markenkern doch eher im Fernziel der Wiederherstellung der Monarchie lag.

*Gleichzeitig war die NSDAP in der Weimarer Zeit die Partei, die erfolgreich Technik im Wahlkampf einsetzte.
Eben.

Amüsant wie auch decouvrierend ist die - oft genug aus dem Zusammenhang gerissene - Zitateselektion des Stürmers, denn antijudaische und antisemitische Textstellen unliebsamer historischer Persönlichkeiten tauchen nicht auf.
Ja – das verlangte ja Hitler in seinem MK: Nur das Eine und nicht auch das Andere zu bringen. Und keine Erklärungen, warum Luther dies geschrieben hatte: Propaganda darf nicht differenzieren.

So furchtbar das alles sein mochte- Pogrome waren doch selten, während Vertreibungen dagegen recht häufig waren.
Ja – Juden blieb nur die Wahl, sich taufen zu lassen oder vertrieben zu werden. Das verlangte auch der spätere Luther.
 
Weiter oben in diesem Thread haben manche behauptet, dass Luthers 1543-ff- Schriften in Deutschland nahezu unbekannt waren. Dann haben sie behauptet, dass diese Schriften in den 1920-30er Jahren nicht nachgedruckt worden sind, und wenn doch, dann in kleiner Auflage, so dass praktisch niemand sie zu Gesicht bekäme, usw. – ich habe das schon oben in #40 thematisiert.

Wäre das nicht viel plausibler, wenn man auch Silesias und Dekumatlands Hinweise auf entsprechende Quellen berücksichtigt? Der vulgäre und außergewöhnlich rabiate Antisemitismus der NS-Bewegung stieß ja zweifellos einige Menschen ab. Das ist auch gut bezeugt, gerade wenn es um willkürliche Übergriffe ging, wie sie beispielsweise von der Berliner SA schon vor 1933 immer wieder in aller Öffentlichkeit durchgeführt wurden. Das Regime versuchte dann mit Hilfe verschiedener Zitate zu belegen, dass man eigentlich nur den Anregungen deutscher Geistesgrößen von Luther bis Goethe und vom Alten Fritz bis zum Opernkönig Wagner folge. Dann wären deren antisemitische Äußerungen - egal ob nun aus dem Zusammenhang gerissen oder nicht - nicht so sehr ein wichtiger Grund für die Wahlerfolge der NSDAP gewesen, sondern ein Versuch der Partei und ihrer führenden Vertreter, das eigene Handeln in die Tradition der deutschen Geistesgeschichte zu stellen.
 
hierzu interessant:
https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/1968_4_5_phelps.pdf
in dieser Rede Hitlers vom 13.08.1920 geht es um die Frage "warum wir Antisemiten sind" und darüber verbreitet sich da der spätere Gröfaz - ich habe die Rede nur überflogen, Luther taucht auf den ersten oberflächlichen Blick nicht auf.

Der Luther taucht beim Hitler überhaupt nicht auf. So wie ich das überblicke nicht bei "Mein Kampf" und nicht bei seinen Reden. Luther ist dem Hitler völlig gleichgültig, wie auch seiner Gefolgschaft.
Seine Münchner Rede, die Du verlinkt hast, zeigt vielmehr (PDF-Seite 12 -13) Bezüge auf die Vorstellungswelt der Ariosophen.
Wie er sich dann ab PDF-Seite 17 unten über die Bibel auslässt ist mal höhnisch und mal vernichtend.
Das ist 1920 und man hat den Eindruck, dass sich der Hitler nun wirklich warmläuft in seiner Rolle als umjubelter Hetzredner.

Die Nazi-Ideologie hat keinen Bezug zu Luther.
 
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