Konfession, Antisemitismus und NS

Der Luther taucht beim Hitler überhaupt nicht auf. So wie ich das überblicke nicht bei "Mein Kampf" und nicht bei seinen Reden.

Der Protestantismus aber immerhin in "Mein Kampf":

"So wird der Protestantismus immer für die Förderung alles Deutschtums an sich eintreten, sobald es sich um Dinge der inneren Sauberkeit oder auch nationalen Vertiefung, um die Verteidigung deutschen Wesens, deutscher Sprache und auch deutscher Freiheit handelt, da dieses alles ja fest in ihm selber mit begründet liegt; er bekämpft aber sofort auf das feindseligste jeden Versuch, die Nation aus der Umklammerung ihres tödlichsten Feindes zu retten, da seine Stellung zum Judentum nun einmal mehr oder weniger fest dogmatisch festgelegt ist."
 
Ich nehme drei Wahlbezirke: das ländliche Waldbröl als eine der Hochburgen der NSDAP, den Kreis Siegen und Wuppertal. Alle stark evangelisch geprägt. Die Neigung für die NSDAP erklärt sich aber nicht aus der Religion.

Im wirtschaftlich kleinagrarischen, völlig bedeutungslosen bergischen Waldbröl wie im von Bergbau und Schwerindustrie geprägten Siegerland gab es nie Pogrome, nie vorher manifesten Antisemitismus. Aber narzisstische Kränkung durch die Niederlage im 1. Weltkrieg, Wahrnehmung der eigenen Bedeutungslosigkeit und Zulauf in der zurückgebliebenen Landbevölkerung und dem verunsicherten Kleinbürgertum, "Sinnstiftung" also, zugleich Unterstützung von heimischen Wirtschaftsverbänden und Industriellen.

Es brauchte nicht die Religion, eher das Fehlen der Religiosität im Alltag. Die lutherisch-reformierte Kirche machte den Nationalsozialisten nicht die Deutungshoheit streitig. Anders als die pietistischen Strömungen und später die Bekennende Kirche.
 
Der vulgäre und außergewöhnlich rabiate Antisemitismus der NS-Bewegung stieß ja zweifellos einige Menschen ab.
Natürlich stieß der rabiate Antisemitismus der Nazis einige Menschen ab, doch das waren meistens sog. Intellektuelle, auf die man laut Hitler keine Rücksicht zu nehmen braucht – Zitat aus MK Seite 196/197, gleiche Ausgabe wie oben, Fettschreibung durch mich):

An wen hat sich die Propaganda zu wenden? An die wissenschaftliche Intelligenz oder an die weniger gebildete Masse?
Sie hat sich ewig nur an die Masse zu richten!
Für die Intelligenz, oder was sich häufig so nennt, ist nicht die Propaganda da, sondern wissenschaftliche Belehrung. Propaganda ist aber so wenig Wissenschaft ihrem Inhalte nach, wie etwa ein Plakat Kunst ist in seiner Darstellung an sich.
(…)
Die Aufgabe der Propaganda liegt nicht in der wissenschaftlichen Ausbildung des einzelnen, sondern in einem Hinweisen der Masse auf bestimmte Tatsachen, Vorgänge, Notwendigkeiten usw., deren Bedeutung erst in den Gesichtskreis der Masse gerückt werden soll.
(…)
Da sie aber nicht Notwendigkeit an sich ist und sein kann, da ihre Aufgabe genau wie bei dem Plakat im Aufmerksammachen der Menge zu bestehen hat und nicht in der Belehrung der wissenschaftlich ohnehin Erfahrenen oder nach Bildung und Einsicht Strebenden, so muß ihr Wirken auch immer mehr auf das Gefühl gerichtet sein und nur sehr bedingt auf den sogenannten Verstand.

Jede Propaganda hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt.

Und so weiter und so fort. Und wenn man daran denkt, dass "Der Stürmer" wöchentich eine Auflage von einer halben Million hatte, die andere Presse gleichgeschaltet und deshalb nicht dagegen anschreiben konnte, und das neue Medium Radio eben auch nur Propaganda verbreitete, da wundert es einen nicht, dass das Volk mehrheitlich bis zuletzt zu den Nazis stand.

Wenn man die Medien unter Kontrolle hat - wie z.B. China schon immer und in den letzten 2-3 Jahren auch Russland -, dann kontrolliert man auch das Volk weitgehend.

Die lutherisch-reformierte Kirche machte den Nationalsozialisten nicht die Deutungshoheit streitig. Anders als die pietistischen Strömungen und später die Bekennende Kirche.
Wie ich oben zeigen konnte, hat sich auch die Bekennende Kirche diesbzgl. nicht mit Ruhm bekleckert – abgesehen von einigen wenigen Persönlichkeiten der Kirche. Aber sie hatte es wenigstens versucht, und das ist schon anerkennenswert.
 
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Bei der Wahl der Nationalversammlung 1919 bekam die DNVP 10,3% der Stimmen

Das ist richtig, allerdings wird man betrachten müssen, dass die Wahl im Januar 1919 noch ganz im Zeichen der Revolution und der Abwicklung des Krieges stand und die Wünsche der DNVP zur Monarchie zurück zu kehren in dieser Situation hochproblematisch erscheinen mussten, da sie ein mögliches Friedenshinderniss dargestellt hätten.
Zudem lagen die endgültigen Friedensbedingungen zu diesem noch nicht auf dem Tisch, so dass noch reichlich Spielraum vorhanden war um sich darüber Illusionen zu machen und einige Probleme, die für die Gesellschaft der Weimarer Republik dann charakteristisch werden sollten, in dieser Form noch nicht gegeben waren.

Was die Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt Ende 1918/Anfang 1919 in Sachen Frieden wissen konnte, war, dass man Elsass-Lothringen und Posen loswerden würde und man Reparationen in einer bislang nicht ausgewiesenen Höhe würde bezahlen müssen.
Wenn es bei diesen absehbaren Dingen geblieben wäre, hätte sich möglicherweise auch in den 1920er und 1930er Jahren eine andere Stimmung etabliert.
Nur kippte die politische Stimmung spätestens mit dem Bekanntwerden der endgültigen Fiedensbedingungen in der ersten Jahreshälfte 1919, was sich am Kontrast des Wahlergebnisses vom Januar 1919 gegenüber allen anderen Reichstagswahlergnissen der Weimarer Zeit ablesen lässt, so republiktreu wi 1919 wählte die Bevölkerung in der Weimarer Republik nie wieder.

Kommt bei der Wahl 1919 noch dazu, dass diese zeitlich unmittelbar mit den Revolutionären Auseinandersetzungen in Berlin zusammenhing.
Das auftreten der Freikorpsverbände und das auf die Zivilbevölkerung wenig Rücksicht nehmende Vorgehen derselben bei der Niederschlagung Spartakusaufstands dürfte den Beführwortern der radikalen Rechten in dieser Situation keine besonderen Sympathien eingebracht haben.
Als am 19. Januar 1919 gewählt wurde, lagen die Morde an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gerade einmal 4 Tage zurück, die Niederschlagung des Spartakusaufstands gerade einmal eine Woche.

Insofern fand diese Wahl unter auch für Weimarer Verhältnisse ungewöhnlichen Umständen statt.

Bereits bei den Wahlen im Jahr darauf, holte die DNVP 15% der Stimmen und einschließlich der Wahl 1928 blieb sie in den kommenden 10 Jahren stets zwischen 14 und 21%

Das ändert sich erst im September 1930 deutlich, als die DNVP ihr Wahlergebnis von 1928 (14,2%) auf glatt 7% mehr als halbierte.
Bei der gleichen wahl legte die NSDAP um mehr als 15% zu, von 2,6% 1928 auf 18,3% 1930 und das trotz des Umstands, dass der Führungswechsel von Graf Westarp zu Hugenberg in der DNVP 1928 für eine deutliche Radikalisierung der Partei sorgte.

Betrachtet man die Wahl 1919 als Ausreißer unter gesonderten Bedingungenkonnte die DNVP in den 10 Jahren und in 4 Reichstagswahlen von 1920 bis 1930 stehts einen Anteil von 14-20% der Wahler an sich binden, extreme Wählerverluste fuhr die Partei erst in den letzten knapp 2,5 Jahren der Republik ein mit einem Absturz auf zeitweise weniger als 6% der Wähler.

Ich meine wenn eine Partei über 10 Jahre lang mehr als 14% der Wähler auf sich vereinigen konnte und in den kommenden 2,5 Jahren auf Ergebnisse abstürzte, die sich in etwa auf die Hälfte des unteren Endes ihrer früheren Wählerspanne beliefen, kann man durchaus vom Verlust von Teilen der Stammwählerschaft/Kernklientel sprechen.

Von den nicht-sozialistischen und nicht-katholischen Parteien war die DNVP jedenfalls die einzige, die von der NSDAP nicht völlig marginalisiert wurde.

Dieses Urteil kann ich so nicht teilen, denn insofern sich die DNVP seit sie von Hugenberg angeführt wurde, sich wieder dezidiert republikfeindlich verhielt, war sei eigentlich die einzige Partei ohne reale Machtoption in der Weimarer Republik.
Sich in einer demokratischen Regierung beteiligen funktionierte mit einem Hugenberg, dessen Zeitungen unaufhörlich gegen die Republik ätzten und mit einem republikfeindlichen Stahlhelmbund im Schlepp nicht mehr. Das war schon unter Westarp immer eine Hängepartie, die von der Grundbedingung abhing, dass sich die DNVP an einer Regieerung nur beteiligen würde, wenn die SPD außen vor bliebe.
An einen Hugenbeerg, der sich mit der SPD arrangieren würde um regieren zu können war nicht zu denken.

Bei einem rechtsgerichteeten Umsturz konnte die DNVP kaum hoffen sich gegen die inzwischen doppelt und drei mal so starke NSDAP durchzusetzen.

Insofern war die DNVP in ihrer Situation seit 1930 vollkommen marginalisiert, sie begriff das nur nicht.

Wobei ich nicht glaube, dass das am Antisemitismus lag. Die Stammwähler der DNVP trauerten vermutlich vor allem dem Kaiserreich hinterher.

Weiter oben ist der Begriff "Markenkern" gefallen. Der eigentliche Markenkern der DNVP bestand bis zur Wahl 1930 vor allem darin die einzige ernstzunehmende Rechtsaußen-Partei der Weimarer Republik zu sein, die eine reale Machtoption besaß.
Das änderte sich zwischen 1928 und 1930.
Das liegt möglicherweise daran, dass sich die DNVP zwischen 1924 und 1928 bereit erklärte sich in das Weimarer System einbinden zu lassen und insofern in dieser Zeit möglicherweise Probleme hatte sich glaubhaft wieder als eine antirepublikanische Partei zu präsentieren.
Ich denke nicht, dass im Besonderen für die ländlichen Unter- und Mittelschichten in Ostelbien, die die DNVP bis zum Ende der 1920er Jahre binden konnte, die Frage der Restauration der Monarchie eine so große Rolle gespielt hat.
Angesichts der Grenzfragen mit Polen und des "Kulturkampfes", den sowohl die deutsche, als auch die polnische Seite in den 1920er Jahren in den Grenzgebieten betrieb, dürfte auch eine Orientirung an nationalistischen Einstellungn, Jedenfalls in Ostpreußen und den übrigen Grenzgebieten eine Rollee gspielt haben und das verkörpeerte vor 1928 vor allen Dingen die DNVP.
Möglicherweise ging die Bevölkerung die von der kriselnden Landwirtschaft lebte auch davon aus, dass es ihr am Ende besser ginge, wenn sie nur die DNVP weniger als Restaurationspartei, als viel mehr als Argar-Lobby-Partei stark machte, lernte aber im Laufe der 1920er Jahre auch durch die Regieerungsbeeteiligung der DNVP zwischen 1924 und 1928, dass das so nicht funktionierte und orientierte sich deswegen anders.
 
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Ich nehme drei Wahlbezirke: das ländliche Waldbröl als eine der Hochburgen der NSDAP, den Kreis Siegen und Wuppertal. Alle stark evangelisch geprägt. Die Neigung für die NSDAP erklärt sich aber nicht aus der Religion.

Im wirtschaftlich kleinagrarischen, völlig bedeutungslosen bergischen Waldbröl wie im von Bergbau und Schwerindustrie geprägten Siegerland gab es nie Pogrome, nie vorher manifesten Antisemitismus. Aber narzisstische Kränkung durch die Niederlage im 1. Weltkrieg, Wahrnehmung der eigenen Bedeutungslosigkeit und Zulauf in der zurückgebliebenen Landbevölkerung und dem verunsicherten Kleinbürgertum, "Sinnstiftung" also, zugleich Unterstützung von heimischen Wirtschaftsverbänden und Industriellen.

Es brauchte nicht die Religion, eher das Fehlen der Religiosität im Alltag. Die lutherisch-reformierte Kirche machte den Nationalsozialisten nicht die Deutungshoheit streitig. Anders als die pietistischen Strömungen und später die Bekennende Kirche.

Ich möchte dich darauf hinweisen, dass du im Bezug auf das Siegerland irrst, was das Nichtvorhandensein von manifestem Antisemitismus angeht.

Der 1. Wahlkreis der preußischen Provinz Westfalen, entsprechend den Kreisen Siegen, Wittgenstein und Biedenkopf, wurde bei den Reichstagswahlen 1898, 1903, 1907 und 1912 von Kandidaten aus dem Spektrum der "Antisemiten" gewonnen.
die Region Siegen-Wittgenstein gehörte neben Nordhessen zu den Hochburgen des politischen Antisemitismus im Kaiserreich.
Gerade im Bezug auf Siegen-Wittgenstein wäre insofern ein Zusammenhang zwischen Protestantismus und Antisemitismus durchaus zu diskutieren.
Als alternativen Grund könnte man möglicherweise den wirtschaftlichen Abstieg der Region anführen, dessen Industrie durch das verkehrsgünstiger gelegene Ruhrgebiet sukzessive marginalisiert wurde und dass, zumal bei den eher weniger günstigen Verkehrswegen (ist die Sieg überhaupt in größerem Maße schiffbar/damals gewesen?) und der höheren besseren Qualität der Lothringer und später der Schwedenerze auch der Erzbergbau seit dem Ende des 19. Jahrhunderts massiv an Bedeutung verlor.
Ist schon etwas länger her, dass ich mich in der Region herumgetrieben habe, so dass ich nicht mehr mit absoluter Bestimmtheit sagen kann, wann der Niedergang einsätzte aber zur Jahrhundertwende wird es spätestens so weit gewesen sein.

Was hingegen allerdings hochinteressant ist, ist, dass die Gebiete in denen die "Antisemiten" im Kaiserreich Wahlerfolge hatten, nicht die Regionen sind, in denen Ritualmord-Beschuldigungen im Kaiserreich schwerpunktmäßig vorkamen.

Das ist interessanter Weise regional anscheinend nicht deckungsgleich.
Ritualmordbeschuldigungen gab es vor allem in der Rheinprovinz, in Westpreußen und Schlesien, dort gewannen die Antisemiten aber keine oder kaum Wahlkreise, während in Nordhessen, wo die Hochburg der "Antisemiten" lag, kein regionaler Schwerpunkt hinsichtlich Ritualmordbeschuldigungen bestanden zu haben scheint, jedenfalls so weit ich das überblicke.

Wenn das korrekt ist, könnte das möglicherweise darauf hindeuten, dass die Verbindung zwischen religiös-motiviertem Antijudaismus und rassebiologischem Antisemitismus relativ schwach war, denn ansonsten, würde ich meinen, müssten die regionalen Schwerpunkte der Ritualmordbeschuldigungen und der Wahlerfolge der Antisemiten deckungsgleich sein, denn dann müsste man annehmen, dass da wo die Bevölkerung an die Ritualmordlegende glaubte und es mitunter infolge von Anschuldigungen auch zu antijüdischen Ausschreitungen kam (wie etwa im Xantener Fall), auch die Antisemiten die beste politische Grundlage hätten vorfinden müssen.

Dem war aber offenbar nicht so.
 
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Als alternativen Grund könnte man möglicherweise den wirtschaftlichen Abstieg der Region anführen, dessen Industrie durch das verkehrsgünstiger gelegene Ruhrgebiet sukzessive marginalisiert wurde und dass, zumal bei den eher weniger günstigen Verkehrswegen (ist die Sieg überhaupt in größerem Maße schiffbar/damals gewesen?) und der höheren besseren Qualität der Lothringer und später der Schwedenerze auch der Erzbergbau seit dem Ende des 19. Jahrhunderts massiv an Bedeutung verlor.
Nein.
  • Die Qualiät der Siegerländer Erze war hoch.
  • Durch das Thomasverfahren war hingegen die Massenproduktion lothringischen Stahls aus minderwertigen phosphatreichen Erzen (Minette-Erzen) möglich, und vor allem wirtschaftlich.
  • Das Siegerland war seit den 1860er Jahren durch Eisenbahnen nach Norden zum Ruhrgebiet und nach Westen zum Rhein gut angeschlossen, es gibt aber keine Wasserwege, folglich unwirtschaftliche Transportkosten: für Stahl brauchst Du Kohle.
  • Die industrielle Erzgewinnung in Kiruna begann erst 1900: Eisenerzbergwerk Kiruna – Wikipedia
  • Die Erzproduktion im Siegerland hatte 1913 ihr Maximum: Siegerländer Erzrevier – Wikipedia , die Wirtschaftlichkeit und Förderwürdigkeit hingegen nahmen ab.
Was Du aber sehr schön beschreibst ist die Marginalisierung. Und die war wirtschaftlich und in der Eigenwahrnehmung.

Der 1. Wahlkreis der preußischen Provinz Westfalen, entsprechend den Kreisen Siegen, Wittgenstein und Biedenkopf, wurde bei den Reichstagswahlen 1898, 1903, 1907 und 1912 von Kandidaten aus dem Spektrum der "Antisemiten" gewonnen.
Nur dass der Antisemitismus vor dem 1. Weltkrieg keine Relevanz für die Wahlentscheidung hatte.
Du setzt Deinen Begriff
von Kandidaten aus dem Spektrum der "Antisemiten" gewonnen.
mit Antisemitismus gleich.
Nein.

Was ich meine ist: in den wirtschaftlich heterogenen, kulturell sehr verschiedenen aber evangelisch dominierten genannten Wahlkreisen Waldbröl und Siegen fehlten stabilisierende demokratische Kräfte wie SPD und Zentrum.

In Waldbröl wurde aber, gezielt auf die Wahrnehmung von Beamten, Kleinbürgertum und vor allem Kleinbauern, eine erfolgreiche antisemitische Parteipolitik betrieben.

Waldbröl in der NS-Zeit | Waldbröl

Es gab den größten Viehmarkt des östlichen Rheinlandes dort und einen hohen Anteil der ländlichen jüdischen Bevölkerung, auch im Viehhandel. Durch die selber armen Viehhändler war die Absatzkrise und Wirtschaftskrise nicht verursacht, aber sie wurden zur Projektfläche antisemitischen Denkens.

Die Kirche hatte an diesen Dingen keine Schuld, in beiden Landkreisen wurden hoch angesehene Pfarrer nach 1933 inhaftiert, es gab einen kirchlichen Widerstand. Für den Nationalsozialismus gab es andere ausschlaggebende Beweggründe und Prägungen.
 
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Die Qualiät der Siegerländer Erze war hoch.
Was das angeht, hast du recht, da war ich irgendwie im Wald, mea culpa.
es gibt aber keine Wasserwege, folglich unwirtschaftliche Transportkosten
Das meinte ich, du drückst es präziser aus. Zumal damals die Stahlherstellung ja ein deutlich höheres Volumen an Kohle benötigt wurde, als an Erzen um eine adäquarte Menge Stahl zu produzieren und es von dem her ohnehin wirtschaftlicher war Stahlwerke in der Nähe der Kohlegruben, weniger der Erzgruben zu errichten, was für das Siegerland einen Standortnachteil bedeutete.

Die industrielle Erzgewinnung in Kiruna begann erst 1900
Entwickelte sich dann allerdings ziemlich zügig, die Schwedenerze waren bereits im 1. Weltkrieg von einiger Bedeutung für die deutschen Kriegsanstrengungen, jedenfalls begann man verstärkt diese zu beziehen. Ich bin mir nicht sicher ob das bereits vor dem Weltkrieg begann oder erst mit dem Weltkrieg einsetzte.

Nur dass der Antisemitismus vor dem 1. Weltkrieg keine Relevanz für die Wahlentscheidung hatte.
Auf Ebene der Reichstagswahlen an und für sich nicht, zumal der Reichstag insofern er kein Initiativrecht besaß auch noch kein vollwertiges Parlament war.
Aber was den einzelnen Wahlkreis betrifft?

Was ich meine ist: in den wirtschaftlich heterogenen, kulturell sehr verschiedenen aber evangelisch dominierten genannten Wahlkreisen Waldbröl und Siegen fehlten stabilisierende demokratische Kräfte wie SPD und Zentrum.

Ja, die fehlten allerdings auch im Agrarischen Osten und Norden, nur konnten die "Antisemiten" dort keine vergleichbaren Wahlerfolge verbuchen, wie in Nordhessen und im Siegerland, was das Kaiserreich betrifft.
Gerade wenn man sich Ostpreußen als extrem heterogenes Gebiet, mit seinen gemischtsprachigen Wahlkreisen in Masuren und Kleinlitauen, den polnischsprachigen Protestanten in Masuren, den deutschsprachigen Katholiken im Ermland oder die völlig verschiedenen Verhältnisse der bürgerlichen Lebensverhältnisse in Königsberg und Memel und die von komplett agrarisch geprägten Kreisen, wie Lötzen, Lyck, Johnanisburg oder Sensburg anschaut, ist die fehlende Stabilisierung durch die Massenparteien etwas, das anscheinend erst in der Weimarer Republik wirklich zum Tragen kam.
Nun wirdman sagn können, dass mindestens die Deutschkonservativen antisemitische/antisemitisch beinflusste Programmpunkte mitbrachten, aber anders als bei den Gruppierungen, die sich in Nordhessen und Siegen-Wittgenstein durchsetzten war das nicht ihr zentrales Anliegen

Andernorts setzten sich, wo in den ländlichen Protestantischen Millieus die Stabilisatoren von Zentrum und Sozialdemokratie fehlten Kandidaten der Deutschkonservativen oder der Nationalliberalen, seltener die Freisinnigen durch, in Siegen-Wittgenstein von 1898 bis zum 1. Weltkrieg die Kandidaten des politischen Antisemitismus und ich denke, dass kann man durchaus als eine Konstante in der Stimmung der Bevölkerung ansehen.

Allerdings, wenn dir mein Schluss von der Wahl von Kandidaten der Antisemiten-Parteien des Kaiserreichs auf eine antisemitische Stimmung mindestens der Männlichen Bevölkerung des entsprechenden Wahlkreises nicht richig erscheint, woran würdest du Antisemitismus als konkret fassbares Phänomen und die stärke seiner regionalen Ausprägung festmachen wollen?

Die Vorstellung, dass die späteren Wahlerfolge der Nazis vor allem in den ländlichen protestantischen Millieus weniger dem Umstand zuzuschreiben sind, dass die Bevölkerung sich besonders am Antisemitismus hochzog, sondern daran, dass keine der größeren Parteien dieses Millieu umwarb und es daher für die Nazis eher geringerer Anstrengungen bedurfte hier Wähler von den anderen Parteien abzuwerben, was dann vor allem zu Lasten der DNVP ging, teile ich.
 
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Natürlich stieß der rabiate Antisemitismus der Nazis einige Menschen ab, doch das waren meistens sog. Intellektuelle, auf die man laut Hitler keine Rücksicht zu nehmen braucht – Zitat aus MK Seite 196/197, gleiche Ausgabe wie oben, Fettschreibung durch mich):
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Der Antisemitismus eines Julius Streicher stieß nicht nur einige Menschen und Intellektuelle ab, er stieß selbst etlichen, in der Wolle gefärbten Nationalsozialisten und radikalen Antisemiten sauer auf, die inhaltlich im Grunde mit ihm übereinstimmten, die antisemitische Maßnahmen mitgetragen hatten, die aber die Primitivität der Beiträge im Stürmer ebenso widerlich fanden wie die immer gleichen pornographischen Hetzartikel und Karikaturen des Zeichners "Fips"

Mit seinem auf Krawall gebürsteten Verhalten und nicht zuletzt auch der geradezu obszönen Korruption, Miss- und Vetternwirtschaft, die in der Umgebung des Frankenführers seltsame Blüten trieb- Streicher und seine Amigos schreckten nicht mal vor dem Griff in die Parteikasse zurück- hatte Streicher bis 1940/41 selbst bei vielen Nazis sozusagen jegliche Satisfaktionsfähigkeit verloren. Streicher war in unzählige Fehden mit anderen Nazis verstrickt. Es wurde moniert, dass er "Manieren wie ein Stallknecht" habe. Streicher, der in seinem Blatt alle möglichen Perversionen behauptete, hatte in wegen seines Privatlebens eigentlich keine Veranlassung, sich aus dem Fenster zu lehnen.

Streicher war bis 1940/41 selbst bei den lokalen Partei-Gewaltigen, die er in Amt und Würden gebracht hatte, zur Belastung. Daher sägten sie ihn ab. Hitler hielt lange die Hand über Streicher, wie er fast immer Leute deckte, die aneckten. Streicher aber hatte in seinem Blatt selbst Hitler kritisiert, weil dessen Juden-Politik nach Streichers Meinung noch viel zu lasch war. Streichers alte Spießgesellen lancierten eine Geschichte, in der Streicher die Zeugungsfähigkeit Görings bezweifelt und die Vaterschaft von Edda Göring für unmöglich erklärt habe. Göring war empört, es gab eine Untersuchung, die einen wahren Korruptionssumpf zutage brachte. Streicher war bei Arisierungen besonders gierig gewesen und war in zahlreiche Betrügereien verwickelt.
Streicher wurde von Ämtern entbunden, und er durfte sogar Nürnberg nur noch mit Erlaubnis betreten. Ihm blieb allerdings der Rang eines Gauleiters und Reichstagsabgeordneten und ihm blieb das Blatt der Stürmer, das er in Privatbesitz besaß und das ihn, neben den zahlreichen Arisierungen und Erpressungen zum mehrfachen Millionär machte.

Was Streichers Agitation an Niveau und sprachlicher Finesse fehlte, das versuchte er durch Niedertracht und Gehässigkeit wettzumachen. Der Stürmer postete Fotos von gehängten Juden, beschwerte sich, wenn irgendwo "immer noch Judenweiber rumliefen" und appellierte von der ersten bis zur letzten Seite an die niedersten, die aller-niedersten menschlichen Instinkte.

Um das zu missbilligen, musste man kein Intellektueller sein, Streicher und die Art seiner Agitation stieß selbst bei abgebrühten Nazis und Antisemiten auf Ablehnung, und das nicht einmal, weil es inhaltlich Differenzen gegeben hätte, sondern wegen der pöbelhaften Art Streichers.

So offensichtlich, auf dem untersten Niveau, ständig die niedersten Instinkte aufzupeitschen und "die Sau rauszulassen" war offenbar nicht jedermanns Sache.
 
Wenn man die Medien unter Kontrolle hat - wie z.B. China schon immer und in den letzten 2-3 Jahren auch Russland -, dann kontrolliert man auch das Volk weitgehend.
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Es konnte ja seit 1933 in Deutschland nichts mehr geschrieben, gedruckt, in Stein gemeißelt oder auf Zelluloid gebannt werden, was den Nazis nicht gefiel, und zuletzt durfte auch nicht mehr gespaßt werden. Etliche Deutschen hat zuletzt ein recht harmloser Witz das Leben gekostet.

Die Kontrolle über die Medien verschafft aber noch keine Kontrolle über die Köpfe. Im Verlaufe des Krieges haben immer mehr Leute in Deutschland den NS-Medien nicht mehr vertraut.

Die waren mit Sicherheit nicht alle oppositionell oder subversiv, die wollten einfach Informationen, wo der Mann oder Bruder abgeblieben ist. Die haben BBC oder Radio Luxemburg gehört, weil sie gierig auf Informationen waren, und weil sie gespürt haben, dass diese Nachrichten seriöser waren, als das was der Reichsrundfunk sendete.

Das war durchaus mit Gefahren verbunden-dennoch haben Tausende von Deutschen den Soldatensender West der BBC gehört.
 
Wie ich oben zeigen konnte, hat sich auch die Bekennende Kirche diesbzgl. nicht mit Ruhm bekleckert – abgesehen von einigen wenigen Persönlichkeiten der Kirche. Aber sie hatte es wenigstens versucht, und das ist schon anerkennenswert.

Ich habe Deinen entsprechenden Nachweis jetzt nicht gefunden, aber der Faden ist auch schon sehr umfangreich. Meines Wissens war ein wichtiger Grund für die Gründung des Pfarrernotbundes - des Vorläufers der Bekennenden Kirche - allerdings gerade die geplante Einführung des Arierparagraphen auch innerhalb der Kirche. Wäre das nicht ein Beleg dafür, dass gerade hier einer der Hauptunterschiede der - zweifellos nicht selten sehr national gesinnten - protestantischen Pfarrer und der völkischen Bewegung lag? Getaufte Juden waren aus Sicht völkisch denkender Nationalisten eben noch immer Juden, aus Sicht von am Evangelium, den Paulusbriefen und den lutherischen Bekenntnisschriften orientierten Theologen aber Christen.
 
Natürlich stieß der rabiate Antisemitismus der Nazis einige Menschen ab, doch das waren meistens sog. Intellektuelle
Die meisten Menschen, die sich vom rabiaten Antisemitismus der Nazis abgestoßen gefühlten, dürften keine "sog. Intellektuelle" gewesen sein. Ich habe noch einige hochbetagte Zeitzeugen kennengelernt, die sicher keine Intellektuellen waren und seinerzeit, als die Nazis hochkamen, kein Verständnis für deren rabiaten Antisemitismus aufbrachten.
 
Das war im Beitrag Nummer #324.

Dort hast Du aber doch nicht belegt, dass die evangelischen Pfarrer der Bekennenden Kirche antisemitische Tendenzen hatten? Oder verstehe ich Dich bloß falsch? Ähnlich wie andere Verantwortungsträger etwa bei den Gewerkschaften versuchte die Mehrheit des Pfarrernotbundes, einen Konflikt mit dem Regime zu umgehen und keinen Zweifel am eigenen Patriotismus zu erwecken. Daher konzentrierte man sich auf getaufte Menschen jüdischer Herkunft, und genau hier lag ja auch ein wichtiger Unterschied zwischen kirchlichen Missionsbestrebungen und dem völkischen Antisemitismus. Für einen Anhänger der NS-Ideologie war eben auch ein getaufter Jude sein Leben lang ein Jude, ebenso wie alle seine Nachfahren.
 
Daher konzentrierte man sich auf getaufte Menschen jüdischer Herkunft, und genau hier lag ja auch ein wichtiger Unterschied zwischen kirchlichen Missionsbestrebungen und dem völkischen Antisemitismus.
Zuerst ein Zitat aus Wikipedia (Fettschreibung durch mich):

„Die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) hatte sich 1934 nicht am Verhältnis zum Nationalsozialismus gespalten. Fast alle späteren Unterzeichner der Stuttgarter Erklärung hatten Adolf Hitlers Kanzlerschaft begrüßt, zu fast allen Verfolgungs- und Terrormaßnahmen der Nationalsozialisten vor 1939 geschwiegen, die Eroberungskriege des NS-Regimes, beginnend mit dem Überfall auf Polen, unterstützt und nur in einigen die Kirche betreffenden Teilbereichen gegen Maßnahmen des Regimes Stellung bezogen. Dabei hatte auch die Bekennende Kirche (BK) ihre grundsätzliche Staatstreue ständig bekundet und mit Ergebenheitsadressen – bis hin zu einem freiwilligen Führereid der Pastoren 1937 – versucht, sich gegenüber den Deutschen Christen (DC) und staatlichen Dienststellen zu behaupten.“

Das sollte genügen, um die Rolle der Deutschen Evangelischen Kirche und der Bekennenden Kirche während der Naziherrschaft zu umschreiben.

Wie auch dir bekannt sein dürfte, waren die Nazis zuerst bestrebt – ganz im Sinne Luthers – Juden zur Auswanderung zu bewegen. Das verstärkte sich noch nach der Reichspogromnacht 1938, so dass man (d.h. Göring, Heydrich und Eichmann) die Einrichtung eines sog. Büro Grüber erlaubte, das sich um die Auswanderung von nichtarischen ev. Christen kümmern sollte. Auf der katholischen Seite fiel diese Funktion Caritas* zu. Das Büro Grüber wurde Anfang 1941 geschlossen und Eichmann kümmerte sich fortan nur noch um Deportationen der Juden in die Vernichtungslager.

Es gab also eine Hilfe für konvertierte Juden, aber die war marginal und dauerte nicht mal 3 Jahre – halt solange wie die Nazis das erlaubten. Widerstand gegen die Nazis leistete auch die Bekennende Kirche nicht – von einzelnen Pastoren mal abgesehen.

* Nach dem Krieg flüchtete z.B. Adolf Eichmann mit Hilfe der Caritas über die sog. "Klosterroute", später Rattenlinie genannt, nach Südamerika. Aber das ist eine andere Geschichte, die in diesem Forum sicher schon diskutiert wurde.
 
Und wenn man daran denkt, dass "Der Stürmer" wöchentich eine Auflage von einer halben Million hatte, die andere Presse gleichgeschaltet und deshalb nicht dagegen anschreiben konnte, und das neue Medium Radio eben auch nur Propaganda verbreitete, da wundert es einen nicht, dass das Volk mehrheitlich bis zuletzt zu den Nazis stand.

Gemäß des von dir selbst angeführten Wiki-Artikels zum "Stürmer" hatte Streichers Hetzblatt bis 1933 eine Auflage von an die 25.000 Exemplare.
Das belegt eigentlich ganz gut, wie wenig Intersse die Bevölkerung am Konsum dieser Pamphlete hatte, zumal man selbst bei den 25.000 Exemplaren bereits davon ausgehen kann, dass ein nicht unerheblicher Teil davon durch Gliederungen der NSDAP selbst aufgekauft und der Absatz damit künstlich gesteigert wurde.

Das die Auflage auf eine halbe Million anwuchs (was nebenbei gesagt bei einer Bevölkerung von 80-90 Millionen um 1940 selbst wenn das direkt von Privatpersonen konsumiert worden wäre, keine so beeindruckende Zahl darstellte), dürfte mehr damit zusammenhängen, dass die NSDAP selbst größere Zahlen orderte um die Bevölkerung propagandistisch zu versorgen, als mit einem sprunghaft gesteigerten Interesse der Bevölkerung.

Damit konnten die Nazis ihre Hetzpamphlete ab Mitte/Ende der 1930er Jahre zwar einigermaßen flächendeckend ausstellen, allein darauf, ob die Bevölkerung dieses Angebot auch tatsächlich annahm und es konsumierte bzw. bereit war das ernst zu nehmen, hatten sie letztendlich keinen Einfluss.
Die eher geringen Absatzzahlen vor dem Beginn der Diktatur legen nahe, dass sich das tatsächliche Interesse daran eher in Grenzen gehalten haben dürfte.
Davon einmal abgesehen, hatten die Nazis über das Propaganda-Ministerium zwar die Kontrolle über den Zeitungssektor, aber kein Monopol.
Kommunistische und Sozialdemokratische Zeitschriften wurden verboten, waren dementsprechend schwierig zu bekommen, aber die übrigen Blätter konnten, sofern sie nicht gegen das Regime schrieben weiterhin erscheinen.
In diesem Sinne konnte zwar auf der Basis der Zeitungen keine Kritik am Regime geübt werden, dennoch waren nicht alle Nachrichten, die die Bevölkerung beziehen konnte, aus der Feder der Nazis, geschweigedenn aus der Feder Julius Streichers diktiert, man konnte durchaus Nachrichten beziehen in denen sich der Anteil nationalsozialistischer Gräuelmärchen in Grenzen hielt.
Das war natürlich keine wirkliche Meinungspluralität, zumal das Propaganda-Ministerium Vorgaben machte, was nicht geschrieben werden durfte, aber es ist durchaus nicht so, dass die Bevölkerung keine andere Wahl gehabt hätte, als Streichers verhetzende und abgründige Vorstellungen/Einlassungen zu konsumieren.

Gerade beim Radio hatten die Nazis kein Monopol, insofern sich wie bereits angemerkt wurde, ja durchaus auch Sender hören ließen, die die Nazis nicht kontrollierten.

Stand die Bevölkerung bis zuletzt hinter dem Regime? Sie schaffte es nicht sich zu organisieren und den Aufstand gegen das Regime zu proben.
Schaut man sich allerdings den Kriegsverlauf im Besonderen im Westen an, muss doch auffallen, dass der militärische Widerstand letztendlich bereits Monate vor dem letztendlichen Ende des NS-Regimes mehr oder weniger implodierte.
Fanatischer Widerstand der Bevölkerung im Westen gegen die vorstoßenden westalliierten Truppen, dürfte jedenfalls die Ausnahme gewesen sein.
Von besonderer Regimetreue bis zum Schluss zeugte die kampflose Kapitulation und Übergabe diverser Städte jedenfalls nicht.

Wenn man die Medien unter Kontrolle hat - wie z.B. China schon immer und in den letzten 2-3 Jahren auch Russland -, dann kontrolliert man auch das Volk weitgehend.

Eigentlich nicht.
Ein diktatorisches Regime kann zwar ein einheitliches Bild der veröffentlichten Meinung schaffen, hat aber wenig Einfluss darauf, dass dieses Bild auch als glaubwürdig empfunden wird.
Der Zusammenbruch der Regimes des Ostblocks beweist doch ganz gut dass die Ausschaltung des öffentlichen Diskurses zwar schnell zu der Illuision führen kann, dass das Regime die absolute Deutungshoheit habe, weil offener Widerspruch dann eben nicht möglich ist, dass sich diese Vorstellung allerdings mitunter auch als Chimäre entpuppen kann.

Ich denke hier muss man zwei Dinge von einander unterscheiden, nämlich das Vermeiden offenen Widerstands und das Überzeugen der Bevölkerung um diese aktiv für etwas zu gewinnen.
Regimes, die den öffentlichen Diskurs unterbinden sind gut in ersterem, weil dass die Organisation von Widerstand wesentlich erschwert.
Im Hinblick darauf eine Bevölkerung allerdings tatsächlich von etwas zu überzeugen, kann das allerdings mitunter sogar kontraproduktiv sein, weil es ohne öffentlichen Diskurs de facto kaum möglich ist, festzustellen, worin die Hauptbedenken in der Bevölkerung gegen ein bestimmtes Vorhaben bestehen, wenn die aber nicht ohne weiteres festzustellen sind dann sind Kampagnen zu deren gezielter Ausräumung kaum möglich.
 
Die Zeitungen von Streicher wurden in Schaukästen ausgehängt, damit hatten sie auf jeden Fall eine größere Medienpräsenz, einen meinungsbildenden Multiplikatoreffekt.

Hinsichtlich des geraden Weges von Luther zu den Nationalsozialisten: den gab es nicht.

Ich sehe als Triebfeder einen latenten und offenen Revanchismus, das Gefühl einer erlittenen "Schmach". Uns heute ein schwurbeliges Wort, damals das Gefühl des Versagens, der militärischen, wirtschaftlichen, intellektuellen und seelischen Impotenz, bei vielen mit der Projektion auf "das Judentum".

Und da waren das deutschnationale Denken und schon in den 1920er Jahren der Nationalsozialismus die blaue Pille, das Viagra das alle begierig schluckten.

Die Kirche hatte damit nichts zu tun. Sie war Konkurrent um die Deutungshoheit.
 
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Zuerst ein Zitat aus Wikipedia (Fettschreibung durch mich):

„Die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) hatte sich 1934 nicht am Verhältnis zum Nationalsozialismus gespalten. Fast alle späteren Unterzeichner der Stuttgarter Erklärung hatten Adolf Hitlers Kanzlerschaft begrüßt, zu fast allen Verfolgungs- und Terrormaßnahmen der Nationalsozialisten vor 1939 geschwiegen, die Eroberungskriege des NS-Regimes, beginnend mit dem Überfall auf Polen, unterstützt und nur in einigen die Kirche betreffenden Teilbereichen gegen Maßnahmen des Regimes Stellung bezogen. Dabei hatte auch die Bekennende Kirche (BK) ihre grundsätzliche Staatstreue ständig bekundet und mit Ergebenheitsadressen – bis hin zu einem freiwilligen Führereid der Pastoren 1937 – versucht, sich gegenüber den Deutschen Christen (DC) und staatlichen Dienststellen zu behaupten.“

Das sollte genügen, um die Rolle der Deutschen Evangelischen Kirche und der Bekennenden Kirche während der Naziherrschaft zu umschreiben.

Aus meiner Sicht genügt das bei Weitem nicht, wenn es Dir darum geht, das Verhältnis der evangelischen Kirche zur Ausgrenzung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden zu klären. Es dürfte unstrittig sein, dass auch viele Vertreter der Bekennenden Kirche sich als Patrioten ansahen und versuchten, einen modus vivendi mit dem Regime zu finden (auch wenn die Behauptung "fast alle" hätten die Kanzlerschaft Hitlers "begrüßt" noch nachzuweisen wäre). Daraus ergibt sich aber nicht, dass evangelische Pfarrer und Gläubige wegen der Spätschriften Luthers zum Antisemitismus neigten. Im Gegenteil: Gerade weil viele von ihnen einen Konflikt mit der Staatsmacht eigentlich scheuten, muss ihnen die Ausgrenzung getaufter Juden außerordentlich falsch erschienen sein, wenn sie sich dennoch in dieser Weise exponierten.
 
Die Zeitungen von Streicher wurden in Schaukästen ausgehängt, damit hatten sie auf jeden Fall eine größere Medienpräsenz, einen meinungsbildenden Multiplikatoreffekt.
Eine größere Präsenz wird ab Mitte/Ende der 1930er Jahre gegeben gewesen sein, aber aus der Präsenz allein ergibt sich nicht, dass das auch konsumiert oder dem Zustimmung gezollt worden wäre.

Es dürfte unstrittig sein, dass auch viele Vertreter der Bekennenden Kirche sich als Patrioten ansahen und versuchten, einen modus vivendi mit dem Regime zu finden (auch wenn die Behauptung "fast alle" hätten die Kanzlerschaft Hitlers "begrüßt" noch nachzuweisen wäre).

Ich möchte in dieser Hinsicht auch zu bedenken geben, dass eine Kanzlerschaft Hitlers Anfang 1933 unter der Protektion Hindenburgs zu begrüßen nicht gleichbedeutend damit war eine unumschränkte Diktatur Hitlers und der NSDAP zu begrüßen.
Das ein Großteil auch der Vertreter der Bekennenden Kirche einer Kanzlerschaft Hitlers im Verein mit der DNVP, gestützt auf Hindenburg grundsätzlich positiv gegenüberstand, kann ich mir sogar durchaus vorstellen.
Aber daraus und auch aus entsprechenden Bekundungen dazu ist nicht automatisch abzuleiten, dass wer sich mit dem Stand des 30. Januar 1933 einverstanden erklärte das im März/April 1933 immernoch so sah, geschweigedenn später.
 
3. Das der Umstand dass die Protestanten im Besonderen im ländlichen Osten und Norden überdruchschnittlich NSDAP wählten nicht zwangsläufig auf ein Korrespondieren von Nationalsozialistischer Ideologie und Luthertum hindeutet, da auch andere Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben könnten. (Das ist im Übrigen die Widergabe einer Einschätzung die Falter selbst in seiner Studie zu Hitlers wählerschaft geäußert hatte, ich habe das Buch leider gerade nicht zur Hand, falls Angabe der Seitenzahl gewünscht, müsste ich mir etwas Zeit erbitten um das in der Bibilithek auszugraben).

Ich habe die Neuauflage vor mir; Luther wird da nicht erwähnt und eine Untersuchung auf "Korrespondenzen zwischen Nazi-Ideologie und Luthertum" ist eigentlich nicht Falters Forschungsgegenstand.

Was aber deutlich (und laut Falter auch ursächlich) korrespondiert, ist Konfession und Wahlverhalten. Aus der Neuauflage, S. 225f:

Denn es wäre ja durchaus denkbar, dass beispielsweise die Landbevölkerung insgesamt sich gegenüber dem Nationalsozialismus als besonders anfällig erwiesen hätte und ländliche Gebiete wiederum überwiegend evangelisch gewesen wären, während die Bewohner von Industrieregionen, die (wie etwa Oberschlesien oder das Ruhrgebiet) aus historischen Zufällen heraus möglicherweise vorwiegend katholisch geprägt waren, im Durchschnitt eher unempfindlich gegen den Nationalsozialismus gewesen wären. Konfession und NSDAP-Anteil würden dann in der vorgeführten Weise miteinander variieren; verantwortlich für diese statistische Beziehung wären jedoch andere, versteckte Faktoren, die selbst wieder historisch mehr oder minder zufällig mit der Konfession korrelierten. Man würde in einem solchen Falle von einer kausalen Scheinbeziehung oder, etwas irreführend, von einer Scheinkorrelation sprechen. [...] Wir werden im Verlauf der folgenden Kapitel sehen, dass die immunisierende Wirkung des Katholizismus gegenüber dem Nationalsozialismus unter den verschiedenartigsten Bedingungen erhalten bleibt, ja dass der auf der einfachen Zusammenhangsebene feststellbare Einfluss anderer Faktoren wie der Arbeitslosigkeit, der Landwirtschaft oder der Schichtzugehörigkeit auf die Wahlerfolge des Nationalsozialismus vielfach tendenziell sogar verschwindet, wenn man die Konfession statistisch kontrolliert.


da auch andere Faktoren dabei eine Rolle gespielt haben könnten.

Welche Faktoren meinst Du? Wenn Du mir da zwei oder drei Stichworte liefern würdest, kann ich gern selber nachschauen.
 
Die Frage ist, was dieses Faktum zu bedeuten hat. Streicher hat zeitlebens mit dem Protestantismus oder mit Luther nichts am Hut gehabt.

Das stimmt so nicht

Dass Streicher zeitlebens mit dem Protestantismus oder mit Luther nichts am Hut gehabt hat, kann man trotzdem so sagen. Dem widerspricht nicht, dass er möglicherweise schon in den späten 1920er Jahren das eine oder andere einschlägige Lutherzitat propagandistisch nutzte.

Ich würde auch Dir jederzeit bescheinigen, dass Du mit dem Protestantismus und mit Luther nichts am Hut hast.
 
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