@Turgot du ignorierst weiterhin dass es damit Viviani zu überzeugen nicht getan war, auch die beiden sozialistischen Parteien, die die Regierungsmehrheit sicherten und die für einen Krieg relevanten Ministerien in der Hand hatten, dieser Linie folgen mussten.
Und dass wenn sie damit nicht einverstanden waren, was sich nicht ohne weiteres voraussetzen lässt, diese Poincarés konterkarieren konnten.
Du bemühst oben den Vergleich mit Deutschland.
Dir ist doch klar, wie großes Kopfzerbrechen sich die Regierung Bethmann-Hollweg über die Haltung der Sozialdemokraten zum Krieg machte und was alles in Bewegung gesetzt werden musste, was nicht öffentlich werden durfte etc. um Loyalität der Sozialdemokraten nicht zu verlieren.
Dabei hatten die Sozialdemokraten in Deutschland aber überhaupt keine Schlüsselpositionen im politischen System inne, hätten auch die Kriegskredite, selbst wenn sie als stärkste im Parlament vertetene Partei dagegen gestimmt hätte alleine nicht ablehnen können.
Das einzige Machtmittel, dass die SPD gehabt hätte, wäre der Aufruf zum Generalstreik gewesen und selbst dass fürchteten Bethmann-Hollweg und co. wie der Teufel das Weihwasser.
Die sozialistischen Parteien in Frankreich waren vielleicht was die Massenbasis angeht nicht so stark, wie die SPD, konnten im Gegensatz zur SPD im politischen System Frankreichs aber Schlüsselpositionen einnehmen.
Ein halb verdecktes Spiel wie in Deutschland, dass darauf hinauslief geheime Schritte hinter dem Rücken der Sozialisten zu gehen und anderen die Verantwortung zuzuschieben konnte vor diesem Hintergrund nicht funktionieren.
Und im Gegensatz zu Deutschland stand den französischen Sozialisten nicht nur der Aufruf zum Streik zu Gebote, sondern es gab ohne sie überhaupt keine intakte Regierung und sie hatten mit Finanzen, Innen, Flotte, Marine, Kolonien und Krieg auch mehr oder minder sämtliche für einen militärischen konflikt relevante Ministerien in der Hand, von denen aus sich jegliche Kriegsvorbereitung im Kern sabotieren ließ.
Das lässt sich nicht wegignorieren, weder mit dem Verweis auf die Ansichten Poincarés noch mit dem Umstand, dass sich Viviani Poincaré letztendlich beugte.
Mit den beiden sozialistischen Parteien verblieb ein potentieller Veto-Player, der nur sehr schwer berechenbar war.
Das wusste man in London und damit war eine Beteiligung Frankreichs an einem potentiellen Konflikt durchaus nicht ausgemacht.
Hätten die Sozialisten Poincarés Politik, die einen Krieg offen riskierte, konterkarieren wollen, hätten sie jederzeit die Machtmittel dazu in der Hand gehabt.
Die Frage war, wollten sie.
Ob Frankreich in den Krieg ziehen würde oder nicht, hing leetztendlich an der Frage ob die französischen Sozialisten das russische Bündnis am Ende als wichtiger bewerten würden, als ihre Ablehnung von Zarismus, Imperialismus und ihre Ablehnung von Krieg im Allgemeinen.
Bei Poincaré, selbst Lothringer und keiner sozialistischen Ideen verdächtig waren diese Hürden nicht vorhanden. Bei Viviani und den beiden sozialistsichen Parteien schon.