Das geht doch völlig an der damaligen politischen Realität vorbei. Sobald Russland Österreich-Ungarn angreift, ist der europäische Krieg unvermeidbar, wie man historisch gesehen hat, eigentlich schon bei der Mobilmachung.
Aber nur deswegen, weil alle Akteure weit über ihre Verflichtungen hinausgingen und das konnte London nicht wissen.
Deutschland konnte es sich nicht leisten, seinen einzigen zuverlässigen Verbündeten zu opfern
Und Österreich-Ungarn konnte sich das leisten, wo es die Dauerrivalität mit Russland an der Backe hatte und Serbische, Rumänische und Italienische Expansionswünsche auf das eigene Territorium zu fürchten hatte?
Was wäre für Wien die realistische Alternative gewesen, wenn es nicht bereit gewesen wäre seine gesamte Balkanpolitik zu opfern?
Es gab keine.
Frankreich konnte es sich ebenso nicht leisten, Russland fallen zu lassen, denn dann stünden sie auf dem Kontinent dem ohnehin schon deutlich stärkeren Deutschland und seinen Bündnispartnern quasi allein gegenüber.
Ein Ende des Bündnisvertrags zwischen Frankreich und Russland hätte durchaus nicht bedeutet, dass Deutschland damit den Freifahrtsschein gehabt hätte mit Frankreich zu tun, was es wollte.
Ein übermächtiges Deutschland war nicht im Interesse Russlands, im Besonderen so lange es Wiens Balkanpolitik stützte, somit wäre Vertrag hin oder her eine russische Intervention zu Gunsten Frankreichs wahrscheinlich gewesen, hätte Deutschland tatsächlich versucht es anzugrifen.
Man sollte bei der Beachtung der vertraglichen Blöcke nicht außer Acht lassen, dass die Großmächte ihre eigenen Interessen hatten und auch darüber hinaus verfolgten.
Der Wert des russisch-französischen Bündnisses lag im Anspruch auf Hilfe, wenn man angegriffen würde und in der Möglichkeit auf dieser Plattform weitgehende militärische Absprachen zu treffen.
Das wäre Entfallen, hätte aber durchaus nicht bedeutet, dass Russland, auch ohne Frankreich etwas schuldig zu sein, nicht der Meinung hätte sein können, dass es seine Interessen geboten deutsche Expansion in Europa zu verhindern.
Im Übrigen hatte ja auch das UK keine Verpflichtung, Frankreich beizustehen.
Nein, aber Belgien und dass griff Deutschland einmal an.
Da kann man sicher drüber streiten.
Nö, darüber kann man nicht streiten. Deutschland war nicht vertraglich gebunden Wie gegen einen Angriff zu unterstützen, den es selbst provozierte.
Wenn man das annahm, dann war das sehr naiv.
Nun, dann muss ja auch Berlin sehr naiv gewesen sein da man dort vergleichbares ja auch annahm.
Denn wenn man der Meinung gewesen wäre autark genug für einen Erschöpfungskrieg zu sein, hätte es keinen Anlass gegeben den Ostaufmarsch und damit verbundene Szenarien, aufzugeben.
Da wäre es rationaler gewesen von Anfang an darauf zu setzen Russland zu zermürben und Frankreich gegen die relativ kurze gut gesicherte Grenze in Elsass-Lothringen anrennen und sich da verbluten zu lassen.
Es wäre außerdem die Option gewesen alle Kriegserklärungen und agressiven Handlungen im Westen zu unterlassen, was in London möglicherweise zu dem Schluss geführt hätte neutral bleiben zu können, so lange sich Deutschland im Westen nur auf eigenem Gebiet verteidigte und hätte Frankreich den Versuch unternommen über Belgien zu gehen, hätte es, nicht Deutschland international den Schwarzen Peter gehabt, davon abesehen, dass man das schon wegen des logistischen Nadelöhrs bei Lüttich sehr einfach hätte blockieren können.
Insofern wenn London im Hinblick darauf naiv war, dann war Berlin mindestens in gleichem Maße naiv.
Wenn es wirklich so gewesen wäre, dass Deutschland ohne künstlichen Salpeter nur wenige Monate hätte Krieg führen können, wäre der Krieg schon 1914 zu Ende gegangen, da man eben erst im Lauf des Jahres 1915 nennenswerte Mengen davon produzieren konnte.
Brauchte man vor 1915 ja auch nicht.
Erstmal musste man sich in den Winter retten, dazu reichten die eigenen Munitionsvorräte und die Rohstoffvorräte bei der Industrie sicherlich noch.
Über den Winter waren keine besonders munitionsintensiven Kampfhandlungen zu erwarten, da ging schon wegen der Witterung nicht viel in Sachen Offensiven.
Mit Mauersalpeter, Importen aus neutralen Nachbarländern (so lange die eigene Währung noch als einigermaßen Vertrauenwürdig galt oder man andarweitige Inustrielle Überschüsse zum Tauschen hatte, oder für kreditwürdig galt) und dem Umbau von Beutegrät aus Belgien und Nordfrankreich, so wie der Verwendung erbeuteter Vorräter aus diesen Gebieten konnte man sicherlich auch danach noch etwas Zeit überbrücken, aber das waren keine Dauerlösungen, dann musste Abhilfe her, und die kam mit dem Haber-Bosch-Verfahren eben und das war nicht selbstverständlich.
Wir reden hier ja nicht davon, dass Deutschland was die Produktion angeht komplett leerlaufen hätte müssen, um sich gezwungen zu sehen die Waffen zu strecken, ein Einbruch der Munitionsproduktion um 20-30% ohne Aussicht das in mittlerer Zukunft beheben zu können, hätte völlig ausgereicht, weil es die Kampfkraft der deutschen Verbände massiv herabgesetzt und jede deutsche Offensive verunmöglicht hätte.
Ohne Munition für Offensiven zu haben und in einer Situation ständig nur noch auf die Angriffe der Gegenseite reagieren zu können, hätten auch die Militärs schnell zum Frieden geraten.
Ohne gewaltigen Fortschritt in diesem Bereich aus dem sich die Hoffnung ableiten ließ mindestens mittelfristig autark in der Munitionsproduktion zu werden (und das ging nicht mit Mauersalpeter, der half vielleicht ein paar Monate als Überbrückung aber nicht ewig), wäre Deutschland im Winter 1914/1915 in der Situation gewesen den Krieg vernünftiger Weise liquieren zu müssen, da in naher Zukunft aktionsunfähig.
Und dass man in dieser Zeit die Synthetische Produktion so weit ausgebaut bekam, das war nicht selbstervständlich.
BASF hatte 1913 das erste Werk eröffnet, in dem das Haber-Bosch-Verfahren im industriellen Maßsstab zum Einsatz kam, was davor passiert war, war mehr oder weniger experimentelle Chemie ohne besondere Relevanz für die Industrie.
Binnen 2 Jahren aus dem Vorhandensein eines einzigen mikrigen Werkes so weit zu expandieren, dass man damit ein Millionenheer verorgen konnte, das war schon eine außergewöhnliche Leistung, wenn man bedenkt, dass neben dem Aufbau der Produktionsstätten, der Ressourcenbeschaffung dafür (in Konkurrenz zur übrigen Kriegswirtschaft), vor allem noch massenhaft Personal in einem völlig neuen Verfahren angelernt werden musste.
Das das mehr oder minder innerhalb von 2 Jahren, nachdem die erste industrielle Anlage in Betrieb genommen war, im hau-ruck-Verfahren realisiert werden konnte, ließ sich so einfach nicht absehen und wenn es 1-2 Jahre länger gedauert hätte dass zu schaffen, hätte Deutschland den Krieg liquidieren müssen, weil es das nicht hätte überbrücken können.
Wie oben ausgeführt, konnte man nicht davon ausgehen, dass Deutschland nach ein paar Monaten wegen Munitionsmangel kampfunfähig sein würde.
Nicht unbedingt völlig kampfunfähig, aber unfähig noch aussichtsreiche Offensiven unternehmen zu können und zur Reaktion verdammt.
Selbst wenn wäre es naiv gewesen, davon auszugehen, dass Österreich-Ungarn eine solche Niederlage unbeschadet überstehen würde.
Und zwar weil? Österreich-Ungarn hatte auch die Niederlagen von 1859/1869 und 1866/1867 weggesteckt ohne letztendlich völlig auseinander zu fliegen.
In dem Maße, wie es an Gebieten verloren hätte, die nicht deutsch- oder ungarisch waren, hätte es dadurch intern an Stabilität gewonnen.
In Russland gab es schon wegen der Niederlage im Krieg gegen Japan eine Revolution.
Dann schau dir bitte die Verhältnisse in Russland mal an.
1905 weigerte sich der Zar die Selbstherrschaft aufzugeben und auch nur die obersten 10% des Bürgertums an der Macht irgendwie zu beteiligen.
Stattdessen wurden 2 Jahre lang auf Pump ein ziemlich kostenintensiver Krieg geführt, während gleichzeitig die Getreide- und Brotpreise in den Städten explodierten und im Zuge des Petersburger-Blutsonntags waren die hinzugezogenen Truppen (ich weiß aus dem Kopf nicht, ob das angeordnet war oder eigenmächtig passierte) blöd genug Demonstranten, angeführt von einem orthodoxen Geistlichen, die Frauen und Kinder dabei hatten und einfach nur den Zaren um Unterstützung wegen der Lebenssituation bitten wollten, angegriffen.
Wenn man seiner Bevölkerung wirklich jegliches Mitspracherecht verweigert, nichts gegen explodierende Lebensmittelkosten tut, und dann die die Kosaken auf bettelnde Frauen und Kinder angeführt von einem Vertreter der eigenen Geistlichkeit loslässt (oder sie zumindest nicht unter Kontrolle hat), ist es kein Wunder, wenn man im Ergebnis Revolution hat.
Das lag nicht einfach nur in der Niederlage gegen Japan begründet und in Österreich-Ungarn waren die Verhältnisse völlig andere.
Hätte alles so weitergehen können, wie früher? Nein, eine begrenzte Niederlage hätte die Zentralmächte zu inneren Reformen genötigt, und dass hätte vor allem wahrscheinlich das preußische und das ungarische Wahlrecht betroffen.
Wäre aus einer begrenzten Niederlage in einem kurzen Krieg der Zusammenbruch resultiert?
Nein.