Da es hier schnell geht und meine Atmung bei den wärmeren Tagen wieder schlechter geht, kämpfe ich mich Post für Post voran.
@ BerndHH Post # 59:
Puh, da ist erst mal viel richtig zu stellen.
Doch zuvor Bücher, Bücher, Bücher:
Ich kann mich irren, aber hatte ich dir nicht schon mal Reinhard Wolters, Die Schlacht im Teutoburger Wald - Arminius, Varus und das römische Germanien, München mehrere Auflagen (C.H.Beck), empfohlen?
In Varus, Varus! Antike Texte zur Schlacht im Teutoburger Wald, Stuttgart 2008 existiert ein günstiges Reclam-Heftchen mit einer recht vollständigen Quellenzusammenstellung.
Zur Interpretstion der Geschichtsschreiber empfehle ich wie immer:
Dieter Flach, Römische Geschichtsschreibung, Darmstadt, mehrere Auflagen.
Hilfreich ist auch schon
Varusschlacht – Wikipedia
Für einige Quellen gibt es hier Links zu Übersetzungen:
Diskussion:Varusschlacht – Wikipedia
Wenn dich das Thema interessiert, kommst du dauerhaft nicht am Lesen vorbei.
Kommen wir zu den Richtigstellungen:
1- Varus zog nicht von West nach Ost die Lippe entlang. Er befindet sich in einem Lager an der Weser und will zum Rhein. Seine Zeit als Statthalter endet und er will Germanien verlassen.
2- Nach dem Aufbruch wird ihm ein Aufstand gemeldet, weshalb er die geplante Route verlässt, um den Niederzuschlagen. Es handelt sich nicht um Cherusker, vielmehr bietet Arminius an, für die Römer Krieger der Cherusker aufzubieten.
3- Ein Lager an der Lippe trägt den Namen Aliso. Welches ist unbekannt, da entsprechende Toponyme an der Lippe häufig sind. Bezeugt sind solche Toponyme bei mehreren bekannten Lagern an der Lippe (etwa Oberaden und Haltern), nicht aber bei Haltern, dessen Museumsdirektor die Identifikation mit Haltern dennoch hinausschreit. Die Besonderheit an Aliso ist, dass es nicht erobert wurde, sondern fluchtartig verlassen und später wieder besetzt. Da bisher kein "Germanicus-Horizont" fassbar ist, hat die Archäologie hier noch ein schwieriges Problem zu klären. Archäologisch sind "Varus-Horizont" und "Germanicus-Horizont" nicht zu uhterscheiden.
4- Das Opferfest hat sich Wilm Brepohl ausedacht, weil es ihm als nett-passend erschien. Das hat keinen Halt in der Geschichte.
5- Wie gesagt, wurde Varus veranlasst, seine Route zu ändern, um einen Aufstand niederzuschlagen. Die Einteilung der Landschaft, auch von Gebirgen, Wäldern und Flüssen war, wie schon in den 70ern gezeigt wurde, für die Römer (und auch für die Germanen) eine andere als für uns heute. Noch im Frühmittelalter wurden etwa Teutoburger Wald, Wiehengebirge und Egge als eine Einheit namens Osning betrachtet. Daher auch der Name Osnabrück.
6- Wir wissen weder, welchen Weg von den möglichen drei oder vier Wegen Varus ursprünglich nehmen wollte, noch auf welche Wege er von dort gelockt wurde. Wir wissen auch nicht, wo genau sich das "Sommerlager" des Varus befand, oder besser gesagt, von wo aus er seinen vermeintlichen Heimweg begann. Ausgangspunkt sind lediglich die Funde bei Kalkriese als ein Punkt am Ende oder kurz vor Ende der Schlacht.
7- Die Römer sind nicht durch das Wiehengebirge nach Kalkriese gezogen, sondern über den natürlichen Weg entlang dessen Nordrand. Entsprechende Funde erstrecken sich über eine Strecke von10 km*.
8- Zwischen Kalkrieser Berg und Großem Moor verlief ein natürlicher Handelsweg. Es war nur eine Engstelle, wie sie Armeen auf dem Marsch immer mal wieder passieren mussten.
9- Ich schrieb schon einmal, dass die Übertragung unserer moderner Art der Orientierung ein Anachronismus ist. Stelle es dir eher wie in der Großstadt vor mit Parks als Waldgebieten. Da hat auch der moderne Mensch oft nur die Verbindungswege im Kopf. Oder denk daran, wie Grundschulkinder nach und nach lernen nicht mehr über Verbindungen, sondern über das Kartenbild zu denken. Für die Römer floss der Rhein z.B. eher nach Westen. Für uns eher nach Norden. (Einmal ganz abgesehen davon, dass es sich wahrscheinlich gegenüber heute um sehr lichte Wälder handelte.)
10- Hülsemann und Panhorst sind eher, nun, wie soll ich sagen, abwegige Theorien. Bei Wikipedia gibt es, wie zu einigen anderen Themen, etwa Atlantis, solche Theorien-Artikel, um die eigentlichen Artikel, die damit zugespammt wurden, freizuhalten. Den Stand der Wissenschaft findest du also eher in dem zentralen Artikel Varusschlacht. Wer wie Hülsemann zwischen Hellweg und Haarstrang und noch weiter südlich sucht, wird eher das Drususschlachtfeld von Arbalo finden. Panhorst hört sich sehr nach lokalpatriotischer Theorie an. Über viel davon wurde tatsächlich hier im Forum diskutiert.
Was die Beweggründe angeht, gibt es schon einige allgemeine Erklärungen. Ich nenne mal nur die Unterdrückung durch Rom. Ziel war ja die Ausbeutung der Provinzen. Die Zusammensetzung und Gewichtung der Motive im Einzelnen ist natürlich unbekannt und wird es bleiben.
zu Post #60 von Bernd HH: Es gab (abgesehen von denen nach Südwesten) mindestens fünf Wege, davon einer durch Osnabrück und einer nördlich um das Wiehengebirge an Kalkriese vorbei: Irgendwie hat Varus es geschafft, einen der guten Wege zu erreichen.
Was das Unwetter angeht, schreibt Cassius Dio hier einen Roman, bei dem nur die groben Züge stimmen. Es ist der Jahreszeit nach durchaus wahrscheinlich, dass es geregnet hat. Nur macht Dio daraus einen Weltuntergangssturm. Und, da es Dio ist, ist auch die Nachricht über Regen sehr unsicher. Es ist wenig aus Dio zu entnehmen, ganz grob gesagt wie folgt:
1- Die Schlacht dauerte drei Tage.
2- In ungünstigem Gelände blieb nur der Versuch, günstigeres Gelände zu erreichen.
3- Das gelang zwar schließlich, aber es war zu spät. (Oder meinetwegen auch: es gelang, dann ging es aber nochmal durch schlechtes Gelände (Engpass bei Kalkriese) und in der Ebene dahinter war es dann zu spät.)
Bei fast allen Details ist davon auszugehen, dass sie der Fantasie des Cassius Dio entstammen. Er beschreibt Wetter und Landschaft Germaniens, wie es sich Klein-Fritzchen, Pardon, es muss natürlich Klein-Marcus heißen, vorstellte. Wir wissen nicht, was tatsächlich Schlüsselwörter sind und was zum Germanientopos gehört.
* Oder waren es 18? Mein Gedächtnis lässt mich da im Stich, da sich über die Jahre durch neue Funde der Raum erweitert hat.