Ich verstehe den Strangtitel so, dass die Frage ist, was wäre passiert, wenn 1914 kein Krieg stattgefunden hätte und die Entwicklung dann 10, 15 oder 20 Jahre so weitergelaufen wäre. Genau so habe ich meine Punkte aufgeschrieben, und dies entspricht auch dem Strangtitel.
Tut es insofern nicht, als dass die Vorraussetzung, es wäre alles einfach imer so weiter gegangen, wenn es nur nicht zu einem Weltkrieg gekommen wäre nichts taugt.
Das ist - Verzeihung - dann doch etwas versimpelt.
Das Wachstum der USA war gigantisch und wäre auch ohne Krieg über Jahre gigantisch gewesen.
Dazu hatte ich bereits etwas geschrieben. Demographisch war massives Wachstum vorhanden, dass zum Teil aber auch von der Zuwanderung abhing. Und es ist durchaus nicht ausgemacht, dass ohne den zusätzlichen Wirtschaftsboom durch den Krieg die USA weiterhin eine relativ offene Einwanderungspolitk betrieben hätten.
Realiter gab es seit den frühen 1920er Jahre zum ersten Mal Einwanderungsbeschränkungen. Ohne die zusätzliche Kriegskonjunktur, mag es sein, dass die Zeit dafür bereits früher gekommen und die Bestimmungen möglicherweise härter ausgefallen wären.
Hinzu kommt die bis in den Weltkrieg hinein vorhandene Abneigung der USA, sich überhaupt irgendwie in die europäischen Angelegenheiten einzumischen.
Deswegen stelle ich mir die Frage, warum du so versessen darauf bist eine Konkurrenz zwischen den USA und den europäischen Mächten zu konstruieren. Die war wirtschaftlich vorhanden, aber machtpolitisch eigentlich eher nicht.
Kommen noch 2 Dinge hinzu:
1. Die extremen Wachstumsraten der USA korrespondierten mit einer extrem kleinen Armee und einem extrem kleinen Militäretat.
Damit hätten die USA machtpolitisch überhaupt in keine offene Konurrenz mit den europäischen Großmächten treten können.
Das hätte erstmal das Aufstellen entsprechender Streitkräfte vorausgsetzt, deren dauernder Unterhalt allerdings die Wachstumsraten runtergezogen hätten, weil es dauerhafte, stärkre Besteuerung und Einziehen von Wehrpflichtigen vorausgesetzt hätte.
Damit wäre der US-Amerikanische Vorsprung in Sachen Wachstum allerdings dahingeschmolzen.
2. Darf man die innenpolitischen Konflikte nicht übersehen, im Fall der USA vor allem die weitgehende Entrechtung der Afroamerikanischen Bevölkerungsteile. Möglicherweise wäre das ohne Weltkriege früher auf der politischen Agenda gelandet und diese Frage hatte das Land schon einmal tief gespalten.
Das Wachstum der Russen aber auch, ohne zwei Kriege gigantisch.
Da sollte man aber auch vor allem Russlands Probleme nicht aus dem blick verlieren.
Die Nationalbewegungen in Polen und der Ukraine waren vorhanden und wären mittelfristig massiv stärker geworden zummal die russische Politik ziemlich repressiv war, wenn man sie mit der Österreichischen vergleicht, so dass die Nationalitäten in Russland wesentlich größeres Potential zum Aufruhr hatten.
Der Krieg von 1904/1905 gegen Japan und die Revolution von 1905 hatten 3 Dinge offen gelegt:
1. Russland hatte massive innenpolitische Probleme und einen immensen Reformstau, was die Regierbarkeit dieses Landes, wenn die Dinge nicht angegangen worden wären mittelfristig massiv in Mitleidenschaft gezogen hätte.
2. Russland War nicht länger eine Macht am Rand des Europäischen Mächtesystems, die alle ihre expansiven Energien auf Europa konzentrieren konnte, Japan hatte sich als ernstzunhmender Konkurrent im Osten erwiesen, mit dem man irgendwie hätte umgehen müssen.
3. Russlands militärisches Potential war bei weitem nicht so hoch, wie sich das auf dem Papier rein quantitativ ausnahm, ansonsten hätte es ihm nämlich relativ leicht fallen müssen den Krieg gegen Japan zu gwinnen.
Mit fortschreitennder Entwicklung hätten sich natürlich auch die ersten 2 Probleme massiv verschärft und das Zarenreich von innen heraus massiv geschwächt.
Bei den Industriellen Wachstumsraten ist zusätzlich noch zu bedenken, dass die prozeentualen Raten zwar ganz ansehnlich waren, Russland aber von einem erbärmlich niedrigen Niveau aus kam, während Westeuropa bereits seit einem halben Jahrhundert aus industriegesellschaften bestand die anno 14 nicht mehr so hohe Wachstumsraten hatten, aber wesentlich höhere Ausgangswerte.
Die jeweils kleineren Bündnispartner wären jeweils immer abhängiger geworden.
Das ist konstellationsabhängig.
Österreich-Ungarn wäre über kurz oder lang zu einem Anhängsel Deutschlands geworden, und genauso hatte Grey es auch schon mindestens ab 1908 behandelt.
Grey hat es so behandelt, aber Grey hatte im Gegensatz zu uns keinen Einblick in die politischen Interna Berlins und darein, wie stark sich die Deutsche Regierung ihrerseits auf den österreichischen Bündnispartner angewiesen fühlte.
Ob die Kalkulation der Berliner Politik in dieser Hinsicht objektiv richtig war, darf man bzweifeln, aber sie war unstrittig vorhanden und dass erlaubte Wien durchaus eigenständige Schritte und verlieh der Donaumonarchie ein außenpolitisches Gewicht innerhalb des Dreibundes, das seine militärischen und wirtschaftlichen Potentiale überstieg.
Das gleiche auch auf der anderen Seite.
Warum meinte St.Petersburg Serbien unbedingt beistehen zu müssen? Zum Teil weil an fürchtete nach Bulgarien infolge des 2. Balkankrieges nun auch den letzten Balkan-Verbündeten zu verlieren, wenn man es nicht tat.
Wenn aber eher klein oder mittlere Mächtee, wie Bulgarien oder Italien sich von ihren Großmacht-Bündnispartnern emanzipieren und ihre eigenen Wege gehen konnten, konnte eine Macht wie Österreich-Ungarn das erst recht.
Frankreich wäre in der Verbindung zu Rußland in eine totale Abhängigkeit geraten. Es wäre gar nicht mehr fähig gewesen eine eigenständige Außenpolitik zu machen. Ein starkes Rußland hätte im Jahr 1925 nur mit einer Lockerung des Bündnis drohen müssen, und Frankreich wäre gegen Deutschland völlig chancenlos gewesen.
Durchaus nicht unbedingt.
Frankreich hätte durch Verzicht auf Revanche wegen Elsass-Lothringen und anerkennung der Verhältnisse die Beziehungen zu Deutschland jederzeit normalisieren und diesen Konflikt abbauen können. Berlin hätte sicherlich nichts dagegen gehabt sich auf Basis des Status Quo zu einigen.
So lange Frankreich dazu nicht bereit war, brauchte es eine verbündete Landmacht in Europa um Deutschland einhegen zu können und eben das Bündnis mit Großbritannien.
Die europäische Landmacht musste aber nicht Russland sein. Eine Kombination aus Frankreich und der Donaumonarchie möglicherweise unterstütz durch Großbritannien als Seemacht hätte Deutschland ebenfalls effektiv einhegen können.
Der Umstand hinter die eigenen Bündnispartner immer weiter zurück zu fallen, hätte sowohl für Paris, als auch für Wien Motivation sein können, sich aus den bisherigen Bündnissen zu verabschieden und mit dem jeweils anderen zusammen zu arbeiten um einen Partner zu haben, dem man mehr auf Augenhöhe hätte begegnen können und eine Interessengemeinschaft gegen die eigene Marginalisierung zu bilden.
Ein starkes Rußland hätte im Jahr 1925 nur mit einer Lockerung des Bündnis drohen müssen, und Frankreich wäre gegen Deutschland völlig chancenlos gewesen.
Frankreich allein wäre schon 1914 gegen Deutschland chancenlos gewesen und es wäre bereits im ausgehenden 19. jahrhundert vor dem russischen Bündnis allein gegenüber dem Dreibund völlig chancenlos gewesen.
Das war ein sicherheitspolitisches Problem aber keineswege das Ende Frankreichs als relevanter Macht. Ob Russland mit der Drohung einer Kündigung des französischen Bündnisses Erpressungspotential gegenüber Paris hatte, hing maßgeblich davon ab, ob die Donaumonarchie als alternativer außenpolitischer Partner zur Einhegung Deutschlands zur Verfügung stand.
Wäre man in Wien zu dem Schluss gekommen, im Bündnis mit Deutschland zu sehr unter die Räder zu kommen und hätte das zur Disposition gestellt, mit dem Ziel schwächere Partner zu suchen um die eigene Handlungsfähigkeit zu erhalten, hätte Paris eine Alternative gehabt.