Meine Antwort darauf ist: Wenn, wie die Kirche es lehrte, alles auf Erden gottgewollt war, dann waren auch die schlechten Ernten und Pest gottgewollt. Anfangs haben Menschen das Geschehen auf sich bezogen, sprich die Schuld dafür bei sich selbst gesucht. Also haben sie
Bittprozessionen veranstaltet und Buße gemacht, deren absurdeste Ausformung wohl in
Geißlerprozessionen stattfand.
Aber das half anscheinend nicht mehr, denn die kleine Eiszeit dauerte an - also musste das außerhalb der menschlichen Verantwortung liegen. Und wer war der Böse schlechthin? Teufel war das personifizierte Böse. Das jedenfalls lehrte die Kirche damals und lehrt es bis heute. Das Ausmaß der (Natur-) Katastrophen war so groß, dass dafür nur der Teufel in Frage kam, der aber dafür menschlicher Helfer bedurfte: Hexen und Hexer.
Und flugs wurde die jahrhundertealte Tradition der Kirche, die Hexerei negierte, über Bord geworfen und die Theorie von Hexen, die mit Teufel im Verbund stehen, wurde zu offiziellen Lehre der Kirche. Und als
Pfarrer das von der Kanzel verkündeten und die Leute aufforderten, ihnen Fälle zu nennen, die (angeblich) nur durch Hexerei zu erklären waren, dann gab es bald kein Halten mehr. Weil die kleine Eiszeit andauerte, sprich die Situation sich nicht grundlegend besserte.
Dieser Hexenwahn kam, wie gezeigt, nicht aus dem nichts. Die Autorität der Kirche war (selbstverschuldet, daher Luther ...) gefährdet, also inszenierte sie sich als Helferin, indem sie den Menschen bei deren Suche nach den Schuldigen half. Oder, wie
@muck schon richtig feststellte, sie redete ihnen nach dem Mund. Hexenglaube war ein fester Bestandteil des Volkglauben, es bedürfte nur der offiziellen Bestätigung seitens der Geistlichkeit und die Hexenjagd konnte beginnen.
Da kommst du nicht von los: Die allmächtige Kirche die alles plant und kontrolliert und ihre willigen Vollstrecker, die es in die Tat umsetzen.
Genau das aber lässt sich bei den großen Verfolgungswellen aus historischen Quellen so eben nicht ableiten. Hexenverfolgungen wurden vielfach von unten getriggert. Es spricht sehr viel dafür, dass es gerade ihr demokratischer Charakter war, der dazu beitrug, dass die Schweizer Eidgenossenschaft zu einer Kernzone der Hexenverfolgung wurde. Die Verfolgungen in Kurköln, Kurtrier, in Mecklenburg oder auch in Bamberg und Würzburg stießen anfangs auf große Zustimmung. In zeitgenössischen Flugblättern wurde vielfach Hexenverfolgung gefordert und die Obrigkeiten kritisiert als viel zu lasch.
Mal abgesehen von den Schlussfolgerungen war die Reaktion der Menschen auf auf Umweltkatastrophen, Missernten, Hungersnöte, Teuerungen eigentlich gar nicht so sehr verschieden von zeitgenössischen Reaktionen auf Klimawandel und Umweltkatastrophen: Da gibt es die einen Stimmen, die sagen: Ihr müsst euch ändern, ihr müsst euren Lebenswandel, eure Lebensweise ändern, wir haben selbst mit unserer Art zu leben die Katastrophen herbeigeführt, und dann gibt es Stimmen, die bestimmten Gruppen dafür die Schuld geben.
Was sind nicht alles für Verschwörungstheorien im Zuge der Corona-Pandemie aufgetaucht.
Die Kirche hat Schadenszauber und Hexerei keineswegs grundsätzlich negiert, sondern sie hielt Hexenflug und Hexenpakt für Aberglauben, und sie ging gegen Lynchjustiz an vermeintlichen Hexen vor.
Flugs ging das auch nicht, zwischen der Publikation des Hexenhammers und den ersten großen Verfolgungswellen in den 1560er Jahren verging mehr als ein Menschenalter. Es war auch keineswegs so, dass die Hexenbulle als Lehrmeinung sofort überall Bereitschaft zur Hexenverfolgung auslöste. Die Spanische Inquisition z. B. lehnte Hexenflug und Hexenpakt ab. Die hat wirklich Tausende von Leichen im Keller-aber eben keine oder kaum Hexen. 1538 hat sie sogar in Barcelona eine Verfolgung beendet. Auf der iberischen Halbinsel gab es wenige Prozesse, dafür aber häufig Lynchjustiz an vermeintlichen Hexen.
Selbst während des Hexenwahns, selbst in der Periode von 1560-1660 haben nicht dauernd die Scheiterhaufen gebrannt, die Hexenverfolgungen konzentrieren sich auf bestimmte Jahre und bestimmte Zonen: Deutschland, Frankreich und die Schweiz waren die Kernzonen, es gab Staaten in Europa, die kaum oder gar keine Verfolgungen hatten. In Irland gab es ganze vier, in Spanien und Portugal wenige Prozesse, trotz massivem Aberglauben, war Russland praktisch gar nicht berührt, ironischerweise tauchen da einige Fälle erst auf, als Russland sich, gezwungenermaßen Europa und der Aufklärung öffnete. Es gab wenige Fälle in England, viele in Schottland, wenige in Italien, in den Niederlanden, auf dem Balkan unter osmanischer Herrschaft keine, auch nicht in den Vasallenstaaten.
Jede zweite Hexe wurde auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches hingerichtet, aber auch im Reich gab es Kernzonen: Südwestdeutschland, das Herzogtum Westfalen, Kurköln, Kurtrier, Thüringen, Teile von Hessen, Mecklenburg. Aber auch im Reich, gab es in Regionen, die wenig oder kaum berührt waren, auch Städte, in denen keine Hexe hingerichtet wurde. Die freien Reichsstädte Ravensburg und Nördlingen waren eine Ausnahme, in Nürnberg wurde ein "Hexenfinder", der behauptete, er könne Hexen erkennen, um 1620 (?) hingerichtet. In Frankfurt wurden Verleumdungen unterbunden. Es haben auch nicht alle Städte juristische Formalien so leichtfertig über Bord geworfen wie die Lemgoer das in der 2. 3. und 4. Welle taten oder wie es in Bamberg, Würzburg und Eichstätt der Fall war.
Da war es dann tatsächlich so, dass Opfer, die in die Fänge der Justiz gerieten, praktisch chancenlos und dem Tod geweiht waren.